Universal Audio Hitsville IQ Collection für UAD-2 und Spark im Test
von Dr. Andreas Hau, Artikel aus dem Archiv
Anzeige
Jahrzehntelang waren die EQs der legendären Motown Studios reinstes »Unobtanium« – jeder hat davon gehört, aber kaum einer hat je einen zu Gesicht bekommen, geschweige denn damit arbeiten können. Unmittelbar nach dem Hardware-Nachbau von Heritage Audio erscheint nun auch eine Software-Emulation – und sogar ein zweites Plug-in, das sich dem noch viel selteneren Motown-Mastering-EQ widmet!
Anzeige
Kaum zu glauben, aber wahr: Universal Audios Hitsville Studio Equalizer basiert auf exakt denselben beiden Einheiten, die auch als Vorlage für Heritage Audios Hardware-Nachbau dienten (siehe Test ab S. 30 in dieser Ausgabe). Und sie gehörten auch nicht irgendwem, sondern Michael Brauer, Mix-Engineer für zahlreiche Stars wie Coldplay, John Mayer, James Bay u.v.m. Lange Jahre war Michael Brauer überzeugter Hardware-Verfechter mit einem erstaunlichen Arsenal an Outboard. Darunter zwei originale Motown-EQs, die er nach langem Suchen Ende der 1980er erworben hatte. Vor allem für Kick und Snare soll er sie verwendet haben. Doch 2019, als er im Covid-Lockdown gezwungen war, zu Hause in-the-box zu mischen, fand Brauer Gefallen an der neuen Arbeitsweise. Er spürte, es sei Zeit für einen radikalen Schnitt und trennte sich von einem Großteil seiner Geräte. Darunter auch jene beiden Motown EQs, die er vor dem Verkauf zum Service gab, und zwar bei Black Lion Audio, die ihren spanischen Freunden von Heritage Audio halfen, diese EQs zu rekonstruieren. Wie Universal Audio an die Geräte kam, ist mir nicht bekannt. Aber da sie auf dem Markt waren, hat man sie vielleicht einfach gekauft.
Zur Hitsville EQ Collection, die den offiziellen Segen des Motown Museums hat, gehört außerdem ein zweiter, noch viel seltenerer EQ, nämlich der Mastering EQ, mit dem Motown die Tracks für den Vinylschnitt aufbereitete. Dummerweise stellte sich heraus, dass das Gerät im Motown Museum nicht mehr funktionierte. Beim Öffnen fand man jedoch Messkurven, die der Techniker seinerzeit im Gerät hinterlegt hatte – das gab Hoffnung und sollte Zeit bei der Emulation sparen. Nach längerer Recherche konnte man tatsächlich ein zweites, funktionstüchtiges Exemplar auftreiben. Und hier zeigt sich, dass es sich lohnt, Fachmagazine zu lesen, denn in einer Ausgabe des amerikanischen Recording Magazine von 2014 hatte einer der Autoren vom Coup seines Lebens berichtet: Bei einer Lagerräumung konnte er diesen legendären Mastering EQ für gerade einmal 20 Dollar erwerben! Bis dahin wusste kaum jemand, dass es überhaupt ein zweites Exemplar gab.
UAD-2 vs UADx
Die Hitsville EQ Collection ist für die UAD-2-Plattform erhältlich. Gleichzeitig sind die beiden Plug-ins auch Teil von Universal Audios neuem Subskriptionsmodell »Spark«, das UADx-Plug-ins bereitstellt, die ohne DSP-Hardware auf der Host-CPU laufen. Netter Move: Wer die UAD-2-Lizenz erwirbt, bekommt ohne weitere Kosten (und ohne Subskription) auch eine Lizenz für die native UADx-Variante. Das ist praktisch, wenn man z. B. unterwegs ohne DSP-Hardware auskommen muss. Spark bzw. die nativen UADx-Plug-ins sind für Mac und inzwischen auch für Windows verfügbar. Warten muss man derzeit auch noch auf VST3-Versionen der UAD-2-Plugins; die nativen UADx-Versionen gibt es dagegen bereits im VST3-Format.
