In den letzten Monaten erschienen wieder etliche neue Plug-ins für die UAD-2-Plattform, sowohl von Universal Audio selbst als auch von Drittherstellern. Darunter auch wieder Emulationen von Studiolegenden, auf die die User sehnlich warteten.
Besitzer von UAD-2-Hardware kennen das Problem: Die Anzahl der hochwertigen Plugins, die man unbedingt haben möchte, übersteigt das verfügbare Budget um ein Vielfaches. Mitunter traut man sich kaum, die Demo zu aktivieren, aus Furcht, dem Suchtpotenzial zu erliegen. Um es vorweg zu sagen: Diese Gefahr besteht auch bei den hier vorgestellten Neuzugängen!
EVENTIDE H 910 HARMONIZER
Auf dieses Plug-in haben viele UAD-2-User lange gewartet! Der originale Eventide H 910 gehörte Mitte der 70er zu den allerersten Digitaleffekten überhaupt und gilt heute als absolutes Kultgerät. Zu Eventides Kunden der ersten Stunde gehörte der Produzent und Engineer Tony Visconti. David Bowie und Brian Eno erklärte er die Funktionsweise des H 910 äußerst treffend in nur einem Satz: »It fucks with the fabric of time.« Damit war er engagiert. Auf Bowies Album Low wurde Viscontis neues »Spielzeug« förmlich zum Glühen gebracht, unter anderem für schräge Schlagzeug-Sounds und abgespacete Vocal-Flächen.
Der Eventide H 910 Harmonizer brachte tatsächlich das Raum-Zeit-Kontinuum ein wenig ins Wanken. Bis dahin konnte man die Tonhöhe nur verändern, indem man an der Tonbandmaschine die Abspielgeschwindigkeit manipulierte. Was aber gleichzeitig das Tempo änderte. Mit digitaler Technik wurde es nun möglich, die Tonhöhe unabhängig vom Tempo zu verändern, und das sogar in Echtzeit. Dazu wurde ein kleiner Zwischenspeicher von ca. 30 ms schneller oder langsamer ausgelesen. Der dazu verwendete Algorithmus wurde über die Jahre noch weiter verfeinert, funktionierte aber schon im Ur-Modell H 910 recht clever. Die Artefakte und Glitches der Uralt-Technik machen aus heutiger Sicht das Gerät umso charmanter − und werden im UAD-2 Plug-in liebevoll reproduziert.
Ebenfalls mit an Bord ist das − seinerzeit optionale − Keyboard, mit dem sich die Tonhöhenveränderung in Echtzeit spielen lässt. Das funktioniert auch über den virtuellen MIDI-Eingang des Plug-ins; man ist also nicht gezwungen, per Maus auf dem Bildschirm-Keyboard zu düdeln. Für Special-Effects lässt sich die Tonhöhenveränderung auch per Envelope-Follower steuern, was z. B. für abgedrehte Percussion-Sounds interessant ist. Im normalen Pitch-Change-Modus sind nur recht grobe Intervalle möglich. Subtile Breitmacher-Effekte mit Verstimmungen im unteren Cent-Bereich erreicht man über den Anti-Feedback-Regler, der eine dezente Pitch-Modulation steuert. Dreht man gleichzeitig den Feedback-Regler auf, entstehen spacige Klangwolken. Über die Delay-Taster lassen sich Effektsignal und ein zweiter Ausgang verzögern, was zusätzliche Weite in den Sound bringt und Reverb-artige Effekte ermöglicht. Der H 910 kann auch als reines Delay verwendet werden. Oder auch nur zur Klangformung, um den knarzigen Klangcharakter der digitalen Urzeit zu emulieren.
Die Anwendungsgebiete sind reichen von abgefahrenen Special-Effects über kreative Drum-Sounds und Lo-Fi-Spielereien bis hin zu Breitwand-Gitarrensounds und ätherischen Klangwolken. Und stets mit einem ganz eigenen, authentisch replizierten frühdigitalen Schmutz. Diese Detailliebe dürfte mit ein Grund für den hohen Ressourcenverbrauch sein. Bereits eine Mono-Instanz beansprucht 23 % eines DSP; eine Stereo-Instanz gar 44,3 %.
AKG BX20
Beim BX20 handelt es sich keineswegs um einen normalen Federhall, wie man ihn beispielsweise aus Gitarrenverstärkern kennt. Das 1971 vorgestellte AKG-Hallgerät war ein Monstrum von der Anmutung eines 70er-Jahre-Büromöbels. So manches ausrangierte BX20 landete alsbald in einem der vielen Projektstudios, die Anfang der 90er wie Pilze aus dem Boden schossen. So erlebte der AKG-Klassiker einen zweiten Frühling als Kultgerät des Indie-Pop.
