Es gibt nur wenige Nachnamen in der Audiotechnik, die mit so viel Strahlkraft daherkommen wie Neve. Sir Rupert Neve, 2021 94-jährig verstorben, war der Ankerpunkt von AMS Neve, aber auch von Amek und Focusrite. Sein letztes Betätigungsfeld war RND: Rupert Neve Designs. Das Unternehmen besteht weiter und hält das Erbe hoch. So kommen auch in diesem Jahr Geräte auf den Markt, die seinen Namen tragen, ja sogar mit seiner Unterschrift geschmückt sind.
Der Rupert Neve Designs Newton ist ein Channel Strip, aber beileibe weder der erste von RND noch von Rupert Neve, wie ein Blick auf den beliebten Amek Pure Path oder auch den RND Shelford Channel. Letzterer, hier bei Sound & Recording in Ausgabe 03/2017 getestet, ist ein wahres Highlight in der Produktpalette von Rupert Neve Designs und ein wahrer Alleskönner im Rack. Allerdings kann er auch unangenehme Dinge, namentlich vor allem: Löcher in Budgets reißen. Statt deutlich über vier kostet der neue RND Newton unter zweieinhalb große Scheine. Da drängt sich natürlich nicht nur die Frage auf, wie der Newton für sich betrachtet performt, sondern auch, wo er eventuell zurückstecken muss.
Anzeige
Der Blick auf die Frontplatte
… zeigt im Wesentlichen bekannte Kost. Die Preamp-Sektion links verfügt natürlich über Phantomspeisung. Ein schaltbares Gain mit einer Range von 6 bis 66 dB setzt die Vorverstärkung. Ein Trim, der insgesamt 12 dB überstreicht, kann vom eingestellten Wert abweichen. Das mit einem »ø« markierte Schalterchen invertiert die Signalpolarität und ist wie fast alle anderen innenbeleuchtbar. Ein zweipoliges Hochpassfilter, schaltbar und zwischen 20 und 250 Hz Grenzfrequenz regelbar, rundet die Eingangssektion ab.
Es folgt ein Equalizer – sowohl von links nach rechts auf der Frontplatte als auch im Signalflussdiagramm. Allerdings lässt sich die EQ-Sektion auch hinter den Kompressor schalten (das dann selbstredend nur im Signalfluss). Die Parametrisierung der Klangregelung mutet eher dürftig an. Low- und High-Shelf bieten jeweils zwei Einsatzfrequenzen an (60/120 Hz und 8/16 kHz), die Mitten sind schaltbar von 220 Hz bis 7 kHz. Schlimm? Nicht unbedingt: Ich nutze ein Pult mit einem sehr simplen EQ: Höhen, Mitten und Tiefen, fertig. Dass Gain nicht bis ±15 dB, sondern nur bis ±12 dB reicht, zeigt ebenfalls, dass RND hier gar keinen chirurgischen EQ, sondern eher einen Wegweiser beim Recording haben will.
Keine Überraschungen gibt es auch in der Dynamikabteilung. Threshold, Release-Time (50 – 500 ms) und Make-up-Gain sind die einzigen Regler des Fixed-Ratio-Kompressors (20 ms). Im Vergleich zum Shelford und auch anderen Kompressoren im RND-Programm hat der des Newton also reichlich Federn lassen müssen. Wie die EQ-Sektion, so lässt sich auch der Kompressor aus dem Signalweg nehmen.
Im Anschluss vermag eine Sättigungsschaltung das Signal mit Harmonischen anzureichern (»Texture«). Diese auch von anderen RND-Prozessoren bekannte »Silk«-Schaltung ist in ihrer Stärke variabel. Mit dem Drucktaster lassen sich Bypass der Sektion, »Red« und »Blue« durchwechseln. Ein rotes Leuchten bedeutet, dass die Generierung der Harmonischen in erster Linie ab den Hochmitten geschieht, blaues Leuchten dickt auf Grundlage tiefer Frequenzen an. Ich werde mich nie daran gewöhnen: Für mich wären »Tiefen« eher rot, »Höhen« eher blau als umgekehrt. Zwei achtsegmentige LED-Meter zeigen Ausgangspegel in dBu und die Gain Reduction des Kompressors in dB an.
