Aufgrund der Akustik improvisierter Heimstudios und kleinerer Projektstudios fehlt manchmal die »Klarheit« beim Mix. Das Budget reicht nicht für ein »richtiges« Studio … was tun? Das Düsseldorfer Mastering-Studio Skyline Tonfabrik will Abhilfe schaffen und hat einen Regieraum für »externes Hören« eingerichtet: Produzenten und Bands können mit dem eigenen Rechner in kontrollierter Akustik an ihren Mischungen feilen. Ein weiterer Vorteil des »gemeinsamen Hörens« aller Beteiligten ist laut Skyline: Eindrücke entstünden in der gleichen Umgebung statt gegensätzliches Feedback aus unwägbaren Umständen zu erhalten.
Die Düsseldorfer »Skyline Tonfabrik« (siehe Studioszene D, S&R 06.2015) zählt zu den etablierten Mastering-Studios in Deutschland. Inhaber Kai Blankenberg hat im »ursprünglichen« Skyline − ein Aufnahmestudio, das in den 1980er-Jahren gegründet wurde − angefangen und sich dort auf Mastering spezialisiert. In den 2000er-Jahren wurde das Recording-Studio aufgelöst, und Blankenberg ist vor rund sieben Jahren mit dem Mastering in neue Räumlichkeiten gezogen. Im Gebäude hat sich auch sein Bruder Tom mit dessen Firma DokTon einen Regieraum eingerichtet, wo er Sounddesign macht und Film- und Fernsehton mischt. Den Mastering-Bereich teilt sich Kai Blankenberg mit seinem Kollegen Jens Dreesen. Zu den Referenzen zählen Andreas Bourani, BAP, die Beatsteaks, Guano Apes, H-Blockx, Lady Gaga, Silbermond, Sportfreunde Stiller, Die Toten Hosen und Udo Lindenberg samt dessen »Mastered For iTunes«-Remaster-Katalog.
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Externer »Soundcheck«
Im ersten Raum direkt neben dem Eingang ist kürzlich eine zusätzliche Regie entstanden. Sie dient als »externer Abhörplatz« für Bands und Produzenten. Blankenberg möchte ihnen damit die Möglichkeit geben, »… ihre Mischungen nochmal in einem guten Raum auf professionellen Boxen gegenchecken können − und grobe Fehler vor dem Mastering zu korrigieren.« Das sei für Projektstudio-Kunden ein anderer Ansatz als lediglich anhand von Stems beim Mastering Korrekturen vorzunehmen. Es gehe darum, eine »gesicherte« akustische Infrastruktur zu bieten, ergänzt sein Kollege Jens Dreesen, und spricht die Unwägbarkeiten der Abhörsituation mancher Homestudios an: »Hier hört man auch grobe Schnitzer, die vielleicht entstanden sind, weil Abhöre oder Raum nicht gut waren oder Bässe nicht da sind.« Blankenberg ergänzt: »Musiker und Produzenten hören auch auf ihrer Heimanlage viele Fehler, weil sie die Anlage praktisch auswendig kennen. Aber ob sie auch darauf arbeiten können, ist wieder was ganz anderes.« Dreesen: »Sie hören, dass etwas nicht stimmt, wissen aber nicht, an welchem Rad sie drehen müssen.« Das gehe nur in einer kontrollierten Abhörsituation.
Hörraum
Statt vieler Werkzeuge stehe die »geordnete« Raumakustik im Vordergrund, meint Kai Blankenberg. Auf ein Mischpult für »Out of the Box«-Mischungen verzichtet der Arbeitsplatz, er soll in erster Linie »neutrale« Abhörbedingungen liefern, dazu Werkzeuge für die Summe oder zur gezielten Bearbeitung einzelner Spuren.
Kai Blankenberg: »Hier können die Musiker ihre Mischung auch über die Studer A820-Halbzoll-Bandmaschine oder den Fairman-Röhrenkompressor schicken.«
Weiteres Outboard, darunter alte Neve 1081- und 1064-Channelstrips, ein Universal Audio 6176- Channelstrip oder ein Tegeler Audio Manufaktur Classic Tube Equalizer, sind ebenfalls vorhanden. Die Neve 1081-Channel-Strips sind bei aufwendigeren Setups für EQ-Bearbeitung gedacht und dienen zudem als Vorverstärker, um nebenan im kleinen Aufnahmeraum bei Bedarf Overdubs aufzunehmen, etwa Gesang über ein Neumann M149.
