Townsend Labs Sphere L22 Modeling-Mikrofon im Test
von Dr. Andreas Hau,
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Unter Engineers und Mikrofon-Nerds gab es in den vergangenen Monaten nur ein Thema: Das Townsend Labs Sphere L22, ein Plug-in-basiertes Mikrofonsystem, das all die teuren und begehrten Mikrofonklassiker nachbilden soll. Und zwar nicht nur bezüglich ihres On-Axis-Frequenzgangs, sondern in ihrem gesamten, dreidimensionalen akustischen Verhalten. Wir hatten Gelegenheit, das erste Vorserienexemplar in Deutschland auszuprobieren.
Es ist lange her, dass eine neu gegründete Firma gleich mit ihrem ersten Produkt für so viel Furore sorgte. Namensgeber und Entwickler von Townsend Labs ist Chris Townsend, der zuvor lange bei Avid beschäftigt war, wo er u. a. für das Eleven Rack verantwortlich war − auch da ging es um Modeling, allerdings von Gitarrenverstärkern. Mikrofone zu emulieren ist ein ungleich komplexeres Unterfangen, denn hier geht es nicht nur um ein elektrisches Signal, sondern um Schallwandlung in einem dreidimensionalen Schallfeld. Schauen wir uns mal an, wie Chris Townsend das angegangen ist.
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Die Hardware
Das Vorserienmodell, das wir erhielten, soll sich laut Vertrieb nur in unbedeutenden Details vom Serienmodell unterscheiden und technisch mit diesem identisch sein. Es kam in einem schwarzen Koffer mit Innenpolsterung, in dem das Mikrofon samt Zubehör Platz findet. Beigelegt waren ein Y-Kabel (XLR5 auf 2x XLR3) sowie eine elastische Aufhängung (Spinne) aus Metall und eine kompakte Gelenkhalterung, die das Mikrofon über eine Schraubverbindung sicher halten, auch bei hängender Aufstellung.
Das Mikrofon selbst ist schwarz lackiert und gleicht in Konstruktion und Abmaßen einem Neumann U47 »Shortbody« (die spätere Version mit etwas kürzerem Gehäuse). Was gewiss kein Zufall ist, denn der Hersteller weiß: Ein Modeling-Mikrofon wird man ganz besonders an dieser Legende messen! Exakt das werden wir später auch tun. Das Gehäuse des Sphere ist also zylindrisch mit einem abgesetzten Mikrofonkorb; sogar die um 45 Grad gedrehte Anordnung des Metallgeflechts wurde beibehalten. Statt der Neumann-Raute ziert die Front des Sphere L22 (auf gleicher Höhe!) ein rundes, grün hinterlegtes Logo mit einem weißen Schriftzug darunter. Eine optische Note setzt der von vier weißen LEDs von innen beleuchtete Mikrofonkorb (was nur im Dunkeln wirklich auffällt). Der untere Rand des Korbs trägt weiße Winkelmarkierungen, die die Ausrichtung erleichtern sollen.
Auf der Rückseite des L22 finden sich zwei Schalter: Der erste dient zur Pegelkalibrierung (dazu später mehr), der zweite ist ein Pad mit den drei Stellungen 0, −10 und −20 dB. In der letzteren Stellung beträgt der Grenzschalldruckpegel üppige 140 dB SPL, ohne Pad folglich aber nur 120 dB SPL − das ist eher wenig für ein modernes, übertragerloses Mikrofon. Das Eigenrauschen ist mit 7 dB-A beziffert, also sehr, sehr niedrig. Und das ist wichtig, damit durch das Processinng des Plug-ins kein Grundrauschen mit angehoben wird.
Einen Pattern-Wahlschalter sucht man vergebens. Das Sphere L22 liefert nämlich alle Richtcharakteristiken gleichzeitig! Das Mikrofon verfügt über einen zweikanaligen Ausgang, der das Signal beider Kapselhälften der 1-Zoll-Doppelmembrankapsel getrennt ausspielt. Das Mikrofon hat daher einen fünfpoligen XLR-Ausgang, der mit dem erwähnten Y-Kabel auf zwei gewöhnliche XLR3- Steckverbinder aufgeteilt wird. Für Aufnahmen mit dem Sphere L22 muss man also immer beide Kapselhälften simultan auf einer Stereospur aufzuzeichnen. Dieses zweikanalige Signal bildet die Grundlage für all das, was mit dem Sphere Plug-in möglich ist.
Solche »Twin«-Mikrofone, die das Signal der vorderen und der rückwärtigen Membran getrennt ausspielen, sind übrigens nicht ganz neu. Vor einigen Jahren erschienen bereits das Sennheiser MKH 800 Twin und das UM 930 Twin. Nur hat erstaunlicherweise noch keine Firma ein dediziertes Plug-in auf den Markt gebracht, um die Möglichkeiten solcher Twin-Mikrofone voll auszuschöpfen. Bis jetzt!
