Der legendäre Eventide H3000 als natives Plug-in? Die Harmonizer, Delay- und Modulationseffekte aus diesem Studioklassiker prägten den Sound von unzähligen Weltklasse-Produktionen. Die Ankündigung der Eventide H3000 Factory lässt genau darauf hoffen und weckt höchste Neugier. SOUND & RECORDING untersucht den virtuellen Spross des Königs der Multieffekte auf Herz und Nieren.
Um übertriebener Euphorie und damit verbundenen Missverständnissen vorzubeugen, will zunächst einmal geklärt werden, was das Eventide H3000 Factory Plug-in nicht ist − nämlich ein vollständiger, virtueller H3000. Dieser Fakt ist jedoch kein Grund, die Lektüre des Artikels vorzeitig und verärgert zu beenden: Das H3000-Factory-Plug-in bildet zwar keinen vollständigen H3000 ab, beinhaltet aber, entsprechend seiner Bezeichnung, einen wesentlichen Teil des Originals, nämlich ein Amalgam aus den berühmten Patch-Factory- und Mod-Factory-1+2-Algorithmen. Jene boten erstmalig bei Effektgeräten die Möglichkeit der nahezu beliebigen Verschaltung bestimmter Module und deren Parametersteuerung mittels Modulatoren und des Audiosignals selbst − um 1990 höchst innovativ!
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Genau um diese Sektionen handelt es sich beim neuen Eventide Plug-in. Moment, gibt es das nicht schon längst? Richtig, seit 2005, allerdings ausschließlich als TDM-Version und Teil des Eventide Anthology Bundles. Die native Version wurde mit Recht immer wieder gefordert und violá − da haben wir’s …
Modular-Effekte
Die Autorisierung des Plug-ins erfordert einen iLok2. Download, Autorisierung und Installation unter OS X 10.6.4 verliefen reibungslos. Gleiches gilt, so viel vorweg – genommen, für den Betrieb unter Logic Pro 9 und Live 8. Positiv fällt zudem der äußerst geringe Prozessorleistungsbedarf auf. Das Plug-in ist für AU-, VST- und AAX-Schnittstellen erhältlich.
Die Plug-in-Oberfläche gliedert sich in drei wesentliche Abschnitte: Im unteren Drittel befindet sich das Patchfeld mit den Modulen. Für rechten und linken Kanal stehen jeweils Delay, Pitch Shifter, Filter sowie VCA (Ampmod) und zwei Mixer zur Verfügung. Als Modulatoren finden sich je zwei Hüllkurven – folger, LFOs und Abschwächer sowie ein Rauschgenerator und der »Function Generator« des H3000, ein weiterer Lieferant von komplexen Steuerspannungsverläufen. Der Side-Chain Eingang fehlt in der VST-Version. Sämtliche Module lassen sich mithilfe virtueller Patchkabel nach Lust und Laune verbinden. Der Signalfluss des linken Kanals wird gelb, der des rechten rot dargestellt. Die Modulationswege sind blau eingefärbt. Modulationstiefe und -bereich bestimmt man im Zielmodul.
Die Verschaltungsmöglichkeiten sind zwar nicht vollkommen beliebig, aber ausreichend flexibel, um höchst komplexe Routings und ebensolche Klangergebnisse zu generieren. Bei Bedarf können beide Kanäle ganz und gar unterschiedliche Effekte liefern, zwischen denen sich dynamisch überblenden lässt usw. − eine tolle Spielwiese.
Wichtiges Feature des Originals waren die vier Soft-Keys. Sie erlauben auch im Plugin das Zusammenfassen mehrerer Parameter und deren gemeinsame Steuerung via SoftKnob. Die Zuweisung ist allerdings etwas umständlich.
Die mittlere Sektion dient schließlich der »Kommunikation« mit der Außenwelt. Hier finden sich Pegelregler (schlecht skaliert) sowie alles notwendige, um tempobasierte Effekte zum Host zu synchronisieren. Die Presets werden über Buttons und Pop-Down-Menüs am oberen Rand verwaltet. Die Zehnertastatur ist ohne Funktion.
Presets und Sound
Ganz im Sinne des Hardwarependants hat man dem Plug-in eine reichliche Preset-Auswahl mit auf den Weg gegeben. Von den über 100 Original-Patch/Mod-Factory-Presets findet sich jedoch nur ein verschwindend geringer Teil im Plug-in − laut Eventide aufgrund von Lizenzierungsfragen. Aber auch die aktuellen Presets decken einen weiten Bereich all dessen ab, was die Kombinationen aus dynamisch modulierten Delays, Pitch-Shiftern und Filtern möglich macht.
Die Bandbreite reicht von üppigen Chorus- und Flangersounds über komplexe Delays bis hin zu zahllosen, vollkommen abgedrehten Effekten, die mit Worten nur schwer zu beschreiben sind − darunter wilde Glitch- und Stotter-Sounds, die natürlich allesamt Synchron zum Hosttempo arbeiten.
Dennoch wirken viele dieser Presets seltsam uninspirierend. Nicht, weil der Sound nicht stimmen würde − das Plug-in ist durchaus in der Lage, die klanglichen Qualitäten des H3000 sehr adäquat (und dabei absolut rauschfrei) abzubilden −, es fehlt bisweilen ein wenig das Gespür für die Balance zwischen Klangexperiment und musikalischer Verwendbarkeit. Und gerade eben dieser Eigenschaft verdankt der H3000 seinen Erfolg.
Glücklicherweise hat man für einen Teil der Library ein paar renommierte und fähige Musiker, u. a. Richard Devine, Nine Inch Nails Allessandro Cortini und Industrial-Ikone Chris Carter (Throbbing Gristle, Chris&Cosey) als Sounddesigner bemühen können. Sie gewinnen dem betagten Konzept durchaus ebenso Zeitgemäßes wie Spektakuläres ab.
Fazit
Das Konzept der Mod-Factory ist nach wie vor aktuell, sehr stimmig und äußerst leistungsfähig, wenn auch nicht mehr, wie zu Zeiten des Originals, sensationelles Alleinstellungsmerkmal. Das Eventide H3000 Factory ist ein sehr gut klingendes und flexibles Effekt-Plug-in, welches die Qualitäten des prominenten Vorbildes zwar nicht in jeder Hinsicht perfekt, aber doch sehr akzeptabel widerspiegelt.
Lediglich die Umsetzung fällt für meinen Geschmack ein wenig ein wenig uninspiriert aus. Das betrifft zum einen die Preset-Auswahl und zum anderen das von der TDM- Version übernommene und mittlerweile in die Jahre gekommene User-Interface. Die Bedienung und das Kreieren komplexer Patches macht entsprechend weniger Spaß als bei aktuellen Bedienkonzepten, die − vereinfacht beschrieben − musikalischer und intuitiver zu handhaben sind. Allerdings kann man dem in diesem Vergleich etwas spröden Charme des H3000 Factory doch einiges abgewinnen.
Und wer in die Verschaltungsmöglichkeiten eintaucht, wird mit außergewöhnlichen Effekten belohnt, die man so eben nur aus dem H3000 kennt. In Sachen Klangqualität ein echter Game Changer!
Hersteller/Vertrieb
Eventide, Soundservice
UvP
349,− Dollar, inkl. iLok2: 361,− Dollar, Upgrade für Anthology II: 175,− Dollar