Interessant wird es beim Blick
… auf die Rückseite und hinter die Kulissen. Dort findet sich ein Power-Schalter über dem Kaltgeräteanschluss. Mir ist eine Schaltmöglichkeit vorne am Rack deutlich lieber, selbst wenn sich die Unit maximal 35 Watt genehmigt. Der RND Newton ist einkanalig, aber dennoch gibt es zwei Ausgänge. Ein weiterer Output gibt ein um 6 dB geringeres Signal aus, welches an anderer Stelle am Ausgangsübertrager abgegriffen wird. Damit lässt sich beispielsweise ein konservativer gepegeltes Signal zu den Wandlern schicken und sich so mancher Golden Take sichern, bei dem die Pferde mit dem Musiker etwas durchgegangen sind. Eine Link-Funktion für den Detektor des Kompressors gibt es, um zwei Newtons zu einer Stereoeinheit zu verbacken, allerdings gibt es nicht die Möglichkeit, Link auf der Frontplatte zu unterbrechen. Ich kenne das von meinen beiden Spectra-Limitern und weiß daher: Das nervt. Einen Eingang gibt es einen einzigen – auf der Rückseite. Die Combobuchse soll für alle Signaltypen herhalten, ich wäre doch froh um entsprechende Schaltfunktionen mit verschiedenen Impedanzen sowie DI- und Mic-Input auf der Vorderseite. Ich glaube nämlich nicht, dass der typische RND-User bei Rack-Einbau eine Patchbay verwendet.
Der Class-A-Amp besitzt erstaunlich hohe 8,9 kOhm Eingangsimpedanz. Die weiteren Werte lesen sich ordentlich. Das maximale Output-Level liegt bei vernünftigen 23,6 dBu, ein Frequenzgang von 10 Hz bis 30 kHz (±0,1 dB) / 5 Hz bis 140 kHz (–3 dB) bedeuten, dass auch die Darstellung steilster Transienten möglich sein sollte. Die Rauschwerte sind auch bei eingeschaltetem EQ oder Kompressor top (–90 dBu bzw. –91 dBu) und sollten auch bei Verwendung beider sehr gut sein.
Ein Blick auf die Bauteile und Verarbeitung zeugt von Vernunft bei der Planung und Herstellung (beides: USA). Die Regler sind beispielsweise nicht einfach über die Frontplatte mit der Platine verbunden, sondern werden durch ein weiteres Blech davor bewahrt, schon nach einigen Jahren Lötstellen brechen zu lassen. Das gefällt mir natürlich.
Den Newton ins Rack geklebt
… kann es losgehen mit dem Spaß. Alle Regler laufen locker genug für die verwendeten Kappen, die Schaltpunkte sind klar und eindeutig. Bei dem eher geringen Funktionsumfang ist es natürlich ein Leichtes gewesen, das Frontplattenlayout und alle Bezeichnungen verständlich zu gestalten. Das ist absolut gelungen. Das Zauberwort »Funktionsumfang« ist gefallen: Schon beim Preamp freue ich mich zwar über das sehr praktikable Hochpassfilter, vermisse aber tatsächlich die angesprochenen Buchsen und Schaltfunktionen.
