Die kalifornische Audio-Manufaktur Manley hat einige moderne Studioklassiker geschaffen … die allerdings auch ein tiefes Loch ins Portmonee fräsen. Mit dem Core Channelstrip haben die Amerikaner erstmals ein Gerät entwickelt, das sich gezielt an preisbewusste Anwender richtet. Hören wir mal, ob die Mission geglückt ist!
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Um keine falschen Hoffnungen zu wecken: Mit einem Straßenpreis von rund 2.200,− Euro kostet der Manley Core zwar nur rund die Hälfte der sagenumwobenen Manley Voxbox, aber natürlich ist das immer noch eine Stange Geld. Am Gehäuse hat der Hersteller jedenfalls nicht gespart: Der Manley Core ist ein durch und durch amerikanisches Design mit einer heillos überdimensionierten, gut 6 mm starken Frontplatte aus gebürstetem Aluminium − da müssen die Bauxit-Minen mal wieder Überstunden machen. Der Rest des Gehäuses besteht aus robustem Stahlblech, und ist mit rund 18 cm nicht besonders tief für ein Röhrengerät. Das liegt, wie wir sehen werden, am Einsatz zeitgemäßer Technologie. Der Manley Core ist nämlich kein »old-school« Röhrengerät, sondern eine ausgewogene Melange aus Vintage und Moderne.
Aufbau
Viele moderne Röhrengeräte arbeiten mit Hybridtechnik, d. h., es kommt an einigen Stellen Transistortechnik zum Einsatz. Auch der Manley Force ist ein Hybridgerät, allerdings folgt die Aufteilung zwischen Röhren und Transistortechnik nicht dem üblichen Schema. Bei vielen Konkurrenzprodukten handelt es sich im Grunde »nur« um einen Transistor-Preamp mit zusätzlicher Röhrenstufe zur Klangfärbung. Der Manley Force arbeitet dagegen mit einer echten Röhren-Eingangsstufe, bestehend aus einem hochwertigen, von Manley selbst gefertigten Eingangsübertrager und zwei DoppeltriodenRöhren. Die Eingangsverstärkung übernimmt eine 12AX7 (= ECC83), den Ausgangstreiber bildet eine 6922 (= ECC88). Gegenüber einem Röhren-Preamp der alten Schule ist lediglich der Ausgangsübertrager entfallen. Ebenfalls eingespart wurde ein Eingangs- übertrager für den Line-Input; dieser arbeitet, ebenso wie der frontseitige Instrumenteneingang, übertragerlos. Die weiteren Bearbeitungsstufen − Kompressor, EQ und Limiter − arbeiten halbleiterbasiert.
Die vier Bereiche sind auf der Frontplatte optisch voneinander abgesetzt. Jede Sektion befindet sich auf einer eigenen schwarzen Platte, die in die gemeinsame grau-blaue Front eingelassen ist. Preamp, EQ und die blau hinterleuchtete Pegelanzeige sind rund, Kompressor und Limiter bilden zusammen mit dem in der Mitte liegenden EQ eine Ellipse. Über Schönheit kann man streiten, zumindest ist das Design originell und zweckdienlich, insofern es zur Übersicht beiträgt und die Bedienung erleichtert.
Es lohnt ein Blick auf die Rückseite. Hier gibt es getrennte Eingänge für Mikrofon- und Line-Signale (XLR, symmetrisch). Das erleichtert die Verkabelung im Studio, denn so lässt sich z. B. der Line-In auf eine Patchbay legen, während man das Mikrofon direkt anschließt − wegen der Phantomspeisung sollte man Mikrofoneingänge nicht auf eine (Klinken-) Patchbay legen.
Außer dem obligatorischen Line-Ausgang (XLR, symmetrisch) gibt es einen »Direct Output« (XLR, symmetrisch) und einen Insert-Punkt (Klinke, unsymmetrisch), die beide vor dem EQ und dem Limiter angesiedelt sind. Schade nur, dass der Insert nicht frontseitig schaltbar ist. Den Direct-Out kann man z. B. fürs Monitoring verwenden. Man könnte ihn auch zur Sicherheit parallel mitschneiden, falls sich die ursprünglich gewählten EQ-Einstellungen später als kontraproduktiv erweisen.
