SSL BIG SIX – Analoger Desktopmixer mit USB-C-Interface
von Daniel Graumann,
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Seit diesem Jahr ist der Nachfolger des Desktopmischers SiX aus dem Hause Solid State Logic (SSL) verfügbar. Das BiG SiX wartet mit interessanten Erweiterungen auf, die wir uns in diesem Artikel mal genauer anschauen werden. Vorab: Vorbei sind die Fragen wie »Was, im SiX ist kein Interface drin?«. Es gibt jetzt ein 16-kanaliges USB-C-Interface mit erstaunlich guten Wandlern.
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»Alles wird sich ändern, wenn wir groß sind«, hieß es in einem Popsong in den 90ern. Echt, ist es wirklich so? Es wäre zu kurz gesprungen, einfach zu behaupten, dass das BiG SiX nur die doppelte Anzahl an Eingängen hat als das SiX. Sind es doch die Feinheiten, die die erweiterten Einsatzmöglichkeiten ausmachen. Augenscheinlich ist es aber richtig, dass das BiG SiX vier SuperAnalogue Preamps und vier Stereokanäle mitbringt, von denen der kleine Bruder nur je zwei besitzt.
Beim genaueren Betrachten zeigt sich, dass die Kanalzüge ein MakeOver bekommen haben. Jetzt stehen bei den EQs drei Bänder je Kanal zur Verfügung. Echt schön, dass diese auch Einzug in die Stereozüge erhalten haben, fehlten diese beim SiX doch merklich. Die Pres haben auch endlich einen Phasenumkehrschalter erhalten. Geblieben sind die Input-Wahl-, 48V-, Low-Cut- und Hi-Z-Schalter, Gain- und One-knop-Kompressor-Regler sowie Insert und zweimal Cue pro Kanalzug. Wie erwähnt haben die vier Stereokanäle jetzt auch einen 3-Band-Shelve-EQ erhalten, ebenso die beiden Cue-Wege. Gleich ist auch die Fader-Sektion. Alle Kanäle haben unter dem Pan-/Balance-Poti einen leichtgängigen 100-mm-Fader mit nebengestellter 8-Segment-LED für den Pegel je Kanal und am unteren Ende die beiden Schalter für Prefader listen sowie BusB/Mute. An weiteren Eingängen gibt es wie auch schon beim SiX die beiden Stereo-External-Inserts auf der Summe. Beachtenswert ist die Kopfhörersektion. Es gibt hier jetzt zwei Kopfhörerausgänge mit zuweisbarer Quellenwahl, Talkback und LMC.
Da bekanntlich aller guten Dinge drei sind, gibt es neben den Kanalkompressoren, dem ListenMic-Compressor auch noch den vereinfachten G-Bus-Kompressor für die Summe. Neben Threshold und Makeup-Gain wurde dieser um eine Autorelease-Funktion ergänzt. Die Gain-Reduction wird auch hier wieder über eine 5-Segment-LED angezeigt.
An dieser Stelle muss ich einem ungeschriebenen Gesetz Folge leisten und den obligatorischen Hinweis auf den Zusammenhang zwischen dem LMC und Phil-Collins-Signature-Sound geben. Schließlich darf das in einem Artikel über solch ein SSL-Produkt nicht fehlen. So, erledigt!
Betrachten wir mal die Abhörsektion. Diese ist nämlich anders angeordnet als beim kleinen Bruder. Sie wirkt ausgedünnter, ohne ihre Funktionen eingebüßt zu haben. Es wurde minimal etwas an der Aufteilung verändert und mehr Platz gelassen, was einen aufgeräumteren Eindruck macht.
