Warm Audio WA-47 – Großmembran-Röhrenmikrofon im Test
von Dr. Andreas Hau,
Anzeige
Welcher Studiobesitzer wünscht sich nicht ein U47? Bis heute gilt Neumanns legendäres Röhrenmikrofon als das ultimative Gesangsmikrofon. Leider wird es seit über 50 Jahren nicht mehr hergestellt, und die noch verbliebenen Originale werden inzwischen zu fünfstelligen Beträgen gehandelt. Warm Audio hat sich nun an einen Clone gewagt — für rund ein Zehntel des Preises.
Selbst als Besitzer eines echten U47 überlegt man bisweilen, ob für Alltagsanwendungen nicht auch ein Nachbau reichen würde. Schließlich wird die im Original verbaute VF14-Röhre nicht jünger, und Ersatz ist nur schwer zu beschaffen. Entsprechend gespannt war ich auf das WA-47, denn Warm Audios bisherige Clones, das WA-87 und WA-14, konnten klanglich durchaus überzeugen. Auch wenn sie mit den jeweiligen Originalen in letzter Konsequenz nicht ganz mithalten können, haben sie innerhalb ihrer Preisklasse eine echte Marke gesetzt. Wie würde sich Warm Audios erstes Röhrenmikrofon schlagen?
Inaugenscheinnahme
Das WA-47 kommt in einem großen Pappkarton mit Schaumgummi-Innenpolsterung, der auch zur Aufbewahrung dient. Denn anders als bei vielen anderen Röhrenmikrofonen ist kein Transportkoffer im Preis enthalten. Das Mikrofon ist zusätzlich in einer hübschen Holzschatulle in Mahagonioptik geschützt. Beigelegt ist das zugehörige Netzteil, welches das Mikrofon mit Heiz- und Anodenspannung versorgt und gleichzeitig zur Fernumschaltung der Richtcharakteristiken dient (Kugel, Niere, Acht und sechs Zwischenstellungen). Verbunden werden Mikrofon und Netzteil über ein siebenpoliges Kabel von 5 Metern Länge. Zum Lieferumfang gehört außerdem eine Spinnenhalterung.
Das Mikrofon wiegt über ein Kilo, und die Mikrofonspinne hat ihre liebe Mühe, das Gewicht zu halten. So schwer stellt mancher sich ein U47 vor; tatsächlich ist das Original mit etwas über 600 g deutlich leichter, denn sein Gehäuse besteht aus Aluminium. Das WA-47-Gehäuse ist hingegen aus einem schweren, harten Metall gefertigt, vermutlich eine Stahllegierung. Die nickel-matt glänzende Oberfläche hat einen ganz leicht gelblichen Vintage-Schimmer, der eine nikotinverseuchte Ära heraufbeschwört. Form und Maße (254 x 60 mm) entsprechen weitgehend denen des Neumann U47 in der Longbody-Version, die bis Ende der 50er gefertigt wurde, bis kompaktere Kondensatoren es möglich machten, den Gehäusetubus etwas zu verkürzen. Passend zur Longbody-Bauform hat das WA-47 einen chromglänzenden Mikrofonkorb (bei späteren U47 ist dieser nickel-matt wie das Gehäuse).
Bild: Dr. Andreas Hau
Das WA-47 bietet neun Richtcharakteristiken, die über das mitgelieferte
Netzteil umgeschaltet werden. Die beiliegende Spinne hat
Mühe, das hohe Gewicht des Mikrofons zu halten.
Bild: Dr. Andreas Hau
Das WA-47 hat in etwa die Maße des Neumann U47 in der Long-Body-Variante. Spätere U47-Mikrofone wie das rechts im Bild hatten einen leicht gekürzten Mikofontubus und meist einen Kapselkopf in Nickel-Matt statt Chrom.