Im Einzelnen
Jede Sektion hat ihre Besonderheiten. Ungewöhnlich am Preamp ist vor allem das GainStaging. Das Input-Level-Poti ist mitnichten ein Gain-Regler. Vielmehr handelt es sich um ein variables Pad, das vor der Röhrenstufe greift. Die Verstärkung lässt sich nur in zwei Stufen umschalten, nämlich von 40 dB (Low) auf 60 dB (Hi). Ansonsten bietet die Preamp-Sektion die üblichen Standards: 48-VoltPhantomspeisung, Phasenumkehrschalter und Low-Cut.
Auch der Kompressor verlässt die eingetretenen Pfade. Er liegt nämlich nicht hinter dem Preamp, sondern interagiert mit diesem. Technisch sieht das wohl so aus, dass die Gain-Reduction wie der Level-Regler als variables Pad agiert, das heißt. den Pegel bereits vor der Röhrenstufe abfängt. Die Regelung erfolgt nach dem optischen Prinzip. Die Ratio ist mit 3:1 fest vorgegeben; der Compression-Regler steuert den Threshold. Die Attack- und Release-Regler laufen invers, d. h., die Regelzeiten werden umso kürzer, je weiter man das Poti aufdreht. Die minimale Ansprechzeit ist mit 5 ms eher gemächlich; die Rückstellzeiten sind relativ gesehen etwas flotter mit minimal 100 ms. Als einzige Sektion besitzt der Kompressor einen BypassSchalter.
Old Meets New:
Der Manley Core ist eine Kombination aus traditionellem Röhren-Preamp und transistorisierten Bearbeitungsstufen. Auch der innere Aufbau ist eine Melange aus alter und neuer Technik.
Der EQ ist ein Baxandall-Typ mit sehr weichen, breitbandigen High- und Low-Shelf-Filtern und einem semiparametrischen Mittenband. Der zentrale Schalter ist nicht, wie man vermuten könnte, ein Bypass, sondern ein Bereichumschalter fürs Mittenband (100 Hz − 1 kHz, 1 kHz − 10 kHz).
Der abschließende Limiter arbeitet mit einem FET als Regelelement. Die kurze Attack-Zeit von 0,155 ms ist fest vorgegeben, während die Release über einen recht weiten Bereich von 2,3 bis 300 ms regelbar ist − auch hier greift das Poti invers, d. h., bei Rechtsanschlag ergeben sich die schnellsten Regelzeiten. Ein zackig markierter Bereich am Ende des Regelwegs warnt davor, dass bei solch superkurzen Zeiten Verzerrungen auftreten können, insbesondere bei tieffrequentem Material. Einen Bypass-Schalter gibt es, wie angesprochen, nicht. Wann der Limiter eingreift, visualisiert eine einzelne LED. Das blau hinterleuchtete Zeigerinstrument dient ausschließlich als Gain-Reduction-Anzeige für den Kompressor bzw. als Pegelanzeige für den ersten oder zweiten Ausgang.
Praxis
Beim Einschalten gönnt sich der Manley Core erst einmal 30 Sekunden zum Aufwärmen; das VU-Meter blinkt, bis die Röhrenschaltung ihren Arbeitspunkt erreicht hat. Der Manley Core ist insgesamt recht leicht zu bedienen, und auch die Haptik überzeugt: Die Regler haben hochwertige Metallknöpfe mit weißen Markierungen, die sich auch im Dämmerlicht leicht ablesen lassen. Alle Potis haben einen angenehm hohen Drehwiderstand.
Ein paar Eigenheiten gilt es zu beachten. Dazu gehört vor allem das Gain-Staging des Preamps. Um den bestmöglichen Rauschabstand zu erzielen, sollte man den Input-Level-Regler möglichst weit aufdrehen und den Hi-Gain-Modus nur aktivieren, wenn wirklich entsprechend viel Verstärkung erforderlich ist.
Hier liegt in meinen Augen auch der größte Schwachpunkt des Geräts: Die Gain-Regelung in nur zwei Stufen führt in manchen Situationen zu erhöhtem Rauschen. Unproblematisch sind Kondensatormikrofone, die aufgrund ihrer hohen Empfindlichkeit selten mehr als 40 dB Gain benötigen. Hier kommt man praktisch immer zu rauscharmen Ergebnissen. Schwieriger wird es bei dynamischen Mikrofonen. Wechselt man nun zum Hi-Gain-Modus mit 60 dB Verstärkung, erhöht sich das Rauschen logischerweise um 20 dB − und zwar auch dann, wenn man eigentlich nur 50 dB Gain benötigt, denn die Pegelreduktion am Input-Level-Regler ändert am Preamp-Rauschen wenig, da sie ja den Mikrofonpegel vor der Verstärkerstufe reduziert.
