Revolverheld über Songwriting, Egos und Eitelkeiten
von Marc Bohn,
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Kurz vor der Veröffentlichung ihres MTV Unplugged Albums „Revolverheld in 3 Akten“ am 09.10.2015, hatte ich die Gelegenheit, mit Kris zu sprechen. Der Revolverheld-Songwriter und -Gitarrist hat mir seine Tipps und Tricks zum Thema Songwriting verraten und nebenbei Einblicke in das Arrangieren von MTV Unplugged Sessions gegeben. Hier gibt’s die Antworten von Kris auf meine Fragen:
Kris, was bedeutet für dich Songwriting?
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Songwriting ist für mich das, was mich am meisten an der Musik fasziniert. Einfach zu Beginn vor einem leeren Blatt mit einer kleinen Idee zu sitzen und am Schluss einen ganzen Song zu haben. Dieser ganze Prozess ist das, was mich am meisten bewegt. Ich werde oft gefragt ob ich mich eher als Gitarrist oder als Songwriter sehe. Darauf antworte ich immer mit Songwriter!
Ich hatte nie, wie vielleicht andere Jungs, so großes Interesse daran, ein unglaublich krasser Gitarrist zu werden. Ich hab sofort, mit meinen ersten Griffen die ich auf der Gitarre konnte, angefangen eigene Songs zu schreiben. Das Songwriting war von Anfang an meine Faszination.
Du schreibst für dein Solo-Projekt und für deine Band Revolverheld?
Ja, ich hab ein kleines Studio in Hamburg und über die Zeit hab ich herausgefunden, dass es für mich wichtig ist, einen Ort zu haben, zu dem ich regelmäßig hingehen kann, um an Songs zu arbeiten, wo dann auch etwas kreatives entsteht. Egal ob das Songs, Texte oder irgendwelche Ideen sind. Ich komme einfach in mein Studio, setze mich vor ein leeres Blatt Papier und lege los.
Du schreibst also tatsächlich noch auf Papier?
Bei mir ist es wirklich so, dass ich auch ganz viele Sachen in mein Handy schreibe. Immer wenn ich irgendwo unterwegs bin und mir eine Idee kommt oder ein toller Satz auf- oder einfällt, tippe ich es einfach über die Notiz-Funktion in mein Handy ein. Man kann von dort aus auch ganz unromantisch die Texte ausdrucken.
Ich hab mir jetzt auch extra ein Smartphone mit einem riesigen Bildschirm besorgt. Jetzt drucke ich die Texte auch nicht mehr aus, sondern schau einfach während dem Einsingen auf mein Handy. Das ist zwar nicht so cool aber einfach unfassbar praktisch.
Wenn ich unterwegs bin zeichne ich auch Ideen per Sprachmemo mit dem Handy auf, egal ob das Ideen auf der Gitarre oder Textpassagen sind. Im Studio setz ich mich dann an die Ideen und nehme sie am Rechner in Logic neu auf.
Im Studio hab ich mein Auto-Environment, das direkt aufgeht und ich mir so komfortabel wie möglich konfiguriert habe. Für mich ist es wichtig, dass ich ohne viel Zeitverlust, durch Verkabelung oder Setups bauen, schnell zum Ziel komme und loslegen kann. In meinem Studio ist schon alles verkabelt, sodass ich direkt eine Akustik-Gitarre oder eine E-Gitarre aufnehmen kann.
Beim Schlagzeug mach ich viel mit Addictive Drums, das auch schon in meinem Auto-Environment fest integriert ist. Dazu spiele ich dann ab und zu akustisch mal ein paar Percussions, eine Tom oder eine Snare dazu.
Wie strukturierst du dich beim Songwriting? Gibt es bestimmte Abläufe?
Ich starte eigentlich immer mit einer musikalischen oder textlichen Idee, hab dann eine Textzeile wie beispielsweise „Das kann uns keiner nehmen“, aus der ersten Single von unsrem aktuellen Album. Den Satz hab ich mir einfach in mein Handy geschrieben.
