Die Umsetzung eines klassischen Synth-Sounds, der sich vor dem inneren Ohr in all seiner Pracht, plastisch und zum Greifen nahe präsentiert, hat oft mit Kompromissen zu tun. Entweder geben die zur Verfügung stehenden Hardware-Synths eben nicht genau die Klangfarbe her, die man gerade gerne hätte, oder die Armada an Softsynths kommt nur in die Nähe, aber nicht auf den Punkt. Wie schön wäre es doch jetzt all die Vintage-Schätzchen, deren Soundästhetik einem vorschwebt, fertig anspielbereit benutzen zu können, um das komplette Soundspektrum zur Verfügung zu haben. Und sei es auch nur für ein paar Stunden, um die Produktion mit genau den richtigen Sounds abzuschließen. Geht nicht? Geht!
Denn genau solch ein Studio, das sich darauf spezialisiert hat, die wichtigsten Synth-Klassiker und noch mehr feine Synthware für die eigene Produktion zur Verfügung zu stellen, gibt es in Berlin. Es wurde unlängst von Michael Soltau gegründet, heißt passenderweise »Synthesizer Studio Berlin« und ist der wahrgewordene Traum eines jeden Synthesizer-Liebhabers: Moog, Sequential Circuits, Oberheim, Korg, Roland, Yamaha – die Reihe lässt sich fast endlos fortsetzen, vor allem, wenn man die teils mehrfach vorhandenen und raren Modelle alle aufzählt, die sich darin befinden, wie z. B. das Roland System 700 Modularsynth-Monster oder das CS-80 Schlachtschiff von Yamaha. Und das Beste daran: Das Meiste ist anspielbereit verkabelt oder spätestens einen Kaffee später anspielbereit, wenn es sich um ein etwas exotischeres Gerät handelt, das gerade offline ist. Das Studio kann Stunden- oder auch tageweise mit Engineer gemietet werden, um alles aufzunehmen, was einem vorschwebt.
Vom Traum zum Traumstudio. Die Anfänge beschreibt Michael, der als Filmkomponist tätig ist, so: »Die Idee zum Studio ist in zwei Schritten entstanden. Als ich mit dem Musikmachen an dem Punkt war, Geld zu verdienen, begann ich damit, edle Synthesizer anzuschaffen, und später dann auch Vintage Synthesizer, die ich mir in meiner Jugend als Keyboarder einer nicht so erfolgreichen Band niemals hätte leisten können. Oft habe ich mir einen Juno-60 oder einen Oberheim Xpander geliehen oder im Musikladen einen Prophet-V gespielt. Hier entstand die Leidenschaft.
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Die heutige Sammlung hat schließlich fast jeden Jugendtraum erfüllt. Doch in meinem Studioalltag bleibt leider zu wenig Zeit, die Instrumente so zu nutzen, wie sie es verdient hätten. Warum soll ich die Schätzchen dann nicht anderen Musikern, Produzenten und Liebhabern zur Verfügung stellen, und das zu einen fairen Preis? Das Protone-Studio, in dem hauptsächlich Sprachaufnahmen gemacht wurden und werden, gab es schon, und es konnte unkompliziert um das Synthesizer Studio Berlin erweitert werden.«
Die Synths wurden über die Jahre angeschafft, beruflich genutzt und bilden seitdem die Basis für Michaels Arbeit. »Nach dem Studium bin ich durch Studios getingelt und schließlich in den Nemo-Studios in Hamburg gelandet«, erzählt Michel. »Frank Peterson war ja die eine Hälfte von Enigma, und der hatte eine Synthesizer-Sammlung, die auch nicht von schlechten Eltern war. Er hatte die komplette Roland-Riege, einen Yamaha CS-80, DX1, usw. Damals in den 90ern hatten sich alle Erfolgsproduzenten um mich herum mit dem GAS-Virus infiziert: dem Gear Acquisition Syndrome. Mein alter Boss hat den Virus dann an mich weitergegeben.«
Vor allem hat es Michael die Arbeit mit Hardware- und Analogsynths angetan. »Ich liebe natürlich auch die Plug-ins«, fährt er fort. »Ich will die jetzt nicht schlecht machen, aber es gibt eben genug Gründe, warum wir das hier so machen. Nicht nur GAS oder Leidenschaft und Liebhaberei, sondern es gibt einen echten Mehrwert.
