Außerirdisch

iCon Pro Audio Cocoon & Martian – Großmembran-Kondensatormikrofone im Test

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Cocoon-Martian-Studio-Hau(Bild: Dr. Andreas Hau)

Gibt es außerirdisches Leben, und wenn ja, wie mögen ihre Mikrofone aussehen? Dieser Fragestellung hat sich das Unternehmen iCon Pro Audio aus Hongkong angenommen. In Kooperation mit Spezialisten aus Lettland entstanden erste spekulative Designs, die wir im Folgenden unter die Lupe nehmen möchten.

Die Marke iCon Pro Audio ist hierzulande primär für DAW-Controller und MIDI-Peripherie bekannt. Zum Portfolio gehören aber auch Monitorlautsprecher und seit Kurzem Mikrofone. Cocoon und Martian sind Teil der Space Series, die schon äußerlich durch abgefahrenes Design auf sich aufmerksam macht. Bei einem Unternehmen mit Sitz in Hongkong wäre es naheliegend, die Mikros in China fertigen zu lassen, wo die halbe Welt ihre Ware in Auftrag gibt. Dem ist aber nicht so. Cocoon und Martian werden in Lettland hergestellt!

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Offenbar in den Fertigungsstätten von JZ und Violet Microphones. Beide Marken wurden Anfang der 2000er von Juris Zarins (1952 – 2017) gegründet, der zuvor für Blue Microphones tätig war. Teil seiner Handschrift war die Liebe zu ungewöhnlichen Designs, fernab der etablierten Klassiker. Aber auch auf technischem Gebiet ging Zarins eigene Wege. Eine seiner Innovationen war die Golden-Drop-Technologie, bei der das Schwingungsverhalten der Membran durch einen unterschiedlich dicken Goldbelag beeinflusst werden soll. Diese Technologie soll auch bei den iCon-Mikros zum Einsatz kommen.

Das iCon Cocoon hat die Form einer übergroßen Glühbirne im Kerzenformat. (Bild: Dr. Andreas Hau)

Inspektion

Die Produktnamen sind von SciFi-Movies inspiriert. Cocoon ist ein Film von Ron Howard aus dem Jahr 1985, wo Außerirdische einen Swimming Pool zum Jungbrunnen machen. In The Martian (dt. Der Marsianer – Rettet Mark Watney) von 2014 steckt Matt Damon auf dem roten Planeten fest, und es wird (wie schon bei Saving Private Ryan) kein Aufwand gescheut, ihn zurückzuholen.

Das Cocoon sieht ein bisschen aus wie eine übergroße Glühbirne im Kerzenformat mit einem Durchmesser von 70 mm und einer Gesamtlänge von 150 mm. Etwa zwei Drittel des Gehäuses macht der große Mikrofonkorb aus, der aus zwei Lagen Metallgeflecht besteht und eine elastisch aufgehängte 1-Zoll-Großmembrankapsel beheimatet. Im unteren Drittel mit einem goldenen iCon-Logo auf der Vorderseite befindet sich die Elektronik. Der XLR-Ausgang befindet sich in einem zylindrischen Fortsatz am unteren Ende.

Das iCon Martian gleicht einem knuffigen Marsmenschen. Der kugelrunde Kopf ist drehbar gelagert. Zwei Ringe deuten die Augen an. (Bild: Dr. Andreas Hau)

Das Martian hat einen kugelrunden Einsprechkorb von 80 mm Durchmsser, in dessen Mitte ebenfalls eine 1-Zoll-Großmembrankapsel aufgehängt ist. Auf der Vorderseite sind zwei Kreise aufgebracht, die die Glubschaugen des Marsianers andeuten. Und damit ist nicht Matt Damon gemeint, sondern das sprichwörtliche grüne Männchen vom roten Planeten. Interessant: Der kugelförmige Kopf ist schwenkbar, wobei kleine Bolzen am Korb und am Mikrofonbody eine Mehrfachrotation verhindern, denn die unsichtbar durch die Gabelaufhängung verlegten Drähte würden durch ungebremstes Verdrillen irgendwann reißen.

Der Mikrofonbody besteht aus einem Zylinder mit einer Länge und einem Durchmesser von jeweils rund 60 mm. Das Zylinderrohr ist dunkelgrau mit einem Flitter-Effekt, was wohl an die unendlichen Weiten der Sterne im Nachthimmel erinnern soll. Wieder ist auf der Front ein goldenes iCon-Logo aufgebacht.

