AEA R88 & R88A aktive und passive Bändchenmikrofone im Test
von Gregor Zylinski,
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Klemm Music, der deutsche Vertrieb für AEA-Mikrofone, stellte uns freundlicherweise zwei Versionen des neuen AEA R88 zur Verfügung – je eine aktive und eine passive Version dieses Mikrofones. Bei ihnen handelt es sich um Bändchenmikrofone in einer Blumlein-Anordnung. Ok, das will jetzt erstmal erklärt werden …
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Was sind Bändchenmikrofone? Schauen wir zunächst einmal auf die Tradition der Firma AEA. Sie entstand aus der Firma RCA, deren Mikrofone auf vielen weltbekannten Produktionen eingesetzt wurden und werden. Eines der bekanntesten Mikrofone ist vermutlich das 44BX Ribbon. Wahrscheinleich haben die meisten von Euch bereits Fotos von diesem Mikrofon mit bekannten Sängern wie Frank Sinatra gesehen. Originale dieses Mikros, aber auch Nachbauten von AEA selber, werden nach wie vor intensiv genutzt. Sie eignen sich u. a. für Vocals, aber auch sehr gut für Drums oder Blechbläser. Bändchenmikrofone haben ja den Nimbus, eine besondere »Magie« zu besitzen. Wir werden sehen, ob das auch für die R88 gilt.
Vom Prinzip handelt es sich bei einem Bändchenmikrofon um ein dynamisches Mikrofon. Statt einer Membran, wie wir es von herkömmlichen Mikrofonen kennen, schwingt in dem Magnetfeld der Induktionsspule eine hauchdünne Aluminium-Membran. Diese hat den Vorteil, dass sie sehr schnell ist und somit sehr gut auf jede Änderung des Schallfeldes reagieren kann. Herkömmliche dynamische Mikrofone haben eine gewisse Trägheit im Einschwingvorgang, was ihnen die typischen Eigenschaften verleiht, die für viele Aufnahmezwecke durchaus erwünscht sind. Bändchenmikrofone haben im Allgemeinen die Eigenschaft, eine gewisse »Weichheit« im Klang zu besitzen. Eine Eigenschaft, die ich persönlich sehr schätze. Deshalb setze ich auch gerne Bändchen anderer Hersteller ein.
Bei den beiden R88 handelt es sich zum einen um eine rein »passive« Version. Da es sich ja vom Prinzip um dynamische Mikrofone handelt, ist das sozusagen die normale Basisvariante.
Bei der A-Version handelt es sich um das gleiche Mikro, jedoch mit einem integrierten Preamp. Hierzu wird entsprechend eine übliche Phantomspeisung von 48 Volt benötigt.
Und was ist jetzt eine Blumlein-Anordnung?
Dabei handelt es sich vom Prinzip her um einen Aufbau, der von dem Ingenieur Alan Blumlein bereits in den 1930ern entwickelt wurde und bei dem zwei Mikrofone mit Achter-Charakteristik über Kreuz angeordnet sind.
Die Vorteile des Verfahrens werden im Allgemeinen so beschrieben, dass sie eine sehr gute Stereoauflösung erzeugt, in Verbindung mit einer guten Raumdarstellung. Der Nachteil besteht darin, dass man den Raumanteil nicht selber kontrollieren kann, da die Signale der Acht natürlich nicht zwischen vorne und hinten getrennt werden können. Außerdem sind die hinteren Signale über Kreuz und gegenphasig zu den vorderen.
Offensichtlich ist auch, dass es sich um eine Punkt-Stereofonie und Intensitäts-Stereofonie handelt. Dies erzeugt eine gute Ortung. Das Gegenmodell dazu ist die AB-Stereofonie, bei der es sich bekanntermaßen um eine Kombination aus Laufzeit und Intensitäts-Stereofonie handelt. Ich persönlich habe immer die AB-Stereofonie gegenüber eine One-Point-Stereofonie vorgezogen, insbesondere, wenn es sich um schlichte XYStereofonie handelt. Es gibt jedoch auch diverse Anwendungen, bei denen sich XY und Blumlein anbieten.
