Anfang des Jahres sorgte eine Pressemeldung für einiges Aufsehen: Universal Audio steigt ins Mikrofongeschäft ein! Zuvor hatte das kalifornische Unternehmen still und leise den angesehenen Boutique-Hersteller Bock Audio aufgekauft, der sich mit Vintage-orientierten Kondensatormikrofonen einen Namen gemacht hat. Den Auftakt zu den zahlreichen für dieses Jahr angekündigten Neuvorstellungen macht aber das dynamische Studiomikrofon SD-1.
Eigentlich begann Universal Audios Engagement auf dem Gebiet der Mikrofontechnik schon vor etwa einem Jahr mit dem Kauf von Townsend Labs. Deren Modeling-Mikrofon Sphere L22 passt perfekt ins UA-Portfolio, harmoniert es doch glänzend mit den DSP-gestützten Apollo-Interfaces. Bislang wird das L22 jedoch weiter unter dem Townsend-Label vermarktet, und das zugehörige Plug-in wird nach wie vor auch in Native-Versionen (AU, VST, AXX) bereitgestellt. Für den Kunden ändert sich also nichts. Trotzdem hat Universal Audio nun ein hochinnovatives Entwicklerteam an Bord.
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Bock Audio wird hingegen stärker in den Mutterkonzern integriert. Die bisherige Produktpalette wird in überarbeiteter Form Ende des Jahres als UA Bock Series wiederauferstehen; dabei handelt es sich um Großmembranmikrofone, größtenteils in Röhrentechnik, die sich an den großen europäischen Klassikern orientieren. Mastermind David Bock bleibt weiter eingebunden.
Nach unten hin abgerundet wird die Modellpalette von der Standard Series. Diese besteht aus Kleinmembran-Kondensatormikrofonen, die im Sommer dieses Jahres erscheinen sollen, und dem bereits erhältlichen dynamischen Mikrofon SD-1, das wir im Folgenden unter die Lupe nehmen.
Déjà Vu
Reden wir nicht lange um den heißen Brei: Das SD-1 orientiert sich im Wesentlichen an Shures Broadcast-Klassiker SM7B. Wir sehen ein voluminöses Mikrofon vom Format eines Großmembran-Kondensatormikrofons, das jedoch nicht seitlich, sondern von vorne besprochen wird. Der zylindrische Body mit 19 cm Länge hat an der dicksten Stelle einen Durchmesser von 62 mm und besteht aus robustem Metall. Abweichend vom Anthrazit des Vorbilds ist das SD-1 in einem eleganten Weiß lackiert. In der Mitte befindet sich eine Gabelhalterung, die das SD-1 zur Montage an einem Broadcast-typischen Mikrofonarm prädestiniert. Man kann es aber auch auf einen üblichen Mikrofonständer montieren. Fast die Hälfte des Gehäuses macht ein großer Popschutz aus schwarzem Schaumstoff aus. Nimmt man diesen ab, erblickt man die gleiche, ebenso geniale wie simple Konstruktion, die das Shure SM7 so beliebt gemacht hat: In einem Käfig aus Lochblech sitzt die dynamische Mikrofonkapsel nach hinten versetzt, sodass stets ein Mindestabstand gewährt bleibt. Durch diesen eingebauten Lippenabstand werden Poplaute ausgebremst, und es kommt auch nicht so leicht zum »Ausfransen« von S-Lauten. Beim SD-1 beträgt der Abstand zur Front des Käfigs übrigens nur 30 mm, beim Shure SM7B sind es 45 mm.
Ein weiterer Unterschied zum populären Vorbild ist, dass die Ausgangsbuchse sich unmittelbar auf der Rückseite befindet. Beim Shure SM7B wird das Ausgangssignal über ein Kabel zu einer Buchse an der Stativhalterung weitergeleitet, das soll die mechanische Übertragung von Kabelgeräuschen minimieren. Wie das Vorbild verfügt auch das SD-1 über zwei Schalter auf der Rückseite für eine Präsenzanhebung bzw. eine Bassabsenkung. Die beiden Schalter sind als »Mäuseklavier « ausgeführt. Beim SM7B wirken die Schalter etwas robuster; zudem hat es ein eingebautes mechanisches Display für den eingestellten Frequenzgang. Die Schalter des SD-1 lassen sich mit den Fingern betätigen, sofern man keine übergroßen Pranken hat. Beim SM7B benötigt man einen Schraubenzieher oder anderen spitzen Gegenstand.
