Die noch junge Firma Zynaptiq hat mit ihren Plugins PitchMap, UnVeil und UnFilter bereits Möglichkeiten der Audiobearbeitung eröffnet, die man bislang für unmöglich hielt: Hall beseitigen, “kaputte” Filtereinstellungen reparieren oder das komplette harmonische Umgestalten von Musik — alles Wunderwerk! Mit solchen Fähigkeiten verortet man die Zynaptiq-Plugins zunächst in den Anwendungsbereichen Post-Pro, Restauration und Re-Mastering. Dennoch haben diese Tools viel Potenzial für kreative Anwendungen — da macht auch Zynaptiqs neustes Plugin UnChirp keine Ausnahme.
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Mit UnChirp liefert Zynaptiq ein Werkzeug, mit dem sich Codec-Artefakte beseitigen oder, besser gesagt, reduzieren lassen. Gemeint sind unerwünschte Nebengeräusche, die durch das Kleinrechnen von Audiofiles hervorgerufen werden. Die wohl bekannteste und meist verwendete Datenreduktionen ist MP3, und jeder kennt die typischen Artefakte, die mit der Stärke der Reduktion zuneh men. Der Sound wird unpräzise: Die Transienten (Attacks) werden verschliffen und verschmiert, was Hi-Hats oder S-Laute zu undefinierbarem Geknirsche werden lässt.
Postpro- vs. Kreativ-Tool
In der Summe mindern diese Artefakte nicht nur den Hörgenuss, sie stören auch gewaltig beim Musikmachen − nämlich dann, wenn man Samples aus den Tiefen des Internets gefischt hat und in einem Track verwenden möchte. Es gibt dann zwei Strategien: Versuchen, das Ganze mit dem EQ ein wenig zu entschärfen, oder man nutzt die Artefakte kreativ, indem mit Filtern oder Resonatoren bestimmte Aspekte gezielt herausarbeitet. Mit UnChirp kommt nun eine neue Strategie hinzu: Den Sound so reparieren, dass er zumindest wieder brauchbar wird. Gewiss hängt das Ergebnis sehr davon ab, in welchem Maße das jeweilige Audiomaterial kaputt komprimiert wurde, aber die Rekonstruktion mit UnChirp ist zum Teil schlicht verblüffend.
Mal schnell reparieren …
Um das Ganze auszuprobieren, habe ich den Song Soledad von Diego Cigala mit verschiedenen MP3-Stufen datenreduziert − ein optimales Testmuster, da es sich um einen Konzertmitschnitt mit minimaler Besetzung handelt: akustische Gitarre, Stimme − dazwischen viele Pausen, die bei dieser Live-Aufnahme diverse Nebengeräusche beinhalten, welche von MP3-Codecs gerne in ein undefinierbares Frequenzblibbern verwandelt werden − es erinnert an fließendes Wasser, und lässt sich mit herkömmlichen Denoisern kaum entfernen. Der Song beginnt mit einem GitarrenIntro, und bei der Datenreduktion mit 80 Kilobyte pro Sekunde (44,1 kHz) hört man sehr deutlich, wie die Attacks leiden. Dann haucht Diego sein erstes »Soledad« bzw. das, was davon übrig geblieben ist: »Fonedad« oder so ähnlich. Ich möchte spontan an den Reglern der Transient-Sektion schrauben und bin gespannt, ob UnChirp dieses Desaster beseitigt.
UnChirp versucht, die Transienten zu rekonstruieren, was über einen Threshold-gesteuerten Prozess abläuft. Über die Pegelsteuerung schaltet UnChirp zwischen den Originalanteilen und synthetisch erzeugten Transienten um. Ich muss Staunen: Mit ein paar Handgriffen gelingt es mir, das »Soledad« sogar fast wieder herzustellen. Auch wenn im weiteren Verlauf des Songs die unterschiedlichen S-Laute des andalusischen Barden nicht mehr wirklich differenziert zu hören sind − Chapeau! Mit Erhöhen des SYNC-Wertes verbessert man das Ergebnis noch einmal beträchtlich, und auch die Nebengeräusche werden nochmals reduziert.
In den Pausen ist in dem datenreduzierten Track, wie zu erwarten, ein merkwürdiges Noise-Gemisch zu hören, das ich mit der Dechirping-Sektion schon mal absenke. Außerdem sehr wirksam ist die »Musical Noise«- Sektion. Sie reduziert Artefakte, die sich in den tonalen Signalanteilen einschleichen. In extremen Einstellungen kann UnChirp sehr synthetisch klingende Ergebnisse hervorbringen. Ohne aber tief in die Architektur des Plugins einzusteigen, gelingt es mithilfe der ersten drei Regler, die Tonqualität zu verbessern − der Sound bekommt mehr Grip und wirkt irgendwie entspannter. Ich klicke auf »I/O DIFF«, um zu hören, was UnChirp aus dem datenreduzierten Track beseitigt – heil’ges Blechle, das scherbelt ganz schön!
