Hall-Plug-ins auf Basis von Impulsantworten gibt es inzwischen eine ganze Menge. Reflektor von Native Instruments erweitert das bewährte Konzept mit flexiblen Eingriffsmöglichkeiten und frischen Ideen.
Die erste ungewöhnliche Eigenschaft von NI Reflektor ist, dass es sich gar nicht um ein Plug-in handelt. Reflektor ist eine Erweiterung für Guitar Rig 4 – aber keine Angst: Sie können Reflektor auch nutzen, ohne im Besitz einer GR4-Lizenz zu sein, denn neuerdings bietet der Berliner Hersteller den Guitar Rig 4 Player als kostenlosen Download an. Die Marschrichtung ist klar: Guitar Rig mutiert vom reinen Gitarren-Simulanten zu einem flexiblen Modularsystem für Effekte aller Art. Viele Produzenten nutzen ja bereits Guitar Rig als universelle Toolbox für kreative Verfremdungen und Special Effects.
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Nichtsdestoweniger lässt sich der Guitar Rig 4 Player aber auch ganz traditionell für Amp-Simulation nutzen; im frei empfangbaren Lieferprogramm enthalten ist der Gitarrenverstärker Jump, die Nachbildung eines getunten Marshall JCM800 (Eddie Van Halen lässt grüßen) samt der passenden Box, dazu ein klassischer Ibanez-grüner Overdrive (Skreamer) sowie Chorus/Flanger, StudioReverb, Delay Man,Twin Delay, zwei einfache Equalizer sowie ein vom Pro-53 entliehenes Synthesizer-Filter,Tube Compressor, Limiter, Volume Pedal, Noise Gate und Noise Reduction. Hinzu kommen noch diverse Modifier (LFO, Envelope, Step Sequencer, Analog Sequencer) und Tools (Splitter, Crossover).
Der Guitar-Rig-4.1-Installer ist übrigens für alle Versionen derselbe, den Unterschied zwischen den Ausbaustufen Pro, Essential und Player macht alleine die Produktaktivierung über das NI Service Center. Wie gehabt läuft Guitar Rig – und damit auch Reflektor – auf Mac OS X (ab 10.5 und Intel Core Duo) und PC (ab XP, Vista und Windows 7, auch 64- Bit). Soweit zum Rahmenprogramm. Widmen wir uns dem eigentlichen Testobjekt.
Reflektor wird ganz normal mit einem Installer auf den Rechner gespielt und erscheint beim nächsten Aufruf von Guitar Rig 4 (Pro,Essential oder Player) im Components-Browser unter Reverbs bzw. mit eigenem Eintrag in der Products-Ansicht. Aktiv wird Reflektor, indem man das Icon vom Browser-Fenster nach rechts ins Rack zieht
Einen kleinen Fallstrick sollte man gleich beachten: Um die Stereofähigkeiten voll zu nutzen, muss man natürlich beide Eingangskanäle von Guitar Rig aktivieren – anders als bei Gitarrenanwendungen, die üblicherweise ja nur einen Eingang benötigen. Außerdem sollte man den Regler des Eingangs-Gates auf Linksanschlag drehen, denn anders als in der Gitarrenwelt müssen in der reinen Hall-Anwendung ja keine Brummgeräusche unterdrückt werden. Leider kann man diese Einstellungen derzeit nicht mit dem Preset abspeichern; beim Aufrufen einer Reflektor-Hall-Instanz sind daher immer ein paar Handgriffe vonnöten.
Andererseits bietet das Konzept der Rahmensoftware Guitar Rig aber den Vorteil, dass komplexe Effektketten gebildet werden können. Und natürlich bietet sich für Gitarristen nun die Möglichkeit, Hall in Studioqualität ins Setup zu integrieren. Reflektor ist nämlich trotz Faltungshall-Technologie latenzfrei und bremst daher die Spielfreude nicht im Geringsten – ganz im Gegenteil!
Library
Reflektor wird mit einer recht umfangreichen Bibliothek an Impulsantworten geliefert. Entpackt belegen die Raum-Samples rund 370 MB. Neben den Native-Impulsantworten, die in einem proprietären Format vorliegen (GRIR), können auch beliebige Fremd-IRs im PCM-Format (WAV, AIFF) und im Space-Designer-Format (SDIR) geladen werden.