Bei den Anschlüssen auf der versenkten Rückseite gibt es eine auffällige Änderung. Die beiden D-Sub25-Buchsen sind nicht mehr vorhanden. Wurden beim SiX hierüber unter anderem die Send- und Return-Wege der beiden Monokanäle realisiert, gibt es beim BiG SiX hier direkt Buchsen (34 Stück) auf der Rückseite. Für meinen Geschmack finde ich diese Lösung deutlich schöner gelöst. So ist die taktile und bestimmt auch optische Kontrolle über die Verkabelung aller Inserts, CUEs und dem Main Out unkomplizierter. Komplettiert wird die Rückseite durch die USB-C-Buchse und den Anschluss des Netzteils mit zugehörigem Kippschalter. Den Schalter umzulegen bedarf etwas Fingerübung, wenn man nicht um den Studiotisch herum laufen möchte.
Bei der Haptik ist die Verwandtschaft ohne Elternschaftstest erkennbar. Die Potis, Fader und Taster fühlen sich sehr hochwertig an und sind wie erwartet zuverlässig. Dass die Buchsen ebenfalls hochwertig sind, müsste eigentlich nicht gesondert erwähnt werden – der Vollständigkeit halber musste ich es aber machen. Die Taster haben ihr Leuchten abgegeben, und jetzt befinden sich neben den Tastern die Status-LEDs. Im Test empfand ich die schwereren Druckpunkte der Taster sehr angenehm, werden so schließlich versehentliche Aktionen verhindert. Es ist aber ratsam, mittig auf die Taster zu drücken, da sie sonst nicht immer ein- bzw. ausrasten – Letzteres sollte bei der Arbeit mit dem Mischer auf der Engineer-Seite tunlichst vermieden werden. 🙂
Stellt sich zwischendurch schon Mal die Frage, für wen das SSL BiG SiX etwas ist. Auf jeden Fall für Fans von SSL! Für alle, die einen analogen Mischer wollen, der eine brillante Qualität in Ton und Haptik hat, alle, die hochwertige Channelstrips suchen – schließlich gibt es hier vier vollwertige Kanalzüge, die bei vergleichbaren API-500-Format-Modulen insgesamt eine Ecke teurer wären! Und für diejenigen, die in Stems summieren wollen.
Weil ich ja blind bin, würde ich mir persönlich unter dem Gesichtspunkt der Barrierefreiheit den Austausch der gleitenden Potis mit gerasterten Modellen wünschen sowie motorisierte Fader für eine Total-Recall-Fähigkeit. Andererseits könnte man für diesen Anwendungsfall auch das BiG SiX (wie auch das SiX) als fest eingestellten Summierer nutzen und Gain und Panning über das UF-8 in der DAW machen. Klar kann man auch andere DAW-Controller nehmen, aber hey: Hier geht es doch gerade um SSL, oder?
Ganz deutliche Unterschiede empfinde ich allerdings bei der Empfindlichkeit der Fader. Wurden sie beim SiX fast schon versehentlich verstellt, wenn man beim Mixing mal niesen musste, sind sie beim BiG SiX widerstandsfähiger. Das ist nicht unwichtig, wenn ich fühlen muss, wie die Fader stehen. Außerdem stehen die Potikappen so, dass ich im Test die Position der Potis besser rekonstruieren konnte als beim Six. Warum? Die Muttern, mit denen die Potis im Gehäuse befestigt sind, sind sehr gut tastbar – diese Muttern waren beim SiX aufgrund einer anderen Befestigungsmethode so nicht vorhanden.
Genug der Theorie, Praxis!
Es wurde eine moderne Jazz-Produktion über Pro Tools Studio gemischt. Folgende Spuren lagen vor: Bass (DI, BassAmp), Kick (in, out close, out far), Snare (Bottom, out, top), Hi-Hat, Floor-Tom, Overheads, Gitarre (2 x Speaker), Piano (2 x stereomikrofoniert) sowie vier Vocal-Spuren. Das BiG SiX erlaubt zwei verschiedene Herangehensweisen:
Variante 1: Mix wie nix.