Werkzeugkasten
Auf den ersten Blick ist das alles recht einfach, aber mit oberflächlichen Bearbeitungen kommt man natürlich nicht immer zum Ziel. Deshalb können die Prozesse von UnChirp auch sehr fein justiert werden, was sich mittels der Repsonse-Kurven sehr detailliert festlegen lässt. Äußerst hilfreich dabei sind die vielen Factory-Presets, mit denen UnChirp gegen die schlimmsten und bekanntesten Codec-Artefakte gewappnet ist. Klickt man auf den Pfeil oben links, öffnet sich die Preset-Liste, die nach Anwendungen wie »General Purpose Sound Design«, »Mixed Music Processing« oder »Mixing Tools« und »Post« organisiert ist.
Sehr nützlich ist z. B. die Auswahl an »Bit-Range-Genres«, hinter der sich eine große Liste mit Codec-Settings mit den unterschiedlichsten Bitraten verbirgt − äußerst praktisch, denn diese Settings enthalten schon recht komplexe Kurvenverläufe, die einige Zeit beanspruchen würden, sie von Hand einzustellen. Eine Kleinigkeit nur am Rande: Angewählte Presets werden namentlich nicht angezeigt, sodass man unter Umständen nicht nachvollziehen kann, welches der Presets man zuletzt gewählt hatte − das erschwert das Vergleichen von Einstellungen.
Komplex und doch einfach. Zunächst werden die Bearbeitungsfunktionen von UnChirp linear auf das komplette Signal losgelassen, man kann aber auch sehr ins Detail gehen, behutsam nur bestimmte Frequenzanteile bearbeiten.
Praxis
Man sollte von UnChirp nicht erwarten, stark datenreduzierte Tracks wieder zu strahlendem Audioglanz zu verhelfen − man muss sich vor Augen halten, dass solch gravierende Schäden nicht zu reparieren sind. UnChirp kann in solch einem Fall aber helfen, ein Audiofile zumindest so wieder hinzubiegen, dass es sich in einem Remix einbetten lässt, ohne dass die metallisch klingenden Nebengeräusche einem den Mittenbereich verätzen. Eine Hilfe dabei sind die beiden Funktionen »De-Chirping« und »Musical Noise«, die Nebengeräusche und Störfrequenzen im Audiomaterial identifizieren und absenken können.
Die schlimmsten Auswirkungen kann die Datenreduktion aber bei den Transienten haben. Sind die Transienten erst einmal stark beeinträchtigt, dann fehlt hier Information. UnChirps synthetische Rekonstruktion der Transienten ist so gesehen schon ein kleines Wunder. Der Einsatz dieser Funktion setzt aber etwas Geduld und Fingerspitzengefühl voraus, denn übertreibt man das dynamische Zumischen der synthetisch erzeugten Transienten, wirkt sich das auf das gesamte Klangbild nicht unbedingt vorteilhaft aus. Man muss aber immer die Anwendung im Blick haben und gegebenenfalls entscheiden, ob und wie stark die Bearbeitungen akzeptabel sind. Hat man etwa ein per Handy aufgezeichnetes Interview oder ein YouTube-Video, gelingt es mit UnChirp immer noch, die Sprachverständlichkeit zu verbessern.
Auch wenn die Bearbeitungen dann schon deutlich hörbar in das Audiomaterial eingreifen, klingt es hinter besser als metallisch zirpende Konsonanten. Möchte man hingegen ein komplettes Musikstück aufmöbeln, kann man deutlich behutsamer vorgehen, indem man UnChirp nur die Seitenanteile des Stereosignals bearbeiten lässt. Da die meisten MP3s als »joint stereo« komprimiert sind, wo der Codec das Audiomaterial nach Mitten- und Seitenanteilen bearbeitet, führt diese Anwendung zu nochmals spürbar besser klingenden Ergebnissen. Erstaunlich.
Fazit
Von allen Zynaptiq-Plugins ist UnChirp sicher das ungewöhnlichste. Die Beseitigung von Codec-Artefakten ebenso wie das Auffrischen von zerstörten Transienten sind eine Spezialität von UnChirp − dabei sind die eigentlich komplizierten Bearbeitungen so einfach und transparent gemacht, dass man damit auch als Musiker spielend zurechtkommt. Außerdem liefert Zynaptiq zahlreiche Factory-Presets mit, die einem das Leben erleichtern. Die Anwendungen von UnChirp sind allerdings recht speziell, es wird sicher kein ständiger Begleiter in der Musikproduktion werden. Dennoch handelt es sich hier um ein Plugin mit bemerkenswerten und einzigartigen Möglichkeiten, die im richtigen Moment entscheidend sein können.