Er gehört zu den letzten großen Synth-Schlachtschiffen der 80er-Jahre: der Matrix-12 von Oberheim. 1985 war kein gutes Jahr für Tom Oberheim. Der Gründer der Synthesizerschmiede und Entwickler legendäre Geräte wie etwa das SEM-Modul, den 4-Voice, den OB-X oder den OB-Xa musste damals seine Firma verkaufen und den Chefsessel räumen; aus Oberheim Electronics wurde ECC Oberheim, der Haupteigner war jetzt sein ehemaliger Anwalt – den Tom Oberheim übrigens später verklagte. Das war bitter für den Synthesizerpionier, der in den 60er-Jahren – inspiriert von Harold Bodes Designideen – mit dem Bau eines Ringmodulators angefangen hatte, der u. a. beim Soundtrack von Rückkehr Zum Planet Der Affen zum Einsatz kam.
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Oberheims Firma hatte zwar Mitte der 80er-Jahre volle Auftragsbücher mit vielen Bestellungen, und es gab zwei sehr leistungsfähige aktuelle Synthesizer im Programm, den Xpander und den Matrix-12, die von vielen Musikern geschätzt und begehrt wurden. Das Problem aber war die konstante Unterfinanzierung von Oberheim Electronics; die im Vergleich zu Marken wie Roland oder Yamaha eher kleine Firma war nicht in der Lage, die Bestellungen zu liefern, es gab zu wenig Personal und man konnte seinen Verpflichtungen nicht nachkommen.
Tom Oberheim blieb nach dem Besitzerwechsel noch zwei Jahre bei der neuen Firma ECC Oberheim und gründete 1987 Marion Systems (seinen eigenen Namen konnte er nicht mehr als Firmennamen verwenden), mit der er u. a. den Analogen Synth-Expander MSR2 herausbrachte. Den Namen »Oberheim« hatte inzwischen Gibson gekauft. Der Matrix-12, der in dem ereignisreichen Jahr 1985 herauskam, gehört zu den letzten analogen Groß-Synths der 80er-Jahre. Entwickelt wurde er von den Oberheim-Ingenieuren Marcus Ryle, Michael Doidic, Anna Graham, Jim Letts und Ale Silverman. Der 15.000 Mark teure Bolide verfügt über ein futuristisch-sachliches Äußeres, das schon den Vorgänger Xpander ausgezeichnet hatte. Selbst die Holzseitenteile vermitteln kein Retro-Flair; das großzügig gestaltete, mattschwarze Bedienpanel mit den drei grün leuchtenden, 40stelligen Displays sieht aus, als könnte man damit auch die Stromversorgung einer mittleren Großstadt steuern, und macht klar: Hier wird ernsthaft gearbeitet.
Innovativ waren damals die den Displays zugeordneten Multifunktionstaster; eines der Displays ist zudem noch mit sechs Endlosdrehreglern ausgestattet, ein zu dieser Zeit wegweisendes Feature, mit dem man die Parameterflut des Synthesizers relativ gut beherrschen kann. Die clevere Bedienphilosophie erschließt sich trotz vieler Menüs schnell, und das Soundschrauben macht nach kurzer Eingewöhnungszeit richtig Spaß. Der Matrix besitzt im Kreise der analogen Groß-Synths der goldenen 80er-Jahre eine der ausgefuchstesten und flexibelsten Klangerzeugungen überhaupt. Der zwölffach polyfone Synth arbeitet mit einer erweiterten subtraktiven Synthese und bietet viele ungewöhnliche Leistungsmerkmale, die man am ehesten einem Modularsystem zugetraut hätte. Eine Stimme basiert auf zwei spannungsgesteuerten und synchronisierbaren Oszillatoren, die die Wellenformen Dreieck, Sägezahn und Puls mit modulierbarer Pulsweite sowie weißes Rauschen (Oszillator 2) liefern.
In der ungewöhnlich gut ausgestatteten, analogen Filtersektion findet man neben Standards wie Lowpass auch viele nicht alltägliche Filtertypen wie etwa Notch und Phase-Shift-Filter, die alle einen modulierbaren Resonanz-Parameter aufweisen. Folgende Filter-Typen tummeln sich im Matrix-12-Filter-Eldorado: Tiefpass (1-, 2-, 3-, 4-Pol), Hochpass, (1-, 2-, 4-Pol), Bandpass (2-, 4-Pol), Bandsperre (2-Pol) und Phase Shift (3-Pol). Darüber hinaus werden noch drei Filterkombinationen geboten: Tiefpass (1-Pol) mit Hochpass (2-, 3-Pol), Bandsperre (2-Pol) mit Tiefpass (1-Pol) und Phase Shift (3-Pol) mit Tiefpass (1-Pol).
Auf der Rückseite des Matrix-12 finden sich außer einem Stereo- und Kopfhörerausgang ein MIDI-Trio, ein Kassetten-Interface zur externen Soundspeicherung, ein Trigger-Eingang und zwei Pedalanschlüsse.
Weitere Klangbausteine sind neben drei VCAs, die ebenso wie die Oszillatoren und Filter analog aufgebaut sind, eine Reihe softwarebasierter Klangbausteine. Zu diesen gehören fünf (nicht allzu schnelle) Hüllkurven mit ADSR-Charakteristik und Delay-Funktion, drei Tracking-Generatoren, vier Ramp-Generatoren (eine simple Modulations-Hüllkurve), fünf LFOs (mit vier Standard-Wellenformen sowie Rauschen und zwei Sample&Hold-Varianten), 12 DCAs (digital kontrollierte Amplifier) sowie ein LAG-Prozessor, dem eine Steuerspannung einer beliebigen Quelle zugeführt werden kann und der diese umformt und glättet, sodass sie z. B. für die Erzeugung des Portamento-Effekts benutzt werden kann.