Ein wenig so geht es mir auch mit dem Equalizer. To-Tape, also bei der Aufnahme, würde ich höchstens ein wenig angleichen, etwa einen sanften Höhen-Boost vornehmen oder ein wenig die Sprachverständlichkeit oder das Fundament herausarbeiten. Zu genaueren Eingriffen, etwa dem Herausziehen von Störfrequenzen, taugt die Parametrisierung nicht, entsprechende Aufgaben im Mixdown bedürfen oft ebenfalls genauerer Eingriffe. Ich will das aber gar nicht schlechtreden, denn die Hauptaufgaben eines EQs übernimmt der Newton sehr gut, vor allem wenn man bedenkt, dass die präziseren Eingriffe oftmals in der DAW stattfinden – wo ein ganzes Füllhorn an Parametern zur Verfügung steht, sehr schmalbandige und Dynamic EQs eingeschlossen. Den Kompressor sehe ich ebenso. Hier leistet er einen guten Job dabei, to-tape die Dynamik ein wenig zu schmälern, ohne Gefahr zu laufen, das Signal negativ zu beeinflussen. Mit zwei Grundzuständen und genauer Regelbarkeit des Silk – welches laut Signalflussplan per Feedback über einem Amp kurz vor dem Ausgangsübertrager entsteht – ist man schön breit aufgestellt, um das Signal charakterlich zu formen.
Der Klang des RND-Channels
… ist, wenn EQ, Comp und Silk deaktiviert sind, präzise, aber nie bissig oder gar kristallin. In den Höhen sehe ich eher noch Ähnlichkeiten mit cleaneren Neve-Produkten wie den 1081 oder einigen Amek als mit den beliebten 1073. Es gibt kein »Wow«-Erlebnis durch auffällige Farbe oder besondere Cremigkeit der Höhen, aber im Umgang mit dem Signal zeigt sich, dass es keine Möglichkeiten verbaut, sondern sich in verschiedenste Richtungen drücken lässt. Mikrofonsignale sind in positivem Sinne unauffällig, aber durchaus lebendig – einfache Interface-Preamps sind zwar auch oft nüchtern, wirken aber im Vergleich zum RND fahl, glanzlos und gelangweilt. Ob das Audiosignal im weiteren Verlauf einer Signalkette druckvoll und kantig oder doch lieber weich und warm werden soll, mit dem Newton ist das alles möglich.
Tatsächlich fühle ich mich an die Pult-Preamps meines kleinen Harrison-Pults erinnert. Wahrscheinlich werden besonders oft die allgegenwärtigen Großmembran-Kondensatormikrofone mit ihm hochverstärkt werden. Für sie, im Test waren das MG UM92.1S und UA Bock 187, reicht das Gain natürlich allemal aus, die deutlich höhere als sonst übliche Überanpassung der Mikrofonimpedanz sorgte nicht für erkennbare Probleme. Auch das Anschließen Gain-hungriger Mikrofone (mit geringer Empfindlichkeit) wie ein Shure SM7B stellt den RND Newton nicht vor unlösbare Aufgaben. Die für das 7B klassischen Einsatzfelder, also nicht allzu leise und mit zu viel Abstand gesprochene oder gesungene Stimmen, natürlich Schlaginstrument- und Cabinet-Abnahme führten nicht dazu, dass das Gain vollkommen ausgereizt werden musste. Das notorisch schwächliche Coles 4038 musste das volle Gain hingegen ziemlich oft beanspruchen – aber das ist bei vielen Preamps so. Nicht sonderlich aufgewertet wird ein Line-Signal, wenn der RND mit ihm beschickt wird. Um 0 dB zu erzielen, muss Gain auf 0 und sogar Trim voll abgesenkt werden, wodurch eine eigentlich stinknormale Anwendung fast schon wie ein »Trick« anmutet.
