Während sich andere Unternehmen im Wettstreit um die eigene Neuerfindung gegenseitig überbieten, hat man im Clavia-HQ in Stockholm in aller Bescheidenheit nur die eigenen Kunden und deren Bedürfnisse im Kopf. Dafür braucht es keine Revolutionen und quantitative Superlative, sondern nur gewissenhafte Produktpflege und jede Menge Handarbeit.
Rollen wir also den Roten Teppich aus für einen digitalen Bühnenklavierklassiker in seiner mittlerweile fünften Iteration: das Nord Piano 5. Drei Jahre sind seit der der letzten Überarbeitung vergangen. Schauen wir uns also mal an, was in der Zwischenzeit passiert ist.
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Ihr kommt zu zweit? Dass das Nord Piano bisher fast ausschließlich – mit Ausnahme des Nord Piano 2 HP – als 88er-Vollklaviatur-Variante erhältlich war, ist gemessen an seinem Einsatzgebiet erst einmal umfänglich nachvollziehbar und nicht weiter verwunderlich. Jedoch zeigten einige Pianisten und Keyboarder immer wieder auch Interesse an einer etwas kompakteren Version, was Clavia nun mit einer 73-tastigen Alternative des Nord Piano 5 bedient. 15 fehlende Tasten und rund 100 Euro Preisunterschied sind dann aber auch schon das einzige, was die beiden Instrumente maßgeblich voneinander trennt. Denn statt einer Wiederauflage des eben erwähnten HP-Modells mit einer leichter gewichteten Klaviatur-Alternative verbaut Clavia beim aktuellen 73er die gleiche hochwertige Hammertastatur mit Triple-Sensor wie im 88er-Modells. Dies wird vor allen Dingen Pianisten freuen, welche nun nicht mehr länger zwischen Spielkomfort und Kleinwagen-kompatibler Kompaktheit wählen müssen.
Bild: René Marx
Die für den Live-Betrieb optimierte Steuerzentrale des Nord Piano 5
mit Programm- und Global-Parameter Zugriff
Bild: René Marx
Die aktualisierte und umsortierte Effekt-Abteilung des Nord Piano 5 inklusive
globaler beziehungsweise optionaler Zuweisung einzelner Layer
Mehr zum Anfassen, Schauen und Drauftreten!
Im Vergleich zum Vorgänger wurden augenscheinlich zudem die Karten des Bedienfelds neu gemischt und punktuell erweitert. Auffälligstes Merkmal ist in diesem Zusammenhang wohl der geografische Umzug des OLED-Displays in die ergonomische Mitte des Instruments. Damit folgt das Nord Piano sowohl dem wegweisenden Design als auch der farblichen Anpassung des immer noch aktuellen Nord Electro 6. Die auf die linke Seite des Panels umgezogenen Sektionen für Piano und Sample-Synth wurden im gleichen Zuge erkennbar durch zusätzliche Bedienelemente erweitert. Ins Auge fallen hier zum einen die für bessere Sichtung auf dunklen Bühnen vom Nord Stage übernommenen LED-Kränze um die Level-Potis herum und zum anderen die Wiederkehr der beim Nord Piano 4 schmerzlich vermissten Piano-Type-LED-Anzeige. In der Piano-Sektion wurde neben drei Komfort-bedingt zusätzlichen Tastern zudem eine neue Layer-Funktion untergebracht, mit welcher sich nun unabhängig von der integrierten Synth-Abteilung zwei pianesque Sounds aus den sechs zur Verfügung stehenden Instrumentengruppen gleichzeitig wiedergeben lassen. Im gleichen Zug findet die Split-Funktion auf sinnvolle Weise den Weg in die jeweiligen Sektionen. Für diese steht im Übrigen auch noch eine elegante neue X-Fade-Option über den Programmbereich bereit.
Bild: René Marx
Auf der Rückseite befinden sich sämtliche für Studio und Bühne relevanten Anschlüsse inklusive
Monitor-In, Kopfhörer, ...
Bild: René Marx
... MIDI und USB.