Ein offensichtlicher Unterschied ist, dass auf der Front nicht die Neumann-Raute prangt, sondern das schlichte runde WA-Logo. Außerdem fehlt im unteren Rand des Kapselkopfs das Fensterchen, das die Richtcharakteristik anzeigt; hier wird beim Original zwischen Nieren- und Kugelcharakteristik umgeschaltet. Das geschieht beim WA-47, wie eingangs angesprochen, per Fernumschaltung über das Netzteil, wo ganze neun Richtcharakteristiken abrufbar sind.
Ein nicht so offensichtlicher Unterschied besteht im Steckverbinder. Das WA-47 verwendet wie viele, vorwiegend günstigere Röhrenmikrofone eine siebenpolige XLR- Steckerbuchse. Das ist einerseits gut, weil entsprechende Kabel günstig erhältlich sind, sollte man Ersatz benötigen. Die originalen sechspoligen Großtuchel-Steckverbinder fürs U47 sind heute nur noch schwer zu beschaffen und kosten gerne mal 100 Euro pro Stück. Sie sind allerdings auch viel robuster als die filigranen XLR-7-Steckverbinder, die eigentlich nicht für so hohe Spannungen ausgelegt sind, wie sie ein Röhrenmikrofon benötigt. Teurere Röhrenmikrofone jüngeren Datums verwenden deshalb meist robustere, verschraubbare Industrie-Steckverbinder. Immerhin: Am Kabelmaterial hat Warm Audio nicht gespart. Laut Manual handelt es sich um Qualitätsware von Gotham.
Auch das Netzteil macht einen ordentlichen Eindruck. Das schwarze Stahlblechgehäuse ist sauber verarbeitet; der Drehschalter zur Wahl der Richtcharakteristik rastet mit einem satten Klicken ein. Wünschenswert wäre jedoch, dass die Betriebsleuchte vorne angebracht wäre statt hinten. Außerdem ist sie blau, was nicht so recht zur Vintage-Ästhetik passt.
Die Frequenzgänge des WA-47 zeigen durchaus Ähnlichkeiten mit dem Original, aber auch einige Abweichungen
Innenleben
Ein ganz entscheidendes Kriterium für einen U47-Nachbau ist die Schaltungstechnik. Die Original-Elektronik ist aus nur wenigen Komponenten aufgebaut, die jedoch alle sehr hochwertig sind und am Klanggeschehen teilnehmen. Die U47-Schaltung ist nämlich sehr einfach und arbeitet nahezu ohne Gegenkopplung, sodass praktisch keine Korrektur von irgendwelchen Klangartefakten stattfindet. Zentrale Bauelemente sind die Telefunken VF14-Pentodenröhre (als Triode verdrahtet), der überdimensionierte BV-08-Ausgangsübertrager, der genau auf diese Röhre abgestimmt ist, und die Bosch-MP-Kondensatoren, die den Klang mitprägen, insbesondere der Ausgangskondensator zwischen Röhre und Übertrager. All diese Bauteile sind in dieser Form nicht mehr verfügbar.
Das weiß man natürlich auch bei Warm Audio. Der Lösungsansatz ist radikal: Die Schaltung des WA-47 hat wenig bis nichts mit dem Original gemein. Als Röhre kommt eine 5751 des slowakischen Herstellers JJ zum Einsatz; das ist nichts anderes als eine ECC83 (= 12 AX7) mit 30 % weniger Gain. Mit einem Verstärkungsfaktor von 70 handelt es sich aber − entgegen der Aussagen im Manual − immer noch um eine High-Gain-Röhre. Außerdem ist es eine Doppeltriode, d. h. eine Röhre mit zwei Systemen. In den Mikrofonlegenden der 50er und 60er kamen dagegen durchweg einstufige Schaltungen mit Medium-Gain-Röhren zum Einsatz. Selbst beim AKG C12, das eine 6072-Doppeltriode verwendete, ließ man eine Hälfte der Röhre einfach brachliegen.