Motown Style
Wie wir es von Universal Audio gewohnt sind, bilden die Plug-in-GUIs die Frontplatten des Originalgeräte nach, einschließlich altersbedingter Abnutzungserscheinungen. Der Hitsville USA Studio Equalizer bildet den Motown EQ nach mit sieben Festfrequenzen, 50, 130, 320, 800, 2.000, 5.000 und 12.500 Hz, die sich um ±8 dB anheben bzw. absenken lassen. Über den Bändern sind virtuelle Dymo-Labels angebracht, die ihnen auch für Laien verständliche Namen geben: Sub, Bass, Lo Mid, Mid, Hi Mid, Treble und Hi. An Michael Brauers Einheiten sind solche Labels nicht zu finden, aber möglicherweise gibt es andere, die man so beschriftet hat. Über das (authentische) Motown Engineering Label lassen sich die Dymo-Beschriftungen wegklicken. Klickt man dagegen auf den Hitsville-Schriftzug, werden alle Knöpfe auf ihre Neutralposition zurückgesetzt.
Der Hitsville Stereo Disk Mastering EQ nimmt bedeutend mehr Platz ein. Er besteht aus zwei Equalizer-Sektionen, die wahlweise den linken und rechten Kanal bearbeiten oder Mitten- und Seitensignal. Letzteres war (und ist) für den Vinylschnitt sehr sinnvoll, denn so funktioniert die Plattenaufzeichnung: Die Tiefe der Rille entspricht dem Mittensignal, die seitliche Auslenkung dem Seitensignal. Deshalb muss besonders darauf geachtet werden, dass das Seitensignal nicht zu starke Bassanteile hat, da sonst die Nadel aus der Rille katapultiert wird. Somit bietet sich M/S-Equalizing an.
Der Stereo Disk Mastering EQ beruht grundsätzlich auf den gleichen Passiv-Filter-Schaltungen wie der Studio Equalizer und hat auch die gleichen Einsatzfrequenzen. Allerdings hat hier jedes Band zwei Bedienelemente: einen Pegelsteller, der wieder ±8 dB in 1-dBSchitten abdeckt, und einen Zeigerknopf, der zwischen Absenkung (Dip) und Anhebung (Peak) umschaltet. Ein weiterer Schalter auf der rechten Seite gestattet die Halbierung der Einsatzfrequenzen. Diese Funktion wurde seinerzeit für Halfspeed-Mastering eingebaut. Denn durch Halbieren der Abspielgeschwindigkeit sowohl des Master-Bandes als auch der Schneidemaschine lässt sich die Präzision des Vinlyschnitts verbessern. Natürlich werden während des Mastering-Vorgangs alle Frequenzen eine Oktave tiefer wiedergegeben, was eine Klangbeurteilung unmöglich macht. Die Vorgehensweise war daher, den EQ bei normaler Abspielgeschwindigkeit einzustellen und für den anschließenden Halfspeed-Schneidevorgang den besagten Schalter zu betätigen, der die EQ-Frequenzen halbiert. Spielt man später das Halfspeed-Master mit normaler Geschwindigkeit ab, stimmt wieder alles. Auch heute noch werden besonders audiophile Vinylscheiben mit Halfspeed Mastering hergestellt.
Die meisten von uns werden aber ganz schnöde die zusätzlichen Bearbeitungsfrequenzen des Hitsville Disk Mastering Equalizers nutzen. Anders als beim Original lassen sich im Plug-in die Bänder auch einzeln umschalten, indem man auf das darunter angebrachte Dymo-Label klickt. Es erscheint dann ein krakeliger Strich mit weißem Marker, der die geänderte Frequenz optisch kenntlich macht.