Das Plug-in
Das Sphere-Plug-in dient nicht nur dem Modeling von Vintage-Klassikern, es bietet auch sonst vielfältige Möglichkeiten, das Klangverhalten des Mikrofons auf komplexe Weise zu beeinflussen. Und zwar auch nach der Aufnahme, denn normalerweise wird man das Rohsignal der beiden Kapselhälften in der DAW zweikanalig aufzeichnen, sodass man sich bei der Aufnahme noch nicht festlegen muss. Trotzdem kann man fürs Monitoring bereits eine geeignete Einstellung probehören. Am besten funktioniert das mit einem UAD Apollo-Audio-Interface, denn das Sphere-Plug-in ist nicht nur als VST/AU/AAX-Plug-in, sondern auch als UAD-2-Plug-in verfügbar. Wer die UAD-Software ab 9.0 aufgespielt hat, hat bereits das Sphere Plug-in auf seinem Rechner! Als UAD-2-Plug-in kann Sphere selbstverständlich im Console-Mixer der Apollo-Interfaces genutzt werden, was sehr latenzarmes Abhören ermöglicht. Wer ein anderes Audio-Interfaces benutzt, muss den Weg über die DAW wählen, was in der Regel zu längeren Round-Trip-Latenzen führt.
Schauen wir mal, was geht! Die wohl wichtigste Eigenschaft eines Mikrofons ist nicht seine Typenbezeichnung, sondern seine Richtcharakteristik. Widmen wir uns daher zunächst diesem Bereich. Der Pattern-Schalter hat neun Stufen, d. h. die drei Richtcharakteristiken und jeweils drei Zwischenstufen. Das ist aufgrund der getrennten Signale von vorderer und rückseitiger Membran leicht realisierbar: Die Kapselhälften einer Doppelmembrankapsel stellen zwei Nierenmikrofone, Rücken an Rücken, dar. Summiert man beide Nieren, erhält man Kugelcharakteristik, bildet man die Differenz durch gegenphasiges Verschalten der beiden Nieren, erhält man Achtercharakteristik. Zwischenstellungen ergeben sich durch Pegelabsenkung der rückwärtigen Niere.
Bild: Dr. Andreas Hau
Bild: Dr. Andreas Hau
Bild: Dr. Andreas Hau
Als Nächstes folgt ein vierstufiges Low-Cut-Filter, dessen Einsatzfrequenzen nicht genauer benannt sind; das liegt daran, dass sie sich je nach gewähltem Mic-Model unterscheiden können. Interessanter wird’s beim nächsten Regler »Axis«. Hier lässt sich die Ausrichtung des Mikrofons virtuell korrigieren. Das wäre z. B. dann sinnvoll, wenn man merkt, dass der Sänger nicht zentral vor dem Mikro stand. Mit dem Axis-Regler lässt sich das Sphere L22 dann nachträglich (!) drehen, um dennoch in den Genuss des optimalen On-Axis-Frequenzgangs zu kommen. Großmembranmikrofone klingen nämlich umso matter, je weiter off-axis sie den Schall aufnehmen. In gewissem Rahmen kann das Sphere Plug-in dies ausgleichen. Wunder kann es natürlich auch nicht wirken; bei einem Off-Axis-Winkel über 45 Grad kann auch das Sphere den Höhenabfall nicht mehr vollständig kompensieren. Man kann allerdings verlustfrei das Sphere nachträglich um 180 Grad drehen, falls es mit dem Rücken zur Schallquelle stand.
Interessant ist auch der Proximity-Regler. Denn hier kann wirklich der Nahbesprechungseffekt variiert werden. Konventionelle Mikrofone haben allenfalls eine schaltbare Tiefenabsenkung, um die Tiefenanhebung des Nahbesprechungseffekts (engl.: proximity effect) auszugleichen. Das hier ist etwas anderes: Der Proximity-Regler regelt tatsächlich die Stärke des Nahbesprechungseffekts, und zwar in beide Richtungen, ±100 %. Das funktioniert, indem der Druckgradientenanteil erhöht oder reduziert wird, und zwar nur in den tiefen Frequenzen, wo der Nahbesprechungseffekt auftritt. Nierenmikrofone bezeichnet man ja häufig als Druckgradientenempfänger, was aber nur die halbe Wahrheit ist. Genau genommen sind Nierenkapseln zu 50 % Druckempfänger (Kugel) und zu 50% Druckgradientenempfänger (Acht). Den Nahbesprechungseffekt erzeugt alleine der Druckgradiententeil. Erhöht man in den tiefen Frequenzen den Druckgradientenanteil (d. h., die Richtcharakteristik wird stärker achterförmig), erhöht sich auch der Nahbesprechungseffekt. Vergrößert man dagegen den Druckempfängeranteil, weitet sich die Richtcharakteristik in den tiefen Frequenzen mehr und mehr zur Kugel; der Nahbesprechungseffekt verschwindet.
