Schon wieder ein Software-Hall? Jein! Diesmal kollaborierte der Hersteller aus New Jersey mit Produzentenlegende Tony Visconti, um eines seiner extravaganten Studio-Setups in virtueller Form nachzubauen.
Im Jahr 1977 nahm David Bowie das Album Heroes auf. Zusammen mit Tony Visconti ging er in das Hansa Tonstudio in Berlin. Der Produzent wollte die überwältigende Akustik des Meistersaals als Vocal-Reverb nutzen und positionierte hinter dem Hauptmikrofon einen zweiten Schallwandler, der, mit einem Gate versehen, nur Signal passieren ließ, wenn Bowie etwas lauter sang. Ein drittes Mikrofon stand noch weiter entfernt, dessen Gate sich nur bei extrem pegelstarker Performance öffnete. Ein recht ausgeklügeltes Setup, bei dem alle Einstellungen sitzen mussten, denn Visconti verbannte alle drei Signale gleichzeitig auf die letzte freie Spur.
Genau dieses tontechnische Experiment möchte TVerb simulieren, natürlich inklusive aller Finessen der heutigen Zeit wie Automation, Total-Recall und Dry/Wet-Regler. Das Plug-in wird mit den gängigen Schnittstellen VST, AU und AAX ausgeliefert, sowohl in 32 als auch 64 Bit. Die Freischaltung erfolgt über den »iLok License Manager«. Das PDF mit englischsprachiger Bedienungsanleitung lässt zwar keine Wünsche offen, sollte aber aufgrund der selbsterklärenden Parametrisierung kaum zum Einsatz kommen.
Gui und Workflow
Die grafische Oberfläche ist in zwei Bereiche unterteilt. Oben ist der Meistersaal abgebildet, in dem drei Mikrofone stehen. Darunter befindet sich das dazugehörige Mischpult. Sehen wir uns das Mic-Setup genauer an.
Das erste Mikrofon lässt sich nicht frei im Raum platzieren, bietet aber die Möglichkeit, die Richtcharakteristik zwischen Kugel, Niere und Acht umzuschalten. Diese drei Parameter wirken sich recht realistisch auf den Raumanteil im Signal aus. Während die Niere nur das Direktsignal entgegennimmt, kommt bei der Kugel automatisch schon eine ordentliche Portion des Diffusschalls mit. Auch ein Hochpass- und Tiefpassfilter mit je einer Flankensteilheit von 12 dB/Oktave lässt sich bei diesem Mikrofon aktivieren. Die anderen beiden Mikrofone kann man mit der Maus an eine beliebige Stelle des virtuellen Parkettbodens verschieben. Alternativ lässt sich auch ein exakter Abstand zum Hauptmikrofon zwischen 5 und 70 Fuß, also ca. 1,5 und 21 Meter, nummerisch eintippen. Je weiter entfernt die Mikros platziert werden, desto größer sind Pre-Delay sowie der Anteil der Erstreflexionen − ein sehr realistischer Höreindruck macht sich bemerkbar.
Alle Mikrofone führen in die virtuelle Konsole darunter, welche stilistisch an das frühe Neve-Design erinnert. Wie in Viscontis Setup ist der erste Kanalzug mit einem Kompressor, die anderen beiden Channels hingegen je mit einem Noise-Gate ausgestattet. Das rechte Gate ist mit zwei nützlichen Schaltern bestückt: »Pre« und »Link«. Bei aktivierten »Pre« wird Mic 1 vor dem Kompressor abgegriffen und als Steuersignal für beide Gates verwendet.
Ist die Funktion »Link« angeschaltet, arbeiten die Drehregler der beiden Gates absolut identisch. Diese Verbindung richtet sich auch an den Eingangsschwellwert − macht ein Prozessor die Tore auf, gilt das auch für den anderen, selbst wenn dieser ein geringeres Steuersignal erhält. Unter dem Strich eine stimmige Sache! Schön auch, dass im Mixer für alle Signale neben Lautstärkeregler auch Panorama, Mute-, Solo- und Phaseninvertierungsschalter dabei sind.
Der Raumklang selbst lässt sich in einem weiteren Modul der Master-Sektion namens »Room« bearbeiten. Hier ist eine Änderung der »Diffusion« sowie der Nachhallzeit zwischen 0,2 und 7 Sekunden möglich. Des Weiteren kann mit zwei Shelving-Filtern mit variabler Grenzfrequenz der obere und untere Frequenzbereich um bis zu 8 dB abgesenkt werden.