Unser Testgerät wurde zusätzlich mit Einzelausgängen für jede Stimme ausgestattet.
Einen Ringmodulator vermisst man nicht wirklich, da sich die beiden Oszillatoren gegenseitig frequenzmodulieren lassen (VCO 1 agiert als Carrier und VCO 2 als Modulator) und so sehr gut auch geräuschhafte und metallische Spektren erzeugt werden können. Ein großer Vorteil ist die Möglichkeit FM-Sounds auch tonal über die Tastatur spielen zu können. Überhaupt gehört die Modulationsmatrix zu den Stärken des Instruments und war zu seiner Zeit ungewöhnlich flexibel konzipiert. So lassen sich z. B. auch Parameter wie die Filterresonanz oder alle Phasen der ADSR-Hüllkurven individuell als Modulationsziele definieren. Allerdings reicht die Geschwindigkeit der LFOs nicht in den Audiobereich.
Die Klangerzeugung des Synths beruht zum großen Teil auf Curtis-Chips. Neben dem CEM 3374-Dual-VCO kommen ein CEM 3372-Signalprozessor und ein CEM-3320 für das Filter zum Einsatz. Die digitalen Aufgaben werden von zwei Motorola(6809)-Prozessoren erledigt.
Der Matrix-12 gehört ohne Zweifel zu den bestklingenden Synthesizern der Mitt-Achtziger und wurde u. a. von Acts wie Depeche Mode (Violator), Vangelis, Scritti Politti, Herbie Hancock, Yello und Erasure eingesetzt. Sein Grundsound ist druckvoll und klar konturiert. Alle typischen Synthesizer-Disziplinen wie breite, cremige Pads, ausdrucksstarke Leads, gute Bässe oder die typischen Oberheim-Bläser bewältigt er mit Bravour. Im Vergleich zu legendären Vorgängern wie etwa dem OB-1 oder dem OB-X klingt er etwas zahmer und nicht ganz so brachial und organisch. Dafür kann der Matrix-12 aber auch mit ungewöhnlichen Modulations-Sounds aufwarten, die man eher einem Modularsystem zugetraut hätte. Experimentelle und geräuschhafte Klangspektren lassen sich daher auch problemlos erstellen. Das flexible Multimode-Filter ist ein weiterer Pluspunkt. Auch bei hohen Resonanzwerten wird das Klangbild kaum ausgedünnt.
Etwas nachteilig ist allerdings die Rasterung der Filterresonanz in 64 Schritte; beim Realtime-Schrauben (z. B. an den Filterparametern) kann es zudem schon mal zu Aussetzern und Timing-Problemen kommen. Dies liegt vor allem an den manchmal etwas überlasteten Motorola-Prozessoren. Ansonsten macht das Arbeiten mit dem bedientechnisch gut konzipierten Gerät aber sehr viel Spaß.Das Sound-Spektrum des Multi-Mode-fähigen Synths wird außerdem durch die Layer-und Split-Möglichkeiten deutlich erweitert: Bis zu sechs Split/Layer-Zonen lassen sich definieren und mit individuellen Sounds belegen; die zwölffache Polyfonie erweist sich hier als zusätzlicher Vorteil.
Das Matrix-Bedienpanel: Für jeden Parameter, der im Matrix-12 moduliert werden kann, gibt es eine Modulations-Page, in der bis zu sechs Modulationsquellen mit jeweils eigenem Modulationsgrad einem von 27 verschiedenen Zielen zugewiesen werden können.
Zur Matrix-Familie gehören außerdem ein Jahre früher auf den Markt gebrachter sechsstimmiger Xpander, der die halbe Klangerzeugung des Matrix-12 besitzt und ohne Tastatur auskommen muss, der Matrix-6, seine Rack-Version Matrix-6R und der Matrix-1000. Die letzteren drei arbeiten mit einer abgespeckten, sechsstimmigen Klangerzeugung. So wurde u. a. auf den Multimode und die 15 Filtermodi verzichtet (es gibt lediglich ein Lowpass-Filter), und es stehen weniger Modulationsziele zur Verfügung. Auch bei der Bedienoberfläche wurde gespart, der Matrix-1000 lässt sich sogar nur mithilfe von Software editieren. Trotzdem klingen die vergleichsweise günstigen Synths großartig.
Die Oberheimtypischen Lever, die statt der gängigen Mod- und Pitch-Räder verbaut wurden – in ihrem Schacht verschwinden gerne Dinge wie Zigarettenkippen, Büroklammern, Sticks und andere Kleinigkeiten.
Wer die sauerstoffarmen Preisregionen des Matrix-12 scheut, aber dem Sound des Klassikers nahekommen will, sollte sich zwei Matrix-1000 besorgen und diese kaskadieren. Damit lassen sich eindrucksvolle Stereo-Sounds generieren, die klar in Richtung Matrix gehen, wenn auch die klangliche Bandbreite wegen reduzierter Modulationsmöglichkeiten und Filtertypen nicht so groß ist und die Klangfülle des Vorbilds nicht ganz erreicht wird (u. a. auch weil im Matrix-1000 DCOs statt VCOs verbaut wurden). Übrigens gab es für Tom Oberheim in Sachen Namensrechte ein Happy End: 2021 erhielt Tom Oberheim von Uli Behringers Music Tribe die Rechte an der Marke in mehreren Ländern zurück; Oberheims aktuelles Produkt ist der OB-X8.
Der Matrix-12 wurde uns freundlicherweise von Manfred Büchel zur Verfügung gestellt.