Genau das ist es, was Großmembranmikrofone für Gesangsaufnahmen so beliebt macht: Typischerweise weitet sich ihre Richtcharakteristik in den tiefen Frequenzen, sodass Bässe und Tiefmitten weniger entfernungsabhängig abgebildet werden als bei (guten) Kleinmembranmikrofonen, die bis in die tiefen Frequenzen ihr Nieren-Pattern beibehalten. Womit wir bei einem zentralen Thema des Mic-Modelings angekommen wären: frequenzabhängige Richtcharakteristiken.
Die dritte Dimension
Dass verschiedene Mikrofone, insbesondere Großmembranmodelle, sich klanglich stark unterscheiden, liegt im Wesentlichen an drei Faktoren:
1. On-Axis-Frequenzgang, d. h. unterschied – liche Klangbalance.
2. Mikrofonelektronik, d. h. unterschiedliche Klangtextur und unterschiedliches dynamisches Verhalten durch Röhren, Übertrager und andere klangprägende Bauteile (bzw. deren Abwesenheit). Auch die Schaltungstechnik spielt eine Rolle, z. B. die Stärke der Gegenkopplung,
3. Frequenzabhängigkeit der Richtcharakteristiken, wodurch Off-Axis-Schall (u. a. Raumreflexionen) unterschiedlich eingefangen wird.
Die ersten beiden Faktoren sind relativ leicht zu erfassen − prinzipiell! −, da sie nicht über das hinausgehen, was in üblichen Plugin-Emulationen nachgestellt wird. Aber schon hier liegt der Teufel im Detail; man sieht ja, wie lange es gedauert hat, Hardware-EQs und -Kompressoren in einer Qualität zu emulieren, die auch kritische Ohren zufriedenstellt.
Punkt 3, frequenzabhängige Richtcharakteristiken nachzubilden, ist ein weitaus schwierigerer Prozess, der weit über das hinausgeht, was wir bisher von Plug-in-Emulationen kennen. Doch gerade für die Klangeigenschaften von Großmembranmikrofonen ist dieser Faktor extrem wichtig. Und deshalb benötigt das Sphere-Plug-in ein speziell dafür entwickeltes Front-End, eben jenes Twin-Mikrofon, das die dazu nötige Klanginformation aus dem Schallfeld gewinnt.
Da das Sphere L22 vorrangig zur Emulation von Großmembran-Kondensatormikrofonen designt wurde, lag es nahe, eine Großmembran-Kapsel mit den üblichen Maßen zu verwenden: 25 mm Membrandurchmesser (1 Zoll) und 34 mm Kapseldurchmesser. Der U47-ähnliche Mikrofonkorb sorgt außerdem für akustisch ähnliche Eigenschaften wie beim wichtigsten Emulationsobjekt. Alles Weitere macht das Plug-in durch frequenzabhängige Filterung beider Kapselsignale.
Grundsätzlich neu ist dieser Gedanke nicht. Die Firma Schoeps hat bereits vor vielen Jahren das Polarflex-System entwickelt, das es ermöglicht, aus zwei übereinander angeordneten Mikrofonen mit Kugel- und Achtercharakteristik ein virtuelles Mikrofon mit frequenzabhängig einstellbarer Richtcharakteristik zu formen. Der ursprüngliche Polarflex-Hardware-Prozessor wurde inzwischen eingestellt, doch ein entsprechendes Plug-in ist bei Schoeps gratis erhältlich. Schoeps’ Pionierarbeit ist in der Patentschrift von Townsend Labs als »Prior Art« anerkannt.
Statt mit Kugel und Acht arbeitet das Sphere L22, wie angesprochen, mit einer Doppelmembrankapsel. Durch Bildung von Summe und Differenz der beiden gegenläufigen Nieren lässt sich jedoch leicht wieder Kugel und Acht gewinnen. Neu ist die Detailtreue, mit der Mikrofonklassiker emuliert werden.
Nachgemessen wurden sowohl die Hardware als auch die Performance mit den bislang erhältlichen Mikrofon-Models. Wenn möglich, wurde mit den Originalen verglichen. Die Messungen fanden unter Praxisbedingungen in einem Aufnahmeraum bei einem Mikrofonabstand von 33 cm statt.
