Der Imperial schlägt zurück

VSL Bösendorfer Imperial – Grand Piano Sample-Library im Test

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Eigentlich war es nur eine Frage der Zeit. Denn wer bis fünf zählen kann und gleichzeitig noch weiß, welche Konzertflügel die Wiener Synchron Stage der VSL beherbergt, der konnte es sich ausrechnen. Nach den Veröffentlichungen der ersten drei Schätze musste er nun also bald an der Reihe sein: der Bösendorfer Concert Grand 290 Imperial.

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So respekteinflößend der Name, so ehrfurchtgebietend seine Dimensionen. Mit einer Länge von satten 2,90 Metern und vollen acht Oktaven Umfang ist er nicht nur optisch ein Schwergewicht. Diesen Koloss nun in der kolossal gut klingenden VSL-Synchron Stage zu sampeln, ist sicherlich ein vielversprechendes Unterfangen und für uns Grund genug, das Ergebnis genauer unter die Lupe zu nehmen. Eigentlich hätte der Testbericht auch »Because size does matter« heißen können, denn die speziellen Dimensionen dieses Instruments haben natürlich auch klanglich einen enormen Einfluss. Dabei geht es weniger um die schiere Größe, die nochmals raumgreifender als die des größten Konzertflügels aus dem Hause Steinway ist. Vielmehr ist es u. a. die Erweiterung des Basses um neun Tasten auf die volle Subkontraoktave, die nochmals mächtig Sound macht.

In der Play-Ansicht ist der Zugriff auf die wichtigsten Parameter für die Klanggestaltung und auf die verschiedenen Presets übersichtlich dargestellt.

Denn selbst wenn diese zusätzlichen Tasten nicht aktiv gespielt werden sollten, so schwingen deren Saiten beim Spielen der anderen Tasten mit und erzeugen durch Saitenresonanzen einen eigenen Sound. Darüber hinaus wirkt sich nicht nur der ohnehin größere Resonanzboden, sondern das von Bösendorfer sogenannte »Resonanzkastenprinzip« auf den Klang aus.

Kurz gesagt handelt es sich hierbei um die Einbeziehung des kompletten Korpus’ auf den Klangerzeugungsprozess, indem vielerorts weiche Massivhölzer verwendet werden, anstatt den in Schichten verleimten und damit steiferen Hölzern. Das erlaubt es dem Holz beim Spielen stärker zu resonieren, womit der Klang nicht nur hauptsächlich über den Resonanzboden, sondern auch vermehrt über den kompletten Korpus abgestrahlt wird.

So weit so eindrucksvoll. Aber lässt sich das alles in einem virtuellen Abbild in Form einer Sample-Library einfangen und hörbar reproduzieren? Wir sind gespannt, öffnen die virtuelle Klaviaturklappe und legen los.

Der Imperial folgt dem Konzept der drei bereits veröffentlichten Flügel und wurde ebenfalls in der Synchron Stage mit erfreulich zahlreichen Mikrofonpositionen gesampelt, diesmal wieder elf an der Zahl. Als Player steht wie gehabt die hauseigene und bewährte »Vienna Synchron Pianos«-Player-Software zur Verfügung. Für tiefergehende Details zum Player und zu den beiden bereits getesteten Schlachtrössern Steinway D und Yamaha CXF sei dem wissbegierigen Leser unser Testbericht in der KEYBOARDS 01.2019 empfohlen.

Der Mixer erlaubt es die einzelnen Mikrofonpositionen zueinander ins Verhältnis zu setzen bzw. zu aktivieren und zu deaktivieren u.v.m. In der hier abgebildeten FX-Ansicht können pro Kanal vier Insert-Effekte eingeschleift werden, die von subtilen bis hin zu stark färbenden Effekten reichen.

