Viele Sänger fühlen sich mit einem Bühnenmikro in der Hand sicherer als vor einem dicken Studiomikrofon. Zudem werden mehr Gesangsaufnahmen, als man glauben sollte, nicht im Aufnahmeraum, sondern in der Tonregie, oft sogar bei laufenden Lautsprechern eingesungen. Und nicht selten werden provisorische Aufnahmen (»Scratch Vocals«) am Ende doch für den Mix verwendet, weil die Stimmung gut war und die Performance frisch und inspiriert klingt.
Zwar kann ein guter Toningenieur auch aus einem Shure SM58 einen anständigen Gesangssound herausholen − angeblich hat Bono von U2 noch nie etwas anderes benutzen wollen −, doch wer sich massives EQ-Geschraube und Processing ersparen möchte, sollte sich überlegen, in ein wirklich gutes Handheld zu investieren.
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In den letzten Jahren kamen zahlreiche wirklich hochwertige Modelle auf den Markt, allen voran das Neumann KMS 104 (für den Studioeinsatz empfiehlt sich die Plus-Version mit etwas mehr Bass). Inzwischen bietet aber praktisch jeder der großen Namen ein Stateof-the-Art Bühnen-Gesangsmikrofon in Kondensatortechnik an. Etwa 500 Euro kosten diese Bühnenmodelle der Eliteklasse.
Für einen Kurztest haben wir uns zwei Modelle von Beyerdynamic kommen lassen. Das TG V96c ist ein typischer Vertreter der Bühnenmikro-Eliteklasse mit (Echt-)Kondensatorkapsel, das TG V90r ist das derzeit einzige Handheld-Gesangsmikro in Bändchentechnik.
Beyerdynamic TG V90r Und TG V96c
Beginnen wir mit dem TG V96c. Wie bei den meisten Top-of-the-Line-Bühnen-Kondensatormikros neueren Datums ist der Mikrofonkorb komplett schaumstofffrei. Der Vorteil liegt in einer deutlich verbesserten Klangtransparenz und sehr klaren S-Lauten. Für guten Schutz gegen Popplaute sorgen mehrere Lagen Drahtgeflecht. Der Halbzoll-Kapsel vorgelagert ist ein doppelwandiger Becher, der außen aus einem feinem, innen aus einem gröberen Metallgeflecht besteht. Die empfindliche Membran wird zusätzlich von einer Scheibe aus einem Hi-Tech-Kunststoff geschützt. Der hohe Aufwand hat sich gelohnt: Selbst mit härtesten Ps und Bs lässt sich das TG V96c nicht zu Popps provozieren.
Auch das TG V90r-Bändchen zeigt sich recht popp-resistent, wenngleich nicht ganz so wie das V96c. Kenner wissen, dass Beyerdynamic bereits 1969 ein Bändchenmikrofon für den Bühneneinsatz auf den Markt brachte, nämlich das M500, das inzwischen recht beachtliche Gebrauchtpreise erzielt. Nun, da Bändchen wieder im Trendchen liegen, hat man bei Beyerdynamic das langjährige Know-how reaktiviert und ein neues Bühnen-Ribbon entwickelt. Das TG V90r liegt deutlich schwerer in der Hand als mein altes M500 (das ich nach wie vor gerne für Pilot-Vocals einsetze). Aber gut, das erspart den Gang zur Muckibude. Die grundsätzliche Konstruktion ist ähnlich: Dem hochempfindlichen Aluminiumbändchen vorgelagert ist ein »Burst Filter«, das Popplaute ausbremst und zugleich als Höhenresonator dient.
Das TG V90r klingt deshalb deutlich höhenreicher, als man es von Bändchenmikros gemeinhin gewohnt ist. In den Präsenzen agiert das TG V90r ein wenig weicher als mein altes M500, ansonsten ist das Klangbild jedoch bemerkenswert ähnlich, auch wenn die Frequenzplots anderes suggerieren. Der Übertragungsbereich ist mit 14 kHz angegeben, was in etwa dem −3-dB-Punkt unserer Messung entspricht. Trotz dieses recht frühen Pegelabfalls klingt das TG V90r keineswegs dumpf, ganz im Gegenteil. Das Mikrofon hat Beyer-typisch klare Höhen, aber mit einer gewissen Vintage-Charakteristik aufgrund der Bändchentechnik.
Deutlich anders − und doch verwandt − klingt das Kondensatormodell TG V96c. Auch dieses Mikrofon hat diese klaren BeyerHöhen, aber es wirkt viel moderner. Das Klangbild ist hoch aufgelöst und transparent. Wie die Messungen zeigen, ist die Frequenzwiedergabe sehr ausgewogen; die Höhen sind nur leicht angehoben, während bei 5 kHz die Präsenzen sogar leicht zurück – genommen sind. Das gibt dem TG V96c einen bemerkenswert weichen Sound, der sich in der Nachbearbeitung gut formen lässt. Sehr gefallen haben mir die natürlichen Zischlaute.
Beide Beyer-Mikros haben ein etwas engen Aufnahmebereich, der auf der Bühne die Feedback-Resistenz verbessert, im Studio aber etwas größere Mikrofondisziplin erfordert. Nach Möglichkeit sollte man den Sänger bzw. die Sängerin ein wenig mit dem Mikro üben lassen, bevor man den Aufnahmeknopf drückt.
Fazit
Mit den Modellen TG V90r und TG V96c hat Beyerdynamic zwei Bühnenmikros geschaffen, die auch im Studio ausgezeichnete Ergebnisse liefern. Wer unter schwierigen akustischen Bedingungen aufnehmen muss oder schlichtweg lieber mit einem Handheld singt als vor einem großen Studiomikro, der sollte diese beiden Beyerdynamics unbedingt in die engere Wahl ziehen. Die Preise sind dem hohen Qualitätsniveau »Made in Heilbronn« völlig angemessen.
Hersteller/Vertrieb
Beyerdynamic
UvP/Straßenpreise
TG V90r 430,− Euro / ca. 400,− Euro, TG V96c 575,− Euro / ca. 500,− Euro