Was wirklich mein Ritual ist: Ich öffne zuerst Addictive Drums, schließe meine Gitarre an den Kemper an, öffne mein Keyboard-Plugin und versuche, in irgendeiner Art und Weise etwas zu spielen, das die Stimmung von diesem Satz einfängt. Es ist total wichtig, dass der Text mit der Musik zusammenpasst.
Ich habe oft das Gefühl, dass vor allem bei deutschen Texten der Text nicht zur Musik passt. Deshalb ist es ganz wichtig, dass man von Anfang an mit Stimmungen arbeitet. „Das kann uns keiner nehmen“ hat ja etwas von „ich schau zurück“ und „es ist nicht alles schlecht gelaufen“ und drückt für mich dieses Gefühl auch aus. In der Esotherik würde man vielleicht von Farben sprechen.
Ich versuche diese Stimmung dann einzufangen und dann kommt meistens auch die musikalische Inspiration und die Idee, Im Optimalfall, manchmal komm ich auch einfach nach Hause und mach mir ein Bier auf.(lacht)
Woher nimmst du deine Inspiration? Bei einem Wein an der Alster?
Das ist ein total spannendes Thema. Ich bin für mich zu dem Ergebnis gekommen, dass es da die unterschiedlichsten Typen gibt. Johannes, unser Sänger, geht zum Beispiel nur dann in sein Songwriting-Studio, wenn er inspiriert ist und eine konkrete Idee hat und schreibt dann einen Song. Das geht bei ihm sehr schnell und was dabei rauskommt, ist meistens ein sehr guter Song, der Hand und Fuß hat. Johannes erzielt damit qualitativ eine sehr hohe Dichte.
Bei mir ist es so, dass ich fast jeden freien Tag in meinem Studio bin und auch komplett ohne Idee einfach anfange, Gitarre zu spielen oder auf den Keys rumzudrücken und Sounds durchsteppe und dabei die Inspiration kommt.
Ich werde von meinen Jungs auch oft belächelt, weil ich es inspirierend finde, ein neues Plugin zu haben oder eine neue Gitarre oder einen neuen Amp auszuprobieren. Man holt sich auch die Inspiration über sein Equipment und dadurch, dass man bei manchen Geräten auch einfach mal tiefer einsteigt. Wenn man beispielsweise im Software-Synthesizer dann mal einen Sound findet, zu dem man eine Idee hat. Oder man hat ein Gitarren-Lick, das man gar nicht so spannend fand, dann aber beim Durchsteppen der Presets vom Kemper-Amp plötzlich die Sonne aufgeht. Sowas hilft oft dann beim Songwriting, wenn man in einer Sackgasse steckt.
Da gibt’s mittlerweile einen bestimmten Prozess, der sich da ganz gut bewährt hat. Johannes und ich haben oft die Grundidee und machen in unseren Studios Songdemos und Skizzen. Manchmal liefern wir auch schon einen kompletten Song mit C-Part, aber meistens sind es Mini-Demos.
Wenn es dann dazu kommt, dass wir eine Platte machen, treffen sich zuerst Johannes und ich, setzen uns zusammen, hören in unsere gesammelten Ideen rein und sprechen über Texte, Inhalte, musikalische Ideen und schauen, wie wir uns da gegenseitig helfen können. Wenn wir dann sagen „Ja, das ist es jetzt“, gehen wir in den Proberaum und diskutieren die Songs in der Vierer- bzw. Sechser-Runde. Da gibt uns dann jeder seinen Input.Das ist ein Prozess der sehr viel Spaß macht und den man über die Jahre auch verfeinert hat, bis am Ende ein kompletter Song rauskommt.
Habt ihr eigentlich einen Produzenten?
