Auf der Wunschliste eines jeden (Home-)Studiobesitzers belegen ein Röhren-Preamp und ein FET-Kompressor die vorderen Plätze. Universal Audio hat zwei echte Studioklassiker zu einer attraktiven Kiste vereint: 610B plus 1176!
Macht schon was her: Der 6176 kommt im typischen Design der Universal Audio Röhren-Preamps mit mattsilberner Frontplatte aus gebürstetem Aluminium und aufgesetzten Panels aus schwarzem Kunststoff mit schmucken Vintage-Drehreglern. Die linke Hälfte des 6176 ist ein waschechter 610B Röhrenvorverstärker, die rechte ein klassischer 1176 FET-Kompressor. Beides Originaldesigns vom Firmengründer Bill Putnam Sr., der nebenbei auch ein begnadeter Toningenieur war und mit den Größen seiner Zeit wie Frank Sinatra gearbeitet hat. So viel Audio-Historie auf nur zwei Höheneinheiten findet man selten!
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Fettstufe
Wer eine Schwäche für amerikanisches Gerätedesign hat, wird den 6176 gleich ins Herz schließen. Das Gehäuse, insbesondere die massive 5 mm starke Alufront, wirkt im besten Sinne »old fashioned« und überdimen – sioniert. Das Teil sieht aus, wie für die Ewigkeit gebaut. Ob die Reglerknöpfe aus historisch korrektem Bakelit sind oder »modernem« Kunststoff, vermag ich nicht zu sagen. Fakt ist, sie vermitteln eine sehr angenehme Haptik.
Der Preamp auf der linken Gehäusehälfte ist ein klassisches Vollröhrendesign, ganz nach dem Vorbild von Bill Putnams historischer 610-Konsole. Das heißt, es befinden sich keinerlei Halbleiter im Signalweg. Wie in alten Zeiten wird die Eingangsstufe durch einen Aufwärtsübertrager in Verbindung mit einer 12AX7 (= ECC83) Doppeltriodenröhre gebildet. Die Ausgangsstufe besteht aus einer weiteren Doppeltriode, einer 12AT7 (= ECC81), plus Ausgangsübertrager. Im Original kam im Ausgangstreiber eine 6072-Röhre zum Einsatz; da diese heute aber nicht mehr so leicht erhältlich ist, wurde auf eine eng verwandte Type ausgewichen. Sowohl die 12AX7 als auch die 12AT7 werden bis heute in großen Mengen hergestellt. Daran wird sich auf absehbare Zeit nichts ändern, denn sie kommen in praktisch jedem Röhrengitarrenverstärker zum Einsatz.
Zu den behutsamen Anpassungen an die heutige Studiotechnik gehören ein frontseitiger Instrumenteneingang, eine zuschaltbare Phantomspeisung für transistorisierte Kondensatormikrofone (die gab’s seinerzeit noch gar nicht) sowie eine zuschaltbare 15-dB-Vordämpfung. Das grundsätzliche Schaltungskonzept ist indes gleich geblieben: Durch Manipulation der Gegenkopplung wählt der Gain-Schalter den Verstärkungsfaktor der Eingangsstufe in fünf 5-dB-Schritten, und der große, stufenlose Level-Regler bestimmt den Pegel der Ausgangsstufe. Die maximale Verstärkung beträgt 65 dB.
Mit in die Preamp-Schaltung integriert ist ein 2-Band-Shelving-EQ mit jeweils drei Einsatzfrequenzen für Bässe und Höhen mit einem Pegelhub von ± 9 dB. Geregelt wird nicht über Potis, sondern, ganz vintage-like, über Stufenschalter, die bis ±6 dB in 1,5-dBSchritten fein dosierbare, reproduzierbare Anhebungen und Absenkungen erlauben.