Beide Mikros kommen mit einer aufwendig designten Spinnenhalterung, an der sich ein passend gestalteter Popschirm anbringen lässt. (Bild: Dr. Andreas Hau)

Beide Mikros werden mit schmucken Mikrofonspinnen geliefert. Die des Cocoon hat eine helle, mattierte Aluminiumoberfläche. Das Mikrofon wird von vorne eingeschoben und mittels einer klappbaren »Schranke « gesichert. An dieser lässt sich ein Popschirm aus zwei Lagen mikroperforiertem Metall anbringen. Passend zum Look des Mikrofons bildet der Popschirm ein futuristisch verrundetes Dreieck. Die elastische Aufhängung des Martian ist bis auf die schwarze Farbgebung ähnlich gestaltet. Auch hier gibt es einen montierbaren Popschirm aus zwei Lagen mikroperforiertem Metall, der jedoch anders designt ist. Er hat eine elliptische Grundform und wird nicht starr auf der Vorderseite montiert, sondern schwenkbar mit den Seiten der Mikrofonspinne verschraubt. So kann der Popschirm dem drehbaren Mikrofonkorb folgen bzw. bei Nichtgebrauch zurückgeklappt werden.

Technisch betrachtet …

Beide Mikrofone arbeiten mit fester Nierencharakteristik. Die technischen Daten sind sehr gut. Das Cocoon hat laut Hersteller ein Eigenrauschen von nur 8 dB-A und einen Grenzschalldruckpegel von 138 dB, woraus sich ein Dynamikumfang von 130 dB ableitet – eine beeindruckende Performance. Die Empfindlichkeit beträgt 21 mV/Pa. Das Martian hat eine etwas höhere Empfindlichkeit von 33 mV/Pa. Sein Eigenrauschen ist mit 10,5 dB-A nur unwesentlich höher, der Grenzschalldruckpegel liegt bei 134 dB, womit sich ein Dynamikumfang von 123,5 dB ergibt – immer noch ein sehr guter Wert. Beiden Mikrofonen ist ein individuelles Messprotokoll beigelegt. Die weitgehend linearen Frequenzschriebe kann man indes kaum ernst nehmen; aber wie üblich habe ich die Mikrofone selbst durchgemessen.

Die Kapseln beider Mikros sind unterschiedlich aufgebaut. Das Cocoon arbeitet mit einer 1-Zoll-Großmembrankapsel mit Mittenkontaktierung; die Membran ist im Golden-Drop-Design beschichtet, d. h., auf einer sehr dünnen, fast durchsichtigen Goldschicht sind kleine Kreise mit einer etwas dickeren, undurchsichtigen Goldschicht aufgebracht. Die zusätzliche Masse dieser Kreise soll das Schwingungsverhalten der Membran im gewünschten Sinn verändern. Der Kondensator-Schallwandler im Cocoon ist eine Einzelmembrankapsel, und deren feste Nierencharakteristik wird durch Schalleinlässe auf der Rückseite der Gegenelektrode hergestellt.

Die Kapsel des Martian konnte ich mir nur durch den Mikrofonkorb ansehen; eine Demontage schien mir ob der Kabelführung durch die Gelenkaufhängung zu riskant. Gut zu erkennen ist, dass es sich um eine randpolarisierte Kapsel handelt. Außerdem ist es eine Doppelmembrankapsel; auch die Rückseite ist mit einer goldbedampften Membran bespannt. Elektrisch aktiv ist im Martian jedoch nur die vordere Membran, sodass sich eine feste Nierencharakteristik ergibt. Ein Golden-Drop-Muster konnte ich auf den Martian-Membranen nicht erkennen.

Das Cocoon arbeitet mit einer 1-Zoll-Großmembrankapsel mit einer »Golden Drop«-Beschichtung, ähnlich der Kapseln in JZ/Violet-Mikrofonen. (Bild: Dr. Andreas Hau)

Die Elektronik des Cocoon ist vergleichsweise simpel aufgebaut. Das überrascht ein wenig ob der sehr guten technischen Werte. Als aktive Bauelemente kommen nur vier Transistoren zum Einsatz; der Ausgang ist übertragerlos. Auf einen Spannungswandler zum Generieren einer erhöhten Polarisationsspannung wurde verzichtet – dennoch arbeitet das Cocoon sehr rauscharm. Ein effizientes Design von schlichter Eleganz. Die Audioschaltung des Martian ist identisch aufgebaut, zusätzlich gibt es hier jedoch eine zweite Platine mit einem Spannungswandler, da die verwendete Kapsel für optimale Performance wohl eine etwas höhere Polarisationsspannung benötigt. Die Platinen sind sauber gefertigt und mit konventionellen bedrahteten Bauelementen bestückt, was einen eventuellen Service erleichtert.

