Die Linn 9000 gehört zu den Wegmarken der Drumcomputer-Geschichte. Die innovative, samplebasierte Rhythmusmaschine war u. a. Vorbild für die stilbildende MPC-Reihe von Akai.
Roger Linn runzelt die Stirn … die Probleme mit dem neuen, revolutionären Drumcomputer hören einfach nicht auf … Der 1955 geborene Innovator, der legendäre Rhythmusmaschinen wie die LM-1 (die in Prince’ Studio auf einem Altar stand!) und die Linndrum, die so gut wie alle betuchten Pop-Stars der 80er-Jahre eingesetzt haben, gebaut hat, sah sich bei seinem neuen Projekt namens Linn 9000, das 1984 auf den Markt kommen sollte, mit einer Menge von Problemen konfrontiert.
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Da war einmal das Betriebssystem, das eher einem Insektenhotel glich, so Bug-verseucht waren die ersten Versionen. Es wurde in einer als esoterisch geltenden Programmiersprache namens Forth geschrieben. Das schon 1970 entwickelte Forth wurde bei manchen NASA-Projekten genutzt, es kam beim Philae Spacecraft von 2014 zum Einsatz und ist die Basis von Starflight, dem bestverkauften Computerspiel von 1986. Bei der Linn 9000 verursachte es aber in der frühen OS-Version inakzeptable Timing-Schwankungen und Verzögerungen, was nur dadurch eingedämmt werden konnte, dass ein großer Teil des Betriebssystems in Maschinensprache geschrieben wurde. Ein weiterer Grund für die Probleme war auch der nicht gerade kraftstrotzende Prozessor (Intel 8088), der nur 64k Speicher für das Betriebssystem bot. Dazu kamen noch die überhitzten Netzteile der frühen Geräte, die später alle auf Garantie ausgetauscht werden mussten.
Release!
Die Linn 9000 erblickte trotz aller Geburtswehen 1984 das Licht der Welt. Sie kostete stolze 5.000 Dollar (7.000 im Vollausbau). Gut betuchte Musiker und Produzenten freuten sich über die modernen Features der Maschine, aber sie galt trotzdem als notorisch unzuverlässig und bescherte der Firma nicht den großen Erfolg, den man sich erhofft hatte. Es wurden bis 1986 ca. 1.100 Linn 9000 gefertigt – dann war Schluss, und Linn war pleite.
Eines der besten Features der bulligen Maschine sind die anschlagsdynamischen Pads; sie wurden zu einem der Hauptmerkmale des ikonische Sample-Drumcomputers MPC 60, den Roger Linn nach dem Ende seiner Firma für die japanische Company designte. Die quadratischen Pads findet man bis heute auch bei zahllosen Drumcomputern, Controllern oder Grooveboxen anderer Firmen.
Optionen
Die Linn 9000 ließ sich mit einigen, nicht gerade günstigen Optionen wie SMPTE, mehr Trigger-Eingängen (die sechs Standard-Trigger-Inputs können auf zwölf erweitert werden), ein Diskettenlaufwerk und ein Sampling-Board für eigene Sounds (damals ein Killer-Feature) sowie einen bis zu 256 KB erweiterbaren Speicher nachrüsten.
Sounds
Mitte der 80er-Jahre war eine Maschine wie die Linn 9000 ein Paradies für Produzenten: Die Klangerzeugung bietet 13-fache Polyfonie, und der 13,1 Sekunden große Speicher des Geräts fasst 32 samplebasierte Sounds. Die Sounds (Bassdrum, Snare, Rim, Hi-Hat, 2 x Crash, 2 x Ride, 4 x Tom, Cabasa, Tambourine, 2 x Conga, Cowbell, Clap) liegen im Format 8 Bit (11–37 kHz) vor. Sie klingen kraftvoll und durchsetzungsfähig und haben insgesamt einen deutlich cleaneren Charakter als die Sounds des Vorgängers Linndrum. An Bearbeitungsmöglichkeiten ist man auf die Parameter Lautstärke, Panorama und Tonhöhe beschränkt, dafür bietet die großzügig gestaltete Bedienoberfläche der Maschine Direktzugriff auf Volume und Pan.