Kai Blankenberg: »Dort kann man auch gut Schlagzeug aufnehmen − zwar keine ›KrachRaum-Sounds‹, aber es klingt nicht ›boxy‹.«
Projektstudio vs. optimierter Raum
Ob die Kunden mit den mitunter ungewohnten Abhörbedingungen von Raum und Monitoren gut zurechtkommen? Das sei unterschiedlich, meint Blankenberg: »Anfänger, die noch nicht abschätzen können, welchen Anteil der Raum am Gesamtklang hat und was die Lautsprecher verändern, müssen sich erst ›einhören‹. Da stehen wir beratend zur Seite. Je mehr Vorwissen die Leute haben, desto besser können sie in dem Raum auch abstrahieren.«
Sein Kollege Jens Dreesen ergänzt: »Unsere Erfahrung zeigt: Wenn du in einen Raum gehst, wo die Abhöre eingemessen ist, erkennst du Fehler viel schneller − selbst wenn du den Raum oder die Boxen nicht kennst.« Es sei viel leichter abzuschätzen. Erkenntnisse der Kunden, die sie beobachten?
Blankenberg: »Die Leute korrigieren viele Frequenzbereiche, gerade Tiefenanteile, die ›boomy‹ sind, weil sie zu Hause den Bassbereich nicht richtig einschätzen können − etwas, das auch im Mastering oft korrigiert wird. Aber es finden auch inhaltliche Veränderungen statt − zum Beispiel Hallfahnen, Panorama-Einstellungen oder Lautstärkeverhältnisse.«
Das Konzept enthalte zwar kein dauerhaftes Coaching, »… aber um gemeinsam zum bestmöglichen Resultat zu kommen, können wir natürlich bei jedem Song einen kurzen Input liefern: ›Was ist hier los? Warum geht der Refrain nicht auf?‹ « Zur eigenen Erkenntnis helfe bereits die Abwechslung, durch den neuen Raum einen anderen Eindruck vom eigenen Projekt zu bekommen, meint Dreesen. »In Situationen, wo man sich nicht einig ist, können wir bei Bedarf unsere Einschätzung geben und den Mix kurz in den Mastering-Raum durchschalten und einschätzen.« Der Vorteil des Mastering-Studios nebenan? »Sehr glatter Frequenzgang, super eingemessen, und wir kennen ihn natürlich sehr gut.« − »Du hörst etwas an und hast sofort eine Meinung«, ergänzt Blankenberg.
Generell gehe es auch darum, Unsicherheiten abzubauen: »Oft achten Leute nur auf einen Aspekt − etwa die Snare, an der sie drei Wochen gesessen und sie gegated, getriggert und verwurstet haben − und haben schon Schweißperlen auf der Stirn. Mir fällt beim Hören vielleicht nichts auf, weil das Ergebnis gut funktioniert.« Die Bewertung von außen helfe bei jenen Neurosen. Dreesen warnt vor den umgekehrten Folgen der »Betriebsblindheit«: »Wer nur auf ein Element fixiert ist, überhört vielleicht drei andere Probleme. Der kurze Dienstweg hilft dann eher als endlos Files hin- und herzuschicken.«
Dreesen spricht das erwähnte Problem gegensätzlicher Rückmeldungen an, um die Problematik, die verwendeten Umstände nachzuvollziehen. »Es passiert oft, dass nicht klar ist, auf welchen Systemen überhaupt gehört wird. Warum treten bei dem einen Probleme auf, beim anderen nicht? Unter Umständen hat einer versehentlich bei iTunes die Sound-Optimierung oder den Equalizer eingeschaltet«, meint Blankenberg. Dreesen: »Es kommt öfter vor, dass ich ein mir beschriebenes Klangproblem im Mastering-Raum nicht nachvollziehen kann. Dann muss ich am Telefon die Signalkette meines Gegenübers aus der Ferne analysieren, was Zeit und Nerven kosten kann.«
Prioritäten
Blankenberg spricht auch die Unverhältnismäßigkeit mancher Investitionen im Projektstudio an: »Da wollen manche eine Clock für 2.000 Euro kaufen, um ihren Wandler zu optimieren, verwenden aber irgendeinen Monitor-Controller, der das Signal beim Abhören kaputtmacht.« Zum Abmischen sollte ein Homestudio am ehesten in passende Akustikmaßnahmen investieren, meint Dreesen. »Natürlich ist der Lautsprecher mit entscheidend, aber ein Lautsprecher in einem leeren Raum funktioniert nicht.« Im Akustikbereich seien Optimierungen oft »Trial and Error« − es gelte, Maßnahmen einzeln ausprobieren und zu hören, ob sie eine Verbesserung bringen.
