Das Tingvall Trio besteht aus dem schwedischen Pianisten Martin Tingvall, dem Drummer Jürgen Spiegel und dem Bassisten Omar Rodriguez Calvo. Bereits mit ihrem Album Circlar belegten sie vordere Plätze in den Jazzcharts. Das Nachfolgealbum Dance (2020) enthält den Song Tokyo Dance, bei dem das Trio sehr rhythmisch und energisch agiert.
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Tokyo Dance ist ein schönes Beispiel für eine einfache Grundform und was man daraus machen kann. Nicht nur die Triobesetzung ist durch die Zahl »3« geprägt, auch drei Themen sowie drei Songteile folgen dieser »Trilogie«.
Der Hauptteil (A) basiert auf drei Elementen: Ein durchlaufendes Piano Riff umspielt in hoher Lage den Cm7/4-Akkord und sorgt so für die Atmo. Das lässt Platz für die zweite Zutat in Form eines Bass-Themas – als thematischer Gestalter treten Bassisten selten in Erscheinung. Den rhythmischen Gegenpol zum Piano-Riff und zum Bass-Thema stellt der unnachahmliche Schlagzeuger Jürgen Spiegel dar (vgl. auch seinen Groove im Song Bumerang): Die vom second line drumming inspirierte Adaption im binären 6/4 enthält viele Snare-Flams (kurze Vorschläge), und so entsteht eine signifikante eigene Thematik, die den Drive des Songs prägt. Am Ende der Transkription findet sich das notierte Pattern.
Im A2-Part doppelt das Klavier den Bass-Part, somit kann das Piano-Riff nur noch angedeutet werden (außer man benutzt einen Looper). Auch Martin Tingvall ändert seine Strategie: Im oberen Notensystem habe ich eine reduzierte Form des Riffs für die rechte Hand notiert – Martin spielt diese in variierender Form.
Der B-Part baut in acht Takten und über vier Harmonien Spannung auf, wobei die rechte Hand durch Triller bzw. Tremolos relativ festgelegt ist – dadurch kann die linke Hand sehr variabel begleiten.
Der letzte Part (C) der Tokyo-Themen-Trilogie wird von einem Blues-Riff bestimmt, und das Schlagzeug darf wieder seinen Anfangs-Groove präsentieren. Interessant ist ein »Tingvall-Detail« in der linken Hand: Martin spielt gerne Linien, sei es in Akkorden wie in Takt 23/24 oder im C-Teil als Zwischentöne oder Verbindungsläufe zwischen den Terzen der rechten Hand. Diese Linien werden oft variiert, ein Beispiel dafür habe ich mithilfe der kleinen Notenköpfe in Takt 25 angedeutet.
Nach einem abermaligen A-B-C-Durchlauf beginnt das 28-taktige Solo über den Cm7-Akkord des A-Parts. Aus Platzgründen habe ich das Solo gekürzt, die Angaben T1 oder T8 zeigen den jeweiligen Takt des Originalsolos an, und die beiden schrägen, gestrichelten Linien zeigen die ausgelassenen Teile an.
Im Solo legt Martin sofort los wie die Feuerwehr und startet mit einer Sechszehntel-Kaskade: Während die rechte Hand der C-Bluestonleiter folgt, trommelt die linke Hand jeweils »c« als Zwischenschlag – hier benötigt man Akkuratesse und Kondition – es geht um pure Energie. Auch die weiteren Takte atmen viele Blues-Licks, aber peu à peu schmuggeln sich immer mehr Quartenakkorde in das Comping der linken Hand ein, sodass der Gesamtklang jazzbezogener rüberkommt. Ganz am Ende des Solos sorgt ein langer Aufgang mit Quinten von Quartenakkorden für den Übergang zum nachfolgenden B-Teil. Die rechte Hand perlt und soliert virtuos darüber, und die Viertelbeats des 6/4 werden durch die punktierten Viertelnoten als rhythmischer Bezug abgelöst – auch hier wieder pure Energie. Für diese letzten vier Solo-Takte (T25) habe ich die Basstöne und die Voicings notiert.