Im Betrieb
Die Qualität des Reverb-Prozessors ist exzellent. Egal ob kurze Ambiance, mittelgroßer Raum oder lange Hallfahne, der Nachhall verbindet sich stets sehr realistisch und homogen mit dem Direktsignal. Damit sich diese pegelabhängige Räumlichkeit gut entfalten kann, ist selbstverständlich ausreichend Dynamik des Gesangs nötig. Insofern macht es wenig Sinn, das Plug-in am Ende einer langen Effektkette bzw. nach einem heftig zupackenden Kompressor in den Insert-Slot zu laden.
Doch nicht nur auf dynamischen Vocal-Aufnahmen, sondern ebenso auf Drums, Streichern, Synths oder Blasinstrumenten, macht TVerb eine sehr gute Figur. Mit wenigen Mausklicks lässt sich direkt als Insert ein knackiger Gated Reverb, etwa für Snare Drums oder Percussions einrichten. Genauso schnell kann man konventionelle Mixing-Techniken umsetzen, beispielsweise das Direktsignal einer Gitarre hart nach links im Panorama drehen, während der Hall nur von der gegenüberliegenden Seite erklingt. In beiden Anwendungen ist zudem der Kompressor ein willkommenes Werkzeug. Allgemein erspart man sich zeitaufwendige Routings, nicht nur hinsichtlich der sonst notwendigen Sidechain-Signale. Top!
Die Pegelanzeigen und Meter für »Gain Reduction« sowohl im Kompressor als auch in den Gates arbeiten mit einer sehr ausdrucksstarken Ballistik und geben eine gute optische Rückmeldung für alle Aktionen.
Sofern sich das Plug-in auf einer Stereo-Spur befindet, spuckt es immer Stereo-Hall aus. Natürlich könnte man Mic 2 und Mic 3 hart ins Panorama drehen, um zwei diskrete Hallsignale links und rechts in Mono zu erhalten, es wäre jedoch sehr praktisch, könnte man die Stereobasisbreite der einzelnen Kanäle mit dedizierten Bedienelementen bestimmen. Vielleicht kommt das ja noch mit einem Update?
Der Betrieb von zehn Instanzen mit allen Modulen im aktiven Zustand brachte die CPU-Anzeige in Cubase zum Ausschlag von 12 %. Eine Erhöhung der Nachhallzeit auf den maximalen Wert hatte dabei keinerlei Auswirkungen. Die gleiche Anzahl des Faltungshalls »Reverence« bzw. des algorithmischen Halls »Waves TrueVerb« verbrauchte auf dem gleichen Testsystem nur ein bis zwei Prozent. TVerb ist also nicht so CPU-schonend wie propagiert, das Plug-in als »ressourcenhungrig« zu bezeichnen wäre dennoch nicht gerechtfertigt.
Fazit
Die Qualität des Raumklanges ist hervorragend und in Verbindung mit den zwei frei positionierbaren Mikrofonen sehr vielseitig. Das Verarbeiten von drei unterschiedlichen Signalen auf nur einer Audio-Spur und in nur einem Plug-in erlaubt zahlreiche interessante Effekte, die sonst nur durch sehr umständliche Routing-Orgien in der DAW nachzuempfinden wären. Das Konzept ist somit einzigartig. Und wenn es sein muss, kann man TVerb auch mal nur als Kompressor oder Gate einsetzen.
Obwohl während des Testzeitraumes nur die allererste »Version 1.0.0« verfügbar war, kam es zu keinerlei Schwierigkeiten beim Betrieb. Für Stabilität gibt’s also auch einen Daumen nach oben!
Ob der Preis mit 230,− Euro nicht etwas zu hoch gegriffen ist, muss jeder für sich selbst entscheiden − am besten mit einer Probefahrt der Demo-Version.
+++ sehr guter Raumklang
+++ einzigartiges Konzept
++ übersichtliche Bedienoberfläche
++ gut durchdachter Workflow
– keine Einflussmöglichkeit auf Stereobasis
Hersteller: Eventide
Preis: ca. 230,− Euro
www.eventideaudio.com