Dreesen rät zudem zur Fachkraft: »Bevor man viel Geld für ein fertiges Kit ausgibt, vielleicht nur die Hälfte nehmen und die andere Hälfte für jemanden ausgeben, der sich damit auskennt − gerade im Bereich Akustik kann man viel falsch machen und kontraproduktive Ergebnisse erreichen.« Der Einkauf fremden Fachwissens stehe ganz unten auf der Prioritätenliste vieler Home-Recorder. Teilbereiche könne ein Fachmann in einem Bruchteil der Zeit erledigen. »Vom Kopf her schafft das viel mehr Ressourcen zum Musikmachen, als wenn ich mir alles selbst erarbeiten will. Es gibt Leute, die müssen nicht gleich in zwei Monaten eine Top-Produktion heraushauen. Die bringen vielleicht den Enthusiasmus mit und haben Lust, sich Schritt für Schritt ihre Fähigkeiten an der DAW und am Raum zu erarbeiten.«
Es gehe darum, so Blankenberg, für sich selbst herauszufinden, »… wie viel Forscher der einzelne ist. Aber man muss auch wissen, wenn man nicht der Forscher ist. Das geht mir bei Akustiksoftware so − da kaufe ich mir lieber jemanden ein.« Man müsse mit den Energien haushalten. »Sonst bist du irgendwann so weit und hast keine Ressourcen mehr für die Musik.« Umgekehrt gelte: »Wer ernsthaft Musik macht, wird nach längerem Arbeiten in einem schlechten Raum auch keinen Spaß mehr am Arbeiten haben.« Davor stehe allerdings die Frage nach der Ernsthaftigkeit, ob jemand wirklich Musik machen will. Blankenberg: »Mache ich Musik aus dem Musikmachen heraus oder weil ich einfach nur bei Facebook auch Songs posten will?«
Vergleichen
Probleme entstünden laut Jens Dreesen auch dadurch, dass Klangvergleiche unter falschen Prämissen durchgeführt würden. »Im Homerecording werden oft zwei Songs direkt miteinander verglichen, die nichts miteinander zu tun haben. Nur weil das Genre gleich ist, liefert das Vorbild nicht das passende Klangbild für den eigenen Mix, im Sinne eines Presets.« Dazu kommt die organisatorische Seite: »Es ist sehr schwer, Dinge zu vergleichen, die man mit einer deutlichen Pause dazwischen hört. Dann überlagern sich bereits andere Eindrücke. Wir schalten direkt hin- und her.« Dazu hören sie immer nur kurze Blöcke beim Direktvergleich zweier Klangeinstellungen, um dabei nicht durch musikalische Unterschiede des Materials abgelenkt zu werden. Auch Lautstärkeunterschiede verfälschen die Wahrnehmung, wie Dreesen erzählt. »Als es darum ging, einen neuen Wandler auszusuchen, haben wir gemerkt, wie akribisch man vorgehen muss, um das beurteilen zu können.« Die Lautstärke müsse zur richtigen Beurteilung auf 0,2 dB angeglichen sein, meint Blankenberg.
Mischen lernen
»Auch bei dem optimierten Regieraum gilt: Wenn jemand nicht mischen kann, wird die Mischung vielleicht etwas besser, aber immer noch nicht wirklich gut.« Durch die gezielte Auseinandersetzung mit den »Problemherden« entwickle sich das Bewusstsein, man treffe immer präzisere, bewusstere Entscheidungen beim Mischen, ergänzt Dreesen.
Beim Thema Mixing erinnert sich Kai Blankenberg an die eigenen Anfänge: »Man muss die Instrumente auch immer im Kontext sehen. Ich erinnere mich, dass ich anfangs stundenlang an Bassdrum und Snare getüftelt habe, und die haben nicht im Mix funktioniert. Aber die hast du auch so gelassen, weil sie alleine ja gut klangen!«
Es gehe darum, die Überlagerungen zu hinterfragen. »Gerade Snare und Gesang − wie kommen die sich in die Quere? Wenn der Gesang wichtig ist, braucht die Snare wirklich die Höhen? Oder hebe ich lieber eine andere Frequenz an, um ihr die Durchsetzungsfähigkeit zu geben?«
Das müsse man sich erarbeiten. Trotzdem gebe es keine pauschalen Rezepte, meint Dreesen. »Man muss immer eine Entscheidung treffen: Wo will ich hin? Zwar passieren viele interessante Dinge durch Rumprobieren, aber letztendlich muss man eine Vorstellung haben, wo man klanglich hin will, und dazu passende Entscheidungen für die einzelnen Elemente treffen.«
Blankenberg fällt die mangelnde Bereitschaft, sich festzulegen, auf. »Man hat heute die möglichen Undo-Schritte im Kopf − es ist normal, dass sich die Leute bis nach hinten alle Optionen offen halten. Man hat Angst, loszulassen.« Bei der Suche nach der richtigen Entscheidung können »geordnete« Abhörverhältnisse zumindest nicht schaden.