Wer träumt nicht davon, den Sound seiner Lieblingsplatten reproduzieren zu können? Mit der TG Microphone Cassette fertigt Chandler Limited nun einen von den Abbey Road Studios lizenzierten Nachbau eines Kanalzugs der legendären TG 12345-Mischpultkonsole, auf der zahlreiche Klassiker entstanden, von den Beatles bis Pink Floyd.
Viel britischer kann ein Studiogerät nicht aussehen. Ein Mittelgrau mit minimalem Blaugrünstich. Vor meinem geistigen Auge sehe ich ein Komitee aus hornbebrillten Pfeifenrauchern, die in lupenreinem BBC-Englisch debattieren, welcher Farbton das nobelste Understatement auszudrücken vermag. Die gelben Flammen des Chandler-Limited-Logos wirken dagegen fast flamboyant. Aber Chandler Limited ist ja auch ein amerikanischer Hersteller.
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Um es kurz zu umreißen, womit wir es zu tun haben: Die Chandler TG Microphone Cassette basiert auf Schaltungen der legendären TG-Mischkonsole. Jene erste Generation von transistorisierten Pulten löste ab 1968 die röhrenbasierten REDD-Pulte ab. In verschiedenen Ausbaustufen und Inkarnationen (Mark I bis Mark IV) waren diese TG-Konsolen bis 1983 in den Abbey Road Studios im Einsatz. Und nirgendwo sonst, denn es handelte sich um In-House-Entwicklungen der EMI-Techniker. Die ersten, die mit einem TG 12345-Pult aufnahmen, waren die Shadows. Wenig später verwendeten es die Beatles für ihr finales Studioalbum Abbey Road, das mit seinem wunderbar klaren Sound aus dem Beatles-Oeuvre heraussticht. Auch Pink Floyds Meisterwerke Dark Side of the Moon und Wish You Were Here wurden auf TG 12345-Konsolen produziert und gemischt.
Mit der Chandler Limited Microphone Cassette kann man nun erstmals einen Kanalzug dieser legendären Pulte erwerben. Ein bisschen Abbey Road für alle. Oder alle, die es sich leisten können: 4.283,− Euro (UvP) kostet der Spaß, zuzüglich des externen Netzteils (365 Euro + 70 Euro fürs Kabel), das maximal zwei Chandler-Geräte mit Strom versorgt.
Rundgang
Technisch gesehen handelt es sich bei der TG Microphone Cassette um zwei separate Geräte in einer Box. Preamp und EQ bilden eine Einheit, während der dazwischen liegende Kompressor über eigene Ein- und Ausgänge verfügt, die auch intern nicht mit dem Preamp/EQ verbunden sind. Um den kompletten Channelstrip mit allen Funktionen zu nutzen, muss man daher den Ausgang des Preamp/EQs mit einem Patchkabel auf den Eingang des Kompressors führen.
Schauen wir uns die einzelnen Sektionen mal genauer an. Wie es sich für ein Vintage-Studiogerät gehört, wird die Verstärkung über einen Stufenschalter (Coarse Gain, 20−60 dB in 5-dB-Schritten) und einen stufenlosen Feinregler (Fine Gain, ±10 dB) eingestellt. Anders, als der Name »Microphone Cassette« suggerieren mag, kann der TG2 Preamp auch Line-Signale verarbeiten. Es gibt allerdings keine separate Buchse für den Line-Input, sondern nur einen gemeinsamen XLR-Anschluss. Der DI-Eingang für Instrumente verfügt dagegen über eine separate Klinkenbuchse auf der Frontplatte.
Kommen wir zum Curve Bender EQ, der untrennbar hinter dem Preamp liegt. Insofern finde ich es etwas unglücklich, dass auf der Frontplatte zunächst der Kompressor folgt, denn das trägt nicht unbedingt zur Übersicht bei. Der EQ besteht aus Bass- und Höhenreglern mit Shelving-Charakteristik und festen Einsatzfrequenzen (91 Hz und 8,1 kHz). Das Mittenband bietet sechs Einsatzfrequenzen (300, 500, 1.200, 3.600 und 6.500 Hz) und kann separat ausgeschaltet werden. Die originalen Pulte boten übrigens nur die drei Einsatzfrequenzen 500 Hz, 1,2 kHz und 6,5 kHz. Hier und auch an einigen weiteren Stellen hat sich Chandler Mastermind Wade Chandler Goeke ein paar Freiheiten erlaubt, die den Funktionsumfang sinnvoll erweitern bzw. den heutigen Anforderungen anpassen. Das alles aber, ohne den Abbey-Road-Spirit zu verwässern, denn die Lizenzgeber achten sehr genau auf ihr Erbe. So wurde beispielsweise der Preamp/EQ um einen Low-Cut erweitert, den es im Original nicht gab, der aber für die heutige Aufnahmepraxis sehr hilfreich ist. Wade Goeke griff dafür auf das »Rumble Filter« der älteren REDD-Konsolen zurück. Historisch völlig korrekt ist dagegen der Output-Regler; er repräsentiert den Kanalfader des TG-Pults.
