Wenn es je einen Studiostandard gegeben hat, dann das Neumann U 87. Seit 45 Jahren gehört es zur Grundausstattung jedes namhaften Tonstudios weltweit. Was ist das Geheimnis dieser beispiellosen Erfolgsgeschichte?
Weltweit, vor allem natürlich in Fernost, werden zahllose Großmembranmikrofone gefertigt, die ein U 87 sein möchten. Doch bleibt jede Kopie ein Verweis auf das Original. Ihr Anblick verschafft keine Befriedigung − ganz zu schweigen vom Klang! So schürt die Kopie stets aufs Neue den Wunsch nach dem wahren Objekt der Begierde, und sobald es das Budget zulässt, erwirbt so mancher irgendwann doch das Original. Fakt ist, dass sich das U 87 trotz zunehmender Konkurrenz ungebrochener Beliebtheit erfreut. Aber das ist nur ein Aspekt. Dieses Mikro ist ein Mythos.
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Historisch
Anno 1967, als das U 87 auf den Markt kam, war es eines der ersten FET-Mikrofone überhaupt. Zu jener Zeit war die Studiotechnik bereits weitgehend transistorisiert, nur die Studiomikrofone liefen weiterhin auf Röhrenbasis, denn die bis dahin verfügbaren Halbleiter taugten nicht für die extrem hohen Impedanzen in der Eingangsstufe eines Kondensatormikrofons. Das änderte sich erst mit der Einführung des Feldeffekttransistors (FET). Der heutige Röhrenkult hat viel damit zu tun, dass wir nicht mehr zwangsweise mit dieser serviceintensiven Technik arbeiten müssen. Denn so schön es ist, ein Röhrenschätzchen als »Sonntagsmikro« für besondere Gelegenheiten aufzubauen, so lästig wäre es, die alltäglichsten Aufnahmen damit erledigen zu müssen. Ende der 60er wartete die Studiowelt sehnlich darauf, endlich die Röhrennetzteile, Multipinkabel und exotischen Steckverbinder loszuwerden.
Das U 87 mit der von Neumann entwickelten P48-Phantomspeisung versprach, die Aufnahmetechnik einfacher und Ausfall – sicherer zu machen. Entsprechend schnell konnte es sich am Markt durchsetzen, zumal es seinem äußerst beliebten Vorgänger U 67 zum Verwechseln ähnlich sah. Es klang auch ähnlich wie der heute sehr gesuchte Röhrenklassiker, denn es verwendete die (nahezu) gleiche Kapsel und eine prinzipiell ähnliche − etwas vereinfachte − Schaltung, nur eben auf Halbleiterbasis.
Besonderheiten
Von seinem Vorgänger, dem U 67, übernommen hat das U 87 eine Besonderheit der Audioschaltung: Nach dem Präemphase/ Deemphase-Prinzip weist die Kapsel eine kräftige Höhenanhebung auf, die die Elektronik durch eine entgegengesetzte Höhenabsenkung wieder ausgleicht, sodass ein weitgehend linearer Gesamtfrequenzgang zustande kommt. Dieses Funktionsprinzip minimiert das Rauschen in den oberen Frequenzen, wo es besonders störend wahrgenommen wird. Ebenso verfügt die Elektronik über einen sanften Roll-off der tiefsten Frequenzen, um Trittschall und Popplauten entgegenzuwirken. Denn wie schon das U 67 wurde das U 87 vorwiegend als Solistenmikrofon für kürzere Aufnahmeabstände entwickelt, wo ja der Nahbesprechungseffekt zu einer Betonung der tiefen Frequenzen führt. Ziel war ein ausgewogenes Klangbild, nicht nur auf dem Datenblatt, sondern vor allem in der praktischen Anwendung.
Weiterentwicklung
Ein Faktor für die frühe Akzeptanz des U 87 war, dass es sich alternativ auch mit Batteriespeisung betreiben ließ. Doch mit dem Siegeszug der P48-Phantomspeisung verkam das Batteriefach zu einem historischen Überbleibsel. Zeit für eine Überarbeitung!