Die Models
Das Sphere-Plug-in bietet derzeit elf Models, von denen acht klassischen Mikrofonen gewidmet sind, während zwei das Sphere-Signal auf technischer Ebene optimieren, das elfte Model ist schlicht der unbearbeitete Klang des L22-Mikrofons. Im Einzelnen:
LD-47K: Die Emulation des Klassikers schlechthin, des Neumann U47. Das »K« im Namen der Emulation dürfte auf die K47- Kapsel abzielen, denn das U47 kam 1949 mit der M7-Kapsel auf den Markt, die Ende der 50er durch die K47 ersetzt wurde. Beide Kapseln klingen ähnlich, aber nicht identisch. Gut möglich, dass später noch eine Emulation der M7-Version folgen wird.
LD-49K: Hier wird das Neumann M49 emuliert, das Anfang der 50er als eine Art DeluxeVersion des U47 mit stufenlos regelbarer Richtcharakteristik auf den Markt kam. Es klingt etwas weicher als das U47. Seinen charakteristischen, riesigen Mikrofonkorb sieht man auf Session-Fotos unzähliger Jazz-Alben der 50er und 60er, u. a Kind of Blue von Miles Davis. Auch hier deutet der Name der Emulation auf ein späteres M49-Modell mit K47- Kapsel.
LD-67: Der nächste Neumann-Klassiker! Das Neumann U67 von 1960 bildet den Abschluss der Röhrenära mit einem moderneren Gehäuse, dem inzwischen ikonischen abgeschrägten Mikrofonkorb und einem neuen Kapseldesign. Das U67 wurde mit dem Ziel entwickelt, in allen drei Richtcharakteristiken einen weitgehend linearen On-Axis-Frequenzgang zu erreichen. Außerdem wurde das U67 stärker für Nahmikrofonierung optimiert; es erhielt einen schaltbaren Low-Cut und ist sehr pegelfest.
LD-87: Und noch ein Neumann. Das U87 erschien 1967 als transistorisierter Nachfolger des U67 mit ähnlichen Klangeigenschaften. Es ist das bis heute vermutlich meistgenutzte Studiomikrofon für Gesang und Sprache.
LD-12: Eine Emulation des AKG C12. Das legendäre Röhrenmikrofon des Wiener Herstellers ist berühmt für seinen höhenreichen, seidigen Klang, der sich klar von den Neumann-Klassikern abhebt. Gut erhaltene C12-Mikrofone sind recht selten und dementsprechend sehr teuer.
SD-451: Dieses Model beruht auf einem neueren AKG-Klassiker, dem Kleinmembran-System C 451. Sein präsenter Sound war in den 70ern und 80ern extrem populär war. Es ist derzeit das einzige Kleinmembranmikron im Repertoire des Sphere Plug-ins. Was kaum verwundert, denn das L22 arbeitet ja mit einer Großmembrankapsel, was die Nachmodellierung von Kleinmembrankapseln erschwert. Es schon ist eine Menge digitales Processing nötig, um aus den stark frequenzabhängigen Nieren-Patterns der L22-Großmembrankapsel die relativ frequenzstabilen Patterns des C451 zu generieren. Physikalisch bedingt kann das gerade in den obersten Frequenzen nur annäherungsweise gelingen.
RB-4038: Die Emulation des Bändchen-Klassikers Coles 4038 ist ein weiterer Problemfall. Bändchen haben aufgrund ihrer Konstruktion in der Vertikalen ein stark frequenzabhängiges Pattern, während sie sich in der Horizontelen nahezu ideal verhalten. Das Sphere-System kann jedoch nur rotationssymmetrische Patterns emulieren. Eine weitere Schwierigkeit ist, dass Bändchen einen sehr tiefen Resonanzpunkt haben, meist um die 30 Hz, während der Resonanzpunkt von Kondensatorkapseln irgendwo in den Mittenfrequenzen liegt, oft bei 800−1.000 Hz. Das Impulsverhalten unterscheidet sich daher stark. Eine genaue Nachbildung von Bändchenmikrofonen darf man vom Sphere L22 somit nicht erwarten.
DN-57: Ähnliches gilt für die Emulation des Shure-Klassikers SM57. Tauchspulkapseln klingen auch bei ähnlichem Frequenzgang deutlich anders als Kondensatorkapseln, da ihre Membranmasse viel höher ist; auf der Rückseite befindet sich ja eine Schwingspule. Die höhere Membranmasse führt zu einem deutlichen Nachschwingen.
Die nächsten beiden Models sind keine Emulationen von Klassikern, sondern Annäherungen an ein technisches Ideal:
SPHERE LINEAR produziert einen perfekt ebenen On-Axis-Frequenzgang, gepaart mit frequenzunabhängigen Richtcharakteristiken − soweit technisch realisierbar, denn die Physik setzt irgendwo Grenzen.