Die Frequenzgänge beider Mikros unterscheiden sich stark, wie meine Messungen zeigen. Das Cocoon arbeitet bis etwa 3 kHz weitgehend linear. Die Bassfrequenzen unterhalb 150 Hz sind leicht angehoben, einen stärkeren Boost erfahren die oberen Präsenzen in den Hochmitten und den Höhen. Der obere Peak bei etwa 12 kHz liegt knapp 6 dB über dem Niveau des Grundtonbereichs (bis ca. 1 kHz).

Die Cocoon-Kapsel ist eine Fixniere; auf der Rückseite gibt es statt einer zweiten Membran nur Schalleinlässe. (Bild: Dr. Andreas Hau)

Das Martian zeigt ebenfall seinen weitgehend ebenen Verlauf bis 3 kHz. Eine Bassanhebung gibt es hier nicht, sondern die Kurve senkt sich in den Subfrequenzen unterhalb 30 Hz. Der Höhenbereich ist kaum hervorgehoben. Nach einem winzigen Peak von 1–2 dB bei 12 kHz senkt sich die Kurve im Air Band früher als beim Cocoon. Das Auffälligste am Frequenzgang des Martian ist eine steile Senke von 10 dB zwischen 5 und 6 kHz. Diese dürfte dem Design des Mikrofonkorbs geschuldet sein. Der kugelförmige Aufbau bringt es mit sich, dass die Kapsel in allen drei Dimensionen den gleichen Abstand vom Metallgeflecht hat. Dadurch kommt es zu einer starken Auslöschung von Frequenzen, deren halbe Wellenlänge dem Abstand von Korb zur Kapselmembran entspricht. Etwas abgemildert wird der Effekt dadurch, dass die Großmembrankapsel ja eine gewisse Ausdehnung hat, sonst wäre der Einbruch noch steiler und tiefer.

Erfreulich nebenwirkungsarm arbeiten die Popschirme beider Mikrofone. Der des Cocoon verursacht nur eine leichte Höhendämpfung um ca. 1 dB – was ob des Höhenreichtums sogar angenehm sein kann. Beim Martian hat der Popschirm so gut wie keine Auswirkungen auf den Frequenzgang.

Das Cocoon arbeitet mit einer vergleichsweise simplen Elektronik, die dennoch hohe Rauscharmut garantiert.
Das Martian verwendet die gleiche Audioschaltung.
Zusätzlich gibt es beim Martian eine zweite Platine mit einem Spannungswandler zur Bereitstellung einer erhöhten Kapselvorspannung.

Praxis

Auch im subjektiven Eindruck klingen die beiden Mikros ganz unterschiedlich. Das Cocoon wirkt sehr präsent in den oberen Mitten, was nicht jeder Stimme passt. Harte, aggressive Stimmen werden quäkig und unangenehm; weiche Stimmen profitieren dagegen von erhöhter Durchsetzungsfähigkeit im Mix. Hervorzuheben sind die hohe Rauscharmut und das saubere Klangbild, das dennoch nicht leblos wirkt. Der Höhenreichtum bedingt jedoch eine gewisse Zischelneigung in den S-Lauten. Das Cocoon hat eine recht fokussierte Nierencharakteristik, die auch bei ungünstiger Raumakustik für einen klaren, trockenen Sound sorgt.

Das Martian klingt deutlich weicher und sonorer. Der Bass wirkt voll und satt. Die Höhen sind sanft, fast lieblich. Die schmalbandige Senke in den Hochmitten ist im subjektiven Klangeindruck nicht notwendigerweise störend. Sie entschärft jene »eckigen« Präsenzen, die oft unangenehm klingen. Auch ist die Zischelneigung in den S-Lauten deutlich geringer. Der Sound hat Klasse und so ein bisschen etwas von einem Bändchenmikrofon, wenngleich mit etwas mehr Höhenglanz. Allerdings passt auch das Martian nicht zu jeder Stimme bzw. jeder Anwendung. Sanfte Stimmen drohen, in einem dichten Mix unterzugehen; gut passen dürfte es jedoch für Crooner-Vocals in einem lichten Arrangement. Sehr gut eignet sich das Martian für präsente bis aggressive Stimmen, die ohnehin viel Durchsetzungskraft mitbringen. Das Martian lässt sie milder klingen, verleiht ihnen »Größe« und fügt sie ins Arrangement ein.