Testaufbau
Für diesen Test haben wir einen sehr guten Kawai- Flügel verwendet. Das Ganze fand im Marathon Studio statt, welches sich durch einen zwar nicht sehr großen, aber sehr gut klingenden Aufnahmeraum auszeichnet.
Wenn man Mikrofone dieser Art testet, benötigt man zum Vergleich ein entsprechendes wertiges Pendant, welches auch einen gewissen Benchmark Status hat. Zu diesem Zweck habe ich mich für den Einsatz zweier Sennheiser MKH 800 Twin entschieden. Die »Twins«, wie sie landläufig auch bezeichnet werden, zeichnen sich zum einen durch einen sehr hochwertigen Klang aus, der »Sennheiser-typisch« wenig gefärbt ist, somit also den Anspruch einer gewissen Neutralität hat.
Das Besondere an diesem Doppelmembran-Mikrofon ist jedoch, dass beide Kapseln getrennt herausgeführt werden, sodass sich Richtcharakteristik und Raumanteil beliebig, auch in der Post Pro anpassen lassen.
Die AEA-Mikrofone werden gut verpackt geliefert. Ein Break-Out-Kabel, welches den fünfpoligen Ausgang des Mikros auf zwei Mal XLR auflöst, ist natürlich dabei. Die AEA-Mikrofone sind groß und schwer. Sie wollen also vernünftig mit entsprechenden Stativen und Halterungen aufgebaut werden. Man muss aufpassen, dass sie sich nicht selbständig machen. Also ist es wichtig, sie dementsprechend gut zu fixieren.
Für den ersten Test haben wir zunächst alle vier Mikrofone (zwei Mal R88, zwei Mal MKH) in klassischer Haupt-Mikrofonanordnung vor dem Flügel aufgebaut. Das bedeutet einen Abstand von knapp 2 Metern und eine Höhe von rund 2,5 Metern. Hierbei waren die beiden MKHs zunächst als »Klein A-B«) aufgebaut, also mit einem Abstand von rund 50 cm zueinander. In dieser Position lässt sich ein Flügel im Allgemeinen und unter günstigen Raumbedingungen durch ein Stereopaar Mikrofone aufnehmen, ohne dass eine zusätzliche Stütze verwendet werden muss (man kann, muss aber nicht).
Erster Eindruck
Zunächst habe ich mir die beiden Sennheiser angehört, sozusagen als Benchmark und als hochwertiger Ausgangspunkt. Der Eindruck war dementsprechend sehr gut, ausgewogen – so, wie man es kennt. Die Raumanteile, also die hinteren Kapseln, waren dabei fast zu 100 % zugemischt, sodass sich dadurch annähernd eine Kugel ergab.
OK, dann kam der große Moment, und ich aktivierte die beiden R88A, also die aktiven Versionen. Wow, da war ich dann doch überrascht! Zunächst sprach mich das Timbre der Mikrofone außerordentlich positiv an. Es klingt weich und warm. Die Attacks kommen wunderbar rüber. Die Bässe sind kräftig, ohne irgendwie aufdringlich oder gar mulmig zu wirken. Auch klingt das Mikro nicht »dumpf«; andere Bändchen sind mitunter nicht am Flügel einsetzbar, da sie eben zu warm oder auch bereits dumpf klingen. Das R88A spricht mich einfach an.
Ich möchte hier ausdrücklich nicht von »Neutralität« oder Ähnlichem sprechen. Neutralität in Aufnahmen und überhaupt der Wandlung von Schall in Strom und umgekehrt, kann nie neutral sein. Es kommt darauf an, was im Kopf des Hörers ankommt. Und das R88A erzeugt für mich den Klang, den ich bei einem Flügel erwarte und hören möchte. Das MKH hält sich dabei vornehm zurück, klingt vielleicht weniger gefärbt. Aber wie gesagt, die Frage, was neutral ist oder nicht, lässt sich nie eindeutig beantworten.
Auch die räumliche Darstellung des R88A ist für mich überzeugend. Der Flügel klingt offen, nicht so »gedrängt«, wie man es oft von XY-Aufnahmen kennt. Der Raumanteil, den ich ja nicht separat regeln kann, hat genau den angemessenen Anteil. Kein Wunder, dass diese Mikrofone so gerne verwendet werden. Man könnte auch von einem »typisch amerikanischen« Sound reden: präsent, mit straffem Druck im Bass und den immer gerne gewünschten »seidigen Höhen«.
