Viele chinesische Hersteller bieten im Grunde immer wieder die gleichen Modelle in wechselnder Verpackung an. Nicht so Mic W: Der Schallwandler des T551 misst satte 1,5 Zoll, und noch dazu ist die Membran aus Titan gefertigt. Wie klingt’s?
Hierzulande kennt man Mic W vor allem als Hersteller hochwertiger Aufsteckmikrofone für iPhone und iPad (s. S&R 9.2011). Tatsächlich fertigt die chinesische Manufaktur Mic W schon seit vielen Jahren »seriöse« Messmikrofone; inzwischen finden sich im Portfolio aber auch von diesen Messmikros abgeleitete Kleinmembran-Kondensatormikrofone für Aufnahmezwecke. Der Sprung zum Großmembranmikrofon T551 scheint dennoch gewaltig. Denn während die Kleinmembranserie für hohe Linearität und Klangtreue steht, macht das T551 überhaupt keine Anstalten in diese Richtung.
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Schon das Äußere deutet eine Retro-Ästhetik an. Das T551 misst 16,4 cm bei einem Durchmesser von 4,5 cm und wirkt mit seinem abgesetzten Kapselkopf ein bisschen wie ein verkleinertes Vorkriegsmikro. Übrigens gab es einmal ein Lollipop-Mikrofon von Neumann Ost (heute Microtech Gefell) mit der Typenbezeichnung CMV 551, ein Vorläufer des bekannten CMV 563 − vielleicht war dies die Inspiration für Mic W? Das Innenleben hat mit historischen Vorbildern indes wenig gemein: Das T551 arbeitet mit einer monströsen Kapsel von 1,5 Zoll (38 mm) Außendurchmesser; der schwingfähige Teil der Membran misst immerhin noch 28 mm. Eklatanter könnte der Unterschied zu den bisherigen Halb- und Viertelzollkapseln kaum ausfallen.
Höchst ungewöhnlich ist auch die übrige Kapselkonstruktion: Die Membran besteht aus Titan. Wie uns der Hersteller versicherte, handelt es sich dabei nicht etwa um eine mit Titan bedampfte Kunststofffolie, sondern um eine echte Metallmembran. Während in den 50ern Metallmembranen State of the Art waren − damals vorwiegend aus Nickel −, gerieten sie später etwas ins Abseits, zumindest im Bereich Recording. Hochwertige Messmikrofone verwenden bis heute häufig Metallmembranen − und da konnte Mic W bereits rund 20 Jahre Erfahrung sammeln.
Zu den Vorzügen von Titan gehört ein relativ geringes spezifisches Gewicht bei hoher Festigkeit, außerdem ist Titan sehr korrosionsbeständig − alles günstige Eigenschaften für die Verwendung als Membranmaterial. Die Dicke spezifiziert der Hersteller mit 5 Micron (= tausendstel Millimeter). Das klingt dünn, ist aber − sofern die Angabe stimmt − deutlich dicker als etwa die Titanmembran des Neumann M150 oder die Nickelmembranen historischer Röhrenklassiker wie dem KM54.
Deren Kapseln sind aber auch sehr viel kleiner. Eine so große Metallmembran wie die des T551 ist meines Wissens einzigartig, und wir dürfen gespannt sein, wie so etwas klingt.
Schauen wir mal kurz ins Innere: Nanu? Bis auf ein winziges Platinchen mit ein paar Widerständen und Koppelkondensatoren ist die schwarze Gehäuseröhre komplett leer! Des Rätsels Lösung steckt im Kopf. Dort sitzt die eigentliche Elektronik direkt hinter der Kapsel. Wobei auch hier keine großen Geheimnisse lauern, sondern ein schlichter übertragerloser Impedanzwandler: Der ganze Sound steckt in der Kapsel!
Messungen
Die Wertigkeit des T551 unterstreicht der Hersteller durch die Vergabe von Seriennummern und einem individuellen Frequenzdiagramm, das jedem Mikrofon in seinem gepolsterten Plastikkoffer beiliegt. Trotzdem haben wir natürlich selbst nachgemessen − nicht nur, um die Datentreue nachzuprüfen, sondern auch, weil unsere Messungen im Gegensatz zu den üblichen Herstellermessungen nicht in einer reflexionsarmen Messkammer stattfinden, sondern unter praxisnahen Bedingungen in einem gewöhnlichen Aufnahmeraum bei 33 cm Abstand zur Schallquelle.
Die grundsätzliche Tendenz der Herstellermessung bestätigt sich: Bis etwa 10 kHz steigt der Pegel stetig an, um darüber all – mählich wieder abzufallen. Der −6-dB-Punkt liegt bei etwa 15 kHz; das ist für eine Großmembrankapsel gar nicht schlecht und für eine »übergroße« Kapsel wie die des T551 sogar richtig gut. Was der Hersteller-Plot verschweigt, ist eine kräftige Präsenzanhebung bei etwa 2,5 kHz. Linearität oder Neutralität liegt dem T551 also nicht im Blut.
