Auch in Zeiten des In-the-Box-Mixings erfreuen sich analoge Bus-Kompressoren ungebrochener Beliebtheit: Den Sound, bevor er zum Mastering geht, noch einmal von Hand durchkneten und ihm ein bisschen »Echtheit« mitgeben, das ist heute attraktiver denn je. Mit dem Successor hat der spanische Hersteller Heritage Audio einen klassischen Diodenbrücken-Kompressor nach Neve-Vorbild fürs DAW-Zeitalter fit gemacht.
Seit der Firmengründung 2011 hat sich Heritage Audio einen guten Namen mit Neve-Clones erarbeitet. Anfangs waren diese recht hochpreisig. Das änderte sich vor knapp zwei Jahren mit dem Erscheinen der Elite-Series (s. S&R 06.2018), die den Sound der legendären Neve-Preamps für jedermann erschwinglich machte. Dazu bedienten sich die Spanier einiger fertigungstechnischer Neuerungen; u. a. wurden die Platinen in SMD-Technik gefertigt. Beim Succressor hat sich Heritage Audio noch weitere Freiheiten genommen: Es handelt sich nämlich gar nicht um einen 1:1-Neve-Clone! Vielmehr ist der Successor eine Eigenentwicklung mit einer Kompressorschaltung auf Basis der Diodenbrücken-Klassiker Neve 2254 bzw. 33609, während die Ein- und Ausgangsschaltungen an die des Neve 1073 Preamps angelehnt sind. Und ein paar Extras wurden auch noch eingebaut!
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Rundgang: Der Heritage Audio Successor ist ein Stereogerät mit einem Set Bedienelemente für beide Kanäle, platzsparend auf einer Höheneinheit. Das Design wirkt altvertraut. Die Frontplatte kommt im klassischen Graublau (»Royal Air Force Blue«), und auch die Knöpfe und Schalter sind in Form und Farbe Neve-typisch gestaltet. Das Stahlblechgehäuse ist recht dickwandig und wirkt sehr stabil.
Den Anfang macht ein Gain-Reduction-Meter als Zeigerinstrument, dessen Hintergrundbeleuchtung nur angeschaltet ist, wenn man über den daneben liegenden Dynamics-In-Druckknopf die Kompressorschaltung aktiviert. Die Parametrisierung ist klassisch.
Während der Threshold über ein Rasterpoti eingestellt wird, sind Ratio, Attack und Release als Stufenschalter mit je sechs Positionen ausgeführt. Die Wertebereiche sind gut gewählt: Ratio reicht von sanfter Kompression mit 1,5:1 bis hin zu kraftvoll zupackenden 6:1 und schließlich Limiting auf der letzten Schaltposition. Auch die Regelzeiten sind über einen weiten Bereich sinnvoll abgestuft. Die kürzeste Attack-Zeit beträgt ultraflotte 50 Microsekunden, die längste 20 Millisekunden. Release hat vier fixe Settings von superkurzen 20 ms bis zu relaxten 400 ms; die letzten beiden Schaltpositionen A1 und A2 stehen für eine Regelautomatik, die bei kurzen Überschreitungen des Thresholds flott zurückregelt, während sie bei längeren Pegelspitzen langsamer agiert. Die beiden Automatik-Settings unterscheiden sich in ihrer Grundgeschwindigkeit. Zur Feinabstimmung des Regelverhaltens ist ein Sidechain-Filter verfügbar. In den Stellungen 80 und 160 Hz arbeitet das Filter als Hochpass, in den Stellungen 800 Hz und 3 kHz im Peak-Modus, und in der letzten Schaltposition bei 5 kHz wieder als Hochpass. Wer die Kompressoraktivität noch genauer steuern möchte, kann einen externen Equalizer in den Sidechain einschleifen; auf der Rückseite gibt es nämlich entsprechende Send- und Return-Buchsen.