Ansonsten gibt es viel Positives zu berichten. Klanglich bietet die Vorstufe alles, was man von einem klassischen Röhrendesign amerikanischer Prägung erwartet: Fett, Fleisch und Röstaromen. Aber nicht im Übermaß! Für die Beef-Momente des Recordings besitze ich selbst einen A-Designs MP-2 und einen Universal Audio LA-610. Der Manley Core Preamp liegt ziemlich genau in der Mitte: Er wirkt etwas rauchiger als der recht kultivierte MP-2, aber detaillierter und subtiler als der stark färbende LA-610. Das Ergebnis ist ein Allrounder mit Charakter: Der Manley Core dickt die Signale an, verleiht ihnen edles amerikanisches Hüftgold, färbt aber nicht so derb, dass man ständig abwägen müsste, ob’s nicht schon wieder zu viel des Guten ist.
Manley FORCE
Eng mit dem Manley Core Channelstrip verwandt ist der Manley Force Preamp (UvP: 3.093,— Euro, Straße: ca. 2.400,— Euro), der auf weitere Bearbeitungsstufen verzichtet, dafür aber gleich vier unabhängige Kanäle bietet. Die Preamps sind ähnlich aufgebaut wie die Vorstufe des Core Channelstrips — aber nicht identisch!
Die Force Preamps arbeiten mit einem anderen Eingangsübertrager (Manley Typ 6470 statt 6469), und die Röhrenstufe besteht aus nur einer 12AX7-Doppeltriode pro Kanal. Die zweite Doppeltriode vom Typ 6922 entfällt beim Force; der Ausgangstreiber arbeitet halbleiterbasiert. Das Klangbild ist dennoch sehr ähnlich; der Manley-Sound entsteht offenbar hauptsächlich in der Eingangsstufe. Auch das Bedienfeld ist nahezu identisch. Selbstverständlich bietet der Force die üblichen Standards wie Phantomspeisung, Phasenumkehr und Low-Cut. Einen Mic/Line-Umschalter sucht man indes vergeblich, denn der Force ist als reiner Mikrofonvorverstärker ausgelegt. Er bietet lediglich noch einen unsymmetrischen Direct-In mit hoher Eingangsimpedanz (10 MegaOhm), der primär für Instrumente mit Passiv-Tonabnehmern gedacht ist (z. B. E-Gitarre, Bass, Fender Rhodes).
Man kann ihn aber auch für Line-Signale verwenden. Das Gain-Staging ist vom Core übernommen; auch hier regelt der Input-Level-Regler ein variables Pad vor der Röhrenstufe, während die Grundverstärkung nur in zwei Stufen umschaltbar ist. Standardmäßig ist die Hi-Gain-Stellung hier aber nur 50 dB; wer mehr benötigt, kann sie durch Umstecken eines internen Jumpers (individuell pro Kanal) auf 60 dB erhöhen. In den meisten Fällen fährt man mit der Werkseinstellung besser. Durch den geringeren Pegelsprung lässt sich der gesamte Gain-Bereich besser nutzen, ohne dass es zu erhöhtem Rauschen kommt. Alternativ bietet sich die Möglichkeit, zwei Kanäle mit 50 dB und die beiden anderen mit 60 dB zu betreiben, um für alle Fälle gerüstet zu sein. Ansonsten ist der Force etwas rauschärmer als der Core (Eingangsrauschen −126 statt −124 dBu), was aber nur im Hi-Gain-Modus ins Gewicht fällt. Im Low-Gain Modus (40 dB) arbeiten beide Manley-Geräte sehr rauscharm.
