Ein Puzzle aus Melodien

Interview mit Per Gessle – Roxette

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Sleeping In My Car, How Do You Do?, Joyride, It Must Have Been Love – die Songs von Roxette sind Teil des kollektiven Gedächtnisses der Popwelt geworden. Per Gessle, seines Zeichens Sänger, Gitarrist und Hauptsongwriter von Roxette sowie Gyllene Tider, gibt im Interview Einblicke in die Art, wie er Songs schreibt.

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Mit 10 Jahren soll die Plattensammlung von Per Gessle bereits 100 Scheiben umfasst haben. Dabei musste sich der Klempnersohn jedes Album erarbeiten – die Leidenschaft für Musik ist dem Schweden also bereits seit der Kindheit eigen. Er lernte Englisch vor allem durch das Studium der Texte von The Beatles, Leonard Cohen und David Bowie. Mit Gyllene Tider errang er Ende der 1970er-Jahre seinen ersten Plattendeal.

Als er 1986 zusammen mit der 2019 leider verstorbenen Marie Fredriksson Roxette gründete, ahnte er noch nicht, wie erfolgreich das Duo werden würde: »Wir scherzten: ›Heute Schweden, morgen die Welt.‹ Dabei meinten wir aber kleine Auftritte in Amsterdam oder im deutschen Fernsehen. Wir waren wohl zur richtigen Zeit am richtigen Ort.«

Sound & Recording: Was macht einen wirklich guten Song für dich aus?

Per Gessle: Das ändert sich von Generation zu Generation. Ich sage immer, der Sinn von Popmusik ist es, ihre Zeit widerzuspiegeln. Die Musik der 60er und 70er war viel Melodie-getriebener. Heute fängst du nicht mehr mit der Melodie an. Hör dir mal Songs wie Dedicated Follower Of Fashion oder SOS an, die beruhen auf Melodien. Da komme ich her.

Du hast so viele großartige Songs geschrieben. Wie kommst du auf diese starken, einprägsamen Zeilen?

Ich interessiere mich für Worte und Geschichten. Und ich bin immer auf der Suche nach Formulierungen – »Hello, you fool. I love you«, »Come on. Join the joyride«. Der erste Eindruck, den man von einem Song bekommt, ist oft der Titel. Du liest den Titel, und wenn er gut klingt, ist dein Interesse geweckt.

Stefan Boman
Stefan Boman

Du schreibst ja sowohl auf Englisch als auch auf Schwedisch. Gibt es Gedanken, die du in einer Sprache leichter ausdrücken kannst als in der anderen?

Ich schreibe sehr persönlich. Sowas wie How Do You Do?“ natürlich nicht, aber Songs wie Queen Of Rain, A Perfect Day oder What’s She Like sind so persönlich wie möglich. Auf Schwedisch fällt es mir leichter, tief in mich zu gehen, einfach weil das meine Muttersprache ist. Auf der anderen Seite ist Englisch eine sehr singbare Sprache. Schwedisch ist eine ziemlich schwierige Sprache zum Singen.

Fällt es dir leichter, für dich selbst zu schreiben oder für andere Künstler?

Ich bevorzuge es, Songs für meine eigenen Projekte zu schreiben. In den frühen 80ern, als Gyllene Tider sich auflösten und ich ein paar Jahre Zeit hatte, bevor es mit Roxette losging, wollten viele Leute Songs von mir. Vor allem Texte, aber auch Musik. Ich habe mich nie wohl gefühlt dabei. Irgendjemand redet dir dann immer rein. Ich schreibe lieber für meine eigenen Projekte, wo ich der Boss bin.

Dann hast du aber für Marie geschrieben.

Als ich anfing, mit Marie zu arbeiten, suchte ich eine Stimme, die meine Songs viel besser singen könnte als ich selbst. Wir haben letztens ein Live-Ding von Roxette aus den 90ern angehört, an dem wir gerade arbeiten. Maries Gesangskünste waren unfassbar. Mein Haupttalent lag immer eher darin, diese Leute zu finden. Clarence [Öfwerman, langjähriger Produzent von Roxette; Anm.d.Red.] ist auch so ein Fall. Sein Einfluss auf Produktion und Arrangements hat meine Weltsicht verändert.

Kannst du uns einen Einblick geben, wie du vorgehst, wenn du einen Song schreibst?

Sagen wir, ich sitze am Klavier und stoße auf etwas Besonderes. Das nehme ich dann mit meinem Telefon auf. Ich datiere es und versehe es mit einer Notiz; »Piano Intro« zum Beispiel. Dann, sechs Monate oder sechs Jahre später, suche ich vielleicht genau nach so etwas. Ich gehe mein Archiv durch, hunderte von Fragmenten, die sich über die Jahre angesammelt haben. Also habe ich vielleicht einen tollen Refrain, aber ich brauche etwas Interessantes für Strophe oder Intro – dann gehe ich die Sachen durch und vielleicht passt etwas. Es ist wie ein großes Puzzle.

Der Dolby-Atmos-Arbeitsplatz in den Atlantis Studios in Stockholm, wo Stefan Boman die Roxette-Alben neu abgemischt hat.
Der Dolby-Atmos-Arbeitsplatz in den Atlantis Studios in Stockholm, wo Stefan Boman die Roxette-Alben neu abgemischt hat.

Eine Frage an Mixing Engineer Stefan Boman

Stefan Boman ist Mixing Engineer in den Atlantis Studios in Stockholm und zählt Künstler von Ghost bis Avicii zu seinen Referenzen. In einem aufwendigen Verfahren übertrug Boman das Schaffen von Roxette ins immersive Audioformat Dolby Atmos. Dazu wurden die Original-Tapes digitalisiert und die Mischungen komplett von Grund auf in Dolby Atmos aufgezogen.

»Die schnelle und einfache Lösung wäre ein Upmix«, erläutert Stefan. »Aber wenn man etwas erschaffen möchte, das Bestand hat und Eindruck hinterlässt, muss man von Grund auf neu mischen. Und das haben wir getan. Wir haben die Bänder teilweise gebacken und dann behutsam digitalisiert, haben die Spuren aufgeteilt und dann im ersten Schritt die Stereo-Mixes nachgebaut.

Ich habe dann viel Zeit damit verbracht, die Hallräume und Effekte nachzubauen – nicht exakt, aber so nah wie möglich und eben im immersiven Format. Die Spuren bei Roxette waren hervorragend aufgenommen, es hat viel Spaß gemacht, sie in ein neues Format zu übersetzen.«

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