SPHERE LINEAR DIFFUSE macht dasselbe für das Diffusfeld, d. h. für weite Mikrofonabstände außerhalb des Hallradius. In der Praxis bedeutet das eine Höhenanhebung, die den Höhenabfall im Diffusfeld ausgleicht.
SPHERE DIRECT ist der »nackte« Klang des Sphere L22 ohne weitere Bearbeitung.
Übrigens bieten alle Models neun Richtcharakteristiken. Die Richtcharakteristiken (und sonstigen Funktionen wie Low-Cut), die das Hardware-Original bietet, sind türkisgrün hervorgehoben.
Redaktioneller Nachtrag:
Jüngst hat der Hersteller Townsend Labs zwei weitere Mikrofone-Modelle für das Sphere Mikrofon-Modeling-System veröffentlicht: Das LD-251, für das das Vintage Mikrofon Telefunken 251 Parte stand sowie das LD-800, das eine Nachbildung des modernen Klassikers Sony C800G ist. Beiden Modellen liegen detaillierten Analysen der Originale zugrunde. Mit der Veröffentlichung erweitert der innovative US-amerikanische Hersteller sein System um zwei weitere Software-Mikrofon, die bereits als Teil der neuen Software-Version v1.1, bzw. UAD 9.2 integriert sind. Lade dir dazu einfach den aktuellsten Installer von Townsend Labs oder (für UAD) von Universal Audio herunter.
Alle Interessenten, die Sphere ausprobieren möchten, können sich das Plug-in zusammen mit verschiedenen Mikrofon-Spuren kostenlos als Demo herunterladen. Vor dem Download ist eine Registrierung unter www.townsendlabs.com/login/ erforderlich.
Die Extras
Das Sphere Plug-in bietet zusätzlich einen Dual-Mode, in dem gleich zwei Mikrofon- Models ausgewählt werden können, zwischen denen man dann stufenlos überblenden kann. Hier machen die nur näherungsweise emulierten Models wie das DN-57 und das RB- 4038 am meisten Sinn, denn gerade das Shure SM57 und Bändchenmikros wie das Coles 4038 nutzt man ja gerne zur Amp- Abnahme; häufig auch in Kombination, entweder miteinander oder mit einem pegelfesten Kondensatormikrofon wie dem Neumann U67. Mit dem Sphere-Plug-in kann man solche Mikrofonkombinationen virtuell nachbauen. Beide Mikros kann man unabhängig voneinander anwinkeln, und man kann sogar den Versatz zwischen beiden Mikros um ±2 cm feinjustieren.
Der Dual-Mode ist aber keineswegs nur für virtuelle Mikrofonkombinationen interessant; er bietet darüber hinaus erweiterte Einstellmöglichkeiten, die auch für einzelne Mikrofon-Models interessant sind (man aktiviert den Solo-Schalter oder dreht den Mix-Regler ganz nach links).
Off-Axis Correction ist eine clevere Funktion, die vor allem für komplexe Aufnahmesituationen mit mehreren Schallquellen hoch interessant ist. Denn wenn man beispielsweise eine ganze Band zusammen aufnimmt, hat man ja das Problem des Übersprechens; insbesondere das Schlagzeug ist in praktisch allen Mikrofonen recht laut zu hören. Das wäre nur halb so schlimm, wenn denn die Off-Axis-Klangverfärbung nicht wäre: Nicht genug, dass das Schlagzeug heftig in die Klavier-Mikros überspricht; das Übersprechen klingt auch noch stark verfärbt und macht den Schlagzeug-Sound kaputt!
Mit der Off-Axis Correction des Sphere-Plug-ins kann man den gemodelten Mikrofonen weitgehend frequenzstabile Patterns verpassen, d. h., Off-Axis-Schall (Übersprechen) klingt weniger verfärbt. Da man mit dem Sphere, unabhängig vom realen Vorbild, immer neun Patterns zur Verfügung hat, lässt sich zudem eher eine Richtcharakteristik finden, die unerwünschte Schallquellen weit – gehend ausblendet. Und da das alles ja rückwirkend beim Mix einstellbar ist, sind sogar unterschiedliche Settings pro Songabschnitt möglich; man könnte die Einstellungen sogar automatisieren und dynamisch nachführen.
Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass der Dual-Modus auch erweiterte Einstellungen zur Bearbeitung des Nahbesprechungseffekts bietet; neben dem Proximity-Regler gibt es noch einen Proximity-EQ, der ganz konventionell mit Filterung arbeitet, aber gezielt abgestimmt auf den vom Nahbesprechungseffekt erfassten Frequenzbereich.