Die mitgelieferte Library mit rund 350 Impulsen ist in 15 Kategorien unterteilt (Big Halls, Medium Halls, Cathedrals, Churches, Chambers, Big Studios, Medium, Rooms, Small Rooms, Medium Ambiences, Small Ambiences, Long Plates, Short Plates, Springs, Special). Innerhalb dieser Kategorien sind die Impulsantworten nach einem logischen Schema benannt, das sofortige Orientierung bietet: Dem eigentlichen Namen ist die Hallzeit in Sekunden vorangestellt, sodass sich die Hallfahnen automatisch nach Länge staffeln. Gefolgt ist der Eigenname von einem Hinweis auf den Ursprung: real, digital, processed oder synthetic.
Reflektor ist also nicht allein auf echte Räume abonniert, sondern bietet auch jede Menge Impulsantworten von algorithmischen Reverbs, elektromechanischen Hallgeräten (Federhall und EMT 140) sowie simulierten Räumen und komplex verwursteten Responses. Die meisten Impulse-Responses haben einen aussagekräftigen Namen, der auf die angestrebte Verwendung hindeutet; von wenigen Ausnahmen wie der „One Forty Plate” abgesehen, finden sich aber kaum Hinweise auf die Hersteller oder Modellbezeichnungen der geklonten Gerätschaften bzw. der gesampelten Örtlichkeiten.
Oberflächlich betrachtet
Reflektor bietet so einige Eingriffsmöglichkeiten, mit denen sich der Impuls-Reverb fast wie ein algorithmischer Hall formen lässt. Der zentrale Decay-Regler kann die Hallfahne verkürzen oder verlängern; die Neutralstellung ist bei etwa 2 Uhr mit einem Punkt markiert. Übrigens lassen sich alle Regler per Doppelklick in ihre Neutralposition zurückrufen. Über den Size-Regler lässt sich die gefühlte Größe des virtuellen Raums verändern, ohne dass dabei die Hallfahne wesentlich länger oder kürzer wird. Der StartRegler ist eine Art Truncate-Funktion, über den die Impulsantwort vorne beschnitten wird, beispielsweise um die Frühreflexionen zu entfernen, sodass eine wolkig glatte Hallfahne entsteht. Interessant ist es aber auch, sehr lange Hallfahnen z. B. aus den CathedralImpulsen sehr weit zu beschneiden, was einen kurzen Hall mit eigenartig weitem Klangcharakter erzeugt.
So richtig in den Bereich der Special Effects gelangt man über die Reverse-Funktion, bei der sich die Entwickler mächtig ins Zeug gelegt haben, vielleicht weil 80er-Jahre-Sounds wieder auf dem Vormarsch sind. Beim Betätigen des Reverse-Schalters wird der R-Pos-Regler aktiv, der bestimmt, an welcher Position die Hallfahne umgedreht wird. Auf diese Weise können die frühen Reflexionen vorwärts und die Hallfahne Rückwärts erzeugt werden. Hört sich seltsam an, klingt aber wirklich klasse. Hochinteressant, nicht nur für Rückwärtshall, ist die Sync-Funktion, die sowohl auf das Abklingverhalten als auch auf die Vorverzögerung wirkt. Beim Drehen an den Decay- und Predelay-Reglern werden nun Notenwerte angezeigt. Und im Handumdrehen „atmet” der Vorwärts- oder Rückwärtshall passend zum Songrhythmus – genial!
Die restlichen Regler dienen Verfeinerungen. „Width” bestimmt nicht die Breite des Hall-Effekts, sondern die Stereobreite des Eingangssignals für die Hallberechnung. Auf Linksanschlag ist Reflektor klassisch MonoIn, Stereo-Out; auf Rechtsanschlag wird das Eingangssignal stereo verhallt. Anscheinend werden dafür aber keine separaten Impulse für links und rechts verwendet wie bei SIR 2 im True-Stereo-Modus. Dennoch entsteht ein recht detaillierter Stereoeindruck.