Einzigartig und innovativ ist der programmierbare Decay-Regler für die offene Hi-Hat: Mit einem Fader lässt sich die Decay-Phase der Hi-Hat in Echtzeit in sieben Stufen regeln und die Fader-Fahrt aufnehmen, was zur Lebendigkeit und Ausdrucksstärke der Grooves beiträgt.
Die Konzeption des Linn 9000-Sequenzers war für damalige Verhältnisse sehr fortschrittlich. Er verfügt über 32 Spuren und kann bis zu 10.490 Noten verarbeiten; 99 Patterns lassen sich zu 20 Songs verketten. Der Clou aber war die Möglichkeit, auch externe Klangerzeuger via MIDI anzusteuern. Hier findet man auch das geniale, von den Akai MPCs bekannte Note-Repeat-Feature, mit dem man bei gedrücktem Pad Noten in der gewählten Quantisierung abfeuern kann, wobei sich die Velocity abhängig vom ausgeübten Druck auf das Pad dynamisch verändern lässt. Linn brachte den Sequenzer auch als Stand-Alone-Gerät auf den Markt, er verkaufte sich aber schlecht, da sich die Software-Probleme der Linn 9000 in Musikerkreisen schnell herumgesprochen hatten.
Eine zweite Chance bekommt man selten im Leben, der Linn 9000 wurde sie durch die findigen, vorher bei Linn angestellten Entwickler Bruce und Ben Forat zuteil. Nach dem Ende von Linn Electronics kauften sie die Restbestände der Firma auf und begannen, die Linn 9000 zu verbessern und mit mehr Features auszustatten. Das Ergebnis war die F 9000: Das Betriebssystem wurde neu geschrieben, alle Software-Bugs beseitigt, der Sequenzer-Speicher vervierfacht; zudem besitzt die wiedergeborene Maschine jetzt volle SMPTE-Fähigkeiten, MIDI-Clock, Song Position Pointer, Sample Editing, Batteriegestütztes Memory und vieles mehr.
Viele Produzenten liebten die Linn 9000 und vor allem die neue Forat- ersion. Zu ihnen gehörten u. a. Jean Michel Jarre, Stock Aitken Waterman, Tears For Fears, Chicago und nicht zuletzt das Producer-Team Jam & Lewis. Die beiden waren früher im Prince-Umfeld tätig und spielten u. a. bei The Time mit. Janet Jacksons Control-Album gehört auch produktionstechnisch zu den interessantesten Veröffentlichungen der 80er-Jahre, Jam & Lewis bekamen einen Producer-Grammy für ihre innovative Produktion, bei der die (Forat-)Linn 9000 zum Einsatz kam.
Linn brachte den Sequenzer der Linn 9000 auch als 19"-
Gerät heraus, scheiterte am Markt aber damit.
Nie realisiert wurde das MIDI-Studio, ein weiteres Seitenprojekt
der Linn 9000.
Der Groove der ersten Single What Have You Done For Me Lately inspirierte viele New-Jack-Swing-Songs. Die Produzenten schätzten den Groove und speziell die Swing-Quantisierung der Maschine und nutzten sie unter anderem als Sequenzer für viele Bass-Spuren des Control-Albums. Die wie Fingerschnippen klingenden Sounds der Balladen Lets Wait A While und Funny How Time Flies wurden mit dem Sidestick-Sound der Linn, das durch das Concert-Hall-Preset des Lexicon 224 geschickt wurde, erzeugt. Hall-Effekte spielten generell eine wichtige Rolle bei der Ästhetik des Albums. Manchmal ersetzten Jam & Lewis die Linn-Sounds durch verhallte Natur-Drum-Sounds, die mit dem AMS-Delay-Sampler aufgenommen und dann mit der Linn 9000 getriggert wurden.