Ein weiteres Extra kommt als separates Plug-in: Das »Sphere 180«-Plug-in ermöglicht Stereoaufnahmen. Dazu muss das Sphere-L22-Mikrofon um 90 Grad gedreht zur Schallquelle aufgestellt werden. Da die beiden Hälften der Doppelmembrankapsel in entgegengesetzte Richtungen nach links und rechts an der Schallquelle vorbei »schielen«, haben wir es jedoch mit einer unkonventionellen, extremen Stereoanordnung zu tun. Eine solide Stereomitte kann so nicht entstehen. Immerhin reduziert das Plug-in aber die Off-Axis-Verfärbungen, sodass sich das Ergebnis weitaus besser anhört als mit zwei konventionellen Großmembranmikros. Mit ein bisschen Tweaking sind durchaus brauchbare Stereoaufnahmen möglich. Damit kein Loch in der Stereomitte entsteht, hilft es, im Sphere-180- Plug-in die Stereobreite zu reduzieren und/ oder eine Richtcharakteristik im Bereich Breitniere zu wählen.
Für kritische Anwendungen sollte man indes wie bisher auf »richtige« Stereoanordnungen wie XY, AB, ORTF mit zwei separaten Mikrofone setzen. Was ich sehr gerne ausprobiert hätte, wenn denn ein zweites Sphere L22 verfügbar gewesen wäre. Denn gerade für Stereoaufnahmen wären die neuen Möglichkeiten, Richtverhalten und andere Parameter nach der Aufnahme zu optimieren bzw. per Automation anzupassen, ungemein attraktiv. Denn wie man so sagt: Nachher ist man immer schlauer!
Die Praxis
Ich hatte Gelegenheit, das Vorserienexemplar des Townsend Labs Sphere L22 ein paar Tage praktisch auszuprobieren, und darf an dieser Stelle bereits verraten, dass ich gerne noch mehr Zeit mit diesem interessanten Produkt verbracht hätte. Interessenten können das Sphere übrigens selbst erkunden: Auf der Herstellerseite townsendlabs.com sind (nach kostenloser Registrierung) Audiofiles im Rohformat erhältlich, die man selbst mit dem Sphere-Plug-in bearbeiten kann.
Wie angesprochen, beansprucht das Sphere immer zwei Mikrofonkanäle. Diese müssen exakt gleiches Gain haben. Eine große Arbeitserleichterung sind daher Preamps mit digital einstellbarem Gain und/oder präziser Kanalverkoppelung. Denn für präzise Mikrofonpatterns sollte die Gain-Differenz beider Kanäle 0,5 dB nicht überschreiten. Wer diese Möglichkeiten nicht hat, muss das Gain beider Preamp-Kanäle händisch kalibrieren. Das Sphere L22 verfügt dazu über einen Calibration-Schalter, der bewirkt, dass auf beiden Kanälen dasselbe Signal anliegt. Außerdem hat das Plug-in eine Calibration-Page mit einigen hilfreichen Funktionen, u. a. »Auto Cal«, das den Kanalversatz digital ausgleicht. Trotzdem ist das natürlich fummeliger als mit Preamps zu arbeiten, die keine Kalibrierung benötigen. Für meinen Test verwendete ich ein Motu 1248 AVB mit vier digital regelbaren Mikrofonkanälen und das Apollo Twin MK II. (Den Testbericht zum Apollo Twin MK II findest du hier.)
Universal Audios Apollo-Interfaces sind für das Townsend Labs Sphere L22 ein kongenialer Partner, denn das Sphere-Plug-in liegt auch in einer UAD-2-Version vor, die im Console-2-Mixer eingesetzt werden kann. So kommt man in den Genuss von nahezu latenzfreiem Monitoring und kann das Ergebnis bei der Aufnahme vorhören. Vollständig latenzfrei ist jedoch auch das Apollo-Monitoring nicht. Ich habe mal nachgemessen: Bei 44,1 kHz Abtastrate beträgt die Latenz rund 3 ms, bei 96 kHz sind es 1,6 ms und bei 192 kHz noch 1,37 ms.
Solche Latenzen sind für fast alle Anwendungen irrelevant, außer in einer: Gesangsaufnahmen. Denn hier wird der Schall ja einerseits direkt über die Schädelknochen sowie auf extrem kurzem Weg über die Luft übertragen und andererseits eben auf elektronischem Weg über das Mikrofon und die gesamte Signalkette zum Kopfhörer. Bei analogem Monitoring ist der Versatz zwischen beiden Wegen nahezu null, bei digitalem Monitoring kommt es aber zu einem leichten Versatz durch AD- und DA-Wandlung und Verarbeitungspuffer. Und wenn man zwei Signalwege gleichzeitig hört, führen schon minimale Verzögerungen eines der beiden Wege zu Klangverfärbungen durch Kammfiltereffekte. Wohlgemerkt aber nur beim Monitoring und nur für den Sänger/Sprecher. Es scheint mir dennoch wichtig, diesen Punkt anzusprechen, denn teure Großmembranmikrofone kauft man sich nicht zuletzt, um den Sänger bzw. die Sängerin glücklich zu machen und ihnen eine tolle Performance zu entlocken.
