Weil der britische Keyboarder Ken Freeman kein Geld für ein Mellotron hatte, baute er sich den ersten echten String-Synthesizer überhaupt selbst. Der Freeman String Symphonizer wurde u. a. von Leuten wie Jan Hammer, Neil Diamond und Elton John genutzt und gilt als das beste Instrument seiner Gattung.
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Ken Freeman spielte in den 60er-Jahren Keyboards in einer Band namens Second City Sound, die schon erfolgreich in der berühmten britischen Talentshow Opportunity Knocks aufgetreten war und in der Folge viele Gigs in England spielte. Freeman liebte leicht verspulte String-Sounds, wie sie auf diversen psychedelisch angehauchten Songs dieser Ära etwa von den Beatles, Pink Floyd oder The Move zu hören waren. Es gab aber keine Möglichkeit für ihn, diese überzeugend zu reproduzieren, und ein Mellotron lag damals jenseits seiner finanziellen Möglichkeiten. Nachdem er die Band verlassen hatte, beschäftigte er sich weiter mit diesem Problem und begann, mit einem Röhrensynth, der Clavioline, zu experimentieren.
Der String Symphonizer bietet anschlussseitig neben einem Mono-
Ausgang eine Buchse für ein Expression-Pedal und einen Anschluss
für das Cordovox Tone Cabinet, eine Art Leslie-Amp.
Auf dem Main-Panel findet man außer dem Master Volume die Regler
für Keyboard Balance sowie Bässe und Höhen.
Mit dem Sustain-Regler in der Effekt-Sektion lässt sich die Release-
Zeit der Amp-Hüllkurve einstellen. Der Touch-Vibrato-Schalter intensiviert
den Animation- bzw. Vibrato-Effekt.
Klangforschung
Die Clavioline war in den 50er- und 60er-Jahren eine der wenigen Möglichkeiten, synthetische Sounds zu erzeugen; sie ist z. B. auf dem Hit Telstar (Tornados 1961), auf Runaway (Del Shannon), Baby You’re A Rich Man (Beatles 1967) oder diversen Alben von Sun Ra (etwa Magic City von 1966 oder Atlantis von 1967) zu hören. Freeman experimentierte mit dem Röhrensynthesizer und schickte das Ausgangssignal der Clavioline, die er mit dem Kniehebel heftig modulierte, durch ein WEM Copicat – ein Bandecho-Gerät, das vor allem in England sehr populär war. Das Ergebnis des Experiments – ein modulierender, Chorus-artiger und leicht an ein Stringensemble erinnernder Klang – gefiel ihm und überzeugte vor allem bei Arpeggio-artiger Spielweise, die er einsetzte, um dem monofonen Röhrensynth Akkorde zu entlocken. Also beschloss er, eine Orgel zu bauen, bei der ein ähnlicher Effekt integriert wäre. Das Instrument sollte mit drei Oszillatoren pro Stimme ausgestattet sein, die jeweils individuell moduliert werden sollten, um ein lebendiges Klangbild zu erzeugen.
Prototypen
Freeman begann, sich Grundlagen der elektronischen Klangerzeugung autodidaktisch anzueignen, und las Zeitschriften wie Practical Electronics. Er zog nach London und fand dort einen Orgelbauer, der ihm eine Frequenzteiler-Klangerzeugung zum Experimentieren verkaufte. Der Autodidakt modifizierte das Bord mit drei modulierten Oszillatoren für jeden der zwölf Master-Oszillatoren und baute 1969 einen ersten Prototyp der wegweisenden Stringmachine. Die drei individuell Pitch-modulierten und sich gegeneinander z. T. phasenauslöschenden Oszillator-Bänke bildeten den später als »Animation« bezeichneten Parameter (= Vibrato) und waren neben dem Ensemble-Effekt für den lebendigen Klang des Freeman String Synthesizers verantwortlich. Die Stringsounds lassen sich in zwei Oktavlagen aktivieren.
Bild: Dieter Stork
Die Clavioline, mit der Freeman experimentiert hatte, ist ein Vorgänger des analogen Synthesizers und arbeitet mit einer Röhrenklangerzeugung. Sie wurde 1947 von Constant Martin in Versailles erfunden. Es gibt unterschiedliche Varianten, die von Herstellern wie Selmer, Jennings oder Jörgensen herausgebracht wurden.
Ken Freeman mit einem Prototyp seines String Symphonizers
Ken Freeman in seinem Studio im Jahr 1979: U. a. sieht man einen Korg Rhythm 55, einen Commodore Pet Computer (für den er ein Computer/Synthesizer-D/A-Interface baute), ein Synclavier II, den String Symphonizer und eine Fostex B16-Bandmaschine.
Die erste Version des von Charles Watkins 1958 gebauten Copicat-Bandechos war in den 60er- und 70er-Jahren vor allem in England sehr verbreitet.
Industriespionage auf der Musikmesse
Ein weiterer Prototyp entstand, mit dem Freeman bei einer kleinen Präsentation auf der Music Instruments Fair in London die Aufmerksamkeit einer Firma namens Ling Dynamics auf sich zog, die einen weiteren Prototyp finanzierten, ihn aber ansonsten nur wenig unterstützen. Die dritte Version der Stringmachine, mit der die Serienreife angestrebt werden sollte, war auch aus Kostengründen etwas einfacher strukturiert, sie besaß nur zwei statt drei Oszillatoren-Bänke. Dafür war Prototyp Nr.3 cleverer sowie moderner konstruiert und besaß ein Motherboard mit Soundkarten. Ling stellte das Instrument 1972 auf der Frankfurter Musikmesse vor; dort misstraute man aber den Mitbewerbern und entfernte jeden Abend vorbeugend die Soundkarten aus dem innovativen Gerät. Diese Maßnahme schien auch nicht unbegründet zu sein, denn als Freeman und die Ling-Crew eines Morgens zu ihrem Stand kamen, bemerkten sie, dass sich über Nacht jemand an dem Gerät zu schaffen gemacht hatte!