Songwriting hat viel mit Eitelkeit zu tun! Es ist so, dass wir ganz am Anfang nur in unserer eigenen Suppe gekocht haben. Bis zum 2. oder 3. Album hatten wir niemanden von außen dazu genommen. Wir waren uns sicher, dass nur wir das Optimum rausholen können und ein externer Beitrag nicht zuträglich ist.
Zur 4. und aktuellen Platte haben wir uns mit Philipp Steinke einen Produzenten dazu geholt, der kreativ ist, kreativ arbeitet und eigene Ideen mit einbringt. Wir kennen ihn schon seit Ewigkeiten. Er hat auch auf einer Tour bei uns schon die Keys gespielt und kennt uns als Personen sehr gut. Das hat uns dabei geholfen, uns zu öffnen. Es hat unserem Songwriting wahnsinnig viel gebracht, jemanden mit einer anderen Herangehensweise zu haben, der uns aus unserem eigenen Saft rausholt.
„Lass uns gehen“ zum Beispiel war eine Idee von Johannes im 6/8 Takt und eher „folkig“ angehaucht. Philipp hatte dann die Idee, den Takt auf 4/4 zu ändern, einen four on the floor beat einzubauen und die Tonart zu ändern. Wir haben uns dann von allem gelöst und nur die Gesangsspur blieb rudimentär. Jetzt ist der Song die zentrale Nummer auf unserer Platte, die von einem 6/8 Folk-Song zu einem großen Pop-Song geworden ist. Deswegen ist es für uns als Band auch total wichtig gewesen, unsere Eitelkeit abzulegen. Um das zu können, mussten wir auch erst mal Mitte 30 werden.
Wie sieht das bei euren Texten aus?
Bei den Texten ist es ähnlich. Johannes und ich haben die Grundidee und natürlich muss sich Johannes als Sänger, der den Text transportiert, zu 150% mit dem Text wohlfühlen. Wenn ich einen Text für Revolverheld schreibe, dann ist es so, dass ich mich ganz eng mit Johannes abstimme und er auch viele Sachen verändert.
Wir sind zwei verschiedene Personen und ich sage oder schreibe Sätze anders als er sie vielleicht sagen oder schreiben würde. Das ist etwas, was wir auch über die Jahre gelernt haben. Wenn jemand etwas singt, mit dem er sich nicht identifizieren kann, kann er sich noch so viel Mühe geben und es wird trotzdem nicht authentisch klingen.
Das haben wir sehr gut hinbekommen, in dem wir wahnsinnig lange über Texte reden, umstürzen und umschreiben, nachdem wir uns über die Thematik ausgetauscht und herausgefunden haben, wo vielleicht unsere Unterschiede und Gemeinsamkeiten liegen. Manchmal muss man erst einmal bei einem Thema klären ob man es überhaupt ähnlich sieht, erst dann kann man einen Text schreiben.
Das sind teilweise sehr aufwendige und auch emotionale Gespräche. Wir sind sehr gut befreundet und das ist auch ein Weg, um sich noch besser kennenzulernen (lacht).
In deinen Texten stecken deine Gefühle, deine Ideen, und dann kommt jemand und sagt er will das anders. Ist es nicht schwierig, damit umzugehen?
Das hat nichts damit zu tun, dass ich mein Ego zurückstelle. Die Erfahrung zeigt, dass das wirklich der Weg zu besseren Songs ist. Ein zentraler Punkt in unserem Songwriting ist, dass der Text authentisch ist. Wenn ich einen Text schreibe dann muss der auch zu 100% Johannes sein. Der kleinste Zweifel wird sofort hörbar. Im Unterbewusstsein passiert da wahnsinnig viel beim Hörer.
Im Oktober kommt eine neue Platte – MTV Unplugged – „Revolverheld in 3 Akten“. Wie war es für euch, die Songs umzuarrangieren? Ihr habt wahrscheinlich nicht einfach zur Akustikgitarre gegriffen und losgelegt.
Damit haben wir uns sehr lange beschäftigt. MTV Unplugged ist für uns ein Kindheitstraum und wir sind ja mit den fetten Unplugged Auftritten von Nirvana oder auch Eric Clapton groß geworden. Diese ganzen Sachen haben wir rauf und runter gehört.