Womit ich sagen will: Auch unter idealen Bedingungen, d .h. über ein UA Apollo, hört sich ein mit dem Sphere gemodeltes Mikrofon unterm Kopfhörer erst mal nicht so an wie das entsprechende Original (mit analogem Monitoring). Das bestätigten auch meine Testpersonen: »Klingt obenrum schärfer, die S-Laute klingen härter«, hieß es. Im Vergleich zu meinem originalen Neumann U47 (ein Shortbody mit K47, wie das Sphere-Model) fehlte das Umhüllende, Einladende und jene weiche Präsenz, für die dieses Mikrofon berühmt ist. Bei 96-kHz-Abtastrate ist der Monitoring-Sound schon etwas näher am Original als bei 44,1 kHz, da sich die Latenz halbiert.
Soweit zum Monitoring. Kommen wir zum Recording-Sound, wo die Einspiel-Latenz keine Rolle mehr spielt. Als wir uns später die Aufnahmen anhörten, war das Sphere L22 mit dem LD-47K-Model erstaunlich nahe am U47-Sound. Die Zischlaute wirkten nun keineswegs hart oder überzeichnet, sondern weich und fluffig. Da war durchaus etwas von jener U47-Magie, was besonders auffiel, wenn man auf das Sphere-Direct-Model umschaltete: Puff! Als ob eine schöne Seifenblase platzt! Der Bass des LD-47K erschien ein wenig flacher, was sich jedoch am Proximity-Regler ausgleichen lässt.
Auch die übrigen Großmembran-Models sind größtenteils gelungen, wobei ich hier nicht 1:1 mit allen Originalen vergleichen konnte. Das LD-12-Model macht einen schönen strahlenden, aber keineswegs scharfen Sound, der einem AKG C12 durchaus nahe kommt. Auch dieses Model hat etwas weniger Bass als das exquisit erhaltene C12 vom Berliner Equipment-Verleih Echoschall, das ich vor einiger Zeit im Studio hatte, aber die Mitten und Höhen vermitteln eine ähnliche Anmutung.
Gefallen hat mir auch das U87-Model mit seiner präzise austarierten Klangbalance. Das letzte Quäntchen Mitten-Präsenz mag ihm fehlen, aber dieses Model hat einen wirklich angenehmen, vielseitigen Klang. Das U67-Model klingt auch angenehm, scheint mir aber weniger genau dem Original zu folgen. Die Höhen des LD-67 sind ein bisschen zu dunkel abgestimmt. Und ich vermute, das ist sogar Absicht, um den Klangunterschied zum LD-87 zu vergrößern. Denn die beiden Neumann-Klassiker sind durchaus ähnlich in der Klangbalance; die Klangunterschiede bestehen eher in der Textur. Insbesondere in den Bässen und Tiefmitten wirkt ein U67 dichter und »sämiger«.
Solche Unterschiede in der Klangtextur und im dynamischen Klirrverhalten modelt das Sphere-Plug-in bislang nicht im vollen Umfang. Chris Townsend arbeitet daran und ließ mir eine Beta-Version zukommen, die diesbezüglich nachbessert, indem u. a. auch K4-Klirranteile gemodelt werden. Ein grundsätzliches Problem bleibt allerdings, denn das Plug-in weiß gar nicht, welchem Schallpegel das Mikrofon ausgesetzt war. Da man für leise Schallquellen das Preamp-Gain erhöht und für laute runterdreht, kommt beim Plug-in ja immer mehr oder weniger der gleiche Pegel an. Wie soll das Plug-in also wissen, welchen Sättigungsgrad der Elektronik, insbesondere des Übertragers es modeln soll? Umgehen ließe sich das bei UA Apollo-Interfaces, wenn das Plug-in die Unison-Technologie unterstützen würde, bei der das Plug-in mit der Hardware kommuniziert. Unison ist zwar eigentlich für Preamp-Emulationen vorgesehen, aber dies wäre auch eine sinnvolle Anwendung. Denn wenn das Plug-in die Gain-Einstellung abgreifen könnte, könnte es den Schallpegel errechnen, dem die Mikrofonkapsel ausgesetzt ist und das dynamische Verhalten des Models entsprechend anpassen.
