Wenn es auf höchste Klangqualität und ermüdungsfreies Arbeiten ankommt, sind offene Kopfhörer die erste Wahl. Neu beim Wiener Traditionshersteller AKG sind zwei solcher Studiokopfhörer, der preisgünstige K612 Pro und der hochklassige K712 Pro.
Beide Neuzugänge basieren auf dem Erfolgsmodell K702 (s. S&R 10.2008), das sich weithin als Referenzkopfhörer durchgesetzt hat. Der K612 Pro verspricht ähnlich guten Klang zum günstigeren Preis (UvP: € 189,−), während sich der K712 Pro qualitativ nach oben orientiert − allerdings auch preislich (UvP: € 469,−). Beim Auspacken ist diese Preisdifferenz kaum ersichtlich: Beide Modelle kommen in einer aufwendigen Kartonverpackung, und auch die Hörer selbst scheinen auf den ersten Blick gleich gut verarbeitet. Der K712 Pro setzt mit orangem Bügel und Kabel stylische Akzente, der K612 Pro wirkt mit seinen silberfarbigen Applikationen aber keineswegs billiger. Dem teureren Modell vorbehalten ist ein edler schwarzer Stoffbeutel − außen samtig, innen seidig − zur standesgemäßen Aufbewahrung des Premium-Kopfhörers.
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Wie bei AKG üblich, kommt die patentierte Bügelautomatik zum Einsatz, durch die der Kopfhörer ohne Einstellarbeiten auf jeder noch so wunderlich geformten Birne perfekt sitzt. Die Muscheln arbeiten circum-aural (ohrumschließend) und bieten mit einem Durchmesser von stolzen 11 Zentimetern auch weniger zierlichen Lauschern üppige Bewegungsfreiheit. Die Velourspolster sitzen warm und weich wie Pantoffeln, nur eben auf den Ohren.
Im Netz habe ich vielfach gelesen, die Earpads für K612 Pro und K712 Pro seien identisch: Sind sie nicht! Ihre Größe stimmt zwar überein, und sie lassen sich gegeneinander austauschen, doch kommen beim K612 Pro gewöhnliche Schaumstoffpolster zum Einsatz, während der K712 Pro mit Gel-Polstern aufwartet. Der Unterschied ist durchaus spürbar. Die Gel-Polster passen sich der Kopfform genau an und haben eine Art Memory-Effekt.
D. h., es entstehen keine dauerhaften Druckstellen. Man kann das leicht beobachten: Drückt man ein normales Schaumstoffpolster kurz mit dem Finger ein, schnellt es sofort wieder zurück; das Gel-Polster geht dagegen ganz gemächlich wieder in seine Ausgangsform. Neben dem Tragekomfort verbessern die Gel-Polster auch den Klang, insbesondere in den unteren Frequenzen, weil sie dichter abschließen, etwa auch um Brillen – bügel; somit entstehen weniger »parasitäre Undichtheiten«, wie der Techniker das nennt.
Unterschiede gibt’s auch beim Kopfband, das beim K712 Pro aus echtem Leder besteht, während beim K612 Pro wohl Kunstleder verwendet wird − zumindest wird auf der Verpackung nicht mit Echtleder geworben. Außerdem ist das einseitig geführte Kabel beim K612 Pro fest angebracht, während dem teureren Modell gleich zwei Kabel beiliegen, ein gerades und ein Spiralkabel, die über verriegelbare Mini-XLR-Buchsen an der linken Ohrmuschel eingesteckt werden. Am anderen Ende befinden sich jeweils Miniklinkenstecker mit aufgeschraubtem 6,3-mm-Klinkenadapter.
Beide Modelle arbeiten mit ähnlichen, dem K702 entlehnten Schallwandlern mit Membranen in AKGs patentierter Varimotion-Technik. Dabei werden zwei Folien miteinander verschweißt und an den Rändern gedehnt, sodass eine recht steife Mitte entsteht, die aufgrund der dünneren Ränder nahezu kolbenförmig schwingt (s. AKG-Report in S&R 4.2013). Dadurch sollen Partialschwingungen reduziert werden, was ein besonders sauberes, verzerrungsarmes Klangbild verspricht.
Beim K712 Pro kommt außerdem eine Schwingspule aus Flachdraht zum Einsatz, die für eine besonders hohe Leistungsausbeute des Systems sorgt. Beim K612 Pro fehlt ein entsprechender Hinweis, mithin verwendet er wohl eine konventionelle Runddrahtspule. Jedenfalls ist seine Sensitivity mit 101 dB/V etwas niedriger als die des K712 Pro mit 105 dB/V. Unterschiede gibt’s auch in der Nennimpedanz, die beim K612 Pro mit 120 Ohm knapp doppelt so hoch ausfällt wie beim K712 Pro mit 62 Ohm.
Als echter Premium-Hörer wird der K712 Pro in Wien gefertigt; beim K612 Pro fehlt ein entsprechender Hinweis auf der Verpackung; gleichwohl trägt das Textexemplar einen Sticker »Made in Austria« am Kopfband.