Damit nicht genug: Unter den beiden EQ-Einheiten folgt eine Sektion mit Controls Link (den es im Original sicher nicht gab), Pegelstellern für Links/Rechts bzw. Mitte/Seite (wieder ±8 dB in 1-dB-Schritten) und Power on/off, (d. h. Plug-in-Bypass). Hochinteressant ist der Filter-Schalter mit Hochpass, Tiefpass bzw. Hoch- und Tiefpass gleichzeitig. Denn hier verbirgt sich ein Feature, das für den Motown-Sound prägend war! Das gilt insbesondere für den Hochpass, denn in Studien hatte Motown festgestellt, dass Frequenzen unterhalb 80 Hz für den Konsumenten kaum eine Rolle spielten, da die wenigsten Wiedergabesysteme seinerzeit so tiefen Bass boten. Trotzdem war die Bassline gut hörbar, denn anhand der ersten Obertöne rekonstruiert das menschliche Ohr den fehlenden Grundton (»Residualeffekt«). Der Hitsville Disk Mastering EQ hat daher einen steilen Hochpass bei 70 Hz. Durch Unterdrückung der tieferen Bassfrequenzen ließ sich die Schneidemaschine mit höherem Pegel fahren, sodass Motown-Platten lauter klangen als die der Konkurrenz – auch im Radio. Ja, schon damals wurde mit allen Tricks gearbeitet.
Das Tiefpassfilter bei 15 kHz gehört mehr oder weniger zum »normalen Besteck« für den Vinylschnitt, denn starke hochfrequente Anteile können dazu führen, dass der Schneidemechanismus überhitzt.
Das Klirrspektrum des Hitsville Studio EQ zeigt nur leichte »analoge« Klirrkomponenten, die
von K2 bei –97 dBFS stetig weiter abfallen.
Der Heritage Audio Motorcity EQ zeigt etwas stärkere Klirranteile, bei denen die ungeraden
Harmonischen dominieren. Doch auch hier erreicht die stärkste Komponente K3 selbst bei
einem hohen Analogpegel gerade einmal –80 dBFS.
Praxis
Der Hitsville Studio Equalizer agiert ganz ähnlich wie der Hardware-Nachbau von Heritage Audio: Alle sieben Bänder arbeiten sehr sauber und artefaktfrei. Man kann den Charakter des Ausgangsmaterials stark verändern, ohne dass das Ergebnis künstlich klingt. Das funktioniert mit elektrischen wie akustischen Instrumenten gleichermaßen exzellent. Ein nahezu perfekter Mix-EQ! Auch Stimmen lassen sich sehr gut bearbeiten. Obwohl die Auflösung in sieben Bänder für heutige Verhältnisse recht grob ist – oder vielleicht gerade deswegen – gelingt fast jede gewünschte Frequenzverbiegung. Denn die sieben Bänder korrespondieren recht gut mit subjektiven Klangattributen; wie Wärme, Präsenz, Brillanz, Höhenglanz etc., d. h., man weiß immer, welchen Knopf man in welche Richtung drehen muss, um sich der Klangvorstellung zu nähern.
Unterschiede zur Hardware gibt es, wie zu erwarten, im Zerrverhalten. Wobei ich natürlich »nur« mit dem Nachbau von Heritage-Audio vergleichen konnte, die eine andere Ausgangsstufe hat als das Original. Trotzdem würde ich erwarten, dass die Opamp-Labs-Schaltung im Motown Original eher mehr zerrt als die Class-A-Neve-Ausgangsstufe bei Heritage Audio. Die UAD-Emulation arbeitet dennoch etwas sauberer als der Motorcity EQ von Heritage Audio. Ist das schlimm? Nein. Denn erstens sind die Unterschiede eher gering, und zweitens scheint mir der Zerrcharakter hier nicht klangprägend. Grundsätzlich agiert auch die Hardware sehr sauber, und der besondere Appeal geht nicht von irgendeiner Lo-Fi-Färbung aus, sondern im Gegenteil von der sehr hochwertigen Klangverarbeitung. Das bedeutet auch, dass weder der Heritage Audio Motorcity EQ noch der Hitsville Studio EQ von sich aus diesen 60s-Motown-Sound zaubern. Entscheidend ist, was man damit anstellt. Und das kann auch in ganz andere Richtungen gehen als Vintage-Mojo. Der Hitsville Studio EQ kann jederzeit auch für moderne Styles eingesetzt werden. Oder auch für audiophile akustische Aufnahmen. Ein hochwertiges, wirklich universelles Werkzeug!