Ein bisschen getrickst wurde beim TG1 Opto Kompressor/Limiter. Zwar hatten die TG-Konsolen tatsächlich einen Kompressor/ Limiter in jedem Kanalzug − damals ein Novum! −, sie verwendeten jedoch eine Zener-Bridge als Regelelement. Chandlers Forschungen ergaben, dass die EMI-Ingenieure auch mit optischen Regelungen experimentierten. Wade Goeke hat somit quasi die damaligen Forschungen zu Ende gebracht und den TG Limiter auf Opto-Basis adaptiert. Ganz selbstlos war seine Tat wohl nicht: Zener-Schaltungen sind sehr aufwendig, und mit Opto-Regelung ließ sich der Compressor/Limiter wohl etwas preisgünstiger realisieren. Da EMI/Abbey Road ihren Segen gaben, darf man davon ausgehen, dass es dennoch kein fauler Kompromiss war.
Bild: Dr. Andreas Hau
Bild: Dr. Andreas Hau
Auf den ersten Blick wirkt die Ausstattung des TG1 Opto recht konventionell: Es gibt ein Zeigerinstrument für die Gain-Reduction, Regler für (Thres)Hold, und Output (d. h. Make-up Gain) sowie Attack- und Release-Regler (anders als das Original mit festen Regelzeiten). Ein Schalter gestattet die Wahl zwischen harter und weicher Kompressionskennlinie. Der »Sharp-Knee«-Modus soll dem Limiter-Modus der originalen Zener-Schaltung entsprechen, die ihrerseits den Fairchild 660 imitierte. Der »Rounded-Knee«- Modus gestattet eine weichere, weniger auffällige Kompression.
Die erste Inbetriebnahme des TG1 Opto lässt einen zunächst ratlos zurück: Die Gain-Reduction-Anzeige verhält sich völlig anders als üblich. Dreht man am Hold-Regler, bewegt sich der Zeiger nach oben − und zwar auch dann, wenn überhaupt kein Signal anliegt! Das Manual erklärt’s: Den Bereich unterhalb des Zeigers muss man sich als Dynamikumfang vorstellen, während der Bereich oberhalb des Zeigers die (mögliche) Kompression darstellt. Macht Sinn, aber man kennt es heute eben anders.
Praxis
Historie hin oder her, was macht jene TG-Konsolen so besonders? Nun, klanglich sind die frühen Transistorschaltungen der späten 60er und frühen 70er eine ganz eigene Welt. Im ersten Eindruck wirkt ihr Sound hörbar klarer als der des Röhren-Equipments, das sie ersetzten. Doch je mehr man sich mit ihnen beschäftigt, merkt man, dass sie kaum weniger färben, nur eben auf eine andere, ganz eigene Weise. Wie ihre Röhren-Vorgänger arbeiteten die frühen transistorisierten Studiogeräte mit geringer Gegenkopplung, mit Einund Ausgangsübertragern und Spulenfiltern. Solche Schaltungen entfalten ein gewisses Eigenleben, das man späteren Transistorschaltungen sukzessive abgewöhnt hat.
Wie in alten Zeiten werden Chandler-Geräte in Handarbeit gefertigt. Schalter und Buchsen sind kunstvoll mit penibel verzwirbelten
Kabeln verdrahtet.
Bild: Dr. Andreas Hau
Bild: Dr. Andreas Hau
Bild: Dr. Andreas Hau
Bild: Dr. Andreas Hau
Dennoch sind diese frühen Transistorgeräte keine Dreckschleudern. Im Gegenteil, unter Einsatz von sehr hochwertigen Bauteilen, u. a. speziell hergestellten Übertragern, schuf man Geräte, die man auch heute noch studiotauglich nennen darf. Rauschen und Verzerrungen sind gering, aber es ist eben nicht der hygienisch saubere Sound heutiger Technik. Es ist somit das Zusammenspiel aus (relativ) einfachen Schaltungen und sehr hochwertiger Fertigung, die den Reiz jener frühen Transistorgeräte ausmacht.
Und genau das triff auch auf die Chandler TG Microphone Cassette zu. Ihr Klang wirkt geschmeidig und doch auf angenehme Weise leicht körnig texturiert. Ein bisschen wie die kaum jüngere Neve-Legende 1073, aber vielleicht ein bisschen lieblicher. Der Preamp macht einen wunderbar klaren, aber eben auch lebendigen Sound. Die Eingangsstufe hat eine ungewöhnlich niedrige Impedanz von nur 300 Ohm, was technisch im Grunde nicht ideal, aber typisch ist für jene frühen Transistorschaltungen und zum Vintage-Charakter beiträgt.