1986 erschien das U 87A, bei dem der Platz des Batteriefachs für eine Spannungswandlerplatine genutzt wurde. Diese ermöglichte, die Polarisationsspannung der Kapsel auf den eigentlich optimalen Wert von 60 Volt zu erhöhen. Außerdem konnte das U 87A ganz zum originalen Kapseldesign des Röhren-Urahnen U 67 zurückkehren, denn der Spannungswandler erübrigte auch die Isolation der beiden Gegenelektroden. Aufgrund der höheren Polarisationsspannung und einiger weiterer Faktoren (u. a. Wegfall der parasitären Kapazität zwischen den beiden Gegenelektroden des alten Modells) liefert das U 87A einen weitaus höheren Ausgangspegel als das alte Modell und ist um einige dB rauschärmer. Technisch gesehen, ist das A-Modell somit ein deutlicher Fortschritt.
Nichtsdestotrotz hat sich in den letzten Jahren ein gewisser Kult um das alte Modell gebildet, dem ein weicherer, runderer Klang nachgesagt wird. In dieser Diskussion wird jedoch meist übersehen, dass die angesprochene Höhenabsenkung im Laufe der Jahre ein wenig reduziert wurde, weil die Anwender etwas mehr Brillanz wünschten.
Praxis
Dass das U 87 Referenzcharakter hat, liegt nicht nur an seiner Historie als Wegbereiter der FET-Technologie, sondern auch an seiner Abbildungsqualität. Es klingt neutral, ohne aber langweilig zu wirken. Damit empfiehlt es sich für eine Vielzahl von Anwendungen, vor allem natürlich Sprache und Gesang. Der Stimmcharakter bleibt voll erhalten, und doch gewinnt er fast unmerklich an Festigkeit in den Mitten. Es ist kein Zufall, dass dieses Mikro so gerne für Voice-Over und HörbuchProduktionen eingesetzt wird: Das Gesagte erhält plötzlich eine gewisse Autorität, etwas Definitives.
Auch Gesang profitiert von diesem vollmundigen, typischen Mittentimbre. Es ist der Neumann-Klang. Wo andere Mikros mit deftiger Bass-Wucht und/oder fein aufgeschäumtem Höhen-Fluff blenden, konzentriert sich das U 87A auf das Wesentliche: eine ausgewogene Darstellung, bei der die Mitten, die ja die wesentliche Klanginformation tragen, nicht von den Randfrequenzen überschattet werden.
Trotzdem ist das U 87A nicht einfach nur neutral wie ein Kleinmembranmikrofon. Es verbreitet jene Großmembran-Gutmütigkeit, die einem Sänger enorm hilft, sich zu entfalten. Der Nahbesprechungseffekt wird abgemildert durch eine Nierencharakteristik, die sich in den tiefen Frequenzen fast bis zur Kugel weitet − die Stärke des Nah-Effekts hängt ja mit der Richtwirkung zusammen. Das führt zu einem komfortabel großen Sweet-Spot. Die Basswiedergabe schwankt nicht bei leichten Kopfbewegungen, wie sie ein Sänger unwillkürlich macht, wenn er so richtig dabei ist. Und dieses Voll-Dabei-Sein ist es doch, das wir eigentlich festhalten möchten − eine beseelte Performance, die die Zuhörer mitreißt.
Ganz nüchtern betrachtet, hat die hohe Linearität des U 87A den Vorteil, dass das Signal sattes Fleisch für spätere Bearbeitung bietet. Manch anderes Modell klingt unbehandelt beeindruckender und effektvoller, doch wenn man es im Mix formen möchte, erweist sich ein bereits kurviger Frequenzgang als problematisch. Das nahezu lineare U 87A nimmt EQ-Formung dagegen klaglos an − es ist eigentlich sogar darauf ausgelegt, denn es entstammt einer Zeit, als der Mikrofonhersteller die Klangformung dem Toningenieur überlassen mochte.