An seine Grenzen stößt das Sphere L22 auch bei Emulationen von Tauchspul- und Bändchenmikrofonen wie dem Shure SM57 und Coles 4038. Das war zu erwarten. Die Klangbalance ist durchaus gut getroffen, doch irgendwie klingt’s halt nicht authentisch, sondern wie ein Kondensatormikrofon mit EQ.
Als halb gelungen würde ich das Kleinmembran-Model SD-451 bezeichnen. Aus einer Großmembrankapsel lässt sich auch mit viel digitalem Processing keine naturidentische Kleinmembrankapsel machen, aber als Klangalternative, beispielsweise für Aufnahmen von Akustikgitarre, weiß das Model durchaus zu überzeugen. Wobei man fairerweise anmerken sollte, dass das AKG C451 ohnehin ein etwas spezieller Fall ist, denn es ist keineswegs das typische klangneutrale Kleinmembranmikro, sondern ein Mikrofon mit einem ganz eigenen prägnanten, höhenreichen Sound.
Hohen Praxiswert haben die idealisierenden Models Sphere Linear und Sphere Linear Direct. Sie klingen fast »kleinmembraniger« als das SD-451-Model und bieten sich an, wenn man eine Schallquelle (nah oder aus gebührendem Abstand) naturgetreu einfangen möchte. Man darf dennoch gespannt sein, ob Townsend Labs für solche Anwendungen nicht ein dediziertes Kleinmembran-Front-End entwickeln wird.
Das Fazit
Das Townsend Labs Sphere L22 ist ohne Frage ein faszinierendes Produkt, denn es eröffnet ganz neue Möglichkeiten. Wenn man so will, ist das Sphere eine Art Zeitmaschine: Plötzlich kann man nach der Aufnahme das Mikrofon austauschen, es präzise auf die Schallquelle ausrichten, den Nahbesprechungseffekt manipulieren und vieles mehr.
Die bislang mitgelieferten Mikrofon-Models sind größtenteils gut getroffen, jedenfalls die, die primär im Fokus stehen: klassische Großmembran-Kondensatormikros. Weitere sind in Arbeit; in der Beta, die ich vom Hersteller erhielt, waren bereits Emulationen vom Sony C800G und Telefunken ELA M251 enthalten. Bei der Nachbildung der Klangtextur und des Klirrverhaltens, insbesondere von Röhre und Übertrager, ist noch Luft nach oben, aber auch hier ist der Hersteller bereits dabei, nachzubessern.
Den wichtigsten Teil des Mikrofons, nämlich die Kapsel samt ihrer frequenzabhängigen Richtcharakteristiken, hat Townsend Labs bereits erstaunlich gut nachgebildet. Während messtechnisch hier und da noch Unterschiede insbesondere in der Basswiedergabe auszumachen waren, war es in der Praxis häufig nicht leicht, das gemodelte Mikrofon vom Original zu unterscheiden. Unabhängig von der Originaltreue muss man konstatieren, dass die gemodelten Mikrofone schlichtweg gut klingen. Das ist durchaus erstaunlich, angesichts des erheblichen Processings unter der Haube. Insofern ist das Townsend Labs Sphere L22 weit mehr als nur eine technologische Studie: Es ist bereits jetzt ein solides, praxisgerechtes Arbeitsgerät. Mich würde nicht wundern, wenn der Name Townsend Labs schon bald in Produktions-Reports wie unserer Mixpraxis fällt.
Ist mit dem Townsend Labs Sphere nun das Ende der Vintage-Originale eingeleitet? Ich denke, nein! Wenn uns die Vergangenheit eines gelehrt hat, dann, dass Emulationen unsere Sinne für Klangdetails und Klangunterschiede noch weiter schärfen und − auf längere Sicht − die Wertschätzung für das Original weiter erhöhen. So hat die Firma Moog letztes Jahr den Minimoog nach über 30 Jahren neu aufgelegt, obwohl Plug-in-Emulationen dem legendären Sound stetig näher kommen. Das Original bleibt eben der Maßstab. Mein Neumann U47 werde ich also definitiv nicht verkaufen. Ich hätte aber große Lust, mir zusätzlich ein Townsend Labs L22 zuzulegen. Für mich − und jeden aufgeschlossenen Mikrofon-Enthusiasten − ist es eine der interessantesten Recording-Innovationen der letzten zehn Jahre.
Gibt es sowas nicht bereits von “Slate Digital” ? Von wegen “für Furore sorgen”. Ein Vergleich irgendwann – hinsichtlich der “Echtheit” – wäre interessant.
Danke! SEHR interessantes Teil. Hut ab vor der Programmierleistung und überhaupt vor dem, was hier geboten wird. Beeindruckend.
Gibt es sowas nicht bereits von “Slate Digital” ? Von wegen “für Furore sorgen”. Ein Vergleich irgendwann – hinsichtlich der “Echtheit” – wäre interessant.