Technisch betrachtet: Mit einer Empfindlichkeit von –58 dBV re 1 Pa (entspricht 1,26 mV/Pa) ist das SD-1 ein Dezibel »lauter« als das SM7B (–59 dBV/1,12 mV/Pa). Gleichzeitig ist die Ausgangsimpedanz des SD-1 minimal höher, nämlich 200 Ohm gegenüber 150 Ohm beim Shure SM7B. Ansonsten hält sich Universal Audio mit technischen Daten zurück; einen Sollfrequenzgang konnte ich weder im beiliegenden User Guide noch auf der Produktseite finden.
Schauen wir uns den Frequenzgang an, den ich selbst gemessen habe. Von 200 Hz bis 2 kHz arbeitet das SD-1 weitgehend linear. Darüber steigt die Kurve langsam an, um bei 5,5 kHz in einer festen Präsenzanhebung von etwa 4,5 dB zu münden. Bei 8,5 kHz kommt es zu einer moderaten Höhenanhebung um etwa 3 dB, über der die Kurve sich allmählich senkt. Wie bei den meisten dynamischen Mikrofonen nach dem Tauchspulprinzip reicht die Bassübertragung nicht ultratief. Zu den unteren Frequenzen fällt der Frequenzgang bereits ab 200 Hz ganz allmählich ab; der –3-dB-Punkt ist bei etwa 90 Hz erreicht. Das ist durchaus gewollt, um den Nahbesprechungseffekt (teilweise) zu kompensieren, der im üblicherweise sehr kurzen Lippenabstand die Bässe stark anhebt. Deshalb gibt es auch einen schaltbaren Low Cut, der den Tiefton weiter entschlackt. Wie angesprochen lassen sich über einen zweiten Schalter die Präsenzen zusätzlich anheben, und zwar recht breitbandig um 3 dB bei etwa 2,5 kHz. Technisch gesehen verhält es sich genaugenommen umgekehrt: Da es sich um ein passives Filter handelt, kann es nur absenken, d. h., in der linearen Stellung senkt es die inhärente Präsenzanhebung der Kapsel etwas ab.
Zum Vergleich habe ich auch mein Shure SM7B durchgemessen. Auffällig ist, dass es insgesamt für ein dynamisches Mikrofon ungewöhnlich linear arbeitet. Von 100 Hz bis etwa 5 kHz weicht es kaum von der Nulllinie ab, und von 70 Hz bis etwa 13 kHz bleibt es in einem Schlauch von ±3 dB. Die schaltbare Präsenzanhebung liegt ebenfalls bei 2,5 kHz und arbeitet genauso breitbandig wie beim SD-1. Die schaltbare Bassabsenkung hat ihre Einsatzfrequenz (–3-dB-Punkt) bei etwa 150 Hz. Trotz einer ähnlichen Optik und identischem Funktionsumfang gibt es also durchaus Performance-Unterschiede zwischen dem Shure SM7B und dem UA SD-1, die es im praktischen Einsatz zu bewerten gilt.
Das Universal Audio SD-1 hat auch in der Neutralstellungeine markante Präsenzanhebung. Der Schaumstoff-Popschutz dämpft die Höhen nur
wenig.
Zum Vergleich: das Shure SM7B mit und ohne Popschutz
Der Low Cut hat eine Einsatzfrequenz (–3-dB-Punkt bei etwa 80 Hz. Der
Präsenzschalter wirkt breitbandig im Bereich um 2,5 kHz.
Die Einsatzfrequenzen von Low Cut und Präsenzschalter sind beim SM7B
identisch: 80 Hz bzw. 2,5 kHz.
Praxis
Das SD-1 hat einen klaren Sound mit der typischen kernigen, angenehm grobkörnigen Textur eines dynamischen Mikrofons nach dem Tauchspulprinzip. Von günstigeren Mikrofonen dieser Gattung hebt es sich durch eine angenehme Klarheit positiv ab. Zischlaute werden etwas feingliedriger erfasst, wenn auch nicht mit der Auflösung eines guten Kondensatormikrofons. Aber manchmal ist es ja genau dieses etwas Hemdsärmelige, das den Reiz ausmacht, besonders im Bereich Rock und Rap sowie anderen Musikrichtungen mit eher lauten Vocals. Angenehm ist, dass die Tiefen auch bei extrem naher Besprechung nicht zu sehr mulmen. Der eingebaute Abstand zur Kapsel tut hier seine Wirkung.