Sicher, das Sennheiser ist flexibler durch seine getrennt regelbaren Kapseln, was sich besonders für 3D-Produktionen eignet. An der Stelle ist für mich diese timbrale Eigenart des R88A am relevantesten.
Vergleich zum passiven R88: Der Unterschied zwischen der aktiven und der passiven Version des R88 ist eindeutig wahrnehmbar, sogar fast überraschend deutlich. Zunächst ist ein höheres Rauschen von ungefähr 6 dB zu hören. Auch die Vorverstärkung musste entsprechend angepasst werden. Der Pegelunterschied beträgt 12 dB.
Entscheidend ist jedoch, dass in der passiven Version einiges anders wirkt als in der aktiven. Es fehlt zum einen ein bisschen an der Wärme im Mittenbereich, und auch die Bässe kommen nicht ganz so schön rüber wie beim R88A. Erstaunlicherweise klingt die passive Version auch etwas distanter als die aktive Version – man könnte hier die Formulierung »neutraler« verwenden. Alles in allem bewegt sich die passive Version tatsächlich eher auf der Seite des Sennheisers. Damit man mich nicht falsch versteht. Es gibt am R88 passiv nichts auszusetzen. Aber die »Magie« die ich bei der aktiven Version höre, vermisse ich hier schon ein bisschen.
Blumlein vs Blumlein
Zu diesem Zweck haben wir die MKH als Blumlein konfiguriert, um einen noch besseren Vergleich zum R88 zu haben. Erwartungsgemäß änderte sich nichts an dem timbralen Ausdruck der Mikrofone. Durch die regelbaren hinteren Kapseln des MKH ergaben sich auch hier mehr Möglichkeiten durch eine flexiblere Anpassung der Räumlichkeit, was für manche Anwendungen durchaus relevant sein kann.
Das R88 im Flügel
Als Nächstes war es wichtig zu wissen, wie sich das R88 im Flügel, also quasi als Stütze, verhält. Hierzu verwendeten wir die aktive Version als Hauptmikro an der ursprünglichen Position und haben die passive Version direkt im Flügel positioniert. Hier entstand auch nochmal die Notwendigkeit, das Mikro und das Stativ aufgrund der Größe und des Gewichtes sehr genau zu positionieren; wir mussten sogar ein Gegengewicht verwenden, um die Position des Auslegers zu fixieren.
Erwartungsgemäß entstand dieser spezifische Blumlein-Sound am Klavier: sehr intim und direkt, aber eben nicht so, wie eine normale Stütze wirken würde. Bei einem Blumlein als Stütze im Klavier ist dringend zu beachten, dass man diese eher nur bei einem Solo-Flügel einsetzen kann. Wenn andere Instrumente mitspielen, läuft man definitiv Gefahr, ein starkes Übersprechen auf die Achten des Blumleins zu bekommen. Alte Regel: »Auf Achten sollst du achten!«
Im Vergleich dazu zeigte das Sennheiser im Nahbereich des Flügels tatsächlich mehr »Wärme« im Klang als in der Haupt-Mikrofonposition, sowohl in den Mitten als auch in den Bässen. Auch hier wurde das MKH als Blumlein positioniert.
Das R88A als Gitarren-Mikrofon
Ermutigt durch die positiven Ergebnisse am Flügel, wurde sodann ein Test mit akustischer Gitarre in der Schallkabine durchgeführt. Zum Vergleich hatten wir die Mikrofone, die schon beim letzten Test des Sony C-80 im Vergleich mit Brauner und Neumann eingesetzt wurden. Dabei haben wir das R88A verwendet und in verschiedene Positionen gebracht.
