Field Recording ist nicht nur für Reportagen interessant. Mit ein bisschen Außenwelt lässt sich manche sterile Studioaufnahme mit Leben füllen.
Außenwelt heißt noch nicht zwangläufig, dass Sie das Studio verlassen müssen. Stellen Sie doch einfach mal ein (Stereo-) Mikrofon in den Aufnahmeraum oder die Regie – wo immer mehr los ist –, und schneiden Sie Kommentare, Konversationen und Geräuschkulisse mit. Aus derartigen Soundschnipseln lassen sich wunderbare Songübergänge basteln, und Ihr Album hört sich trotz Multitracking ein wenig so an, als wäre es „am Stück” eingespielt worden. Überhaupt ist das Füllen von Zwischenräumen eine ausgezeichnete Strategie, Ihre Hörer bei der Stange zu halten, denn niemand schaltet ab, solange noch etwas Interessantes passieren könnte. Lernen Sie von Rundfunkmachern: Vermeiden Sie Sendepausen!
Anzeige
Oder montieren Sie doch eine Collage aus „goldenen” Aussprüchen für einen Hidden Track. Pop ist immer auch Lebensgefühl, und der Fan möchte gern erfahren, wie die Menschen hinter den Songs wohl so drauf sind. Das nur als Anregung.
Budget-Empfehlung: Pro24 One-Point- Stereomikro von Audio Technica (Bild: Andreas Hau)
Tipps für die Wildnis
Okay, Regen oder fahrende Autos kann man zur Not auch noch vom Studiofenster aus aufnehmen. Aber irgendwann wird’s Zeit, das Studio zu verlassen und auf Geräuschejagd zu gehen. Viele portable Flashkarten-Rekorder besitzen eingebaute Mikrofone, die für die ersten stereofonen Gehversuche reichen. Sollte Ihr Rekorder nicht mit einem eingebauten Mikro ausgestattet sein, lohnt sich ein Blick ins Lieferprogramm von Audio Technica: Kein anderer Hersteller bietet ein so umfassendes Angebot von Stereomikros gerade auch im erschwinglichen Preisbereich.
Meine Empfehlung für den Einstieg wäre das Audio Technica Pro24. Mit knapp über 100 Euro gehört es zu den günstigsten brauchbaren Stereomikros. Frequenzgang und Rauschwerte können mit echten Profimikros nicht ganz mithalten, aber der subjektive Klangeindruck ist durchaus angenehm und luftig. Zudem überrascht die Stereoabbildung mit guter Ortung. Das noch günstigere ATR25 von Audio Technica lohnt meines Erachtens nicht.
Auch wenn die technischen Daten die des Pro24 z. T. sogar übertreffen, klingt das doppelt so teure Pro24 mindestens dreimal so gut. Gespeist wird das Pro24 per Knopfzelle oder – umweltgerechter – per „Plug-in-Power” Dabei handelt es sich um eine Art Phantomspeisung der Consumerklasse. Viele einfache Aufnahmegeräte (aber längst nicht alle!) sind mit dieser Funktion ausgestattet; an der Mini-Klinkenbuchse liegt dann eine geringe Spannung an (meist 2,5–3 Volt, manchmal bis zu 10 Volt), die zur Speisung von Elektret-Kondensatormikrofonen ausreicht.
Schlanker Begleiter für Atmos: Beyerdynamic MCE72 (Bild: Andreas Hau)
Den Einstieg in die Broadcast-Klasse markiert das Beyerdynamic MCE72 für 259 Euro. In Sachen Frequenzgang und Rauschverhalten übertrifft es das AT Pro24, vor allem aber ist es roadtauglicher verarbeitet. Im Gegensatz zum Pro24 lässt sich das Anschlusskabel (XLR auf Miniklinke, unsymmetrisch) abnehmen. Das schlanke Leichtmetallgehäuse macht es sehr transportfreundlich. Die Speisung erfolgt über eine handelsübliche AA-Batterie.
Wer in Sachen Klang noch eine Schippe draufpacken will, landet fast zwangsläufig wieder bei Audio-Technica, nämlich den Modellen AT822 und AT825 für 399 bzw. 509 Euro. Das AT822 kann ausschließlich per Batterie betrieben werden und besitzt einen unsymmetrischen Ausgang (Stereominiklinke mit Adapter auf zwei 6,3-mm-Monoklinken). Das etwas teurere AT825 kann wahlweise auch per P48-Phantomspeisung betrieben werden und wird mittels (mitgelieferter) Kabelpeitsche an zwei symmetrische XLR-Mikrofoneingänge angeschlossen.
Der eigentliche Clou an diesen beiden AT-Mikros ist die etwas wunderliche XY-Stereoanordnung. Die beiden Nierenkapseln sind nicht tonmeisterlich korrekt in möglichst geringem Abstand übereinander angeordnet, sondern einige Zentimeter voneinander entfernt. Diese eigentümliche Anordnung führt zu einem etwas „dramatisierten” Stereobild mit einem Loch in der Stereomitte, das sich erst in etwa ein bis zwei Metern Abstand schließt. Für Schallquellen in einiger Entfernung – und das ist ja bei Atmos üblicherweise der Fall – ergibt sich dafür ein umso plastischeres Bild mit ausgezeichneter Ortung.
Vor einiger Zeit machte ich mit einem AT822 Aufnahmen von dichtem Stadtverkehr. Als ich mir die DAT-Bänder auf dem Heimweg anhören wollte, musste ich nach wenigen Minuten den Kopfhörer absetzen – wegen Herzrasens. Selbst in der Fußgängerzone hatte ich Todesangst, überfahren zu werden, so glaubhaft hörte ich die aufgenommenen Laster auf mich zurollen.