Zum Instrumenteneingang gibt es keine genauen Infos vom Hersteller, aber auch er scheint eine niedrigere Eingangsimpedanz aufzuweisen als heute üblich. Meinen E-Bass lässt der DI-Eingang eher mittig klingen; den tiefsten Tönen fehlt es ein wenig an Definition. Also eher was für zurückhaltende 60s Sounds als für pralle, druckvolle Basslines.
Die einzige echte Schwachstelle ist für mich der der Line-Eingang. Zwar gibt es einen frontseitigen Mic/Line-Umschalter; dieser setzt aber lediglich die Empfindlichkeit für Line-Quellen herab. Rückseitig gibt es keinen separaten Line-Input, sondern nur eine gemeinsame XLR-Buchse für Mikrofon- und Line-Quellen. Das erschwert den Input-Wechsel, zumal man Mikrofoneingänge nicht auf eine Patchbay legen sollte, denn Steckvorgänge mit aktivierter Phantomspeisung könnten zu Defekten führen. Erschwerend kommt hinzu, dass die Phantomspeisung beim Drücken des Line-Tasters nicht (!) deaktiviert wird. Das kann angeschlossenes Equipment beschädigen! Hier sollte der Hersteller unbedingt nachbessern.
Zu den Highlights der TG Microphone Cassette gehört fraglos der Curve Bender EQ. Besonders angetan hat es mir das Höhenband, das wunderbar weich Sonne ins Signal dreht (»Here Comes the Sun«!). Dabei bleibt der Klang immer angenehm, ohne Härte. Sehr gut gefallen hat mir auch das Mittenband; seine Einsatzfrequenzen sind praxisgerecht abgestuft, um verschiedene Instrumente und Stimmen voneinander abzusetzen. Das Filter greift recht breitbandig und schafft eine sehr natürliche Präsenz, die sich organisch in den Gesamtsound fügt. Normalerweise wird man kaum mehr als ±2 bis 4 dB benötigen; bei starken Anhebungen über 6 dB kann das Mittenband auch schon mal giftig klingen, was aber auch seinen Reiz hat.
Der TG1 Opto Compressor/Limiter ist ein sehr eigenwilliges Biest. Das fängt schon beim Metering an, das weniger informativ ist, als man heute gewohnt ist. So gibt es überhaupt keine Pegelanzeigen, sondern nur die etwas wunderliche Gain-Reduction-Anzeige. Da muss man sich doch tatsächlich wieder auf seine Ohren verlassen! Aber auch Sound und Regelverhalten sind eigen. Im »Sharp«- Modus agiert der TG1 Opto ziemlich »eckig«. Die Kompression setzt abrupt ein, was effektvolle Bearbeitung von Drums und Percussion erlaubt, insbesondere auch der Raummikrofone. Man kann die Ambience wunderbar atmen und pulsieren lassen. Dem Attack- Parameter sollte man besondere Aufmerksamkeit schenken, denn auf der ersten Hälfte des Regelwegs lässt sich die Perkussivität sehr fein herausarbeiten. Im »Rounded«- Modus setzt die Kompression viel weicher ein, was sich insbesondere für Vocals anbietet. Dennoch wird aus dem TG1 Opto kein zarter Pegelnachführer; die Kompression bleibt hörbar und charakterstark.
Fazit
Mit der TG Microphone Cassette hat Chandler einen wahren Schatz gehoben, und keineswegs nur für Beatles- und Floyd-Fans. Die TG Microphone Cassette ist Teil einer versunkenen Welt, die für die meisten von uns so legendenumwoben und unerreichbar ist wie Atlantis. Insofern ist es ein großes Glück, dass die Abbey Road Studios dem Gerät ihren offiziellen Segen gegeben haben. Wer sonst könnte für seine Authentizität bürgen? Die TG-Konsolen waren ja nie kommerziell erhältlich, und nur wenige wissen, was sich im Innern der wenigen noch existierenden Geräte abspielt.
Dennoch ist die TG Microphone Cassette mehr als nur eine Replika für die Vitrine. Ein bloßes Arbeitsgerät ist sie andererseits auch nicht; denn einen technisch adäquaten Channelstrip kann man anderswo viel billiger erwerben. Aber was ist die TG Microphone Cassette dann? Was einst State-of-the-Art-Studiotechnik war, ist heute ein charakterstarker Klangformer, ja, im Grunde ein Musikinstrument. Ich beneide jeden, der darauf spielen darf!