Sounds mit einer gewissen Magie — ein kostbares Gut, wenn man bei einer Produktion einen speziellen Klang oder eine Inspiration beim Songwriting sucht. All das verbunden mit einer guten Portion Sound-Overkill machte bereits die erste Version von Omnisphere zu einem der beliebtesten Software-Synthesizer. Das Sampling-basierte Klangwunder haben Sounddesigner Eric Persing und sein Spectrasonic-Team nun gehörig aufgebohrt: klangliche Superlative 2.0 …
Es ist fast sieben Jahre her, seit Spectrasonics mit Omnisphere einen neuen Standard im Bereich der virtuellen Instrumente etabliert hat. Anstatt wie viele Konkurrenten legendäre Synthesizer in Software minutiös nachzubauen, setzte Spectrasonics von Anfang an auf eine konsequente Kombination aus SamplePlayback und selbstentwickelter, DSP-basierender Synth-Engine, in der die verschiedensten Synthesetechniken vereint werden. Die sogenannte „Steam Engine“ ermöglicht ein umfassendes Spektrum an Sounds, die von Brot&Butter-Patches bis zu extrem experimentellen Klanglandschaften reichen.
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Dank der riesigen Auswahl an Samples („Sound-Sources“ im Omnisphere-Jargon) und den vielen Optionen der DSP-Engine dürften selbst echte Power-User bisher nur an der Oberfläche der Möglichkeiten gekratzt haben. Nichtsdestotrotz hat Spectrasonics in der Zwischenzeit nicht untätig rumgesessen und sorgt nun mit der neuen Version für ordentlich Druck auf dem Kessel.
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Quellen der Inspiration
Zu den 40 GB Samples der ersten Version kommen weitere 20 GB hinzu, und die Anzahl aller verfügbaren Klänge steigt damit auf über 12.000. Viele der neuen Samples sind mit enormem Aufwand erstellte Multisamples mit mehreren Dynamik-Abstufungen und Round-Robin-Samples. Es wurde dabei bewusst darauf verzichtet, Standardinstrumente zu sampeln, die es eh schon zur Genüge von der Konkurrenz gibt.
Das Team von Eric Persing hat sich stattdessen auf die Suche nach ungewöhnlichen Klängen begeben und hat u. a. längst vergessene Instrumente wie das Hohner Guitaret oder Unikate wie den Experibass oder das Arcophonico gesampelt, die der italienische Klangkünstler Diego Stocco erdacht und gebaut hat. Diego dürfte allen Omnisphere-Anwendern bekannt sein, die schon einmal die „Burning Piano“- Samples der Version 1.0 gespielt haben. Eine besonders umfangreiche Kategorie im neuen Sample-Content bildet die Kalimba. Die Auswahl lässt so manche Ethno- Library alt aussehen. Aber natürlich hat Eric Persing sich nicht damit begnügt, die einzelnen Varianten akribisch zu digitalisieren.
Vielmehr kamen allerlei ungewöhnliche Mittel zum Einsatz, um den Instrumenten sprichwörtlich bisher unerhörte Klänge zu entlocken. Wie wär’s mit einer elektrischen Zahnbürste, Zuckertütchen (!!!) oder einer Angelschnur? Die daraus resultierenden Samples haben ausgeprägte Transienten, die sich wunderbar mit anderen Sounds kombinieren lassen, um Klänge zu erzielen, die mitunter wie eine 21st-Century-Version des legendären Roland D-50 klingen. Kein Wunder, wenn man weiß, dass Eric Persing seinerzeit der Chef-Sounddesigner bei Roland war und für die meisten der D-50-Factory-Presets verantwortlich zeichnet.
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Ein weiteres Highlight der neuen SoundSource-Library ist die Hang Drum. Dieses in der Schweiz handgefertigte Percussion-Instrument erzeugt einen inspirierenden Klang, der irgendwo zwischen Steeldrum und Glockenspiel angesiedelt ist. Die Kategorie „Circuit Bending“ wiederum liefert ideales Ausgangsmaterial für Glitch und Experimental. Die mit Abstand aufwendigste Sampling-Session dürfte der Ausflug in eine radioaktive Tropfsteinhöhle in Osteuropa gewesen sein, bei der die Töne aufgezeichnet wurden, die entstehen, wenn man die Stalagmiten mit einem Hammer anschlägt.