Neben verschiedenen Close- oder Mid-Mikrofonpositionen finden sich beim Bösendorfer Imperial erfreulicherweise auch wieder solche, die in der Nähe der Saaldecke ihren Dienst verrichteten, sowie Mikrokonstellationen, die Surround-Aufnahmen einfangen. Für unterschiedliche Färbungen stehen unterschiedliche Mikrofontypen, wie z. B. bei den Close-Varianten in Form eines Kondensator-, Röhren- oder Bändchenmikros zur Auswahl. Alle Mikros liegen wie gewohnt in einem internen Mixer an und können dort nach Belieben für den persönlich favorisierten Flügelsound gemischt werden.

Das ist nach wie vor ein immenser Aufwand, um einen einzigen Flügel aufzunehmen, bietet aber durch die stattliche Auswahl an Mikrofonpositionen eine enorme Flexibilität, um für die meisten Einsatzzwecke bestens gerüstet zu sein. Der Aufwand schlägt sich allerdings auch in der Installationsgröße nieder, die – getreu den ausladenderen Dimensionen des aufzunehmenden Instruments – mit knapp 300 GB ebenfalls ein ziemliches Schwergewicht darstellt. Dabei sollte die Festplatte selbstredend eine SSD sein, so wie es sich für imperialistische Ansprüche gehört. Ansonsten sind bei mehreren aktiven Mikrofonpositionen Dropouts quasi vorprogrammiert.

FX

Einige Monate nach unserem oben erwähnten Testbericht des Steinway- und Yamaha-Flügels gab es eine – mittlerweile nicht mehr ganz so neue – Neuerung, die nicht unerwähnt bleiben soll: Still und leise und dankenswerterweise wurden in einem Funktionsupdate mit der unbedeutenden Versionsnummer v1.1.1375 des »Vienna Synchron Pianos«-Players nämlich Effekte in den internen Mixer implementiert! Das Beste daran ist, dass diese Effekte damit allen VSL Synchron Pianos zugutekommen, weil jene ja auch alle denselben Player benutzen.

Seitdem stehen jedem Kanal des Mixers vier Slots für Insert-FX zur Verfügung. Insgesamt erwartet einen hier eine Sammlung typischer Studiowerkzeuge. Darunter sind z. B. eher unauffälligere Kandidaten wie EQ, Delay oder eine schöne Auswahl diverser Filtertypen, jeweils mit unterschiedlicher Flankensteilheit und regelbarer Resonanz. Daneben finden sich glücklicherweise aber auch deutlich auffälligere Vertreter, wie z. B. Modulations-Effekte, Dynamikprozessoren oder Distortion, die es erlauben, mehr Farbe in den Sound zu bringen. Alles in allem sind die Effekte eine echte Bereicherung, die gut zu den Pianos passen, und nebenbei eine schöne Sammlung brauchbarer Werkzeuge, um die Arbeit mit dem Mixer um einiges komfortabler zu machen. Falls also Anpassungen an einem der Mischpultkanäle vorgenommen werden soll, muss dieser nun nicht mehr zwangsläufig in den Host-Sequenzer des Vertrauens geroutet werden, sondern die Einstellungen können schon direkt innerhalb des Players vorgenommen werden. Sehr schön.

Sound

Um die eingangs gestellte Frage nach der Reproduzierbarkeit zu beantworten: Ja. Meiner Meinung nach lassen sich die anfangs erwähnten Besonderheiten des Bösendorfers aus der realen Welt sehr gut als virtuelles Abbild in Form einer Sample-Library reproduzieren. Der Klang des VSL Bösendorfer Imperial hält, was die rein technischen Fakten versprechen, und hat mich von Anfang an sehr beeindruckt. Wir haben es hier mit einem ausgewogenen Sound mit eher dunklerem Timbre und reichlich Substanz zu tun, wie er mir persönlich sehr gut gefällt. Ein Klangvergleich mit einem echten Bösendorfer Concert Grand 290 war mir leider nicht vergönnt, weil dieser mitsamt meiner Yacht im Meer versunken ist, als ich versehentlich eine meiner Bohrinseln gerammt hatte …

