Love The Machines: Access Virus Virtuell-Analoger Synthesizer
von Bernhard Lösener,
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Er ist mittlerweile ein moderner Synth-Klassiker: der Access Virus. Seit mehr als 20 Jahren gehört der virtuell-analoge Synthesizer zur Standard-Ausstattung vieler Studios, und jeder hat ihn schon mal auf irgendeiner Produktion gehört.
Der Vater des Virus ist Christoph Kemper. Als Teenager wurde der Recklinghausener durch ein Geschenk in Form eines Sinclair ZX Spektrum, einem 80er-Jahre-Minicomputer mit äußerst begrenzten Möglichkeiten, angefixt. Er begann, sich mit Computerprogrammierung zu beschäftigen, und studierte später Elektrotechnik in Bochum. Nachdem er eine Zeitlang als Keyboarder in Rockbands gespielt hatte, fing Kemper in den 90er-Jahren an, Effekte und Filter auf der Basis von DSPs zu entwickeln. Sein Ziel war es, ein Digital-Filter zu bauen, das sich auch bei schnellen Modulationen wie ein Analog-Filter verhält − das war damals Neuland. Er erreichte dies auch dank der neu herausgekommenen Motorola-DSPs der 56.000er-Serie. Sein Digital-Filter ist prägend für den Klangcharakter des Virus.
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Anfänge
Als dann 1995 der Nord Lead auf den Markt kam, entschloss sich Kemper, ebenfalls einenvirtuellen Synthesizer zu bauen. Er tat sich mit Guido Kirsch zusammen, der die Firma Access gegründet hatte. Access baute damals SysEx-Programmer für Synthesizer, denen im Stil der 80er-Jahre wenig Bedienelemente mit auf den Weg gegeben wurden, wie etwa für den Oberheim Matrix 1000 Expander oder den Waldorf Microwave. Später trennten sich allerdings die Wege von Kemper und Kirsch.
Der Virus A wurde 1997 auf der Frankfurter Musikmesse vorgestellt und kam vor allem im Lager der Elektronikszene sehr gut an. Dankbar angenommen wurde der Virus anfangs vor allem in der Trance/HardtranceSzene, denn mit ihm konnte man die typischen, strahlenden Sounds sehr gut erzeugen; auch die interne Effektsektion war dabei sehr nützlich. Schnell setzte sich der Virus, der ständig verbessert wurde, auch in anderen Musikrichtungen durch. Die solide Hardware und sein Klang machten ihn zu einem weltweit verbreiteten Live- und Studio-Standard.
Viraler Effekt
Will man den viralen Effekt des Synths beschreiben, so ist es fast einfacher, diejenigen Künstler aufzuzählen, die den Virus noch nicht benutzt haben. Fast alles, was Rang und Namen hat, wurde schon mal von dem Synth angesteckt. Auf der Liste finden sich Namen wie Depeche Mode, Dr. Dre, Duane Buford (Ministry), Glen Ballard (Aerosmith, Christina Aguilera, Anastacia, Shakira, Backstreet Boys), Junior Vazquez, Matt Fink (Prince), Neptunes, Nine Inch Nails, No Doubt, Faithless, Fatboy Slim, Future Sound of London, Die Fantastischen Vier, Gary Numan, Massive Attack, Rickey Pageot (Madonna), Pet Shop Boys, DJ Sasha, Skinny Puppy und Thomas Dolby; selbst Synth-Großmeister Klaus Schulze war sich nicht zu fein, seine Studiorackwand mit mehreren Virus-Expandern zu verschönern.
Klangerzeugung
Die virtuell-subtraktive Klangerzeugung des Virus ist in den Grundzügen gleichgeblieben. Mit den Jahren sind lediglich weitere Oszillatormodelle, verbesserte Effekte und mehr Synthesemöglichkeiten dazugekommen. Der Virus A ist zwölfstimmig und verfügt über zwei Oszillatoren pro Stimme. Diese arbeiten mit den klassischen Wellenformen Sägezahn und Pulse (mit PWM), die sich stufenlos überblenden lassen. Außerdem stehen noch 63 spektrale Wellenformen zur Verfügung. Die Oszillatoren lassen sich synchronisieren und per Ringmodulation und FM modulieren. Für das Bassfundament sorgt ein Suboszillator.
An Bord sind auch zwei unabhängige Multimode-Filter mit Resonanz, die als Low-, Band-, Hi- und Kerb-Filter agieren und bis zu 36 dB Absenkung pro Oktave liefern können. Abgerundet wird das Ganze mit zwei ADSR-Hüllkurven, zwei LFOs und einer Effektsektion mit 22 Effekttypen inklusive Vocoder.
