Das Tor zum Mixing-Multiversum

iZotope Neutron – Mixing Innovation im Test

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(Bild: Marc Bohn)


Kaum ein anderes Plug-in hat nach seiner Veröffentlichung für so viel Diskussion gesorgt wie iZotope Neutron. Der Track-Assistent des Mixing-Plugins mit seinen ausgereiften Algorithmen würde irgendwann den Audio-Engineer ersetzen, hieß es am Stammtisch. Als Plug-in, das die Mixing-Welt verändern wird, wurde es von der amerikanischen Software-Schmiede angekündigt. Welches Potenzial wirklich in diesem Tool steckt, wollte ich genauer wissen.

Das Neutron-Angebot umfasst drei Produkte: Neutron, Neutron Advanced und das kostenfreie Neutrino, was alleine auf der Spectral-Shaping-Technologie basiert, die in allen Varianten integriert ist. Bei Spectral-Shaping wird das Audiosignal auf 32 Frequenzbändern analysiert und je nach ausgewähltem Algorithmus »Drums«, »Instrument« oder »Vocals« subtil verbessert, indem Unebenheiten ausgeglichen werden. Hinter diesem Prozess steht ein sehr komplizierter Algorithmus.

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Neutron Advanced ist gegenüber Neutron Multichannel-fähig. Das heißt, in der Post-Production kann es auch bei Surround-Mischungen eingesetzt werden, weil man dort den Zugriff auf alle Einzelsignale und alle Kanäle hat und diese diskret miteinander verglichen werden können. Außerdem sind die einzelnen Bearbeitungs-Module wie Transient Shaper, EQ, Exciter oder Compressor mit Neutron Advanced als Stand-alone-Plug-ins verfügbar. So muss man nicht jedes Mal Neutron komplett laden und Rechen-Power verbraten.  Zusätzlich ist man mit den einzelnen Modulen im Mixing-Prozess sehr flexibel, da man sie nach Belieben in seinen Inserts positionieren kann.

Module

 

 

Die Oberfläche des Channelstrip-Plug-ins ist sehr übersichtlich. Oben stehen beim Öffnen die Module Equalizer, Transient Shaper, Exciter, Compressor 1 und 2 zur Verfügung. Sie lassen sich per Drag & Drop in eine beliebige Reihenfolge verschieben, so, wie sie das Audiomaterial durchlaufen soll. Jedes Modul besitzt seine eigenen Presets und verfügt über eine eigene Dry/Wet-Regelung. Der EQ bietet zehn Bänder: High- und Low-Cut, High- und Low-Shelf und weitere acht Bänder, die entweder statisch oder dynamisch bearbeitet werden können.

Neutron besitzt sehr umfangreiche Sidechaining-Möglichkeiten. Für jedes Band des EQs kann ein individueller Trigger-Channel ausgewählt werden. Dazu zählen alle internen Bänder, aber auch die externen Bänder anderer Neutron-Instanzen im Mix, die untereinander kommunizieren können. Diese Möglichkeit macht die Sache wirklich sehr komplex und ist weniger was für Anfänger als für den absoluten Profi.

Eine weitere Hilfe stellt die Learn-Funktion dar. Lässt man Audiomaterial durch die Neutron- Instanz laufen und aktiviert beispielsweise innerhalb des EQ-Moduls die Learn-Funktion, setzt Neutron Markierungen im Frequenzband und schlägt Frequenzen vor, die bearbeitet werden sollen, reguliert selbst aber noch nichts. Das muss man auch weiterhin selbst erledigen.

Der Multiband-Kompressor besitzt drei Bänder und lässt sich zwischen Vintage- und Digital-Mode umschalten, die die entsprechenden Klangcharakteristiken mitbringen. Mit der Learn-Funktion können hier die Grenzfrequenzen der drei Bänder ermittelt werden. Neutron sucht hier also automatisch nach den Frequenzbereichen, wo eine Kompression Sinn macht. Es müssen natürlich mindestens zwei Bänder aktiviert sein. Auch hier kann jedes der einzelnen Bänder über einen Sidechain eine andere Neutron-Instanz triggern oder von ihr getriggert werden. Multi-Sidechaining für Fortgeschrittene!