Die übrigen Richtcharakteristiken Kugel und Acht sollte man − wie bei allen umschaltbaren Großmembranmikrofonen − als Bonus betrachten. Optimiert sind diese Mikros für den Nieren-Modus. Gemessen daran ist die Kugel des U 87A recht brauchbar, u. a. für Raummikrofonierung. Die Acht leistet wertvolle Dienste als Seitenmikro für M/S-Stereofonie, ist aber auch als Klangalternative für Gesangsaufnahmen interessant, wenn ein etwas kerniger Vintage-Sound gefragt ist. Auffallend ist, dass der Bass im Nahbereich weniger stark zum Wummern neigt als etwa bei Bändchen mit Achtercharakteristik.
Natürlich taugt das U 87A auch für Instrumentalaufnahmen. Ob seiner neutralen Mittenabbildung wird es seit jeher gerne für die Abnahme von Gitarren- und Bassverstärkern verwendet. Für Akustikgitarren eignet es sich vor allem, wenn ein unauffälliges Klangbild als Gesangsbegleitung gefragt ist.
Bei Drums und Percussion kann der recht niedrige Grenzschalldruckpegel von nur 117 dB zu Verzerrungen führen. Mittels des Pads lässt sich dieser auf 127 dB heraufsetzen, was aber immer noch deutlich unter modernen Mikrofonen wie etwa Neumanns TLM-Modellen liegt. Simple 1-FET-Elektroniken wie die des U 87A sind in Sachen Headroom begrenzt − aber dafür klingen sie nach Meinung vieler Toningenieure geschmackvoller als neuere Mikrofonschaltungen. Wer die Wahl hat, nimmt das U 87A für leisere Quellen und überlässt die lauten Sachen einem modernen Mikro mit hohem Grenzschalldruckpegel.
Es sei aber angemerkt, dass das U 87A noch etwas Luft oberhalb des angegebenen Grenzschalldruckpegels hat, denn der ist ja für nur 0,5 % Verzerrung spezifiziert. Schaltungen mit wenig Gegenkopplung gehen bekanntlich recht weich in die Sättigung, weshalb noch einige dB drin sind, bevor es wirklich hässlich klingt. Mancher mag scheinbar genau diesen sanften Crunch, denn gerade in heftigeren Musikrichtungen greifen viele Produzenten, u. a. Rick Rubin, gerne auf das U 87 als Schlagzeug-Overhead zurück.
Fazit
Das muss man sich vor Augen halten: Als das U 87 vorgestellt wurde, hatten die Beatles gerade Sgt. Pepper’s auf Vierspur-Bandmaschinen aufgenommen. Und 45 Jahre später, im Zeitalter von DAWs ohne Spurenbegrenzung, überzeugt das U 87A noch immer als Arbeitspferd, das für so ziemlich alle Stimmen und Instrumente taugt. Seine Grenzen aufgezeigt bekommt es lediglich bei sehr lauten Quellen, mit denen neuere Mikrofondesigns deutlich besser zurechtkommen. Dafür glänzt es bei leiseren Tönen mit hoher Rauscharmut und einem unnachahmlichen Timbre. Seine vollmundigen Mitten sind charakterstark und durchsetzungsfähig, ohne aufdringlich zu wirken. Es ist ein Sound, der zahllose Alben geprägt hat. Und noch prägen wird!
Was muss man dafür diese Legende anlegen? Der Straßenpreis für das Studioset inklusive Spinne beträgt etwa 2.600 Euro. Das klingt zunächst nicht billig, ist aber dem Qualitätsniveau angemessen. Zumal eine gewisse Wertstabilität gegeben ist. Tatsächlich geht so manches 20 Jahre alte U 87A heute teurer weg, als es mal neu gekostet hat. Besser kann man sein Geld kaum anlegen!