Man muss bei diesem Einsatz natürlich beachten, dass es sich wirklich um ein Mikrofon mit Hauptmikro-Intention handelt. Stellt man das R88 also nun vor die Gitarre, hat man es mit mehreren potenziellen Problemen zu tun. Zum einen hat man den Raum, wie schon gesagt, nicht unter Kontrolle. Die Acht-Anteile, die nach hinten »gucken«, nehmen ja Reflexionen von der Kabine oder allgemein den Raum auf, was eventuell nicht unbedingt gewünscht ist. So hatten wir es in der Kabine mit einer relativ starken und kurzen Reflexion durch die Scheibe zu tun, was natürlich zu einem unangenehmen, leicht kammfilterartigen Ergebnis führte. Daher haben wir die Gitarre samt Mikro um 90 Grad gedreht, um besagte Reflexion zu vermeiden, was dann auch gelang.
Zum anderen entstand eine recht breite Abbildung der Gitarre. Wie man die Breite der Abbildung einordnet, liegt natürlich wie immer im Geschmacksbereich und ist auch vom Einsatz abhängig. Engt man jetzt die Panpots ein, ergibt sich die Problematik, dass man dadurch auch das Timbre des Mikros verändert. Das liegt daran, dass durch die Einengung und damit Summierung von Signalen Auslöschungen entstehen, die sich dann auf das Spektrum negativ auswirken. Also muss man mit der Einengung der Pans sehr vorsichtig umgehen!
Unbenommen davon war auch hier das Resultat sehr positiv. Die Gitarre klingt präsent, trotzdem sehr rund und setzt sich gut durch. Im Vergleich zum letztens getesteten Sony C-80 hat es einen ähnlichen Cut Through, überzeugt dabei aber von etwas mehr Rundheit und »Wertigkeit«. Wir reden hier aber auch von verschiedenen Preisranges. Deshalb soll das auch so ein.
Wo ist hier bitte vorne?
Vorne ist genau da, wo das Logo ist und sich der weiße Strich unten am Mikro befindet. Offensichtlich gibt es hier einen Unterschied in der Beschriftung der Mikrofone. Die Versionen, die ich hatte, haben einen vertikalen Strich vorne unten und einen Strich hinten oben. Wenn das Mirko nun korrekt positioniert ist, wirkt es so, als ob die Halterung des Mikrofones irgendwie völlig unsymmetrisch in die Landschaft guckt. Das erzeugt durchaus eine gewisse Irritation, zumindest bei mir. Also, vorne ist da, wo das Logo ist.
Im Übrigen ist das R88 nicht das einzige Mikrofon, bei dem man manchmal nicht genau weiß, wo vorne ist. Liebe Entwickler, bitte denkt an die armen Tonmeister. Sie lesen keine Manuals und haben beim Aufbau wenig Zeit darüber nachzudenken, wo bei den Mikros vorne ist. Ich habe es oft genug erlebt, dass Mikrofone falsch herum aufgebaut wurden. Ich danke Euch inständig!
Fazit: Das R88(A) ist einfach ein geiles Mikrofon, anders kann man es nicht sagen. Es hat Wärme, Bass, seidige Höhen, gepaart mit einem guten Attack-Verhalten. Was will man mehr? Ich persönlich bevorzuge die aktive Version.
Hersteller/Vertrieb: AEA / Klemm Music
Internet: aearibbonmics.com / www.klemm-music.de
Preise: R88: ca. 2.590,– Euro / R88A: ca. 3.260,– Euro
Unsere Meinung
+++ Magie der aktiven Version
++ sehr gute Ortbarkeit durch Blumlein
+ Preis/Leistungs-Verhältnis
– allgemeines mechanisches Handling
Profil AEA R88:
maximaler Schalldruckpegel: 165 dB SPL (1 % dritte Harmonische > 1 kHz)
Empfindlichkeit: 2,5 mV/Pa (–52 dBV) in den belasteten Stromkreis
Ausgangsimpedanz: 270 Ohm
empfohlene Lastimpedanz: 1,2 kOhm oder mehr
Phantomspeisung: nein
Profil AEA R88A:
maximaler Schalldruckpegel: 141+ dB SPL (1 % dritte Harmonische > 1 kHz)
Empfindlichkeit: 6,3 mV/Pa (–44 dBV) in den belasteten Stromkreis
Ausgangsimpedanz: 92 Ohm
empfohlene Lastimpedanz: 1 kOhm oder mehr
Phantomspeisung: P48-Phantomspeisung, 7 mA