Natürlich wollten wir dazu etwas Besonderes machen und uns nicht einfach hinsetzen und unsere Songs mit Akustikgitarren spielen. Deshalb haben wir uns ein Konzept ausgedacht, das „Revolverheld in drei Akten“ heißt. Wir haben die von uns ausgewählten Songs in drei Sets aufgeteilt und jedes Set unterschiedlich und größer werdend instrumentiert.
Es geht los mit Akt 1 in einer kleinen Bar, die wir auch im Bühnenbild visualisiert haben. Musikalisch gesprochen sind da nur wir sechs. Die ersten fünf Songs haben wir selbst arrangiert, das heißt wir haben uns im Proberaum hingesetzt und versucht, anders als sonst an die Songs ranzugehen. Haben andere Stimmungen ausprobiert, versucht den Text anders zu interpretieren um zu schauen ob man damit irgendwie weiter kommt.
Das ist relativ schwer, da man die Songs seit Jahren in einer anderen Version spielt. Wir haben uns dann auch damit beholfen verschiedene Instrumente oder Gegenstände mit ins Set einzubauen. Jakob hatte beispielsweise einen Koffer als Bass-Drum und eine Schreibmaschine im Set, die er rhythmisch einsetzt. Alle haben mal das Instrument gewechselt und sich beispielsweise eine Mandoline genommen – einfach ein Instrument, das ganz anders klingt.
Prominente Unterstützung
Wir haben auch viele Features auf der Platte. Neben Rea Garvey, Das Bo, Hein Strunk haben wir auch mit Michelle van Dyke gearbeitet, der den Song „Du trägst keine Liebe in dir“ von Echt geschrieben hat, den wir beim Unplugged auch gecovert haben. Außerdem hat Annett Louisan den Song „Spinner“ gesungen. Sie hat den Song ganz anders gefühlt als wir. Normalerweise ein Mid-Tempo Song der fröhlich ist, hört sich für sie eher wie ein trauriger Song an und das hat sie auch so interpretiert.
Für Set 2 und 3 haben wir uns dann unterschiedliche Arrangeure gesucht. Wir wollten einfach nicht so sehr in unserem eigenen Saft kochen – eben das umsetzen, was wir bei der letzten Platte gelernt haben.
Fürs 2. Set haben wir dann Jonas David angerufen, einen befreundeten Singer-Songwriter, von dem wir wissen, dass er sehr kreativ ist und vor allem auch ganz anders an Sachen herangeht als wir. Er arbeitet sehr viel mit Open-Tunings und kommt aus dem Singer-Songwriter Folk-Bereich, hat aber auch ein Pop-Ohr. Diese Zusammenarbeit war sehr befruchtend. Er hatte unglaubliche Ideen zu den einzelnen Songs und hat die Songs auch wirklich eingerissen. Jonas hat dann von unseren Songs Demos erstellt, sie uns im Proberaum vorgespielt und mit uns zusammen erarbeitet. Zusätzlich haben wir uns noch Musiker dazu geholt, die Percussion, Marimbafon, Vibrafon, eben ein paar ungewöhnliche Instrumente spielen.
Für Set 3 konnten wir Lillus Skrimali als Arrangeuer gewinnen, der bereits die Unplugged-Sessions von Fanta 4 und Cro arrangiert hat und bereits Max Herre produzierte. Also kein unbeschriebenes Blatt. Er hat dann auch den 3. und größten Akt arrangiert.
Es hilft uns mittlerweile, uns da zu öffnen. Dadurch haben wir eine Platte gemacht, die sich wie eine komplett neue anfühlt. Mit neuen Arrangements, die wahnsinnig viel Spaß gemacht haben. Damit konnten wir uns einen großen Traum erfüllen.
Kein Kommentar wer cool wenn ihr nach nermsdorf kommen könntet