Melbourne Instruments Nina – analoger Desktop-Synthesizer im Test
von Joker Nies,
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Voll analoger Signalpfad? Alle variablen Parameter motorbetrieben? Das klingt wie Science-Fiction, oder wird hier ein alter Traum wahr?
(Bild: Joker Nies)
Ich kann mich noch an angeregte Diskussionen erinnern, bei denen wir uns vorstellten, wie ein idealer Synthesizer aussehen sollte. Wir dachten damals schon an motorbetriebene Potis, um einen Sound exakt reproduzierbar zu machen und dabei immer die aktuellen Reglerstellungen vor Augen zu haben. Das war vor gefühlten zwei Jahrzehnten natürlich nur eine Traumvorstellung, denn die zur Steuerung nötige kompakte Computer-Power war noch nicht in Sicht.
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Die Zeiten änderten sich rapide. Und reichlich Rechenleitung in Form von Mini SOC-Computern (SOC = System on a Chip) gibt es inzwischen in diversen aktuellen Synthesizern. So verwundert es nicht, dass sich die cleveren Designer aus Melbourne an die Aufgabe gemacht haben, sich des Themas »Total-Recall« auf dem gegenwärtigen technischen Niveau anzunehmen.
Bereits beim Herausheben aus dem Karton deutet sich an, dass die Australier es ernst meinen: Satte 5,5 kg wollen bewegt werden. Auf den ersten Blick erstaunlich viel für die kompakten Ausmaße, bedenkt man aber die für zwölf analoge Stimmen nötige Hardware, die 32 Motordrehgeber und die fette Konstruktion aus Stahlblech und Aluseiten, passt das schon. Built to last!
Auf der Rückseite befinden sich neben den vier Ein- und Ausgängen ein Kopfhöreranschluss sowie ein konventionelles MIDI-Trio. Eine direkte MIDI-Verbindung zur DAW gibt es aber auch per USB-C. Außerdem vorhanden sind zwei USB-Host-Anschlüsse für externe Controller, Keyboards und USB-Sticks zur Datenübertragung.
Innovationen!
Motorbetriebene Fader haben wir seit Jahren in diversen DAW-Controllern. Bei Motor-Potis sieht das schon anders aus: Die kennt man höchstens vom großen Lautstärke-Poti am HiFi-Verstärker. Melbourne Instruments hat daher gleich einen eigenen motorbetriebenen Drehgeber entwickelt, der nicht nur als Poti eingesetzt werden kann. Das Prinzip beruht auf einem extrem robusten und bürstenlosen Dronen-Motor-Design.
Das Lifetime-Rating dieser Motordrehgeber entspricht mit 50 Millionen Zyklen etwa der 500-fachen Lebensdauer normaler Potentiometer. Neben der Funktion als reine Potis können sich die Drehgeber auch wie Schalter verhalten, mit deutlich wahrnehmbarer Schalthaptik, bei der für den Schaltvorgang ein gewisser Widerstand nötig ist. Das fühlt sich so gewohnt an wie bei typischen Drehschaltern. Auch der bei verschiedenen Funktionen wirksame Mitten-Notch fühlt sich an wie bei einem konventionellen Poti.
Der Signalpfad
… orientiert sich auf den ersten Blick an Traditionellem: drei Oszillatoren + Noise, 24-dB-Ladder-Filter, je zwei LFOs und ADSR-Hüllkurven. Zwölf Stimmen verteilen sich auf bis zu vier Layer, die auf vier Ausgänge (1+2 Stereo) verteilt werden können. Die Effektabteilung mit drei FX-Slots im Stereoausgang bietet Chorus, Delay und Reverb in guter Qualität.
Über vier Eingänge auf der Rückseite können Signale durch den Mischer in den Filter geleitet oder als Modulations-Signale genutzt werden. VCO 3 ist ein Wavetable-Oszillator mit austauschbaren Wavetables, der jede Menge bewegter Klangfarben beisteuern kann. Im LFO-Modus lässt er sich auch gut als Modulationsquelle nutzen. VCO 1+2 dagegen sind gleich aufgebaut und lassen sich von einer Dreieck- bzw. Sägezahn-Welle zum Rechteck überblenden. Der Width-Regler bestimmt dabei die Pulsbreite sowohl der Rechteck-Schwingung als auch des Sägezahns.