Virus-ABC
Die erste, rot-schwarze Desktopversion des Synths, der Virus A, ist z. T. noch mit Standard-Bauteilen ausgestattet. Das Gerät ist aber (wie alle »Viren«) sehr solide und Tourtauglich verarbeitet, was auch den Erfahrungen von Günther Kirsch beim Bau der Programmer zu verdanken ist. Das Konzept, keinen Klon eines Synth-Klassikers, sondern ein eigenständiges Instrument zu bauen, gestattete dem erfahrenen Keyboarder Kemper, das Äußere kompromisslos und bühnengerecht zu gestalten. Die meisten wichtigen Parameter liegen im Direktzugriff, und die Kreativität verliert sich nicht beim ausgedehnten Menue-Tauchen.
Der Virus B von 1999 ähnelte dem Vorgänger, war aber mit besseren Wandlern und mehr Stimmen ausgestattet.
2002 folgte der Virus C, dessen Polyfonie nochmals erweitert wurde und der mehr Synthese-Features bietet. Die C-Serie wurde in vielen Modellvarianten gefertigt (Desktop, Virus Indigo 2, Virus KC, Virus Rack XL). Auch als Software-Version war der Virus für die Powercore-Karte und die TDM-Schnittstelle verfügbar.
Bild: Archiv
Black Beauty: der Virus C
Bild: Archiv
Alle Virus-Modelle sind mit sechs Mono-Audio- bzw. drei Stereo-Ausgängen und zwei Eingängen
für externe Audiosignale ausgestattet. Vier Ausgänge können auch genutzt werden, um einen
Sound quadrofon im Panorama wandern zu lassen.
Bild: Bernhard Lösener
Bild: Bernhard Lösener
Die Access-Programmer für
den Microwave und den Oberheim
Matrix aus der Prä-VirusÄra
sind auf dem Gebrauchtmarkt
begehrt.
Bild: Archiv
Der Virus Indigo
Bild: Archiv
Die Schneekönigin: Der Virus
TI Snow ist ein kompakter
und formschöner Expander.
Integrationshelfer: IT-Serie
Mit der TI Serie (= Total Integration) betritt Access Neuland: Der Synth lässt sich jetzt nahtlos in die DAW einbinden und über die VST-, AU- oder RTAS-Schnittstelle als Plug-in betreiben, wobei fast alle Parameter automatisiert werden können. Die Soundeinstellungen werden mit dem jeweiligen Song abgespeichert, das Timing ist samplegenau. Die TI-Synth-Hardware kann auch als Audio- und MIDI-Interface genutzt werden. Die Version TI 2 arbeitet (außer dem Snow) mit zwei optimierten DSPs und kann auf noch mehr Rechenpower zurückgreifen. Die aktuelle OS-Version des Virus TI bietet u. a. Virtual Analog, Wavetable-Synthese, Hyper-Saw-Wellenform, Grain- and Formant-Tables. Es gibt drei LFOs, vier Hüllkurven pro Stimme, neue Filter- und Sättigungs-Effekte, neue Effekttypen wie etwa den Atomizer-Slicing-FX, Microtuning und vieles mehr.
Sound
Der Basis-Sound des Virus ist seit 1997 gleichgeblieben, auch wenn neue Oszillatormodelle und bessere Wandler dazugekommen sind. Der Virus verfügt über einen breiten und (für einen Digitalsynth) vergleichsweise warmen Grundklang. Wird der Suboszillator eingesetzt, besitzt er viel Druck; mithilfe der verschiedenen Sättigungsstufen, die eine Filterübersteuerung simulieren, werden überzeugende, aggressive und strahlende (Trance-)Sounds möglich, eine der Paradedisziplinen des Synths.
Immer schon war der Virus ein Allrounder, der eine große Bandbreite von Synth-Sounds erzeugen kann, sich aber dabei seinen eigenen, manchmal leicht körnigen und knochigen Klangcharakter bewahrt. Wirklich analog klingt der Virus aber in der Regel nicht, was aber kein Nachteil sein muss. Er kann dafür auch Dinge generieren, die Analogsynths nicht draufhaben, wie z. B. sehr schöne, nicht alltägliche Digitalsounds, die auch in Dubstep/Grime-Produktionen eine gute Figur machen. Superpraktisch sind vor allem auf der Bühne − neben dem leistungsfähigen Sequenzer und dem programmierbaren Arpeggiator − die (bis auf den mäßigen Vocoder) hochwertigen Effekte, die den Sound sofort richtig einkleiden.
Der Virus TI für die Beispiel-Sounds wurde uns freundlicherweise vom Music Store (www.musicstore.de) zur Verfügung gestellt.
Schöner Beitrag. Ich liebe den Access Virus! 🙂