Unter den über 2.000 neuen Sound-Sources befinden sich auch eine Auswahl aus älteren Spectrasonics-Libraries wie Vocal Planet, Heart of Africa und Heart of Asia. Viele dieser Samples sind in der Phrases-Kategorie zu finden und umfassen sowohl instrumentale als auch gesungene Phrasen, die das ideale Ausgangsmaterial für die Granularsynthese in Omnisphere 2 sind. Dass gute Samples zeitlos sind, beweisen diese teilweise 20 Jahre alten Sounds in beeindruckender Weise.
Es gibt viele neue Klänge, die Steam-Engine hat nun zahlreiche neue Funktionen, und auch die Bedienoberfläche wurde optimiert, um den alltäglichen Workflow zu verbessern.
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Der neue Aux-Weg erweitert nicht nur die Anzahl der gleichzeitig
in einem Patch verwendbaren Effekte von 12 auf 16, sondern
schafft gerade in Verbindung mit neuen Effekten wie Inner Space
einen parallelen Signalpfad, der sich fast wie ein drittes Layer verhält.
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Die Möglichkeit, einzelne Steps zu transponieren, macht aus
dem Arpeggiator einen Step-Sequenzer, und der modulierbare
Speed-Control-Parameter ermöglicht Amplituden-Modulation.
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Die neuen Phrasen-Samples in Omnisphere 2 sind das ideale
Ausgangsmaterial für die Granular-Funktion. Selbst einen bayrischen
Jodler verwandelt man damit in nullkommanix in eine esoterische
Klangwolke.
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Der Orb bietet eine multidimensionale Echtzeitkontrolle des
Klangverlaufs. Die neue Attractor-Funktion bewegt dabei die aktuelle
Cursor-Position zwischen zwei Punkten ähnlich einem Pendel.
Wellenreiten Inklusive
Eigene Audiodateien in Omnisphere verwenden zu können dürfte ein lang gehegter Wunsch vieler Omnisphere-User sein. Genau das ist in Omnisphere 2.0 auf die sprichwörtlich einfachste Art und Weise realisiert worden. Dazu werden die gewünschten Audiodateien im WAV- oder AIFF-Format auf den geöffneten Useraudio-Browser gezogen und automatisch in Sound-Sources umgewandelt. Loop-Punkte werden berücksichtigt, Echtzeit-Crossfade-Loops, wie sie z. B. in Kontakt-Samples zum Einsatz kommen, lei der nicht. Ferner wird der Import von Multisamples nicht unterstützt. Der Selbstversuch mit eigenen Audiodateien beweist: Das Feature macht Spaß, und Aufnahmen von Wavetables lassen sich mit den richtigen Einstellungen im Granularmodul fast wie echte Wavetables verwenden.
Bereits Omnisphere 1 bietet zusätzlich zur samplebasierten Klangerzeugung auch Synth-Oszillatoren, welche Wellenformen verwenden, die in Echtzeit vom DSP berechnet werden. Omnisphere 2.0 erhöht die Anzahl dieser Wellenformen von 4 auf stattliche 400, und jede einzelne davon ist jetzt ein echter Wavetable, der wie bei einem PPG-Synthesizer mit beliebigen Modulatoren durchfahren werden kann. Viele der Wellenformen basieren auf Vorbildern klassischer analoger und digitaler Synthesizer der letzten 40 Jahre. Abgesehen vom visuellen Erscheinungsbild lassen sich damit in Verbindung mit den acht neuen Filtertypen die typischen Klänge der Originale wunderbar nachbilden.
Dampfmaschine 2.0
Auch wenn Omnisphere weitgehend Samplebasiert arbeitet und die Library den Löwenanteil ausmacht (und die Presets einen geradewegs erschlagen), so ist Omnisphere dennoch ein Eldorado für Soundtüftler, die gerne selber an den Sounds kreativ herumschrauben möchten. Die Sound-Engines lassen vielseitige Manipulationen zu, um das Basismaterial in die unterschiedlichste Form zu bringen. So kann jedes der zwei Layer in einem Omnisphere-Patch frequenz- und ringmoduliert werden. In der neuen Version verfügen beide Module über einen Boost-Modus, der extremere Modulationen zulässt. Außerdem kann jede der 400 DSP-Wellenformen als Modulator zum Einsatz kommen, und deren Obertöne lassen sich verändern.