In Pro Tools werden über die Insert-Wege der einzelnen Spuren sehr simpel via USB die Signale durch das Pult geroutet und direkt wieder zurückgeführt. Das kann einfach in jedem Kanal auf dem Pult über einen USB-Taster als Inputwahl geschehen. Das ist der beste Workaround für den Fall, dass die EQs und (in den Monokanälen) die Kompressoren genutzt werden, aber doch noch die Möglichkeit für feinere Änderungen in der DAW erhalten bleiben sollen. Glueing über den G-Bus ist allerdings so nicht möglich, da die Summe nicht geprintet wird. Diese könnte mit einer weiteren Audiospur natürlich auch abgegriffen werden. Bei der Anzahl der Einzelspuren kommt man aber nicht um hybrides Mischen (oder Ausdünnen) herum. Daher …
Variante 2: Fakten schaffen und für den Fall der Fälle gute Dokumentationen führen.
Der Weg über die Inserts in den Tracks wird nicht genommen, alle Spuren werden in kleineren Stems auf die Kanalzüge gelegt und nur die Summe als Resultat geprintet. Da müssten allerdings auch die externen Kanäle genutzt werden, die keine EQs und Kompressoren bieten. Wer noch ein SiX sein Eigen nennen kann, hat hier natürlich noch weitere Möglichkeiten. Dieses könnte nämlich zusätzlich (mit klassischer Verkabelung) auch Tracks verarbeiten und z. B. als Vocal-Subgruppe verwendet werden. G-Buss-Kompressor für die Vocal-Gruppe und die Main-Outs ins BiG SiX mit den Instrumentspuren bekanntmachen. Dann könnte die Summe auch wiederum verdichtet werden.
Im Test habe ich beide Varianten ausprobiert und habe die zweite Variante (inkl. SiX) am angenehmsten empfunden. Das liegt sicherlich daran, dass meine Sprachausgabe mir nicht in den Mix gequasselt hat und meine Hände geübt sicher die Änderungen vornehmen konnten, die meine Ohren für passend erachtet hatten.
Die DualMono-Funktion der Stereokanäle finde ich unglaublich klasse! Beim SiX kann man ja den Stecker des rechten Kanals herausziehen und bekommt so einen weiteren Mono-Kanal. Beim BiG SiX ist es noch besser. Es können beispielsweise im Stereokanal links Bass-DI und rechts Bass-Amp geroutet werden, und mit einem Knopfdruck werden diese zu einem Monosignal zusammengemischt. Über das Balance-Poti kann dann der Anteil von DI und Amp verändert werden – empfiehlt sich nur für Signale, die auch mittig im Mix sitzen sollen, da sie nicht im Panorama bewegt werden können.
Erstaunlicherweise konnte ich nach sehr kurzer Zeit das BiG SiX sehr sicher bedienen. »Erstaunlicherweise « aus dem Grund, weil ich es nach Öffnung des Kartons am liebsten wieder verschlossen und zurückgeschickt hätte. Die Vielzahl der Regler und Knöpfe hat mich im ersten Hands-on wirklich überfordert, und die tolle Übersichtlichkeit von Optifanten hab ich taktil nicht nachvollziehen können. Ging aber schlussendlich echt gut von der Hand.
Obwohl ich nicht für optische Ansprüche bekannt bin, finde ich eine Sache schon schade. Die Formate von SiX und BiG SiX sind nicht wirklich kompatibel. Wenn sie nebeneinanderstehen oder eingebaut werden sollen, sind da schon Unterschiede in der Tiefe der Geräte. Zugegeben, das ist Jammern auf sehr hohem Niveau, aber das hätte ich echt super gefunden. Bevor jetzt Zuschriften die Redaktion erreichen: Dass im BiG SiX ja mehr Technik verbaut ist und daher das Six-Format überhaupt nicht gepasst hätte, ist mir auch schon klar.
Fazit
Abschließend kann ich nur schreiben, dass der Preis von rund 2.500 Euro für das Gesamtpaket absolut in Ordnung geht. Das SSL BiG SiX ist als Interface mit High-Class-Mischpult in einer unglaublichen Verarbeitungsqualität (beim Testkandidaten musste allerdings ein stramm sitzendes USB-C-Kabel gegen versehentliches Herausrutschen verwendet werden) für Anhänger des analogen oder hybriden Mischens fast schon ein Muss. Und das von einem Neve-Fanboy!