„Depth” regelt dagegen die gefühlteTiefe des Hallraums – eine prima Sache zum Erzeugen von Tiefenstaffelung im Mix. Bei der EQ-Sektion handelt es sich eigentlich nicht um einen traditionellen EQ, denn er befindet sich nicht hinter dem Hall-Effekt, sondern wirkt auf die zugrundeliegende Impulsantwort – überhaupt werden die meisten Parameter auf die Impulsantwort berechnet, weshalb Werteveränderungen immer erst nach einem kurzen Augenblick hörbar werden. Native Instruments rät deshalb vom Automatisieren der Parameter ab.
Dafür wirkt sich die gewählte Methode aber positiv auf die Natürlichkeit der Klangergebnisse aus. Parameterveränderungen lassen den Hall nicht unglaubwürdig erscheinen, wie es bei manch anderem Faltungshall der Fall ist. Das gilt insbesondere für die Lo-Env- und Hi-Env-Regler, die das Abklingverhalten in den tiefen und hohen Frequenzen modifizieren. Je nach Impuls und dem darin enthaltenen Frequenzspektrum ist ihre Wirkung mehr oder minder stark; die Eingriffe wirken aber immer natürlich.
Performance & Praxis Unter Cubase 5.1 ließen sich auf dem Testrechner (Intel Q6600 Quadcore @ 2,4 GHz, Windows XP SP3) maximal 40 Stereoinstanzen eines 2,6-Sekunden-Halls verwenden. Der Hi-Modus in Guitar Rig war nicht aktiviert, denn für reine Hall-Effekte bringt das interne Oversampling nicht so viel wie für Gitarrensounds. Auch der RAM-Verbrauch ist moderat. Beim Anlegen zeigte der Task-Manager einen Speicherverbrauch von knapp einem Gigabyte an, was angesichts von 40 Impulshall-Instanzen bereits ziemlich wenig ist. Nach ein paar Minuten halbierte sich der RAM-Bedarf sogar fast. Reflektor darf man somit als sehr ressourcenschonend einstufen. Sehr angenehm ist auch die latenzfreie Arbeitsweise. Damit lässt sich der Hall schon beim Einspielen von Softsynths verwenden, ohne dem Spielgefühl seine Direktheit zu nehmen. Ein dickes Plus für alle, die nicht erst beim Mix die Effekte auspacken, sondern bereits beim Aufnehmen Sounds verfeinern möchten.
Die Einbindung von Reflektor in Guitar Rig hat seine Vor- und Nachteile. Gewöhnungsbedürftig ist, auf der Suche nach einem Hall-Effekt eine Amp-Simulation zu laden. Gerade am Anfang benötigt man einige Handgriffe mehr, bis der gewünschte Reverb insertiert ist. Insofern würde man sich zur Verbesserung des Arbeitsflusses zusätzlich ein eigenständiges Reflektor-Plug-in wünschen. Andererseits eröffnet die Einbindung in Guitar Rig einige außergewöhnliche Möglichkeiten in Zusammenhang mit all den anderen Effekten.
Fazit
Mit Reflektor ist Native Instruments ein toller Faltungshall gelungen, der einige nicht alltägliche Funktionen und Eingriffsmöglichkeiten bietet. Hervorzuheben sind die Temposynchronisation und der äußerst gelungene Reverse-Hall, der durch den R-Pos-Regler eine ganz neue Dimension erhält. Besondere Stärken sind echte Räume und Effekt-Sounds. Für poppigen Märchenhall irgendwo zwischen Fiktion und Realität eignen sich algorithmische Hall-Erzeuger à la Lexicon nach wie vor besser. Nichtsdestotrotz deckt die mitgelieferte Library praktisch alles ab, was man an Raum und Reverb benötigt, und über FremdImpulse lässt sich das Repertoire noch erweitern.
Empfehlenswert ist Reflektor für jeden Bedarf. Profis dürfen sich an der latenzfreien Arbeitsweise erfreuen, Einsteiger wird vor allem der günstige Preis begeistern, zumal Native Instruments mit der Rahmensoftware Guitar Rig 4 Player auch noch ein Gitarrensetup frei Haus mitliefert. Das hätte man sich in den Achtzigern gewünscht: Hallgerät gekauft und einen Marshall als Werbegeschenk mitgenommen!