Kommen wir zum Hitsville Disk Mastering Equalizer. Wie angesprochen ist dieser etwas differenzierter einsetzbar, da insgesamt 14 Einsatzfrequenzen zur Verfügung stehen. Zudem kann er auch im Mid/Side-Modus verwendet werden, was komplexe Stereobearbeitungen zulässt. Der Klangcharakter entspricht dem des Studio Equalizers. Gewünscht hätte ich mir, dass auch feinere Abstufungen als 1-dB-Schritte möglich wären – in Mastering-Anwendungen ist man heute schon etwas »zimperlicher« als in den 60s. Vielleicht kann Universal Audio das in einem Update nachreichen. Ansonsten hat aber dieser EQ auch für anspruchsvollste Anwendungen nichts von seinem Reiz verloren.
Bis hierhin ist also von Instant-Motown-Mojo noch wenig zu spüren. Fündig geworden bin ich bei den Hoch- und Tiefpassfiltern, die ursprünglich für den Vinylschnitt implementiert wurden. Hier kommen laut Universal Audio sehr steile, elliptische Filter zum Einsatz. Als elliptische Filter bezeichnet man in der Aufnahmetechnik üblicherweise Filter, die Mitten- und Seitenband unterschiedlich bearbeiten, wie man sie für den Vinylschnitt häufig verwendet, um etwa die Bässe im Seitenband zu beschneiden. Das ist hier nicht der Fall; Hoch- und Tiefpass bearbeiten den linken und rechten Kanal. Hier ist eine andere Wortbedeutung von »elliptisch« gemeint, nämlich Cauer-Filter, die nach rationalen elliptischen Funktionen berechnet werden. Cauer-Filter zeichnen sich durch eine besonders hohe Steilheit aus – die allerdings auch starke Phasenverzerrungen bedingt – sowie eine hohe Welligkeit im Bereich der Übergangsfrequenz. Mit anderen Worten: Solche Filter arbeiten höchst effektiv, erzeugen aber eine deutliche Klangfärbung. Und da haben wir den Motown Sound! Es ist erstaunlich, wie ein moderner Mix durch Zuschalten der Hoch- und Tiefpassfilter im Disk Mastering EQ jenen Hitsville-Charakter bekommt. Der Sound erhält eine Motown-typische Kompaktheit. Der Bass drückt, obwohl es faktisch keine Sub-Anteile gibt, die Höhen sind radio-freundlich präsent, ohne modernen »sizzle«. Motown – at last!
Fazit
Mit der Hitsville EQ Collection hat Universal Audio zwei ikonische Tools der Motown Studios in die digitale Jetztzeit transportiert und allgemein zugänglich gemacht. Wie exakt sie die Original-Hardware nachbilden, lässt sich kaum sagen, schließlich gibt es vom Studio EQ gerade einmal 46 Einheiten weltweit. Und vom Disk Cutting Equalizer ist Stand heute gerade noch ein funktionierendes Exemplar übrig. Gegenüber dem Motorcity EQ von Heritage Audio muss sich der Studio EQ nicht verstecken. Klar, die Hardware klingt – wie so oft – doch noch ein bisschen komplexer und dreidimensionaler. Aber das sind Nuancen.
Als Mix-EQ ist der Studio EQ auch in digitaler Form ein Traum. Die Gewichtung der einzelnen Frequenzen lässt sich nahezu beliebig verändern, ohne dass das Ergebnis verstellt klingt oder seinen Appeal verliert. Das deutsche Wort für Equalizer bringt es auf den Punkt: Der Studio EQ ist ein Entzerrer. Sinnvoll eingesetzt klingt, was hinten rauskommt, richtiger und »gerader« als das Ausgangsmaterial. Das gilt erst recht für den Disk Cutting Equalizer, der durch die umschaltbaren Einsatzfrequenzen noch etwas differenzierter zu Werke gehen kann. Die Klangvorstellungen müssen dabei keineswegs in Richtung Motown-Sound gehen; beide EQs sind universell einsetzbar. Mit Ausnahme der schaltbaren Hoch- und Tiefpassfilter im Disk Cutting EQ: Diese machen viel vom markantkompakten Motown-Sound der goldenen Jahre aus, als sich ein Hit an den nächsten reihte. Allein dieses Feature macht die Hitsville EQ Collection zum Pflichtkauf für Fans von Vintage-Soul-Klängen.