Es ist auch so, wenn du drei, vier, fünf, sechs Kisten in einem Arrangement zusammenlaufen lässt, dann bewegt sich irgendwie die Luft anders, als wenn du dasselbe mit Plug-ins machst. Irgendwas ist da anders, selbst, wenn du die Sounds ziemlich genau hinkriegst. Ich habe neulich das Stück Green Summer Clouds von Tangerine Dream, so ein 17-Minuten-Klopper, nochmal im Auto angehört. Da dachte ich – ok, ne Spannungskurve von 4 Minuten mit irgendeiner Sequenz hinzubekommen, ohne dass es langweilig wird, das macht am Rechner keinen Spaß. Da musst du dann Hüllkurven ziehen, die 96 Takte lang sind usw. Aber im Schneidersitz vor der großen Wand zu sitzen und dann langsam den einen Regler und dann den anderen zu bewegen, die Drums zu ändern und wie so ne Krake da rumzumachen – ich glaube, das führt zu anderen Ergebnissen.«
Traumsynths für alle. Und genau diese Ergebnisse will Michael Soltau nun auch denjenigen zugänglich machen, die diese Arbeitsweise zu schätzen wissen, sich die Geräte aber nicht leisten können oder einfach keine Lust haben, einen Vintage-Park im eigenen Studio zu betreiben und zu pflegen. Hierfür arbeitet er mit Stephan Bobinger zusammen, mit dem er zusammen das Team des Studios bildet. Stephan ist der Engineer, der mit Rat und Tat zur Seite steht, wenn man das Studio mieten möchte. »Die Kunden, die bisher da waren«, erzählt er, »haben es dann auch meistens geschafft innerhalb von drei Stunden drei bis vier Instrumente auszuprobieren und einzuspielen, was ihnen vorschwebte. Sie haben dann alles aufgenommen und konnten damit später machen, was sie wollten. Durch die Hands-on-Möglichkeiten der Geräte bekommt man dann auch relativ schnell das hin, was man haben will. Und ich kann den Leuten dann meistens noch ein paar Extra-Tricks zeigen, von denen sie gar nicht wussten, was mit dem Gerät noch möglich ist.«
Wer keine Zeit hat vorbeizukommen oder eben auch die Instrumente gut kennt und einfach nur Soundvorstellungen durchgeben möchte, kann auch Remote-Sessions buchen. Diese werden dann z. B. in mittlerweile bewährte Weise per SessionLinkPRO realisiert.
Aber auch ein Instrumentenverleih kommt schonmal vor. »Wenn jetzt jemand z. B. im Hansa Studio aufnimmt, kommt es vor, dass man sich bei uns meldet, weil wir Geräte haben, die wir auch verleihen,« erklärt Stephan. »Also den CS-80 verleihen wir nicht, aber da wir drei Jupiter-8 haben, können wir davon z. B. einen verleihen.« Michael führt weiter aus: »Wir haben ja alle Big-Six der Poly-Analogen: Prophet-V, Memory Moog, Oberheim OB-X, Yamaha CS-80, Roland Jupiter-8 und Elka Synthex. Bis auf den Synthex haben wir tatsächlich alle doppelt, weil es immer mal passieren kann, dass ein Gerät nicht richtig funktioniert.«
Youngtimer. Aber hier ist noch nicht das Ende der Fahnenstange. Stephan ist passionierter Reaktor-Programmierer und hat während seiner Studienzeit sein Handwerk bei Mr. Reaktor persönlich gelernt, nämlich Stephan Schmitt, dem Erfinder von Reaktor und Gründer von Native Instruments. Mit diesen Skills hat er einen granularen Drone-Synthesizer für Reaktor 6 programmiert, der Sounds aus dem Synthesizer Studio benutzt oder auch mit eigenen Sounds gefüttert und kostenlos auf der Website heruntergeladen werden kann.
In Bezug auf Softwareinstrumente könnte in absehbarer Zeit mehr folgen, aber auch die Integration von Youngtimern in das Synthesizer Studio Berlin, die es eventuell auch zu Klassikern schaffen könnten, ist ein Anliegen. So arbeitet Michael in seinem eigenen Studio mit einem recht großen Bestand dieser Geräte, wie z. B. mit dem Jomox Resonator Neuronium, Moog One, Nonlinear Labs C15, Expressive-E Osmose, Waldorf Quantum usw., die dem Synthesizer Studio Berlin sicherlich ebenfalls sehr gut zu Gesicht stehen würden. Sind Schätzchen gewünscht, die im privaten Studio von Michael Soltau stehen, können diese auf Anfrage ebenfalls in eine Studio-Session integriert werden.
Angedacht ist jedenfalls noch einiges, und wir dürfen gespannt sein, was von diesem sympathischen Team und der großartigen Idee, großartige Synthesizer in Form eines Mietstudios jedem zur Verfügung zu stellen, noch alles zu hören sein wird. Auf jeden Fall eins: eine Menge sehr aussagekräftiger Sounds.