Das DPA SMK4061 ist ein extrem vielseitiges Mikrofonset. Die eigentlichen Mikros sind die „Verdickungen“ am Kabelende.
Drinnen und draußen
Wenn Sie nur gelegentlich mal Außenaufnahmen machen möchten, liegt die Idee nahe, in ein Mikrofon zu investieren, das auch im Studio wertvolle Dienste leistet. Eine sehr empfehlenswerte Anschaffung ist das neue SMK 4061 Stereokit von DPA. Etwas über 800 Euro kostet das Set. Das ist zwar kein Pappenstil, aber vor dem Hintergrund der universellen Verwendbarkeit relativiert sich der Anschaffungspreis.
One-Point-Stereo mit Breitwandeffekt: Audio Technica AT822 (Bild: Andreas Hau)
Das Set besteht aus zwei HiTech-Miniaturmikros, die kaum größer sind als ein Streichholzkopf, zahlreichen Halterungen und nicht zuletzt zwei Gummischeiben, mittels derer die Minimikros zu Grenzflächenmikrofonen umfunktioniert werden können. Mit diesem Set lässt sich fast jede Aufnahmesituation lösen, sei es Atmo, Interview oder Livemitschnitt. Für Geräuschaufnahmen bietet sich der Einsatz als Grenzflächenmikros an. Die Mikros haben dann Halbkugel-Charakteristik. Sie können sie mit ein wenig Abstand voneinander flach auf den Boden legen oder beidseitig an eine senkrechte Fläche kleben. Der Phantasie sind kaum Grenzen gesetzt. In praktisch jeder Situation lässt sich schnell eine unauffällige Montagemethode finden. Auflösung und Stereoortung sind ausgezeichnet.
Aufgrund des angenehmen Klangs sind die DPA-Mikros auch für Mitschnitte von Konzerten oder Theateraufführungen geeignet. Im Studio lassen sich damit Einzelinstrumente wie Klavier oder Akustikgitarre abnehmen. Gespeist werden die DPAs standardmäßig über P48-Phantomspeisung, im umfangreichen Zubehörprogramm finden sich aber auch Lösungen zur Batteriespeisung. Ebenfalls empfehlenswert für den multifunktionalen Einsatz ist das Røde NT4 (439 Euro), die Stereovariante des beliebten NT5 Kleinmembranmikros.
Außer für Atmos eignen sich die winzigen DPA-Mikros auch prima für die Instrumentenabnahme. (Bild: Andreas Hau)
Anders als die für Broadcast-Andwendungen optimierten Audio-Technica-Mikros ist das NT4 primär für Aufnahmen im Nahbereich optimiert. Die Kapseln sind in korrekter XY-Anordnung direkt übereinander positioniert. So ergibt sich immer eine homogene Stereoabbildung, auch im Nahbereich. Allerdings wirken Atmo-Aufnahmen (Diffusschall) nicht so spektakulär räumlich wie bei den Broadcast-optimierten AT-Mikros. Zu den Highlights des Røde zählt das ausgezeichnete Rauschverhalten, das das NT4 auch für sehr leise Quellen tauglich macht. Außerdem erlauben die rauscharmen und sehr linearen Kapseln viel Spielraum bei der Nachbearbeitung per EQ. Atmos sollte man übrigens einen beherzten Treble-Lift gönnen, um den Höhenabfall des Diffusschalls auszugleichen. Bei den „echten” BroadcastStereomikros ist diese Höhenanhebung bereits eingebaut.
Das Røde NT4 ist primär für Studioanwendungen konzipiert, lässt sich aber auch für Außenaufnahmen verwenden. (Bild: Andreas Hau)
Die Verarbeitungsqualität ist ausgezeichnet, allerdings ist das Mikro mit 480 Gramm eine ziemliche Wuchtbrumme. Der Anschuss erfolgt über eine XLR-Kabelpeitsche, die Speisung läuft über P48-Phantomspeisung oder 9V-Batterie.
Störenfriede
Zum Schluss noch ein Tipp aus der Praxis: Wenn Sie in urbanen Umgebungen Atmos aufnehmen, sollten Sie sich die Aufnahmen später in einem möglichst hochauflösenden Analyzer betrachten. Empfehlenswert ist z. B. das Freeware Plug-in „Span” von Voxengo (leider nur Windows). Gerade innerhalb von Städten gibt es nämlich zahlreiche Störsignale, die man kaum noch wahrnimmt, entweder weil sie sich in sehr tiefen oder sehr hohen Frequenzbereichen abspielen oder weil man sich daran gewöhnt hat.
Korrekte XY-Anordnung beim Røde NT4 (Bild: Andreas Hau)
Der Screenshot zeigt eine Aufnahme von Regen, die ich für ein Song-Intro verwenden wollte. Der Peak bei etwas über 15 kHz ist ein Störsignal, das ein Fernsehgerät in einem der Häuser ausgesendet haben muss. Bei PAL liegt diese Frequenz bei exakt 15.625 Hz. Sehr tieffrequente Störungen können dagegen von U-Bahnen stammen oder, ganz trivial, von Körperschall oder Wind. Gerade wenn Sie solche Aufnahmen in Ihre sorgsam produzierten Songs einbetten möchten, sollten Sie derartige Störfrequenzen herausfiltern, damit sie nicht anderen Instrumenten in die Quere kommen oder gar den Summen-Limiter ansprechen lassen.
Außenaufnahme mit unerwünschten Tiefbässen und PAL-Störsignal (Bild: Dr. Andreas Hau)