Das ist beim WA-47 nicht der Fall; beide Triodensysteme sind in die Schaltung eingebunden. Soweit ich erkennen konnte, ist das zweite Triodensystem als Kathodenfolger der Eingangsstufe nachgeschaltet. High-Gain-Röhren haben nämlich eine höhere Ausgangsimpedanz als Medium-Gain-Röhren; um dennoch einen Ausgangsübertrager mit BV-08-Spezifikationen verwenden zu können, senkt die zweite Röhrenstufe die Ausgangsimpedanz ab.
Bild: Dr. Andreas Hau
Bild: Dr. Andreas Hau
Bild: Dr. Andreas Hau
Bild: Dr. Andreas Hau
Bild: Dr. Andreas Hau
Bild: Dr. Andreas Hau
Bild: Dr. Andreas Hau
Diesen zweistufigen Aufbau kennt man von vielen Fernost-Röhrenmikrofonen moderner Bauart. Was das Warm Audio WA-47 von diesen unterscheidet, ist die deutlich höhere Bauteilqualität: Als Eingangskondensator kommt ein hochwertiger Styroflex-Typ zum Einsatz (das Original benötigt gar keinen), der Ausgangskondensator ist ein audiophiler Polypropylen-Kondensator. »Star« des Innenlebens ist der große Ausgangsübertrager, der dem originalen BV-08-Übertrager nachempfunden ist. Anders als bei den meisten WA-Produkten wird dieser nicht von Cinemag gefertigt, sondern von AMI in Kansas, der Firma des viel zu jung verstorbenen Vintage-Spezialisten Oliver Archut.
Auch die Mikrofonkapsel macht einen hochwertigen Eindruck. Es handelt sich um einen Nachbau der Neumann K47-Großmembrankapsel. Am Rande sei bemerkt, dass beim WA-47 keine Rede mehr von Warm Audios Subunternehmen Lens Kondensator ist; auch die Teilenummer beginnt nicht mehr mit LK, sondern lautet WA-47 B-80V. Noch immer wird aber ein namentlich nicht identifizierter australischer Kapsellieferant als Hersteller aufgeführt. Wer der geheimnisvolle Kapselfachmann ist, den Warm Audio für seine Expertise engagiert hat, bleibt nach wie vor im Dunkeln. Zumindest kann man inzwischen ausschließen, dass es sich um Ben Sneezby von Beeznees handelt, denn der hat in einem Internetforum inzwischen dementiert, Verbindungen zu Warm Audio zu unterhalten.
Ein Unterschied im akustischen Aufbau ist mir schon beim Auspacken aufgefallen: Im WA-47 sitzt die Kapsel deutlich tiefer im Mikrofonkorb als beim Original. Das ist kein trivialer Unterschied, denn der obere Ring des Kapselkorbs ragt beim U47 in den Bereich der Kapsel und nimmt in den obersten Präsenzen hörbar am Klangeschehen teil. Das ist beim WA-47 weniger der Fall.
Praxis
Womit wir bei den Klangeigenschaften angekommen wären. In Nierenstellung macht das Warm Audio WA-47 einen auffallend fetten Sound mit wuchtigen Tiefmitten, die von einer sanften Präsenzbetonung konterkariert werden. Die Höhen wirken milde, aber nicht unterbelichtet. Es ist ein sehr »großmembraniger«, hörbar röhrengefärbter Sound, der sicher viele Fans finden wird.