Die ehemals eher spartanisch anmutende Sample-Synth-Sektion weiß die gravierendsten Veränderungen zu vermelden. Neben der analog zur Piano-Rubrik ergänzten Layer- und Advanced-Split-Funktion stehen nun ebenfalls ein separater Regler für Soundkategorie- und Sample-Auswahl zur Verfügung. Über das neue Unison-Feature lässt sich durch eine leicht verstimmte Sounddopplung ein dreistufiger Ensemble-Effekt mit verbreitertem Stereofeld realisieren. Zur zusätzlichen Klangbearbeitung lässt sich neben den bekannten Hüllkurven-Settings (Attack, Sustain und Decay/Release) mit Dynamics eine ebenfalls neue Anpassung zur dreischrittigen Erweiterung der dynamischen Bandbreite des Basis-Sounds vornehmen. Abgerundet wird das Ganze durch eine Timbre-Variation in den Filter-Geschmacksrichtungen Bright (Höhen betont) und Soft (Höhen bedämpft) sowie ein LFO-artiges Vibrato-Feature mit drei unterschiedlichen Einsatz-Delays und regelbarer Geschwindigkeit (via Shift + Vibrato). Für ein maximal natürliches Repetitionsverhalten setzt der Sample-Synth ab sofort außerdem auf die höherwertige Round-Robin-Technologie, bei welcher beim erneuten Anschlagen eines Tons ein zweiter Sample abgespielt wird, ohne den ersten im Abspielvorgang abzuschneiden.
Apropos Spiel: Das aktuelle Nord Piano kommt inklusive des bisher nur optional von Clavia erhältlichen Dreifach-Pedals samt Anti-Rutsch-Matte für glatte Untergründe. Top!
Welcome to Memorylane!
In puncto Speicherplätze bleibt das Nord Piano 5 mit maximal 400 Programmen seinem numerischen Vorgänger treu. Allerdings verdoppeln sich die intern verfügbaren Speichergrößen von 1 auf 2 GB (Piano-Sektion) und von 512 MB auf 1 GB (Sample-Synth). Da lässt es sich doch direkt unbesorgter zu den hervorragenden XL-Sounds aus Nords Piano Library greifen, ohne direkt Gefahr zu laufen, andere Sounds des eigenen Sets dafür opfern zu müssen.
Modded FX?
Effects heißt jetzt »Mod«, sonst ändert sich hier nichts! Fast nichts, denn abgesehen vom unverändert zur Verfügung stehenden bunten Reigen aus gemodelten (sic!) Vintage-Effektpedalen wurde die separate Delay-Einheit um eine Ping-Pong-Variante und eine globale Zuweisung erweitert. Die Reverb-Rubrik erhält ebenfalls zwei neue Raumgrößen sowie einen komplementären Dark-Switch zum bereits etablierten Bright-Mode. Über den neu integrierten Chorale-Schalter lassen sich außerdem sehr ansprechend modulierte Hallprogramm-Varianten aktivieren. Abgesehen von den ohnehin nur global arbeitenden Reverb-Algorithmen lassen sich mittlerweile sämtliche Effekte inklusive Amp/Comp und EQ für alle oder eine spezifische Layerauswahl individuell schalten, was deren Einsatz auf der Bühne noch einmal flexibler werden lässt.
Bühnenprofi reloaded
Das Nord Piano ist und bleibt ein konzeptioneller Klassiker, welcher dank seiner perfekt auf die Bedürfnisse professioneller Bühnenmusiker zugeschnittenen und barrierefreien Top-Level-Bedienung eine nahezu konkurrenzlose Nische besetzt. Die vorliegende Ausgabe des Instruments ist erneut das Ergebnis einer konsequenten und sorgfältigen Weiterentwicklung, die sich immer wieder auf das Wesentliche fokussiert und dabei den praktischen Nutzen eines verlässlichen Instruments als qualitativ hochwertiges Werkzeug über die Integration schnelllebiger Trends stellt. Alles, was nicht Bestandteil dieses Pakets ist, braucht man als Pianist und Bühnenkeyboarder in der Regel auch nicht.
Viele ergänzte Zusatzfunktionen und Einstellungen, wie etwa die Wahl der Quelle für die Effekt-Engines, ist mittlerweile über die übergreifend etablierte Shift-Taste der Nordkeyboard-Flotte realisiert. Über diese verlässliche Konstante wurden über die Jahre bereits viele nützliche Funktionen hinzuaddiert, und dies jedes Mal, ohne die Bedienung für den Nutzer unnötig zu komplizieren. Das man sich auf brandneuen Keyboards und Stagepianos aus dem Hause Clavia innerhalb weniger Minuten zu Hause fühlt, beruht auf genau diesen Details und einem konsequent gepflegten, der Unternehmensphilosophie folgenden Designkonzept. Letzteres wurde auch im Falle des vorliegenden Probanden wieder einmal perfekt umgesetzt.
Das Nord Piano 5 spielt allerdings nicht nur technisch, sondern mit einem Straßenpreis von knapp 3.000 Euro auch preislich in der Oberliga. Der Gegenwert ist ein knapp 18 Kilo auf die Waage bringendes High-End-Werkzeug in maximal robuster Fertigung, welches sich auf viele Jahre intensivster Nutzung und tausende Tour-Kilometer in Bus, Bahn oder Flieger freut.