Eine Überraschung ist das Sennheiser MK 4 gleich in mehrfacher Hinsicht. Es ist nicht nur das erste Großmembran-Studiomikrofon in der rund 60-jährigen Geschichte des Unternehmens, sondern es ist auch noch unerwartet preisgünstig. Im Studiobereich verband man mit dem Namen Sennheiser bislang zwei Dinge: einerseits Tauchspulmikrofone, von denen einige bereits Klassikerstatus erlangt haben, wie z. B. das MD 421 und das MD 441, andererseits sehr hochwertige, aber auch sehr teure Kleinmembranmikrofone. So kostet das in S&R 7.2008 getestete MKH 800 Twin beispielsweise 4.530 Euro. Das MK 4 listet der Hersteller dagegen mit 349 Euro, und der reale Ladenpreis dürfte sogar noch einen Fuffi darunter liegen. Klingt schon mal interessant …
Ausgepackt
Geliefert wird das Sennheiser MK 4 in einer einfachen Pappschachtel. Die Verpackung ist augenscheinlich aber der einzige Punkt, wo gespart wurde. Das MK 4 hat nichts von einem Billigprodukt. Das Mikrofongehäuse misst 57 x 160 mm und besteht aus solidem Metall mit nickelmatter Oberflächenveredlung. Lediglich der schwarze Aufsatz am unteren Ende ist aus Kunststoff gefertigt; dieser dient aber allein der Optik; der darunter liegende Body besteht aus einem einzigen Stück Metall, das sich bis zur Ausgangsbuchse fortsetzt. Die Verarbeitung ist makellos.
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Das Design wirkt etwas eigenwillig, insbesondere der Mikrofonkorb, dessen obere Kante auf der Vorderseite abgeschrägt ist, auf der Rückseite dagegen nicht. Damit ist aber selbst für den Laien die Einsprechrichtung ziemlich offensichtlich und Fehlbedienung weitgehend ausgeschlossen – auch weil das MK 4 über keinerlei Schalter verfügt. Fakt ist außerdem, dass der zweilagige Mikrofonkorb akustisch recht offen ist und das Gehäuse sehr resonanzarm – beste Voraussetzungen für klaren, unverfälschten Klang.
Zum Lieferumfang gehört eine Gelenkhalterung, die mit dem Mikrofon verschraubt wird. Ursprünglich sollte das MK 4 mit einer Spinnenhalterung erscheinen, die der des Neumann TLM 102 ähnelt – Neumann gehört ja seit 1991 zu Sennheiser. Aufgrund der hohen Nachfrage kommt es derzeit bei der Spinnenhalterung zu Lieferverzögerungen, deshalb erscheint das MK 4 erst einmal ohne Spinne und natürlich zum entsprechend günstigeren Preis. Tipp am Rande: Wer bereits ein Neumann TLM 103 besitzt, kann dessen EA-1-Spinne auch mit dem Sennheiser MK 4 verwenden.
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Übertragungsfaktor
Mikrofone setzen Schall in ein elektrisches Signal um. Wie hoch der Pegel dieses Signals bei normiertem Schalldruck ist, beschreibt der Übertragungsfaktor. Dynamische Mikrofone liegen typischerweise um die 2 mV/Pa; Kondensatormikros meist (z. T. sehr deutlich) über 8 mV/Pa. Mikrofone mit hohem Übertragungsfaktor fordern den nachfolgenden Vorverstärker deutlich weniger.
Empfindlichkeit
Außerhalb Europas wird statt des Übertragungsfaktors in mV/Pa oft die Empfindlichkeit (Sensitivity) in „dB re 1 V/Pa“ angegeben. Im Grunde drücken beide Werte das Gleiche aus, nämlich wie „laut“ ein Mikrofon ist, d. h., wie hoch sein Ausgangspegel bei normiertem Schalldruck ist. Bei der Empfindlichkeit dient als Bezugswert ein fiktives Mikrofon mit extrem hohem Ausgangspegel, weswegen reale Mikrofone immer nur negative dB-Zahlen erreichen. Übliche Werte liegen bei unter –50 dB für dynamische und –42 bis –30 dB für Kondensatormikros.