Make-up Gain ist ebenfalls als sechsfacher Drehschalter ausgeführt, sodass der Bereich von 0–10 dB in Stufen von 2 dB abgedeckt wird. Wer Plug-ins mit vier Nachkommastellen gewohnt ist, mag das sehr grob finden, aber für die Praxis reicht’s. Abgerundet wird das Regler-Set durch einen Blend-Regler, der als fein gerastertes Poti ausgeführt ist. Die Blend-Funktion – natürlich keine Neve-Originalzutat, sondern ein modernes Add-on – lässt sich über einen Druckschalter aktivieren. Direkt darunter befindet sich ein zweiter Druckschalter zum Aktivieren der Sidechain-Inserts.
Einen Ein-/Ausschalter hat das Gerät auch; da die Stromversorgung aber über ein externes Netzteil erfolgt, muss man dessen Netzstecker ziehen oder eine Schaltleiste verwenden, um den Successor vollständig vom Netz zu trennen.
Technisch betrachtet. Das sehr alte Schaltungsprinzip eines Diodenbrückenkompressor stammt aus den frühen Tagen der Transistortechnik, lange bevor VCA-Bausteine Einzug hielten. Diodenbrücken, d. h. eine Anordnung aus vier Dioden, kennt man als Gleichrichter in Netzteilen. Dioden lassen bekanntlich den Strom nur in eine Richtung fließen, während sie in die Gegenrichtung sperren.
In einem Diodenbrücken-Kompressor macht man sich ein weniger bekanntes elektrotechnisches Randphänomen zunutze: Die Durchlässigkeit der Dioden ist proportional zu einer anliegenden Spannung und lässt sich somit steuern – allerdings nur über einen schmalen Bereich. In der Praxis muss das Eingangssignal daher erst stark abgesenkt werden – üblicherweise um ca. 40 dB –, und hinter der Kompressorschaltung muss dieser Pegelverlust wieder aufgeholt werden. Dazu kommt noch das Make-up Gain zum Ausgleich der Gain Reduction. Es können also gut und gerne 50 dB Aufholverstärkung zusammenkommen. Deshalb sind Diodenbrückenkompressoren grundsätzlich nicht sonderlich rauscharm. Diesbezüglich muss man aber Heritage Audio ein großes Kompliment machen: Der Successor rauscht im normalen Einsatz nicht viel mehr als ein üblicher VCA-Kompressor. Dabei spielt sicher eine Rolle, dass die Entwickler nicht sklavisch am uralten Schaltungsdesign des 2254 festhielten, sondern dessen Vintage-Spirit in die Neuzeit transponiert haben. D. h., es kommen neuzeitliche, deutlich rauschärmere Komponenten zum Einsatz. Teilweise verwendet Heritage Audio sogar Opamps und andere integrierte Schaltkreise.
Bild: Dr. Andreas Hau
Die Ein- und Ausgangsstufen entsprechen denen des Neve 1073
Preamps; es kommen originalgetreue Carnhill-Übertrager zum
Einsatz.
Bild: Dr. Andreas Hau
Zugunsten der Rauscharmut (und des Preises) hat sich Heritage
Audio einige Freiheiten genommen, so kommen auch neuzeitliche
Opamps und andere integrierte Schaltungen zum Einsatz.
Bild: Dr. Andreas Hau
Praxis
Der Successor klingt wie er aussieht: Neveinspiriert. Seine Klangsignatur hat stets diese angenehme Präsenz und Körperlichkeit. Der Bypass ist übrigens so angelegt, dass das Signal stets die Ein- und Ausgangsstufen samt Übertrager durchläuft, sodass der Successor auch ohne Kompressionsaktivität das Signal subtil färbt und ihm eine gewisse Neve-Prägung mitgibt. Ausschalten wird man die Kompression jedoch meist nur zu Vergleichszwecken, um sie dann eilig wieder einzuschalten: Zu eindeutig ist die Klangaufwertung.