Mit dem EQ kann man die wichtigsten Weichen für das Signal stellen. Bändchen eine Art Emphasis in den Höhen mitzugeben auf dem Weg zur Aufnahme, eine Bassdrum mit Kombination von Hochpassfilter und Boost unter 60 Hz auf ein ordentliches Bassfundament zu stellen gelingt genauso wie eine Stimme mit Anhebung der Präsenzen für den Konkurrenzkamp im späteren Mix zu wappnen. Der EQ geht entschlossen zu Werke und ist auch bei Maximalstellungen weit davon entfernt, klingelig oder phasig-löchrig zu klingen. Allerdings ist er auch kein ausgewiesener Glamour-EQ. Schön luftig wird es bei Boosts besonders von Stimmen mit 16 k. Hier ist es auch wichtig zu betonen, dass der Prozessor auch dann nicht übermäßig rauscht.
Charakterlich hält sich auch der Kompressor zurück. Als technischer Begrenzer ist er zu langsam, macht aber einen hervorragenden Job dabei, schon bei der Aufnahme das zu tun, was man oft sowieso haben möchte: eine sanfte, kaum oder gar nicht hörbare Verdichtung des Signals. Doch auch das Absenken des Thresholds und somit die auffälligere, klangästhetische Kompression funktioniert erstaunlich gut. Das gilt nicht nur für Stimmen, sondern auch für akustische wie elektrische Gitarren, Snare und andere Signaltypen.
Silk ist ein Markenzeichen von RND. Natürlich ist der Newton Channel kein umfangreiches und bisweilen extremes Gerät wie etwa ein Thermionic Culture Vulture, aber man neigt dadurch auch nicht so schnell zum Übertreiben. Ich mag prinzipiell eher den natürlicheren blauen Modus, vor allem im Zusammenhang mit einer leichten vorherigen Rücknahme mit dem High-Shelf. Wer Silk solo hört, mag beim ersten Ausprobieren vielleicht etwas ernüchtert sein, vielleicht weil das große Feuerwerk ausbleibt. Allerdings ist die Schaltung Gold wert, wenn es darum geht, dem Material ein wenig Glanz und Strahlkraft (Red Mode) oder dem sonst recht cleanen Signal etwas »Grit« zu verleihen, es körniger und »anpackbarer« zu machen (Blue Mode).
Fazit.
»Für wen eignet sich der Rupert Neve Designs Newton?«, mag man sich nun fragen. Es erscheint klar, dass er kein »kleines Shelfördchen« ist und sein will, denn der RND Shelford kommt mit einem ganz anderen Ausstattungspaket und mit induktivem Equalizer und Eingangsübertrager kräftigerer Signatur. Wer ein wirklich hochwertiges Mikrofon-Frontend als Upgrade für das Audio-Interface sucht, vielleicht Vocals und verschiedene Instrumente aufnehmen will, ja manchmal sogar ein passives Bändchenmikrofon verwendet, der bekommt mit dem RND Newton das passende Rüstzeug für diese Aufgabe. Der Prozessor ist so konzipiert, dass man zwar wesentliche Änderungen am Signal vornehmen kann, aber dennoch nicht mit schmalem EQ, extremer Kompression und deftiger Sättigung Gefahr läuft, ein Signal schon bei der Aufnahme »kaputtzuregeln«.
Die Aufgabe als präziser, aber gutmütiger To-Tape-Signalprozessor erklärt auch, weshalb er kaum als Line-Level-Prozessor gedacht ist. Dass die Eingangsseite etwas stiefmütterlich behandelt wird, ist dennoch schade, denn ein schaltbarer Line-Input und eine DI-Option kosten nicht die Welt in Design und Herstellung. Wer es sich als Studio-Engineer leisten kann und will, sollte vielleicht den Sprung zum Shelford Channel in Erwägung ziehen oder sich ein 500er-Rack mit entsprechenden RND-Modulen zusammenstecken.
Aber ich sehe noch andere Anwendungen: im Bühneneinsatz und beim Streaming! Erstere entweder als persönlicher Live-Preamp oder als hochwertiges Frontend für das wichtigste Signal des Abends (meist Main Vocals). Und Streamer, Podcaster und dergleichen können mit dem Newton schnell und unfallfrei ein Signal auf sendefähigeres Niveau bringen.