Das Martian arbeitet weitgehend linear bis auf einen Einbruch in den Hochmitten, der zwischen 5 und 6 kHz bis zu 10 dB beträgt – hier wirkt sich der kugelrunde Einsprechkorb negativ aus.

Für Instrumente würde ich das Cocoon bevorzugen, da es sich neutraler verhält und daher den Klangcharakter authentischer einfängt. Aufgrund der offensiven Hochmitten und Höhen hat es allerdings eine Tendenz zur Härte.
Das Martian ist das Gegenprogramm: Es färbt recht stark, und seine Senke in den Hochmitten macht es schwer kalkulierbar. Für manche Instrumente mag das passen, andere klingen »weichgespült « und werden im Mix in den Hintergrund gedrängt – was im Sinne einer Tiefenstaffelung aber auch nützlich sein kann. Eigentlich ergänzen sich die beiden Mikros recht gut. Das Cocoon klingt tendenziell schlank und spricht gut auf EQ-Bearbeitungen an. Das Martian ist ein Charakter-Mikro mit einem vollen, angenehmen, etwas speziellen Sound, den man so nehmen muss, wie er ist. Auf EQ spricht es deutlich schlechter an.

Das mitgelieferte Zubehör wirkt hochwertig. Die Popschirme arbeiten akustisch weitgehend transparent, benötigen aber etwas Lippenabstand, um ausreichend vor Pops zu schützen. Also nichts für »Mikrofonknutscher «. Die Spinnenaufhängungen sind attraktiv designt. Leider sind die Gummis sehr stramm gespannt, sodass die Körperschallentkopplung nicht so effizient ist wie bei den teuren Mikrofonspinnen der Premium-Hersteller. Sehr gut ist die Positionierbarkeit, denn rückseitig sind sie mit einem Kugelgelenk ausgestattet, sodass sich das Mikro immer optimal zur Schallquelle ausrichten lässt.

Das Cocoon arbeitet bis 3 kHz weitgehend linear; die oberen Frequenzen werden durch eine Präsenzanhebung und einen kräftigen Höhen-Boost betont. Der Popschirm dämpft die oberen Frequenzen
nur wenig.

Fazit

Als mir die Großmembran-Kondensatormikrofone der Space Series von iCon Pro Audio aus Honkong angekündigt wurde, dachte ich zunächst: Cooles Design, aber braucht die Welt noch weitere Me-Too-Mikros aus China? Da habe ich mich gründlich getäuscht! Denn es sind alles andere als 08/15-Mikros, und aus China kommen sie schon gar nicht, sondern aus Lettland. Genauer gesagt, aus den Werkstätten von JZ/Violet Microphones. Das zeigt, wie komplex unsere globalisierte Welt geworden ist.

Das Cocoon arbeitet mit einem Golden-Drop-Schallwandler, ähnlich denen, die JZ/Violet in den eigenen Mikrofonen verbaut. Das Martian kommt gar mit einer noch aufwendiger gefertigten Doppelmembrankapsel. Auch die elegant-simple Elektronik trägt eine lettische Handschrift. Dank dieser geballten Mikrofonkompetenz punkten die iCon-Mikrofone mit sehr guten technischen Werten. Klanglich verhalten sich die beiden Modelle sehr unterschiedlich. Das Cocoon klingt präsent und höhenreich, das Martian voll und weich – leider jedoch mit dem Makel einer schmalbandigen Senke, die der kugelrunde Einsprechkorb verursacht. Vielleicht hätte man sich an einem akustisch günstigeren Alien orientieren sollen? Der Weltraum ist weit, und die Space Series hat gerade erst begonnen!


Hersteller: iCon Pro Audio

UvP:
Cocoon: 579,– Euro
Martian: 759,– Euro

Internet: www.iconproaudio.com; www.sound-service.eu

Unsere Meinung
+++ cooles Design
+++ hochwertige Großmembrankapseln
+++ sehr rauscharm
++ saubere Verarbeitung
– – Martian: schmalbandige Senke in den Hochmitten

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