Bemerkenswert ist aber die Spontanität, die bei der Groove-Produktion eine wichtige Rolle spielte. Engineer Steve Hodge berichtete in einem Interview mit dem Keyboard-Magazin, dass Jimmy Jam diverse Fills ohne Sequenzer live auf der Linn 9000 einspielte oder die Maschine bei der Aufnahme manchmal stoppte, einen komplizierten Break auf den Pads performte und die Linn dann mit einem anderen Pattern wieder einstartete. Mit der Hand gespielte perkussive Samples bringen oft eine Kick-Ass-Frische in den Groove, die man durch gezieltes Programmieren so nicht erreichen kann. Natürlich ist es hilfreich, wenn man so tight agiert wie Jimmy Jam …
Die Linn 9000 und die F 9000 wurden uns freundlicherweise von Steve Baltes zur Verfügung gestellt.
Interview mit Steve Baltes
Der Elektronik-Musiker Steve Baltes liebt Vintage Drumcomputer und setzt sie u. a. bei seiner 80er-Jahre-inspirierten Synthpop-Band Arctic Sunrise ein, deren drittes Album Across The Ice Ende 2019 erschienen ist.
Was schätzt du an der Linn 9000?
Zunächst einmal den fantastischen 8-Bit-Sound, insbesondere wenn man Sounds runterpitcht, wird es echt crunchy, ohne dass die Maschine den Druck verliert. Das Interface ist genial, super easy und direkt in der Handhabung. Die Pads haben auch nach heutigem Standard noch ein extrem gutes Spielgefühl, und der Hi-Hat-Decay-Regler ist so einfach wie genial zur Hi-Hat-Programmierung. Hardwareseitig ist die Linn wie ein Panzer gebaut … und auch ungefähr so schwer. Sie war quasi die Ur-MPC und hat bis heute den Weg für jede Menge Drum Machines, Sampler und Grooveboxen bereitet.
Hast du sie auf deinen Produktionen eingesetzt, und wenn ja, wie?
Meine Linns kommen immer wieder bei meiner Synthpop Band Arctic Sunrise zum Einsatz, da sie ohne Umwege eben den Original 80s-Flair versprühen und sich das Eigenleben nur schwer einfangen oder per Software emulieren lässt. Meistens programmiere ich als Songstarter ein paar Patterns, die ich dann komplett in meiner DAW aufzeichne. Oft mute ich live einzelne Sounds, um sie später auf einzelne Spuren zum Mixing zu verteilen, ohne den Groove der Maschine zu verlieren. Auf dem letzten Arctic-Sunrise-Album hört man die 9000er z. B. beim Kate Bush Cover Running Up That Hill.
Was ist aus deiner Sicht der Vorteil klassischer Hardware?
Haptik, Eigenleben, Limitierung, Direktheit und Inspiration durch das Interface. Klassische Hardware versprüht zusätzlich ein »Mojo« welches Plug-ins nicht liefern können. Das Einschalten einer Linn gibt mir ein warmes Gefühl in der Magengegend … nach einem kurzes Moment der Angst, ob denn auch alles noch funktioniert. 😉
Wie beurteilst du die Forat-Version der Linn 9000?
Die Linn 9000 hatte nicht zu Unrecht den Ruf, sehr unzuverlässig zu sein. Ich habe eine originale 9000er mit der letzten Software von Roger Linn, die nie zu Ende programmiert wurde, da die Firma leider kurz nach dem Release insolvent war. Die Maschine stürzt relativ häufig ab, und eine 16tel-Hi-Hat kann das Gerät schon mal überfordern. Hat man ein Pattern, so ist es sehr sinnvoll, dieses auch gleich audiomäßig aufzunehmen, weil die Maschine gerne mal etwas vergisst.
Bruce Forat hat das OS sehr aufwendig zu Ende programmiert – die Anleitung, nur für das Upgrade, hat ungefähr die Dicke vom New Yorker Telefonbuch –, womit die F 9000 sehr viel zuverlässiger läuft, in der Regel nichts mehr vergisst und viele zusätzliche Features hat, wie z. B. rudimentäres Sample-Editing. Man kann auch heute seine Linn 9000 noch bei Bruce updaten lassen, was aber recht kostspielig ist. Falls man auf der ernsthaften Suche nach einer 9000er ist und über eine Forat 9000 stolpert, sollte man zuschlagen!
Die Linn 9000 soll auch auf Peter Gabriels “So”-Album eingesetzt worden sein (laut folgendem Artikel: https://www.amazona.de/making-of-peter-gabriel-so-album-von-1986/ )