Verglichen mit dem Shure SM7B klingt das SD-1 deutlich präsenter. Das kann gerade ungeübten Stimmen zu mehr Durchsetzungskraft verhelfen, macht das SD-1 aber etwas weniger vielseitig als das SM7B, dessen Präsenzschalter sinnvoller einzusetzen ist, um den Sound der Stimmfarbe anzupassen. Beim SD-1 habe ich den Präsenzschalter fast immer in der Neutralstellung belassen. Der Bassschalter funktioniert bei beiden gleichermaßen gut, um den Nahbesprechungseffekt bei extrem kurzem Lippenabstand zu kompensieren. Bei Korbberührung klingt das SM7B dennoch ein wenig sauberer, weil der eingebaute Lippenabstand etwas größer ist; das kann man als Nutzer aber leicht ausgleichen, indem man selber etwas Abstand hält.
Was das SD-1, genau wie das SM7B, attraktiv macht, sind das unproblematische Handling und die Fähigkeit, auch unter schlechten akustischen Bedingungen professionelle Klangergebnisse zu erzielen. Aufgrund des typischerweise kurzen Lippenabstands nimmt das Mikrofon wenig Raum mit auf, und die dynamische Kapsel ist auch wenig empfindlich für jene feinen, nervenden Lippenschmatzer, die manche Kondensatormikrofone geradezu herausziselieren. Man bekommt verlässlich ein sauberes Signal, das wenig Nacharbeit erfordert. Der einzige echte Nachteil ist der geringe Ausgangspegel, der einen sehr rauscharmen Preamp mit gut 60 dB Gain erforderlich macht. Das SD-1 kann hier leichte Vorteile verbuchen. Laut Spezifikation ist es 1 dB »lauter« als das SM7B, in der Praxis waren es beim Testexemplar eher 2 dB. Das klingt nach nicht viel, senkt aber den Rauschpegel hörbar, wenn man keinen erstklassigen Preamp verwendet, sondern die eingebauten Vorstufen des Audio-Interfaces.
Natürlich lässt sich das SD-1 auch für Instrumente verwenden. Vor allem die Abnahme von Gitarrenverstärkern kommt einem hier in den Sinn, oder auch Snare Drum. Hier kann sich die Anhebung in den oberen Mitten positiv bemerkbar machen. Für Bassverstärker und Kick Drum fehlt es dem SD-1 ein wenig an Tiefbass. An der Akustikgitarre unterschlägt es die silbrige Brillanz in den obersten Frequenzen – was aber einen gewissen Charme haben kann, wenn man einen 60s-Sound sucht.
Fazit
Das SD-1 von Universal Audio ist ein Broadcast-Type-Mic, das primär für Sprache und Gesang entwickelt wurde. Der eingebaute Lippenabstand sorgt für problemloses Handling und saubere Klangergebnisse auch unter widrigen Bedingungen. Das macht es wirklich gut. Sein Problem ist die große Nähe zum Shure SM7B in Konstruktion, Anwendungsbereich und Sound. Dabei ist, wenn man ehrlich ist, das Original in allen Belangen ein wenig besser. Nicht viel, aber genug, um den geringen Preisunterschied zu rechtfertigen. Nicht umsonst ist das SM7B derzeit das wohl meistverkaufte Studiomikrofon. Die Pandemie hat diesen Trend noch verstärkt: In Videokonferenzen und Podcasts ist es omnipräsent. Insofern ist es verständlich, dass Universal Audio – genau wie andere Hersteller – ein Stück vom Kuchen abhaben möchte. In der aktuellen Preisgestaltung fürchte ich aber, dass das SD-1 nicht genügend Argumente liefert, von der sicheren Bank zum (wenn auch namhaften) Newcomer zu wechseln. Aber was nicht ist, kann ja noch werden! Mit dem geballten Know-how der einverleibten Mikrofonfirmen und den eigenen Programmierkünsten traue ich es Universal Audio absolut zu, ein Mikrofon zu entwickeln, das einen technischen Meilenstein setzt, wenn es darum geht, erstklassigen Sound unter schwierigen akustischen Bedingungen zu erzielen. Denn das ist und bleibt die Herausforderung Nr. 1 im Personal Studio.
Unsere Meinung:
+++ optimiert für Sprache und Gesang
++ sauberer Sound auch in schlechter Raumakustik
++ robuste Konstruktion
+ Bass- und Präsenzschalter
– erfordert sehr rauscharmen Preamp mit viel Gain