Einparkhilfe

Sonible Smart:comp Mix-Plug-in mit KI im Test

Anzeige

Moderne Musikproduktionen haben in der Regel mehr Spuren, als man zwischen zwei Lautsprecherboxen unterbringen kann. Im Bestreben, das Unmögliche möglich zu machen, greift der Toningenieur zu Kompression und Sidechaining — und verbringt mitunter Stunden auf der Suche nach dem besten Setting. Die Grazer Soft- und Hardwareschmiede Sonible hat nun ein Plug-in entwickelt, das diesen Prozess erheblich erleichtert. Mit künstlicher Intelligenz!

Anzeige

Als Künstler und Freigeist steht man der KI eher reserviert gegenüber. Man darf sich doch nicht das Denken abnehmen lassen! Überhaupt: Luke Skywalker konnte den Todesstern erst zerstören, nachdem er die Zielautomatik ausgeschaltet und sich ganz der Macht hingegeben hat. Diese (oft kopierte) Filmszene ist quasi sinnbildlich: Wir Rebellen müssen uns auf unsere Intuition verlassen. Obwohl: Der Einparkassistent im neuen Auto ist dann doch ganz praktisch. Und genau so etwas für Audio wäre vielleicht gar nicht so schlecht …

Das Konzept

Wenn man so will, ist der Smart:comp tatsächlich ein Kompressor mit Assistenzsystem. Der Nutzer entscheidet immer noch, wo er Kompression einsetzt, aber das Plug-in kann seine Parameter selbst einstellen. Während ein gewöhnlicher Kompressor lediglich auf die Ein- und Ausschwingvorgänge reagiert, wurde dem Smart:comp eine gewisse Vorstellung implantiert, wie das Endergebnis klingen sollte. D. h., er arbeitet auf ein Ziel hin. Und das nicht nur auf dynamischer, sondern auch auf spektraler Ebene.

Die Ausführung

Sonible liefert den Smart:comp für Mac und PC in den Plugin-Formaten VST, VST3, AU und AAX. Die Installation erfolgt über einen einzigen Installer und ist schnell erledigt. Standardmäßig ist die Lizenzierung rechnergebunden, sodass kein Dongle benötigt wird. Wer mit mehreren Rechnern arbeitet, kann über den Sonible-Support eine Aktivierung per iLok-Dongle erhalten.

Das GUI ist übersichtlich gestaltet und kommt in einem nüchternen 2D-Look. Auf der linken Seite befinden sich die üblichen Kompressor-Parameter: Threshold, Ratio. Attack, Release. Rechts daneben ist ein zweigeteiltes Fenster. Den größten Teil des Plug-in-Fensters nehmen grafische Darstellungen ein. In der Mitte wird der Pegelverlauf von Eingangsund Ausgangssignal von rechts nach links über die Zeit dokumentiert. Darin eingezeichnet ist die Kompresssionskurve, was die Einstellung bereits ohne KI-Assistenz sehr einfach macht. Die Kurve lässt sich mit der Maus anfassen, um Threshold und Ratio zu justieren. Zudem lässt sich der Knick am Threshold im Sinne einer Soft-Knee-Charakteristik zu einem weichen Übergang verbiegen.

Die dadurch ausgelöste Kompressoraktivität wird in dem darüber liegenden Bereich von einer orangen Kurve dokumentiert. Sie zeichnet analog zur Pegelanzeige die Gain-Reduction im Zeitverlauf. Zusätzlich gibt es konventionelle Pegel- und Gain-Reduction-Anzeigen in Form ausschlagender Balken rechts der Kurvendarstellungen.