Das T551 liefert einen enorm starken Pegel. Das Testexemplar entspricht recht genau der Herstellerspezifikation von 40 mV/Pa (−28 dB re 1 V/Pa). Das Eigenrauschen gibt Mic W im Text des Manuals mit 18 dB-A an, in der Tabelle mit 22 dB-A. Das Testexemplar performt sehr viel besser als angegeben und kommt auf etwa 11 dB-A. Damit ist Rauschen kein Thema.
Der Grenzschalldruckpegel ist mit 130 dB SPL bei 1 % THD spezifiziert. Das sollte für alle üblichen Anwendungen genügen. Verzerrungen sind eher zu befürchten, wenn ein – fache Mikrofonvorverstärker zum Einsatz kommen, die den hohen Pegel des Mikrofons nicht verarbeiten können; über eine schalt – bare Pegelabsenkung verfügt das T551 nämlich nicht.
Praxis
Vorab ein Tipp zum Handling: Das T551 wird mit einer originellen »Monokel«-Halterung geliefert. Diese sollte man ungedingt so anbringen, dass der Haltearm auf der linken Seite liegt. Ansonsten lockert sich nämlich die Schraubverbindung aufgrund der Hebelwirkung des Mikrofongewichts.
Im Praxistest habe ich das T551 u. a. mit meinem KM 88 verglichen, Neumanns letztem Mikrofon mit Nickelkapsel. Es sollte sich aber bald herausstellen, dass die beiden außer den Metallmembranen wenig gemein haben. Während das alte KM 88 sich sehr Kleinmembran-typisch gibt und bis auf eine leichte Höhenanhebung wenig Eigenklang entwickelt, präsentiert sich das T551 als echter Soundmacher. Die Klangbalance ist wie mit einem Tilt-EQ zugunsten der oberen Frequenzen verschoben. Damit eignet sich das T551 vorwiegend für Signale, die andere Mikros oft zu bassig und undifferenziert abbilden. Ein Paradebeispiel wäre NylonsaitenGitarre in einem Pop-Kontext. Auch tiefe Männerstimmen, die immer mit Bassmulm zu kämpfen haben, sowie obertonarme Stimmen auch höherer Stimmlagen profitieren vom besonderen Klangverhalten des T551. Die Präsenzanhebung bei 2,5 kHz sorgt für besondere Durchsetzungskraft. Umgekehrt gibt es aber auch Signale, die überhaupt nicht passen, beispielsweise Blechbläser oder Stimmen mit starker Nasalität bzw. hoher Präsenz. Martin Semmelrogge über das T551 mag ich mir gar nicht erst vorstellen!
Insofern fällt es nie schwer, sich für oder gegen das T551 zu entscheiden: Entweder es passt, oder es passt überhaupt nicht. Eigentlich genau wie bei einem Bändchenmikro, nur mit vertauschter Frequenzverteilung: Während das Bändchen in den Höhen Milde walten lässt und den Bassbereich dick auspolstert, verschlankt das T551 den Bass und poliert das Blech in den oberen Frequenzen. Als »Anti-Bändchen« ist das T551 genauso wenig Allrounder wie ein Ribbon, sondern ein Spezialmikro, das man immer dann auspacken sollte, wenn sich ein Signal in einem dichten Mix durchsetzen soll.
Dabei liefert das T551 ein »fertiges« Klangbild, das nur selten EQ-Korrekturen erfordert. Bisweilen bietet es sich an, im Bereich der kräftigen Präsenzanhebung etwas gegenzulenken, denn die steht nicht jedem Signal gut. Andererseits hat diese HochmittenNase aber einen nicht unerheblichen Anteil am unverwechselbaren Sound dieses Mikros, der − Titan hin oder her − durchaus auch ein herzhaftes Vintage-Flair versprüht. Man glaubt fast, es sei eine Röhre im Spiel.
Fazit
Das T551 ist ein echtes Charaktermikro, das überhaupt keinen Hehl aus seiner markanten Klangfärbung macht. Klassik-Tonmeister der alten Schule werden die Nase rümpfen, Rock’n’Roller und Experimentierfreudige sagen: Geil, noch eine Farbe in meinem Malkasten! Keine Frage, das T551 polarisiert. Auch in der Anwendung: Entweder es passt, oder es geht gar nicht − dazwischen bleibt nicht viel.
Als erste Mikrofonanschaffung würde ich das T551 nicht empfehlen, denn ein Tausendsassa ist es definitiv nicht. Vielmehr bietet es sich als Ergänzung für all jene an, die die üblichen Positionen bereits besetzt haben und etwas Neues, Unerhörtes suchen. Ich glaube, das T551 ist das eigenwilligste Mikro, das ich je getestet habe. Das krasse Gegenteil vom 08/15-Chinamikro.