Der Manley Core ist also kein One Trick Pony für Vocals, sondern veredelt auch transientenreiches Material mit komplexen Obertonstrukturen wie Akustikgitarre. Besonderes Lob verdient der sehr praxisgerecht ausgelegte Low-Cut. Zwar ist er mit 120 Hz recht hoch angesetzt, doch greift er sehr sanft zu und macht das Nutzsignal nicht kaputt. Auch der Direkteingang liefert knackige Klangergebnisse; seine Eingangsimpedanz ist mit 10 Mega-Ohm ungewöhnlich hoch, was insbesondere E-Bässen zu verbesserter Tondefinition verhilft.
Der Kompressor eignet sich bestens für einen unauffälligen Pegel – ausgleich. Effektkompression würde man an dieser Stelle ohnehin kaum betreiben wollen. Die Funktionsweise nach dem optischen Prinzip bedingt ein etwas erratisches, durchaus reizvolles Regelverhalten; die besten Ergebnisse erzielte ich mit etwas längeren Attack- und Release-Zeiten. Die Regelwege sind sinnvoll gewählt, sodass man flott und ohne Millimeterarbeit zu musikalischen Ergebnissen kommt. Richtig eingestellt, wird die Dynamik verdichtet, während gleichzeitig die Attacks leicht betont werden und dem Klang Kontur verleihen. Der von der Voxbox übernommene Ansatz, die Kompression in die Preamp-Schaltung zu integrieren, sorgt für hohe Klangtransparenz. Denn hier werden Pegelspitzen bereits vor der Röhren-Eingangsstufe abgefangen.
Auch der Equalizer arbeitet sehr transparent. Mit seinen butterweichen, sehr breitbandigen Bass- und Höhenfiltern lässt sich die Klangbalance sehr musikalisch nachjustieren. Das halbparametrische Mittenband arbeitet ähnlich sanft und eignet sich gut für kleine Klangkorrekturen, etwa um Überbetonungen auszugleichen oder Mitten-Mulm zu beseitigen. Kurzum: Der Core-EQ ist ein Ent-Zerrer im eigentlichen Wortsinn. Chirurgische Eingriffe macht man heute sowieso besser mit einem hochpräzisen digitalen Klang-Skalpell auf DAW-Ebene.
Der Limiter hilft, schnelle Pegelspitzen schon bei der Aufnahme abzufangen. Für brachiales Pushen eignet er sich weniger. Behutsam eingesetzt, sorgt er für Signale, die bereits weitgehend »fertig« wirken, sobald sie auf der Festplatte landen. Das ist ein oft unterschätzter Vorteil gerade im heutigen Workflow, denn wenn man Spur für Spur einspielt, baut ja jedes neue Element auf das Vorangegangene auf. Umso wichtiger ist es, mit »gesunden« Signalen ein solides Fundament zu legen.
Natürlich wären Bypass-Schalter auch für den EQ und den Limiter hilfreich gewesen. So richtig vermisst habe ich die Bypass-Funktion aber nicht, denn alle Bearbeitungsstufen arbeiten sehr artefaktarm. Anders als man es bisweilen von billigeren Geräten kennt, muss man nie zwischen erwünschter Bearbeitung und den damit verbundenen Nebenwirkungen abwägen. Der Manley Core verschlimmbessert nicht, hier gibt’s ne erotische Klangmassage mit Happy End.
Fazit
Der Manley Core Channelstrip ist ein Rundum-Sorglos-Paket, das ganz in die heutige Zeit passt. Die Vorstufe bietet klassischen amerikanischen Klangcharakter ohne Abstriche, denn sie ist ganz old-school aufgebaut: dicker Übertrager plus Röhrenschaltung. Die übrigen Bearbeitungsstufen arbeiten halbleiterbasiert, sind aber gekonnt in den Signalfluss integriert. Denn sie arbeiten so transparent und artefaktarm, dass sie den charaktervollen Grundsound des Röhren-Preamps behutsam kneten, ohne ihn kaputt zu machen. So macht Hybridtechnik Spaß!
Konzessionen an den Kaufpreis werden nur an wenigen Stellen deutlich. Bypass-Schalter für alle Sektionen wären wünschenswert, aber man kommt schon klar. Sinnvoll wäre auch eine Gain-Regelung in mehr als nur zwei Stufen gewesen. Wer jedoch vorwiegend mit Kondensatormikrofonen arbeitet, kann diesen Punkt getrost ignorieren. Entscheidend ist, wo nicht gespart wurde, nämlich an der Verarbeitungs- und Klangqualität: fetter Sound in fettem Gehäuse!
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