Als UAD-2-Emulation dürfte dem BX20 nun gar ein dritter Frühling vergönnt sein, denn sein Klang ist nach wie vor einzigartig und von hoher Attraktivität. Es fällt nicht leicht, diesen ganz besonderen Sound zu beschreiben. Am ehesten gleicht er dem EMT 140-Plattenhall; die Hallfahne ist dicht und homogen. Beide wirken sehr »analog« und ein wenig »retro«. Doch während Plattenhall stets eine elegant-mondäne Aura versprüht, hat BX20-Federhall etwas Mystisches. Der Hall verschmilzt förmlich mit dem Originalsignal, und es entsteht ein fast übernatür – licher, jenseitiger Klang. So, als ob Gott aus den Wolken spricht.
Universal Audio hat diese Eigenschaften hervorragend eingefangen und in ein Plug-in übersetzt. Wie bei der Hardware reichen die Abklingzeiten von 2 bis 4,5 Sekunden; kurze Hallzeiten sind also nicht möglich. Auch gibt es keine verschiedenen Hallprogramme, sondern nur diesen einen Klangcharakter. Der aber ist wirklich betörend und überraschend universell einsetzbar.
Gegenüber der originalen Hardware besitzt das Plug-in zusätzliche Funktionen. Da wären zum einen die Bass- und Höhenregler, die vom kompakteren BX10 übernommen wurden, sowie ein Low-Cut. Außerdem gibt es eine regelbare Vorverzögerung, um Direktsignal und Hallfahne etwas voneinander zu entkoppeln. Weitere Extras wurden erst durch modernste Digitaltechnik möglich. Eine besondere Eigenschaft von Federhallsystemen ist ein gewisser Direktsignal-Anteil im Effektsignal. Dieser lässt sich über den »Direct«- Schalter unterdrücken.
Auch der »Tank-Select«-Schalter ist neu. Die Original-Hardware verwendet separate Hallspiralen für den linken und den rechten Stereokanal. Diese klingen leicht unterschiedlich. Für Freunde einer perfekten Symmetrie hat Universal Audio virtuelle Stereoversionen beider Hallspiralen angefertigt. Tank A klingt ein wenig heller und kürzer als Tank B. Die Schalterstellung A/B stellt den originalen Zustand des gemodelten Exemplars dar, bei dem die rechte Stereoseite minimal dunkler und länger ausklingt.
Ein paar kleinere Wermutstropfen gibt es leider: Da das Plug-in teils mit Faltung arbeitet, erzeugt es eine mächtige Latenz (je nach Abtastrate 974 bis 4.120 Samples). Außerdem ist die Automation kritischer Parameter nur eingeschränkt möglich. Zwar konnte ich keine Glitches ausmachen (obwohl das Manual explizit davor warnt), doch dauert es etliche Sekunden, bis das Plug-in Änderungen umsetzt.
Nichtsdestotrotz entfaltet das AKG-BX20- Plug-in einen mächtigen Haben-Will-Sog, dem man sich schwerlich entziehen kann, sobald man es einmal gehört hat. Stimmen, Gitarren und Bläser profitieren besonders von diesem einzigartigen Nachhall. Auch Percussion klingt toll. Für druckvolle Drums ist das minimale Decay etwas lang. Sehr gut eignet sich der AKG-Hall jedoch für auffällige Effekte, da er selbst bei extremer Überdosierung immer aufregend und dicht klingt.
Leider ist auch bei diesem Plug-in die Rechenlast recht hoch. Eine Instanz, egal ob mono oder stereo, belegt rund 34 % eines DSP. Dafür ist der Preis mit 199 Euro tendenziell günstig. Zumal es nichts Vergleichbares gibt.
Fazit
Just, wenn man denkt, man hätte schon alles gehört, gesehen und getestet, überrascht Universal Audio mit Exoten wie dem AKG BX20-Federhall oder dem Eventide H-910- Harmonizer. Hier überzeugt nicht nur, wie liebevoll die Originale gemodelt wurden, sondern auch der Praxisnutzen im Hier-und-Jetzt. Unbedingt ausprobieren!
+++ hohe Klangqualität
+++ originalgetreue Models mit sinnvollen Extras
++ MIDI-Steuerung für Eventide H 910
Hersteller/Vertrieb
Universal Audio
Preise
UAD Eventide H 910: 249,− Euro, UAD AKG BX20: 199,− Euro