Der Successor bietet genau das, was man sich von einem Bus-Kompressor verspricht. Die Signale werden angenehm verdichtet, der Mix erhält Struktur und Kontur. Transienten lassen sich über den Attack-Parameter betonen oder zurückregeln. Raumanteile fördert der Release-Parameter wohldosiert zutage. Der Mix beginnt, sanft zu atmen, wird lebendig. Ganz ausgezeichnet gefallen mir die Abstufungen der Zeitkonstanten. Sowohl Attack als auch Release reichen von ultraschnell bis relaxed, und man findet immer eine Schaltposition, die genau das macht, was man erreichen möchte. Wer dennoch Zwischenstufen vermissen sollte, kann über den Mix-Regler die Kompression insgesamt zurückfahren.
Dabei erweist sich der Successor als vielseitig einsetzbar. Er macht sich auf Vocals bzw. Instrumenten-Gruppenspuren genauso gut wie auf Drums. Auch ein effektvolles Verdichten der Schlagzeug-Raummikros beherrscht der Successor. Je nach Stellung des Attack-Schalters »explodiert« der Raum förmlich. Interessant ist, dass auch bei minimaler Attack-Zeit der allererste Transient passiert. Man hört einen Nadel-Impuls, der mit längeren Attack-Einstellungen wohldosiert breiter und natürlicher wird. So kann der Successor zwar nicht luftdicht abregeln, dafür wirkt seine Kompression souverän und entschlossen.
Prinzipiell lässt sich der Successor auch für Einzelsignale verwenden; den zweiten Kanal muss man in diesem Fall eben brachliegen lassen, da die beiden Kanäle fest miteinander verlinkt sind. Inzwischen hat Heritage Audio bereits einen weiteren Diodenbrücken-Kompressor angekündigt, den HA-609A, der sich wahlweise dual-mono betreiben lässt. Das Gerät ist allerdings anders parametrisiert und demnach nicht identisch mit dem Successor.
Das einfache Reglerset des Successors sollte man aber nicht als Einschränkung begreifen, denn für den eigentlichen Einsatzzweck, die Bearbeitung von Stereosignalen, ist es von Vorteil. Man dreht einen Knopf und hört sogleich die Auswirkungen, ohne einen Kanalabgleich vornehmen zu müssen. Je schneller und unkomplizierter man Auswirkungen hört und einen Vergleich durchführen kann, desto besser und sicherer werden die eigenen Entscheidungen.
(Bild: Dr. Andreas Hau)
Fazit
Der Heritage Audio Successor ist ein großartiges Stück Audiotechnik. Die Entwickler haben ein Gerät geschaffen, das einerseits eine authentische Neve-Ästhetik ausstrahlt, andererseits aber genug Eigenständigkeit besitzt, um selbst als Original zu gelten. Ohne falsche Kompromisse wird Vintage-Anspruch auf zeitgemäßen Einsatz projiziert. Die Spanier haben die uralte Diodenbrücken-Kompressortechnologie für die heutige Zeit flott gemacht, und das darf man sogar wörtlich nehmen: Der Successor bietet bei Bedarf extrem kurze Regelzeiten. Er kann aber auch ganz relaxed die Stereosumme bzw. Gruppenspuren sanft zusammenführen. Dabei zeigt er sich sehr vielseitig. Weil die Zeitkonstanten sehr gut abgestuft sind und seine dezente Klangfärbung nie überzeichnet wirkt, kann der Successor praktisch alles veredeln, von Vocals über Gitarren und Keyboards bis hin zu Drums und Percussion.
Überhaupt überzeugt der Successor nicht zuletzt auch mit seiner einfachen Handhabung: Das Gerät hat exakt so viele Knöpfe, wie man benötigt, und jede Reglerstellung hat klar hörbare Auswirkungen. Der Successor gibt einem das Gefühl, das Audiosignal »anfassen« zu können. Ist es nicht genau das, was man sich von einem Bus-Kompressor verspricht?
Hersteller: Heritage Audio
UvP / Straßenpreis: 1.843,– Euro / 1.549,– Euro
Internet: www.heritageaudio.net l www.sea-vertrieb.de
Unsere Meinung:
+++Vintage-Technik mit zeitgemäßen Features
++ Klang und Optik mit authentischem Neve-Flavor
++ hohe Verarbeitungsqualität
++ gutes Preis/Leistungsverhältnis
– externes Netzteil