FET-Stufe
An einen 1176 in diesem Gewand muss man sich erst ein wenig gewöhnen. Die Regler drängen sich naturgemäß etwas enger als bei einem normalen 1176, der alleine ja so groß ist wie der 6176. Außerdem kommt zum Einstellen des Kompressionsverhältnisses nicht die klassische Druckschalterkaskade zum Einsatz, sondern ein gewöhnlicher Drehschalter. Trotzdem bietet dieser die gleiche Funktionalität inklusive des berüchtigten All-Buttons-Modus für Effektkompression (eigentlich eine Fehlbedienung). Auch die andere ursprünglich nicht vorgesehene Betriebsart mit deaktivierter Kompression (alle Ratio-Knöpfe ausgeschaltet) als charakterstarkes Verstärkermodul lässt sich abrufen, indem man die Ratio-Stellung 1 wählt oder die Schaltfunktion am Linksanschlag des Attack-Potis betätigt. Zusätzlich verfügt der Kompressor des 6176 sogar über einen True-Bypass (»off«), der dem »normalen« 1176 fehlt.
Auch die Reglerbeschriftung unterscheidet sich von einem Full-Size-1176, aber in Sachen Funktionalität verhält sich der Kompressor des 6176 identisch. Wie es sich gehört, arbeiten die Attack- und Release-Regler »rückwärts«, d. h. die Regelzeiten werden umso kürzer, je weiter man die Potis nach rechts dreht. Weiterhin gibt es keinen Threshold-Regler. Stattdessen wird das Signal über den Input-Regler an einen fixen Threshold herangeführt und die Gain-Reduction über den Output-Regler wieder ausgeglichen.
Der Kompressor lässt sich über eine rückseitige Buchse und den separat zu erwerbenden Stereoadapter SA76 mit einer zweiten Einheit verkoppeln. Außerdem gibt’s einen Umschalter für die Eingangsimpedanz. Im Regelfall sollte man hier 15 kOhm einstellen; die zweite Stellung 600 Ohm empfiehlt sich nur für Vintage-Geräte, die explizit dafür ausgelegt sind.
Der Clou am 6176 ist, dass man beide Gerätehälften nicht nur gemeinsam, sondern wahlweise auch unabhängig voneinander verwenden kann. Das unterscheidet den 6176 von Universal Audios Vollröhren-Channelstrip LA-610 und erklärt den deutlichen Preisunterschied. Beim 6176 verfügen Preamp und Kompressor über separate Ein- und Ausgänge, die allesamt mit teuren, zum Teil speziell gewickelten Übertragern bestückt sind.
Praxis
Der 6176 sieht nicht nur uramerikanisch aus, er klingt auch so. Bass und Tiefmitten wirken groß und rund, die Höhen sahnig mit weicher Präsenz. Trotz der einfachen Parametrisierung gestattet der Preamp einige Klangvarianz. Mit niedrigem Gain und weit aufgedrehtem Level-Regler bleibt er relativ sauber. So ganz neutral verhält er sich aber nie; ein gewisses Obertonschimmern ist stets auszumachen. In höheren Gain-Settings nimmt der Röhrenschmauch zu, das Klangbild wird farbiger, da die Schaltung nun mit weniger Gegenkopplung arbeitet und folglich ihre Verzerrungen weniger unterdrückt. Das Rauschen hält sich indes auch bei hoher Verstärkung in Grenzen, sodass man den 6176 sehr wohl auch für dynamische Mikros einsetzen kann.
Der integrierte EQ arbeitet mit sehr breiten Shelving-Filtern, die sich bestens zur Feinabstimmung eignen. Das Höhenband erwies sich in der 4,5-kHz-Stellung als erstaunlich effektiv im Umgang mit Bändchenmikros, um für etwas Obertonglanz zu sorgen. Für Kondensatormikros wird man eher die 10- kHz-Stellung bevorzugen, um das Hauchige in Stimmen herauszuarbeiten oder, umgekehrt, mit negativem Gain aggressive Höhen zu entschärfen. Das ebenso weich agierende Tiefenband eignet sich recht gut zur Kompensation des Nahbesprechungseffekts.
Bei Bedarf kann man den Preamp auch richtig schmutzig klingen lassen, indem man das Gain weit aufdreht und den Pegel am Level-Regler wieder einfängt. Für Mikrofonsignale kann man zusätzlich die Eingangsimpedanz auf 500 Ohm reduzieren, was einerseits die Verstärkung erhöht − der Eingangsübertrager arbeitet nun mit einem höheren Übersetzungsverhältnis −, andererseits manches Mikro ein wenig mittiger klingen lässt. Sehr schön, wenn man mit einem Shure SM58 mal so richtig abrocken will. Für den Normalbetrieb empfiehlt sich dagegen die 2-kOhm-Stellung.