Zum »Anlernen« des Smart:comp wählt man am oberen Rand des Plug-in-Fensters zuerst ein passendes Profil (Standard, Drums, Kick, Snare, Bass, Guitar, Keys, Vocals female, Vocals male) und drückt den Aufnahmeknopf. Dazu sollte man den Smart:comp mit einer repräsentativen Passage des Ausgangsmaterials füttern; der Smart:comp analysiert nämlich nur ein paar Sekunden Audio. Wer den per KI gefundenen Einstellungen nicht über den Weg traut, kann diese nach Belieben modifizieren. Das beschränkt sich nicht allein auf die Grundparameter Threshold, Ratio, Attack und Release; mit Klick auf das kleine Dreieck rechts unten im Reglerfeld öffnet sich eine erweiterte Darstellung, in die Zeitkonstanten fein modelliert werden können. Die standardmäßig linear ansteigenden bzw. abfallenden Attack- und Release-Kurven können verbogen werden, zudem gibt es zusätzliche Hold-Parameter für Attack und Release, um die Regeltätigkeit zu verzögern. An dieser Stelle bietet der Smart:comp einiges Kreativpotenzial. Ein weiterer Tab der erweiterten Ansicht ist mit »Scope« überschrieben. Dahinter verbirgt sich eine Art Sidechain-Filter mit Hoch- und Tiefpass, um die Empfindlichkeit des Detektorzweigs auf die Kernfrequenzen zu fokussieren. So lässt sich beispielsweise für komplexes Material (Busoder Summenbearbeitung) ein Hochpass setzen, damit die Bassdrum nicht zu sehr die Regeltätigkeit dominiert. Soweit zum »normalen« (wenn auch intelligenten) Time-Domain-Kompressor.

Ein geeignetes Profil auswählen, Learn-Button drücken und eine repräsentative Passage abspielen — schon hat sich der Smart:comp automatisch justiert.

Der vielleicht noch interessantere Teil des Smart:comps ist die Spectral Compression, die das untere Drittel des GUI ausfüllt. Während man den »normalen« Time-Domain-Kompressor im oberen Teil auch händisch einstellen bzw. modifizieren kann, arbeitet die Spektral-Kompression vollautomatisch auf Grundlage von KI-Algorithmen; sie steht daher erst nach der Anlernphase zur Verfügung. Die Spektral-Kompression lässt sich nur ein- und ausschalten sowie in der Stärke regeln (0 bis 150 %).

Wie genau die Spektral-Kompression funktioniert, erklärt der Hersteller nicht en detail. So viel ist bekannt: Sie analysiert das Signal in 2.000 Bändern. So wie ich es verstanden habe, vergleicht sie nun das Analysesignal mit einem idealen Modell (abhängig vom gewählten Profil) und versucht das Eingangssignal unter Einbeziehung der »erlernten « Parameter diesem Ideal anzugleichen. Die Spectral Compression kann man sich somit wie einen intelligenten Multiband-Kompressor vorstellen, der weiß, wie die Energieverteilung idealerweise auszusehen hat. Die hohe Anzahl von Analysebändern lässt mich indes vermuten, dass es sich nicht wirklich um einen Multiband-Kompressor handelt. Denn dafür müsste das Audiosignal ja mit tausenden von extrem steilflankigen Filtern zerlegt werden. Wahrscheinlicher ist, dass es sich um eine Art dynamischen EQ handelt, der ja ebenfalls eine frequenzselektive Gain-Reduction bewirken kann – ohne aber das Eingangssignal in Bänder zu zerschneiden. Da die Spectral Compression wie der gesamte Smart:comp sehr sauber und artefaktfrei arbeitet, vermute ich linearphasige Filter. Darauf deutet auch die Tatsache hin, dass das Plug-in eine Latenz erzeugt, laut Cubase 2.048 Samples.

Die Eingriffe der Spectral Compression werden im unteren Fenster durchlaufend visualisiert. Die Frequenzen werden in der Vertikalen dargestellt. Die Stärke der Eingriffe wird durch die Helligkeit angezeigt. Rechts neben dem durchlaufenden Display sieht man die aktuelle frequenzselektive Kompressionskurve. Im Grunde ist dies also eine (negative) EQ-Kurve, welche die frequenzabhängigen Pegelabsenkungen darstellt.

Damit nicht genug: Aktiviert man Spectral Ducking, lässt sich die Spectral Compression über einen externen Sidechain steuern. Und spätestens da wird’s richtig spannend, denn damit lässt sich artefaktarm ein Signal – typischerweise der Lead-Vocal – in den Track einbetten, ohne dass die übrigen Elemente hörbar leiden. Zudem lässt sich die Spectral Compression über zwei verschiebbare Linien auf einen mittleren Frequenzbereich beschränken. Besonders effektiv ist dabei das Aussparen des unteren Frequenzbereichs, sodass der Wumms von Bass und Bassdrum erhalten bleibt. Damit eröffnet der Smart:comp eine ganz neue Dimension des Sidechainings!