Messungen
Das Sennheiser MK 4 ist ein recht pegelstarkes Mikro. Der ist mit 25 mV/Pa spezifiziert, das entspricht einer von –32 dB re 1V/Pa. Unser Testexemplar hält diese Werte auch fast exakt ein mit 24,3 mV/Pa bzw. –32,3 dB re 1V/Pa. Damit ist das Sennheiser MK 4 ungefähr so „laut” wie das allseits bekannte Neumann TLM 103. Interessanter als die Empfindlichkeit ist der Wert für das Eigenrauschen. Dieses liegt mit 10 dB-A sehr niedrig – niedriger als das Raumgeräusch in praktisch jeder real existierenden Aufnahmesituation. Um zu hören, wie rauscharm das MK 4 tatsächlich ist, benötigt man ein Isolationsbehältnis („Rauschbombe”), und dort konnten wir feststellen, dass unser Testexemplar die Herstellerspezifikation locker einhält.
Die interessanteste Messung ist natürlich die des Mikrofonfrequenzgangs. Wie üblich haben wir praxisbezogen gemessen, d. h. in einem gewöhnlichen Aufnahmeraum und in einem Abstand zur Schallquelle von 33 cm. Anders als bei üblichen Herstellermessungen im reflexionsarmen Raum bei 1 Meter Abstand kommt bei unserer Messung der Nahbesprechungseffekt zum Tragen – also ganz so, wie wir die Mikrofone in der Praxis erleben. Nichtsdestotrotz entspricht der von uns ermittelte Frequenzgang des Testexemplars weitgehend dem Sollfrequenzgang des Herstellers – das spricht für konsistente Fertigungsqualität.
Das Sennheiser MK 4 zeigt eine leichte „Charakternase“
bei 2 kHz und eine feste Bassabsenkung unterhalb 40 Hz.
Ansonsten ist es weitgehend linear.
Zum Vergleich: Das Neumann TLM 103 hat mehr Tiefbass
und etwas neutralere Mitten.
Der Frequenzverlauf des MK 4 weist einige interessante Besonderheiten auf. Zunächst einmal ist der Verlauf von 50 bis 1.000 Hz schnurgerade. Überhaupt bewegt sich der Frequenzgang praktisch über den gesamten Hörbereich in einem Schlauch von nur ±2 dB. Für ein Großmembranmikrofon ist das ungewöhnlich linear. Andererseits hat Sennheiser sehr wohl einen gewissen Klangcharakter eingebaut. Vergleicht man mit dem großen Standard der Sub-1.000-Euro-Klasse, dem Neumann TLM 103, dann ist vor allem die Betonung bei 2 kHz auffällig. Das ist sozusagen die „Charakternase” des MK 4. Im oberen Bereich wirkt das Bild dagegen vertraut: Wir sehen eine weiche Präsenzanhebung in den oberen Mitten zwischen 4 und 6 kHz sowie eine milde Höhenanhebung oberhalb 10 kHz.
Interessant ist dagegen der Verlauf in den tiefen Bässen. Sennheiser hat offenbar ein festes Hochpassfilter bei ca. 40 Hz eingebaut. Damit hat das MK 4 zwar nicht den wuchtigen Tiefbass eines Neumann TLM 103, aber in den allermeisten Situationen gibt’s hier sowieso keine musikalisch verwertbaren Signalanteile mehr, sondern nur noch Rumpeln. Übrigens hatten viele seinerzeit für den Rundfunk entworfene Mikrofonklassiker wie das Neumann U 47 eine ähnliche Tiefensperre.