Die Grundwellenformen lassen auf dem Scope bereits viel Charakter erkennen. Das steigert sich durch Modulation von Width und Blend, z. B. durch einen LFO, zu vielfältig dynamisch veränderbaren Wellenformen, die dann in das 24-dB-Ladder-Filter münden. Wer hier an Moog denkt, liegt nicht ganz falsch. Damit das Filter ähnlichen Druck entwickelt, gibt es gleich zwei Overdrive-Stufen. Der Drive-Regler arbeitet recht dezent, verdichtet das Signal etwas und dämpft die Resonanzfreudigkeit. Der Overdrive-Taster legt eine ordentliche Schippe Pegel drauf, bläst das Signal mächtig auf und reduziert Resonanz-Gezwitscher deutlich. Die Hüllkurven sind perfekt skaliert, blitzschnell und besonders bei den kürzesten Zeiten sehr hoch aufgelöst.
Modulationen? Nichts leichter als das!
Die Entwickler haben besonderen Wert auf intuitive Bedienbarkeit ohne großes Menü-Diving gelegt. Das zeigt sich in der simpel, aber effektiven Weise wie man Modulations-Verknüpfungen erstellt: Nach Druck auf den MOD-Taster ist mit den 16 unteren Tastern jeweils eine Modulations-Quelle anwählbar. In diesem Moment springen sämtliche Regler in die Mittelstellung mit Notch, von der aus sich die Modulations-Intensität ins Positive oder Negative regeln lässt. Zu den Quellen zählen nicht nur LFOs, Hüllkurven oder Velocity, sondern z. B. auch der Wavetable Oszillator (Wave) oder MIDI-CCs. Als Ziele stehen fast alle Regler auf der Front zur Verfügung, was insgesamt 30 sind. Dank der vier Eingänge lassen sich auch Steuerspannungen von externen Geräten nutzen.
Hands-On, Finger weg!
Beim Einschalten vergehen zunächst 12 Sekunden, in denen der Bildschirm dunkel bleibt, bis das Latenz-optimierte Elk Audio OS Linux auf dem Rasberry Pi 4 gestartet ist. Nun heißt es erstmal Finger weg von den Reglern, denn diese führen ein Kalibrierungs-Ballett auf, bei dem sie nicht berührt werden wollen. Das gilt auch für die meisten Umschaltvorgänge beim Editieren, wenn die Regler in die nötige Position schnellen.
Die Haptik der Regler selbst ist absolut überzeugend. Dreht man sie bei ausgeschaltetem Gerät, fühlt man bei schnellen Bewegungen eine leichte Art magnetischen Widerstands. Im Betrieb als Potis weisen sie eine leichte Dämpfung und Rechts/Links-Anschlag auf, wie man das von normalen Potis kennt.
Klangreichtum.
Man könnte jetzt denken, dass das mächtige 24-dB-Ladder-Filter die klanglichen Möglichkeiten von Nina auf Moog’sche Gefilde reduziert. Aber dank des Wavetable-VCO und den umfangreichen Modulations-Möglichkeiten kann davon keine Rede sein. Smooth seidige Pad Sounds, Sync-Lead Screamer oder verstiegene FX-Modulations-Monster gelingen genauso wie kernige Bass-Attacken oder subtile MPE-fähige Chord-Sounds.
Ein Bonbon und Super-Feature habe ich mir für den Schluss aufbewahrt: Morph! Das Motorpoti ganz rechts unten kann zwischen zwei Sounds morphen. Damit ist nicht etwa eine simple Überblendung zwischen zwei Klängen gemeint, sondern die kontinuierliche Veränderung aller Parameter, was zu eigenständigen In-Between-Sounds führt.
Fazit.
Ich bin überzeugt …wäre da nicht ein winziges Problem: das Loch in meinem Portmonee. Der Preis ist heiß, allerdings ob der geballten Hardware, der wohl durchdachten Funktionalität und der Neuerfindung des Motor-Potis durchaus gerechtfertigt. Wer es sich leisten kann, bekommt dafür einen Klangboliden im dezenten Understatement-Gewand eines 70er-Jahre Mini-Computer Terminals, an dem man wunderbar analoge Klänge »programmieren« kann.