Über den Focus-Tab lässt sich das Detektorsignal über frei verschiebbare Hoch- und Tiefpassfilter auf einen sinnvollen Kernbereich begrenzen.

Was geht konkret?

Der Smart:comp lässt sich auf vielfältige Weise einsetzen und eignet sich für blutige Anfänger wie Superprofis gleichermaßen. Erstere profitieren von den Automatikfunktionen in Form einer Einführung in die Kunst der Kompression, Letztere finden im Smart:comp ein trickreiches Tool für extrem dichte Mixes. Grundsätzlich sollte man sich jedoch darüber im Klaren sein, dass der Smart:comp keinen prägnanten Eigencharakter hat, weder im Klangbild noch im Regelverhalten. Er ist also das krasse Gegenteil eines 1176 oder LA-2A. Vielmehr ist der Smart:comp stets bemüht, so transparent wie möglich zu klingen und so unauffällig wie möglich dynamisch zu verdichten. Man kann ihn aber »missbrauchen« und zu eigenständigen »coolen« Sounds überreden – dazu später mehr.

Nutzt man ihn wie vorgesehen, stellt die eingebaute Intelligenz eine unauffällige Kompression ein, die das Klangmaterial dynamisch verdichtet, ohne dass die Kompression als solche hörbar wird. Dazu wählt man ein geeignetes Profil, drückt den Learn-Button (mit Record-Icon in Blau) und spielt eine repräsentative Passage ab. Die von der Automatik ermittelten Einstellungen verdichten das Klangmaterial meist um 3 bis 5 dB; das Make-up-Gain wird ebenfalls passend vorgegeben. Auffällig ist, dass die Attack-Zeit praktisch immer im zweistelligen Millisekundenbereich liegt und damit länger ist, als sie ein Pop Engineer üblicherweise von Hand einstellen würde. Dennoch klingen die Ergebnisse absolut stimmig; es sind keine überbetonten, vorwitzigen Attacks zu hören.

Gewünscht hätte ich mir jedoch mehr Profile. In der getesteten Version 1.02 kennt der Smart:comp gerade einmal neun, wobei es getrennte Profile für männlichen und weiblichen Gesang gibt, aber keines für Sprache. Für Schlagzeug gibt es ein Drums-Profil und separate für Snare und Kick, aber alle Arten von Gitarren, ob elektrisch oder akustisch, mit Stahl- oder Nylonsaiten oder gar die dicke Jazz-Box mit Flatwounds, müssen sich ein einziges Profil teilen. Auch für Keyboards gibt es nur ein einziges, das von Konzertflügel über Rhodes-Piano bis zu Synthesizern folglich alles abdecken muss. Gar keine Profile gibt es für Streicher, Holz- und Blechbläser, weder als Ensemble- noch als Soloinstrumente. Hier muss dann das »Standard«-Profil herhalten. Das funktioniert im Prinzip schon, aber mehr genau zugeschnittene Profile wären wünschenswert, gerade auch im Hinblick auf die Spectral Compression, die für optimale Ergebnisse wissen müsste, wie ein bestimmtes Instrument klingen soll.

Nichtsdestotrotz kommt man mit der Automatikfunktion praktisch immer zu einem guten bis sehr guten Ergebnis – im Sinne einer unauffälligen dynamischen Verdichtung. Die eingebaute KI erzielt durchweg eine Kompression, die man erst bemerkt, wenn man sie ausschaltet – und die man erst dann richtig zu schätzen lernt, denn ohne Smart:comp klingt es fast immer schlechter! Die Spectral Compression ist dabei die Kirsche auf der Sahnetorte: Auch sie fällt einem zunächst nicht auf, bis man sie ausschaltet und plötzlich alles etwas »rumpeliger« klingt. Die Spectral Compression wirkt offenbar unerwünschten Resonanzen entgegen, die sich ja nicht nur spektral bemerkbar machen, sondern in diesem Frequenzbereich auch die Ausklingzeit verlängern. Im Spektrogramm des Smart:comp sieht man deutlich, dass in diesen Bereichen die Gain-Reduction stärker und länger wirkt. Die Spectral Compression räumt das Klangbild auf und macht es zumeist insgesamt luftiger.