Praxis
Das Sennheiser MK 4 ist ein „erwachsenes” Mikrofon. Man merkt ihm eigentlich zu keinem Zeitpunkt und in keinem Teilbereich seinen günstigen Verkaufspreis an. Es produziert einen ausgewogenen, wirklich angenehm klingenden Vocal-Sound. Dabei wirkt es keineswegs farblos. Die leichte Mittennase bei 2 kHz äußert sich in einem sehr durchsetzungsstarken Klangbild mit guter Präsenz. Hier zeigt das MK 4 seine Herkunft: Die festen Mitten erinnern an den Sennheiser-Klassiker MD 421. Ähnliches gilt für die Höhen, die gut ausgeleuchtet wirken, ohne spitz zu klingen. Die Bassabsenkung unterhalb 40 Hz ist in der Praxis kaum zu bemerken, jedenfalls nicht im Sinne von flachem Klang – im Gegenteil, der Bass wirkt voll und satt. Bei üblichen Mikrofonabständen um die 20 cm sollte man im Mix die Bässe mit einem sanften Low-Shelve reduzieren. Weitere EQ-Eingriffe sind nicht nötig: Das Sennheiser MK 4 liefert „out of the box” einen fertigen, überzeugenden Stimmenklang.
Natürlich eignet sich das Mikro auch für Instrumente wie akustische Gitarre, Percussion oder E-Gitarre. Mit seinem extrem hohen Grenzschalldruckpegel von 140 dB-SPL lässt sich das MK4 selbst von sehr lauten Signalen nicht übersteuern, und auch bei sehr leisen Signalen ist Rauschen kein Thema. Bei der Abnahme von E-Gitarren ist die leichte Betonung bei 2 kHz unüberhörbar; der Klang wirkt mittiger, was je nach Klangvorstellungen gefallen kann oder auch nicht. Bei akustischen Gitarren scheint die Mittenbetonung weniger auffällig, allerdings gibt es nur wenige Akustikgitarren, die davon profitieren – da wird man in der Regel zum EQ greifen.
Hier wird dann auch klar, wo der Unterschied zu seinem schärfsten Konkurrenten, dem Neumann TLM 102 liegt – lustigerweise kommen beide ja vom selben Konzern und werden sogar in derselben Fabrikhalle in Wennebostel gefertigt. Neumanns Kleinstes ist etwas neutraler und zeigt in den Mitten den sonoren Neumann-Charakter. Es ist insgesamt universeller einsetzbar. Das Sennheiser MK 4 kontert mit einem charakterstarken, stärker auf Gesang und Sprache fokussierten Klangbild.
Positiv aufgefallen ist mir, wie gut Sennheiser das MK 4 auf den Einsatz in Homerecording- und Projektstudio-Umgebungen abgestimmt hat. Hoher Ausgangspegel und sehr niedriges Eigenrauschen sorgen dafür, dass das MK 4 auch bei Verwendung von mäßigen Mikrofonvorverstärkern überzeugende Resultate liefert und manchen Anfängerfehler beim Einpegeln verzeiht. Nichtsdestoweniger eignet sich das MK 4 durchaus auch für professionelle Anwender. Gut vorstellen kann ich mir das MK 4 auch als Sprechermikro auf allen Qualitätsleveln, nicht zuletzt weil das Mikro die kritischen Zischlaute nicht überbetont.
Fazit
Bei den meisten Produkten finde ich irgendwas zu meckern – beim Sennheiser MK 4 will mir partout nichts einfallen. Es ist ein rundum kompetent konstruiertes Mikrofon zum Kampfpreis. Es scheint fast, als wolle der Sennheiser-Konzern der Billig-Konkurrenz eine ordentliche Breitseite verpassen. Vor etwas über einem Jahr war das Neumann TLM 102 (s. S&R 12.2009) bereits eine deutliche Ansage: Topqualität vom Traditionshaus zum Tiefpreis. Das Sennheiser MK 4 setzt in Sachen Preis/Leistungs-Verhältnis noch eins drauf: Es ist ein tadellos verarbeitetes Studiomikrofon mit hervorragenden technischen Werten und charakterstarkem Sound. Ich bin ehrlich erstaunt, dass man ein so gutes Mikrofon, made in Germany, so günstig anbieten kann. Uneingeschränkt empfehlenswert!
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