Klang & Tragekomfort
Schon beim günstigeren Modell gibt’s eigentlich nichts zu meckern: Sitzt äußerst angenehm, klingt famos. Das Klangbild wirkt sehr offen und ist auch zu den Randbereichen hin gut ausgeleuchtet. Im Gegensatz zu vielen Hi-Fi-Hörern − aber auch einer zunehmenden Zahl von Studio-Kopfhörern − sind die Bässe nicht überbetont. Was ich äußerst wichtig finde, denn ein überzogener »Spaß-Bass« mag zwar zur guten Laune der Dance-Fraktion beitragen, doch überstrahlt er die Mittenfrequenzen, wo ein Großteil der musikalischen Information beheimatet ist. Insofern trägt der K612 das »Pro« nicht nur im Namen; er ist tatsächlich auf professionelle Anwendungen abgestimmt und wirkt über den gesamten Hörbereich sehr ausgewogen.
Wie aber schlägt er sich im Vergleich zu teureren Kopfhörern? Meine persönliche Referenz bildet der AKG K702 65th Anniversary, der gegenüber dem normalen K702 in der Tiefenübertragung nach unten erweitert wurde und mit speziell selektierten Wandlersystemen bestückt ist. Gegenüber diesem wirkt der K612 Pro etwas eingeengt im Bass; die Tiefenübertragung wirkt nicht ganz so souverän. Außerdem ist der K612 Pro in den Präsenzen etwas schärfer, was insbesondere bei Zischlauten auffällt. Das Gesamtbild wirkt jedoch ähnlich stimmig. Die wichtigen Mittenfrequenzen werden sehr verfärbungsarm wiedergegeben.
Der K712 Pro ist tatsächlich sehr nah am (noch teureren) K702 Anniversary. Die Bassübertragung ist ebenbürtig und absolute Klasse: trocken und gleichzeitig tief, präzise und doch weich. Die Mitten erscheinen detailliert und klar, und auch die Höhenwiedergabe ist auf Topniveau. Der K712 Pro wirkt sehr feinzeichnend und bildet selbst höchste Frequenzen völlig unangestrengt ab. Alleine die Präsenzen wirken im Vergleich zu meinem K702 Anniversary einen kleinen Tick schärfer, jedoch in einem Maß, wie es zum Aufspüren problematischer S-Laute schon wieder nützlich sein könnte.
Für die Klangvergleiche habe ich die Kopfhörer sowohl an »normalen« Phones-Ausgängen diverser Audiointerfaces als auch am SPLs brandneuem Phonitor 2 betrieben, der mit seiner 120-Volt-Technik eine sichere Referenz in Sachen Kopfhörerverstärker bildet. Dabei fiel auf, dass der K612 Pro − wohl aufgrund seiner etwas höheren Impedanz − ein wenig wählerischer ist als der K712 Pro, der mit seiner niedrigeren Impedanz auch an einfachen Kopfhörerausgängen prima klingt und immer genug Lautstärke bietet. Trotzdem profitieren natürlich beide Modelle vom Edel-Kopfhörerverstärker: Der Klang wirkt insgesamt transparenter und plastischer, insbesondere in den Bässen, und die Präsenzen sind feiner gezeichnet.
Als offene Kopfhörer bieten die beiden AKGs naturgemäß wenig Schallisolation. Das betrifft insbesondere die Unterdrückung von Außengeräuschen. Das Übersprechen des Kopfhörersignals nach außen hält sich dagegen − für ein offenes System − in Grenzen, sodass man diese Modelle eingeschränkt auch für Overdubs einsetzen kann, solange man den Kopfhörer nicht zu laut dreht. Das macht diese Modelle zu einer Alternative für sehr sensible Sänger, die mit Kopfhörern schlecht zurecht kommen, denn ein offener Kopfhörer lässt die eigene Stimme weniger fremd wirken, was gleichzeitig geringere Monitoring-Lautstärken ermöglicht.
Aufgrund der Gel-Pads ist der Langzeit-Tragekomfort des K712 Pro überragend − ist der K612 Pro schon sehr bequem, so vergisst man beim K712 Pro bisweilen, dass man überhaupt einen Kopfhörer trägt. Beide Kopfhörer sind so hochwertig verarbeitet, wie ich es vom Wiener Traditionshersteller seit jeher gewohnt bin. Meinen ersten AKG-Kopfhörer habe vor gut 25 Jahren noch als Schüler gekauft − seitdem sind einige weitere hinzugekommen, und an keinem hatte ich jemals einen Defekt. Die beiden Neuvorstellungen machen ganz den Eindruck, als wollten sie die Tradition fortsetzen.
Fazit
Mit dem K612 Pro und K712 Pro stellt AKG zwei äußerst attraktive Kopfhörer vor. Der K612 Pro bildet den Einstieg in die Topklasse mit erwachsenen Klangleistungen zu einem sehr günstigen Preis. Die Verarbeitung ist makellos: ein super Kopfhörer. Aber was ist dann der K712 Pro?
Um es mit Pep Guardiola zu sagen: Ein super-super Kopfhörer! Er packt in allen Belangen einfach noch ’ne Schippe drauf: Er bietet eine etwas höhere Sensitivity, eine noch tiefer reichende Basswiedergabe sowie einige Handling-Vorteile in Form austauschbarer Kabel und der ultrabequemen Gel-Earpads. Handfeste Vorteile, die für den K712 Pro sprechen − andererseits bietet der K612 Pro für rund ein Drittel des Preises gefühlte 86,3 % der Leistung (im Ernst: Kann man Klang wirklich in Zahlen fassen?).
Beide machen sich ausgezeichnet als akustische Lupe für Mix und Mastering, ihr entspanntes Klangbild ohne Überbetonungen gestattet es, mühelos zwischen fokussiertem Detailhören und erwartungsfreier Betrachtung des Gesamtbilds hin und her zu wechseln. Das ist es, was einen guten Referenzhörer auszeichnet!