Also muss ein Vergleich mit den hausinternen Konkurrenten genügen, die VSL bisher ins Rennen geschickt hat, weshalb ich zusätzlich zum Steinway D und Yamaha CFX noch den Blüthner 1895 mit ins virtuelle Boot nehme. Letzterer spielt zwar in einer anderen Liga, weil er in einer anderen Stage gesampelt wurde, mit knapp zwei Metern Länge fast ein Meter kürzer ist und mit dem Baujahr von 1895 als echter Vintage-Flügel daherkommt, für einen Klangvergleich kann er allerdings sehr gut herhalten. Denn auch er hat einen warmen und dunkleren Grundsound, weshalb die Versuchung naheliegt, den Sound des Bösendorfers mit dem eines Vintage-Flügels dieser Art zu assoziieren. Es zeigt sich im direkten Vergleich aber sehr deutlich, dass sich die eben genannte Summe der Unterschiede in einem größeren, kräftigeren, vor allem aber viel dynamischeren, transparenteren und voluminöseren Sound niederschlagen. Vintage ist also definitiv nicht angesagt, und auch die schieren Dimensionen wirken sich deutlich vernehmbar auf den Sound aus.

Stellt man nun alle drei großen Konzertflügel in einer Klangreihe von hell nach dunkel auf, so wäre der Steinway der Klare, Perlige, der Yamaha der Drahtige und Färbende, wohingegen der Bösendorfer das Low-End markieren würde. Das soll aber nicht heißen, dass der Bösendorfer Imperial dumpf klingen würde. Im Gegenteil, meiner persönlichen Meinung nach ist er vom Grundsound her sogar dem am nächsten, was ich mir unter dem Klangideal eines Konzertflügels vorstelle. Das ist allerdings wie gesagt nur meine persönliche Vorliebe, und nichts liegt mir ferner, als einen Glaubenskrieg zwischen Steinway, Bösendorfer und Yamaha zu entfachen. Alle drei sind ohne Frage hervorragende Konzertflügel und haben mit ihren unterschiedlichen Klangcharakteren und Philosophien ihre absolute Daseinsberechtigung. Aber meine persönliche Vorliebe gilt nun mal einem warmen und kraftvollen Pianosound, der auch bei leisen Tönen nicht an Substanz vermissen lässt und bei hohen Lautstärken trotzdem klar hervortritt, ohne zu drahtig oder auch zu dumpf zu klingen. All das vereint der Bösendorfer Imperial auf eine äußerst ausgewogene, unaufdringliche und elegante Art und Weise. Er bringt ganz nebenbei ein erstaunliches Klangvolumen mit, das seinem Grundsound schmeichelt und ihm die würdige Größe verleiht. Sicherlich ist ein Steinway transparenter, dafür dann aber auch nicht so warm und mächtig– aber das ist dann eben der Preis, den ich dafür sehr gerne in Kauf nehme.

Das GUI der Effekte ist eher reduziert und hat durch die Bank das gleiche Design. Dabei hat jeder Effekt die wichtigsten Parameter an Board, wie man hier beispielsweise beim Delay oder …
… beim Kompressor
sieht.

Praxis

Im Einsatz schlägt sich der Bösendorfer Imperial technisch genauso gut wie die anderen Synchron Pianos der VSL, weil sie ja alle denselben Player benutzen. Dementsprechend ist auch hier im Produktionsalltag ein zuverlässiges und in den meisten Fällen schnelles Arbeiten garantiert. Wer die komplette Range aller 97 Tasten im direkten Zugriff haben möchte, sieht mit einem der gängigen 88-Tasten-Masterkeyboards natürlich alt aus. Wenn also die zusätzlichen Subbässe beim Einspielen zum Einsatz kommen sollen, empfiehlt es sich, die Lagen im Player entsprechend um eine Oktave nach oben zu verschieben, wodurch dann aber selbstredend die oberste Oktave zwangsläufig geopfert wird.