Sehr gut klingt auch der Instrumenteneingang. Mit der hohen Eingangsimpedanz von 2,2 Mega-Ohm wird die Brillanz von Gitarren und Bässen mit Passiv-Tonabnehmern sehr gut eingefangen. Die niedrigere Impedanz von 47 kOhm ist für Instrumente mit Aktiv-Pickups gedacht. Dank der Röhrenelektronik wirkt das Klangbild auch in cleanen Einstellungen niemals langweilig oder steril.
Zum FET-Kompressor muss man nicht mehr viel sagen. Ein 1176 gehört schlichtweg in jedes Studio, denn kaum ein anderer Kompressor lässt sich so vielseitig auf so hohem Niveau einsetzen. Auch gibt es bis heute kaum ein anderes Gerät, das derart flink agiert. Mit seiner minimalen Attack-Zeit von nur 20 Mikrosekunden (nicht Millisekunden!) kann der 1176 auch schnellste Pegelspitzen abfangen, wie sie etwa bei Sprachkonsonanten auftreten. Das macht den 1176 zum idealen Kompressor für Lead-Vocals, zumal er mit wenigen Handgriffen eingestellt ist. Kein anderes Gerät schafft es so souverän, die LeadStimme bei bester Sprachverständlichkeit in den Mix einzubetten. Insofern sollte man den 1176 nicht als nostalgischen Vintage-Kompressor abtun; er ist heute so relevant wie Ende der 60er. Eigentlich sogar noch mehr, denn er hat sich als eine unverzichtbare Waffe für so manches erwiesen, das es seinerzeit noch gar nicht gab, beispielsweise Rap-Vocals.
Klanglich unterscheidet sich der FET-Kompressor des 6176 wenig bis überhaupt nicht vom einzeln angebotenen 1176 LN, abzüglich einer leichten Exemplarstreuung, die bei der FET-Technologie trotz Selektierung unvermeidlich ist. Gewöhnen muss man sich indes an die geänderte Regleranordnung mit enger beieinander liegenden Knöpfen. Dafür nimmt das Gerät aber auch nur halb so viel Platz in Anspruch.
Auch in Zeiten von Plug-ins lohnt es sich, wie ich finde, für die wichtigsten Signale auf einen echten 1176 zurückgreifen zu können. Gewiss, die Emulationen haben inzwischen ein hohes Niveau erreicht, nicht zuletzt Universal Audios eigene für die UAD-2-Plattform. Doch die Hardware klingt irgendwie lebendiger, interagiert stärker mit dem Eingangssignal und hat einen breiteren SweetSpot. Sprichwörtlich im Handumdrehen ist die passende Einstellung gefunden, während ich mich bei seinen Plug-in-Surrogaten im – mer wieder beim Nachregeln ertappe. Ironischerweise scheint mir Outboard in Zeiten allmächtiger DAWs-Plug-ins umso unverzichtbarer, denn in ihrer Beschränktheit bietet Hardware das einzige, was Plug-ins nicht haben: wahren Charakter. Letztlich ist es so: Plug-ins klingen wie … »Pünktchen, Pünktchen, Pünktchen«. Hardware klingt. Punkt.
Fazit
Der Universal Audio 6176 vereint zwei zeit – lose Klassiker zu einem flexibel einsetzbaren Channelstrip. Als Front-End veredelt der 6176 Aufnahmen von Vocals und einer Vielzahl von Instrumenten, insbesondere Bass, Gitarre und E-Piano. Später beim Mix lässt sich der integrierte 1176 auch einzeln einsetzen, um etwa die Lead-Stimme nach vorne zu holen. Nach wie vor kann das kein anderer Kompressor so gut wie dieses klassische FET-Design.
Mit einem Straßenpreis von knapp unter 3.000,– Euro ist der 6176 gewiss kein Schnäppchen. Den hohen Anschaffungspreis rechtfertigt jedoch die hohe Fertigungsqualität, die einem solchen (Doppel-)Klassiker gebührt. Schließlich ist der 6176 kein kurzlebiges Modegerät, kein Trittbrettfahrer im Vintage-Hype, sondern eine Anschaffung fürs Leben. Wenn einem so viel Klasse widerfährt, dann darf man auch mal den metaphorischen »Schluck aus der Pulle« nehmen. Man muss auch mal genießen können. Prost!