Trotz durchaus bestehender Ähnlichkeiten klingt es aber nicht wie ein Neumann U47. Das WA-47 wirkt etwas verhaltener als das Original und erreicht nicht diese unvergleichliche Präsenz und diese unvermittelte Direktheit. Das Original klingt weniger verstellt, sondern besticht durch eine nur leicht geschönte Aufrichtigkeit. Man könnte sagen, es schmeichelt gerade so viel, dass es noch glaubhaft wirkt. Singt man in ein U47, findet man sich selber gut: »Das bin ich? Wow, heute bin ich echt gut drauf!« Das ist seine Magie. Singt man in das WA-47, findet man das Mikrofon gut: »Klingt klasse, das Mikro ist bestimmt teuer!«
Wer den Direktvergleich hat, wird außerdem feststellen, dass das WA-47 mehr rauscht als das Original. Entgegen anders lautender Gerüchte ist das U47 nämlich ein sehr rauscharmes Röhrenmikrofon. Mit einem Eigenrauschen von 15 dB-A in Nierenstellung lässt es so manches jüngere Röhrenmikrofon alt aussehen. Zwar wirbt Warm Audio mit einem Eigenrauschen von nur 11 dB-A; das ist aber Unsinn; tatsächlich liegt das Eigenrauschen bei gut 18 dB-A. Viel weniger lässt die Konstruktion auch gar nicht zu, denn anders als beim U47 ist die rückwärtige Membran immer elektrisch aktiv, was den Rauschabstand verschlechtert. Beim U47 wird die hintere Membran nur in der selten genutzten Kugelstellung zugeschaltet.
Wie unsere eigenen Messungen belegen, entsprechen auch die im Manual abgebildeten sehr welligen Frequenzdiagramme nicht der Realität − in diesem Fall: glücklicherweise! In Sachen Messtechnik hat Warm Audio offenbar noch großen Nachholbedarf. Den spezifizierten Grenzschalldruckpegel von enormen 140 dB SPL wage ich daher auch infrage zu stellen; er wäre auch kontraproduktiv, denn zum Klangverhalten eines guten Röhrenmikrofons gehört ein langsam steigender Klirrgrad, der typischerweise schon bei Schallpegeln unter 120 dB den Grenzwert von 0,5 % überschreitet.
Positiv zu bewerten ist, dass das WA-47 nicht wie das Original nur zwei, sondern insgesamt neun Richtcharakteristiken bietet, nämlich Kugel, Niere und Acht plus sechs Zwischenstufen. Damit lässt sich das Mikrofon vielseitig nutzen. Wie bei fast allen umschaltbaren Großmembranmikrofonen ändert sich mit der Richtcharakteristik auch der On-Axis-Frequenzgang. Vor allem die Zwischenpositionen um die Nierenstellung lassen sich daher auch als natürlichen EQ nutzen. Wünscht man sich mehr Höhen, dreht man den Schalter ein, zwei Positionen nach links in Richtung Kugelcharakteristik; wünscht man sich weichere, smoothere Höhen, dreht man den Schalter nach rechts in Richtung Achtercharakteristik.
Fazit
Nein, ein U47 ist es leider nicht. Nichtsdestoweniger ist das WA-47 ein wirklich gut klingendes Mikrofon mit einem vollen, sonoren, Vintage-orientierten Klang. Der Grund-Sound geht schon in Richtung Neumann U47, aber diese besondere Magie, die einen bisweilen sprachlos macht, fehlt dann doch. Das WA-47 klingt richtig gut, aber eben nicht legendär.
Das muss freilich nicht jeden interessieren. Wer kein Original zum direkten Vergleich hat, dürfte mit dem WA-47 vollauf zufrieden sein, und wer unbedingt das Original möchte, wird mit einem Clone ohnehin nicht dauerhaft glücklich − auch nicht mit einem deutlich teureren von einem »Boutique«-Hersteller. Insofern hat die Firma Warm Audio ihr Ziel sehr wohl erreicht: ein massenkompatibles U47-Surrogat.
Die U47-Fetischisten mögen die Nase rümpfen ob der vielen Abweichungen vom Original, insbesondere auf Seiten der Elektronik. Wer genau hinschaut, wird auch erkennen, dass die Verarbeitung nicht mit dem Original mithalten kann. Doch mit einem Preis knapp über 1.000 Euro erreicht das WA-47 eine Preisregion, die noch kein U47-Clone zuvor betreten hat. Und es dürfte ziemlich genau der Preis sein, den die vielen Nicht-U47-Fetischisten für ein solches Mikrofon zahlen würden. Wer also ein Recording-Tool mit U47-Flavor benötigt, darf unbesorgt zugreifen. Wer das Original möchte, möge seine Zweithose zu Geld machen und einen Lottoschein erwerben.