Die Presets entsprechen im Großen und Ganzen denen von Steinway D und Yamaha CFX und bieten eine schöne Vorauswahl, um das Instrument in gängige Setups einzubinden. Als Besonderheit wurde der Bösendorfer beim »Concert«-Preset neben einer »Centered«-Variante diesmal zusätzlich links im Saal aufgenommen. Da der Yamaha als Variante zusätzlich rechts im Saal aufgenommen wurde, ist es nun möglich, alle drei großen Konzertflügel akustisch korrekt über den Saal verteilt zu positionieren! Wer also schon immer mal vorhatte, mit drei herausragenden Konzertflügeln in einem 540 m2 großen Saal zu arbeiten: Dem steht nun nichts mehr im Wege.

Falls sich der Sound des ausgewählten Presets doch nicht so gut in den eigenen Mix integrieren sollte, lässt sich das im internen Mixer des Players mit den weiteren Mikrofonpositionen bzw. den integrierten Plug-ins gut ins rechte akustische Licht rücken. Allerdings kann es bei vielen aktiven Mixerkanälen recht zeitaufwendig werden, den Gesamtsound intern zu beeinflussen, weil dann jeder Kanalzug einzeln mit den Plug-ins bearbeitet werden muss. Hier würde ich mir entweder einen Master-Kanalzug im Mixer wünschen oder eben eine Funktion, welche die Plug-ins auf alle aktiven Kanäle kopiert bzw. verlinkt.

Auch fände ich FX-Presets toll, wie sie z. B. beim Blüthner 1895 vorhanden sind. Hiermit kommt das Klanggestaltungspotenzial der Plug-ins voll zum Einsatz, und gerade bei den Besonderheiten des Bösendorfers wäre hierfür eine große Spielwiese vorhanden. Aber all das ist Jammern auf hohem Niveau, und es bleibt Hoffnung, dass die angesprochenen Punkte aufgrund der aktuell niedrigen Player-Versionsnummer von 1.1.x im Zusammenspiel mit der ohnehin hervorragenden Update-Politik der VSL irgendwann nachgereicht werden, so wie das ja erfreulicherweise auch schon bei den Effekten selbst der Fall war.

Fazit

Mit dem Bösendorfer Imperial hat die VSL nun das Trio ihrer großen Konzertflügel komplettiert und gleichzeitig mit einem Höhepunkt zum Abschluss gebracht. Meiner persönlichen Meinung und meinen ästhetischen Präferenzen nach ist der VSL mit dem Börsendorfer Imperial als virtuelles Instrument ein echter Volltreffer gelungen: ein charakterstarker Konzertflügel, mit dunklem und warmem Timbre, der sich hervorragend dynamisch spielen lässt und dabei transparent bleibt. Auch bei lauten Passagen bleibt der Bösendorfer Imperial seinem Klangcharakter wie ein Fels in der Brandung treu, nur dass dann die Sonne so richtig aufgeht, wenn das Instrument seine Größe und sein Volumen akustisch zur Geltung bringen darf. Hierbei entsteht eine Fülle und räumliche Tiefe, die ihresgleichen sucht und den warmen und dunklen Grundsound hervorragend zur Geltung bringt.

Der Raum der Synchronstage passt gut zum Sound des Flügels, und über die zahlreichen Mikrofonpositionen und weiteren Parameter ergeben sich etliche Möglichkeiten, den Flügelklang der Träume zu gestalten. Abgerundet wird das Paket durch die Effekte, die im Mixer allen Synchron Pianos zur Verfügung stehen.

Sicherlich ist der Bösendorfer Imperial kein Allround-Flügel, der auf Anhieb zu jeder Literatur und Stilrichtung passt. Denn falls nur eine spezielle Nische bedient werden soll, empfehle ich dringend, alle vier VSL-Flügel eingehend daraufhin zu inspizieren. Wenn ich aber nur einen einzigen Flügel mit auf die einsame Insel nehmen dürfte, dann wäre das sicherlich der Bösendorfer Imperial.


Hersteller: Vienna Symphonic Library GmbH
UvP: Standard-Library 285,– Euro
Full-Library: 540,– Euro
Internet: www.vsl.co.at

Unsere Meinung:
+++ Klang
+++ zahlreiche Mikrofonpositionen
+++ Surround-Aufnahmen
++ Mixer-FX

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