Erfahrene Profis werden die von den KI-Algorithmen vorgeschlagenen Einstellungen wohl eher als Ausgangspunkt für eigene Optimierungen betrachten. Der Smart:comp bietet gerade für die Einstellung der Zeitkonstanten eine echte Spielwiese. Interessant sind nicht nur die Kurveneinstellungen, sondern grade auch die beiden von der KI gar nicht genutzten Hold-Parameter. Hier lauert Kreativpotenzial für Effektkompression, etwa auf den Schlagzeug-Raummikrofonen. So kann man z. B. eine sehr schnelle Attack und Release einstellen, diese aber über die Hold-Parameter um einige Millisekunden verzögern. So kann man sehr knallige, explosionsartig aufziehende Räume erzielen, die das Schlagzeug nicht nur groß klingen lassen, sondern ihm auch mehr Impact verleihen. Über Attack-Hold kann man die Transienten fein herausarbeiten, während Release-Hold das »Atmen« des Ausklangs kontrolliert. Für die hohe Qualität des Smart:comp spricht, dass auch bei extrem schnellen Regelzeiten keine Zerrartefakte hörbar werden.

Die Spectral Compression räumt das Klangbild durch frequenzselektive Kompression auf — ausgehend von einem Modell der optimalen Energieverteilung.

Für Mix-Profis hoch interessant sind darüber hinaus die Sidechain-Funktionen, insbesondere das Spectral Ducking. Allseits bekannt ist der alte Trick, den Kompressor auf der Bass-Spur mit einem externen Sidechain zu versehen, der von der Kick-Drum gefüttert wird, sodass jeder Schlag der Kick den Bass kurzzeitig wegdrückt.

Das Spectral Ducking des Smart:comp kann hier sehr hilfreich sein, denn nun muss nicht das gesamte Signal geduckt werden, sondern nur der Frequenzbereich des Key-Signals. Das ist vor allem dann von Vorteil, wenn sehr unterschiedliche Signale gegeneinander kämpfen. Also beispielsweise, wenn man die Lead-Vocals in ein bereits sehr dichtes Arrangement einbetten möchte. Der Gesang benötigt vor allem in den Mittenfrequenzen Platz, um sich durchzusetzen, die Bassfrequenzen müssen gar nicht geduckt werden. Das Spectral Ducking des Smart:comp macht das möglich!

Fazit

Breits vor einigen Jahren hat Sonible mit dem Frei:raum Equalizer bewiesen, dass »mitdenkende« Plug-ins nicht nur möglich sind, sondern auch sinnvoll. Auf den ersten Blick wirkt der Smart:comp weniger revolutionär, sind doch Programmautomatiken zur Erkennung der Regelzeiten schon lange Teil vieler Kompressoren. Der Smart:comp geht indes deutlich weiter, vor allem bei seiner Spectral Compression, denn der Hersteller hat seinem Plug-in Wissen eingepflanzt, wie das Endergebnis zu klingen hat. Und es funktioniert: Der Smart:comp findet praktisch immer Einstellungen, die das Klangbild verbessern, zumindest aber unauffällig verdichten, sodass selbst Anfänger leichter zu einem professionell klingenden Mix kommen – Lerneffekt inklusive.

Profis brauchen sich nicht zu grämen, denn für das Außergewöhnliche und Individuelle mit dem gewissen Mojo benötigt man immer noch Erfahrung. Aber auch sie profitieren vom Smart:comp in Form eines transparent klingenden Tools, das so manchen Trick drauf hat, den man bei »klassischen« Kompressoren vergeblich sucht. Ein weiteres Highlight ist das Spectral Ducking, mit dem es leichter möglich wird, extrem dichte Mixes zu fertigen, bei denen »laut« und »schön« nicht unvereinbar sind.

Darum preiset die Maschinen, denn sie sind nicht mehr dumm! Womöglich sind sie sogar klüger als mancher von uns …


+++ sehr transparenter Klang für »unhörbare« Kompression
+++ Spectral Compression verbessert das Klangergebnis fast immer.
+++ Auch für Profis interessant: Spectral Ducking und detailliert einstellbare Regelzeiten
++ KI-Algorithmen finden stets sinnvolle Einstellungen.
− (bislang) nur wenige Profile

Hersteller: Sonible
Downloadpreis: 129,– Euro
www.audiowerk.eu

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.