Freemans Instrument wurde auf der Musikmesse gut aufgenommen, und man orderte einige seiner String Synthesizer. Es stellte sich jedoch heraus, dass Ling Dynamics keine Ahnung von der Vermarktung und dem Bau von Keyboards hatten und nicht fähig waren, das Gerät auf den Markt zu bringen. Freeman kontaktete eine Zeitlang vergeblich andere Firmen – er besuchte auch italienische Hersteller – and sprach schließlich mit Lowrey, dem größten Orgelhersteller in den 60er- und 70er-Jahren. Lowrey-Orgeln waren als Heimorgeln konzipiert und meist mit einer Begleitautomatik ausgestattet; in der Popmusik tauchen sie sporadisch ab und zu auf, etwa bei Softmachine, bei Mike Oldfields Tubular-Bells-Album oder Lucy In The Sky With Diamonds von den Beatles. Lowrey baute die Stringmachine, und die Chicago Musical Instrument Corporation (CMI) vermarktete sie als »Cordovox Freeman String Symphonizer«, nachdem Freeman einen ermüdenden und harten Verhandlungsmarathon absolviert hatte.
1973 kam der Freeman String Symphonizer schließlich auf den Markt. Er wurde nach dem Vorbild von Freemans Prototyp Nr. 3 gebaut und besitzt eine Frequenzteiler-Klangerzeugung mit zwei Oszillatorbänken bzw. zwei Masteroszillatoren. Mit dem Animation-Regler wird die Intensität des Vibrator-Effekts (s. o.) geregelt, außerdem gibt es in der Effektsektion noch einen Federhall und natürlich den (auch von Freeman Experimenten mit dem Copicat inspirierten) Ensemble-Effekt, der bei so gut wie allen String-Machines zu finden ist. Das Instrument ist mit 34 Kilo ein echtes Schwergewicht – wer eines der raren Instrumente auf dem Gebrauchtmarkt ergattern kann, sollte einen guten Orthopäden kennen.
Viel verdiente Freeman nicht an den Rechten für seine Erfindung, denn sehr bald kamen etliche, meist günstigere und leichtere Stringsynthesizer auf den Markt, der schnell vor allem von italienischen Herstellern wie Crumar und Solina dominiert wurde, deren Modelle den Freeman String Symphonizer verdrängten. Klanglich aber blieb der Symphonizer mit seinem ziemlich markanten, lebendigen und fetten String-Sound einzigartig, und viele bezeichnen ihn als die beste Stringmachine überhaupt.
Eine Reihe prominenter User benutzt(e) nichtsdestotrotz den Freeman String Symphonizer; dazu gehör(t)en etwa Camel, Caravan, Neil Diamond, Elton John und Jan Hammer. Der eifrigste User des Instruments ist Ken Freeman selbst: Der talentierte Musiker arbeitete viel als Studiokeyboarder und veredelte mit seinem (mit drei Oszillatorbänken ausgestatteten und entsprechend eindrucksvoll klingenden) Prototypen Nr. 2 viele Produktionen von Leuten wie David Essex, Roger Daltrey, Dollar, Rubettes, Ami Steward, New Seekers, Justin Hayward, Jon Anderson und vielen anderen. Freeman brachte auch Synthesizer-orientierte Alben unter eigenem Namen heraus (s. u.). Der Elektro-lastige Track Mobile Unit seines (mit George Fenton eingespielten) Library-Albums Hand Played By Robots hat sich tief im kollektiven kulturellen Unterbewusstsein unseres Landes verankert, denn es war jahrzehntelang die Titelmusik von Spiegel TV.
War of the worlds
Essenziell war sein Mitwirken an einem der bekanntesten und erfolgreichsten musikalischen Großprojekte der 70er-Jahre. Mit dem Konzeptalbum Jeff Wayne’s Musical Version of the War of the Worlds vertonte der US-Musiker Jeff Wayne H.G. Wells Sci-Fi-Drama Krieg der Welten. Ken Freeman spielte bei den von 1976 bis 1977 dauernden Recording Sessions, bei der u. a. auch Chris Spedding mitwirkte, eine wichtige Rolle, und so gut wie alle Synthesizer wurden von ihm eingespielt. Sein Prototyp des String Symphonizers kam natürlich auch oft zum Einsatz.
Freeman baute noch einen weiteren, verbesserten Prototyp seines String Synthesizers (u. a. hatte hier jede Taste des vollpolyfonen Synths eine eigene VCA-Hüllkurve), spielte später in den 80er-Jahren noch diverse Soundtracks (wie etwa zur BBC-Serie The Tripods) ein und ist bis heute als Keyboarder und Produzent aktiv.
Der Freeman String Symphonizer wurde uns freundlicherweise von Ingo Rippstein (www.synthmaster.de) zur Verfügung gestellt. Wir danken auch Ken Freeman (www.topnote.co.uk) für die Fotos und zusätzlichen Infos. Als weiterführende Lektüre empfehlen wir den Artikel in Sound On Sound (www.soundonsound.com/people/kenfreeman-birth-string-synthesis).