Das Exciter-Modul verfügt ebenfalls über drei Bänder, deren Obertonfärbungen »Tube«, »Tape«, »Warm« und »Retro« sich separat über eine Mischmatrix völlig frei mixen lassen. Das Besondere am Transient Shaper ist, dass er ebenfalls über drei Bänder verfügt und sich damit von den gängigen Single-Channel-Varianten abhebt.

Masking

Beim Masking können die Frequenzgänge zweier Neutron-Instanzen im Mix miteinander verglichen und Problemstellen lokalisiert werden. Danach werden die Frequenzbänder in zwei getrennten Ansichten untereinander angezeigt. Im oberen Teil visualisiert Neutron die Frequenzbereiche, in denen die unterschiedlichen Signale miteinander kollidieren, und bietet direkt die Möglichkeit, an diesen Stellen selbst einzugreifen. Außerdem können die Bänder auch miteinander verlinkt und proportional angepasst werden.

Möchte man beispielsweise der Gitarre in einem Frequenzbereich etwas mehr Platz verschaffen, wo die Synths sehr aktiv sind, können mit einer Verlinkung dieser Bänder die Gitarren um beispielsweise 3 dB angehoben und die Synths gleichzeitig um 3 dB gesenkt werden. Großartig! Auch das kann dynamisch bearbeitet und in den Sidechaining-Komplex eingebunden werden, was Routing-Nerds alle Möglichkeiten liefert.

Ich gestehe: Irgendwann erschlägt mich einfach diese Komplexität, dennoch lässt sich festhalten, dass Neutron die Masking-Probleme zwar nicht löst, aber die Problemstellen lokalisiert und visualisiert. Entfernen muss auch hier der Engineer selbst!

Spectral Shaping

Danach durchläuft das Audiomaterial das bereits angesprochene Spectral Shaping. In Neutron und Neutron Advanced steht im Neutrino-Mode neben »Drums/Percussive«, »Guitar/Instrument«, »Voice/Dialogue« und »Bass« auch »Clean« zur Auswahl, was das Spectral Shaping einfach auf Bypass setzt. Mit Detail und Amount kann die Intensivität und der Anteil des Spectral Shapings feinjustiert werden. Auch hier arbeitet iZotope sehr subtil, und für mich lässt sich dieser Effekt mit einem leichten Mastering vergleichen. Man weiß nicht ganz genau, was passiert − man hört nur, dass es besser und ausgewogener klingt.

Danach geht das Signal weiter in den Limiter. Hier bietet Neutron drei verschiedene Varianten: Brickwall (Hard) und IRC II sowie IRC LL mit jeweils drei Intensivitätsstufen. Der linke Fader ist dabei der eigentliche Input, der vor der Signalkette sitzt, und rechts ist der Output.

Schritt(e) zurück

Daneben sitzt die Undo History, die jeden Schritt speichert und über die man zu jedem Punkt der Bearbeitungskette zurückgehen kann. Das betrifft nicht nur die einzelnen Module, sondern wirklich alles, was man in Neutron einstellt. Damit lässt sich jeder Zeitpunkt wiederherstellen und auch A/B oder C/D vergleichen. Das finde ich besonders praktisch, weil man sich ja grundsätzlich nach einem Schritt fragt, ob es jetzt auch tatsächlich besser als vorher klingt. Hier lassen sich gleich im Plug-in bis zu vier eigene Presets speichern, die man hinterher vergleichen kann. Top!

Oben links neben dem Stift kann man übrigens der Instanz, die man gerade bearbeitet, unabhängig von der Benennung der Audiospur innerhalb der DAW einen Namen geben. Das hat den Vorteil, dass komplexe und strukturierte Beschriftungen der Audiospuren bestehen bleiben können und man sich, wenn man in Neutron mit Masking und Sidechaining sowie in mehreren Instanzen gleichzeitig arbeitet, besser orientieren kann.

It`s Magic

Der Track Assistent ist wohl das Highlight von iZotope Neutron, hinter dem ein sehr ausgefeilter Algorithmus steckt, der das Audiomaterial analysiert und auf dieser Basis subtile Einstellungen innerhalb der von ihm aktivierten einzelnen Module der Signalkette vornimmt. Neutron erkennt also, um welches Signal es sich handelt, und entscheidet aufgrund seiner Analyse selbst, in welcher Reihenfolge die Signalbearbeitung stattfinden soll und welche Module überhaupt eingebunden werden. Neutron bindet also den EQ, die beiden Kompressoren und den Exciter nur dort ein, wo es für die Software auch Sinn macht.