Die Unison-Funktion vervielfacht die Anzahl der Oszillatoren und wurde um den Parameter Drift erweitert, der eine Verstimmung wie bei einem typischen Analogsynthesizer erzeugt. Auch die Granular-Funktion wurde verbessert und bietet jetzt einen Wild-Modus für noch krassere Ergebnisse. Ein Legacy-Modus garantiert, dass Patches, die mit der alten Version erstellt wurden, unverändert klingen.
Arpeggiator Reloaded
Die lang ersehnte Möglichkeit, die Schritte in einem Arpeggio individuell transponieren zu können, macht aus dem Arpeggiator eine Art Step-Sequenzer, mit dem sich auf einfache Art und Weise interessante Basslines zaubern lassen, die man dann bequem mit einem Finger durch die Tonarten bewegen kann. Aber auch Akkord-Arpeggios bekommen einen modernen Touch, wenn man zwischendurch mal den Akkord um 12 oder 19 Halbtöne nach oben transponiert. Als die absolute Geheimwaffe im Arpeggiator entpuppt sich aber der eher unspektakulär erscheinende Speed-Regler. Damit lässt sich die Geschwindigkeit des Arpeggios-Patterns unabhängig vom Host-Tempo regeln. Das lässt sich sogar so weit schrauben, dass bei hoher Drehzahl aus dem Arpeggio eine Wellenform wird, deren Obertonverlauf durch die gespielten Noten im Arpeggio und die Ausgangswellenform des Patches bestimmt wird − einfach genial!
Funktionserweiterung
Neben den klanglichen Möglichkeiten wurde auch der Workflow verbessert. Was nützen einem tausende von Sounds, wenn man im entscheidenden Moment nicht das passende Patch findet. Dabei hilft zunächst ein übersichtlicher Browser. Richtig praktisch ist die Sound-Match-Funktion, die ähnlich klingende Patches auflistet. Was aber, wenn man nur einen bestimmten Aspekt eines Sounds gut findet, wie z. B. den Arpeggiator?
In dem Fall hilft die Sound-Lock-Funktion, mit der man verschiedene klangliche Eigenschaften eines Patches verriegeln kann. Beim Patch-Wechsel bleibt der verriegelte Teil erhalten. Alte Projekte, die mit Omnisphere 1.x erstellt wurden, lassen sich problemlos abspielen. Die neuen Soundlock- und SoundmatchFunktionen machen in Verbindung mit der überarbeiteten Kategorisierung im Browser das Auffinden von geeigneten Sounds um ein vielfaches einfacher, und der Workflow profitiert von den vielen Verbesserungen der Benutzeroberfläche und Funktionen wie Global Half und Doublespeed, die das Arbeiten mit rhythmisch-animierten Klängen, die im Fall von Omnisphere oft viele verschiedene Modulationsquellen gleichzeitig verwenden, extrem erleichtern.
EDM
Viele Musiker halten Omnisphere für ein Instrument, das in erster Linie für die Filmvertonung geeignet ist. Dass man mit den DSP-Oszillatoren und Filtern allerdings auch ohne Weiteres amtlich klingende EDM- Klänge erzeugen kann, beweist die gleichnamige Library, die im Lieferumfang von Omnisphere 2 enthalten ist. 784 Patches decken dabei einen großen Bereich zeitgenössischer Tanzmusik ab. Von bitterbösen Supersaw-Leads, die wie ein Schwarm wildgewordener Killerbienen klingen, bis hin zum unvermeidlichen Wobblebass ist so ziemlich alles vertreten, was man braucht, um im Club die Tanzfläche zu rocken. Die Sounds springen einem förmlich direkt aus der Kalotte ins Gesicht.
Fazit
Der Synth der Superlative wird noch einmal deutlich verbessert mit dem 2.0-Update. Ein so vielseitiges Angebot an hochwertig klingendem Klangmaterial in einem einzigen Synthesizer ist einzigartig. Omnisphere 2 ist unverändert kein Tool für klassische Keyboard-Sounds der Brot&Butter-Kategorie, dafür aber umso mehr ein Synthesizer mit einem hohem Inspirations- (und Sucht-) Potenzial. Die Patches beweisen durch die Bank, dass das Spectrasonics-Team in Sachen modernen Sounddesigns im wahrsten Sinne des Wortes den Ton angibt…