Es gibt die drei verschiedenen Aggressivitätsstufen »subtile«, »medium« und »aggressive «, die festlegen, wie viele Module aktiviert werden und wie stark dort bearbeitet wird. Mit dem Mix-Regler kann hier in jedem Modul nochmal feinjustiert werden. Als Presets stehen hier die Klangcharakteristiken »Broadband Clarity«, »Warm and Open« und »Upfront Midrange« zur Auswahl.

Während der Track Assistent das Audiomaterial analysiert, kann man parallel das Einstellen der Settings in den einzelnen Modulen nachverfolgen. Wie von Geisterhand werden Eckfrequenzen wild verschoben und Frequenzen angehoben oder abgesenkt, die Kompression eingestellt und mit dem Exciter verschiedene Obertonstrukturen hinzugefügt. Auch der passende Spectral-Shaper-Modus wird ausgewählt − der Transient Shaper wird allerdings nicht durch den Track Assistent beeinflusst. Dieses Feature war Gesprächsthema Nummer 1 in allen Audio-Foren und -Stammtischen dieser Welt. Viele stellten sich die Frage: »Macht iZotope Neutron unseren Job überflüssig?«

Fazit

Der Track Assistent ist kein Mix-Assistent! Das kann man ganz klar sagen. iZotope Neutron bietet mit allen Funktionen Hilfestellungen beim Mix und bereitet eine Mischung vor, wie es womöglich der Praktikant im Studio tut. Außerdem greift iZotope Neutron auch nicht in das Leveling ein, was ja bekanntlich die Basis des Mixings darstellt.

Den größten Vorteil des Track Assistent ist für mich der Faktor Zeitersparnis! Mit iZotope Neutron lässt sich innerhalb kürzester Zeit ein Roughmix erstellen, auf dem man aufbauen kann. Am meisten hat mich doch die Masking-Funktion beeindruckt. Eine solch einfach Darstellung und Bearbeitung hätte ich mir schon viel früher gewünscht. Damit können Kollisionen von Frequenzbereichen ganz leicht lokalisiert und bearbeitet werden! Mit Neutron hat es iZotope geschafft, ein All-In-One-Mixing-Plug-in zu entwickeln, das trotz seiner hohen Komplexität und Funktionalität doch sehr leicht zu verstehen und einfach anzuwenden ist. Davon profitieren nicht nur Profis, sondern auch Einsteiger, die durch die Masking-Funktion oder den Track-Assistent vielleicht sogar noch etwas lernen.

Zuletzt komme ich noch zu etwas ganz Wichtigem: dem Sound! Wer glaubt, iZotope Neutron könne aus einem schlechten Signal eine Platin-Produktion zaubern, liegt falsch. Das Plug-in arbeitet wirklich sehr subtil und nimmt auch nur geringe Veränderungen vor. Aus meiner Erfahrung tut es das dort, wo es Sinn macht, und es erzeugt an der einen oder anderen Stelle auch den Wow-Effekt. Vor allem auf Bussen ging da beim Mixing öfter mal die Sonne auf, gerade weil es im Frequenzband auch aufräumt! Für mich ist iZotope Neutron eines der innovativsten Produkte der letzten Jahre, und das Plug-in liefert alles, was man für einen professionellen Mix benötigt! Daumen hoch!


+++  Zeitersparnis
++    Masking-Funktion
++    hohe Komplexität, einfach zu verstehen
+++ Preis/Leistungs-Verhältnis

Hersteller/Vertrieb iZotope
UvP/Straßenpreise
250,− Euro / 180,− Euro bzw.
350,− Euro / 250,− Euro (Advanced)
www.izotope.com

Kommentar zu diesem Artikel

  1. Danke für diesen übersichtlichen und flüssig zu lesenden Artikel mit allem wichtigen Daten zu Neutron. Wird wahrscheinlich demnächst im Warenkorb laden. Wirklich Klasse, weiter so Marc!

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