30 Jahre Mauerfall: Zeitzeugen berichten aus der Studioszene-DDR
von Marc Bohn,
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(Bild: Landesarchiv Berli)
„Das tritt nach meiner Kenntnis … ist das sofort, unverzüglich.“ Mit diesem Satz leitete Günter Schabowski, Erster Sekretär der SED-Bezirksleitung Berlin-Ost, während einer Pressekonferenz zu einem neuen Ausreisegesetzt der DDR-Bürger am 09.11.1989 den Fall der Berliner Mauer ein. Heute jährt sich der Mauerfall zum 30. Mal. Das haben wir als Anlass genommen, um mit Produzenten, Musikern und Tontechnikern zu sprechen, die diese Zeit in der Welt der Musikproduktion zwischen Ost und West miterlebt haben!
Roland Stenz, Chefentwickler von Eve Audio – Zurück an alter Arbeitsstätte
Roland Stenz arbeitete zu DDR-Zeiten für das RFZ, Rundfunk- und Fernsehtechnisches Zentralamt. Im Interview berichtet er von seiner Arbeit als Labormechaniker, erzählt warum er den 09.11.1989 verschlafen hat und gibt einen kleinen Einblick in die versteckte Symbolik im Funkhaus Berlin.
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Roland, wie hast du den Mauerfall erlebt?
Zu dem Zeitpunkt war ich auf einer Messe in Leipzig. Ich hab natürlich alle Nachrichten, die man so bekommen konnte, verfolgt. Durch die ganzen News war man schon etwas überladen, und in der DDR wusste man ja nie, ob das vielleicht in einer Katastrophe endet oder in welche Richtung das geht. Von einer Maueröffnung war ja zu Beginn auch gar nicht die Rede, man wusste zuerst nur, dass viel Armee und Polizei in den Straßen unterwegs war. Ich bin dann nach Berlin zurückgekommen und meine Mutter sagte zu mir: “Irgendwas ist mit der Mauer, aber wir haben heute mal keine Nachrichten geschaut!” Ich hatte auch starke Migräne an dem Tag, sodass ich den Tag auch komplett verschlafen habe. Am nächsten Tag ging man normal zur Arbeit, wobei viele gar nicht kamen. Wir haben dann aber auch einen kurzen Tag gemacht und sind dann nach West-Berlin. Die Stimmung war bei mir total euphorisch, weil einem die Welt plötzlich offen stand. Vorher konnte ich mir überhaupt gar nicht vorstellen, dass sich an unserer Situation in der DDR etwas ändern könnte.
Du hast zur damaligen Zeit im RFZ gearbeitet. Kannst du uns kurz beschreiben, was das war und wie deine Aufgaben dort aussahen?
Das RFZ steht für Rundfunk- und Fernsehtechnisches Zentralamt. Die Post war in der DDR in drei Bereiche aufgeteilt. Es gab die gelbe Post, die den Brief- und Paketversand machte, dann gab es die graue Post, Telegrafie und Telefon, und dann gab es die blaue Post für Rundfunk und Fernsehen. Das war ein Forschungs- und Entwicklungsbetrieb für rundfunk-, fernseh- und studiotechnische Anlagen, wo vom Präzisionswiderstand bis zum Übertragungswagen alles hergestellt wurde. Wir entwickelten auch Studioausrüstung, Steuerelektronik für die Audiotechnik und so weiter. Im heutigen Funkhaus in der Nalepastraße wurde damals zum Beispiel eine Mixing-Konsole installiert, die am RFZ entwickelt wurde. Ende der 80er gab es dort dann auch den Übergang zu digitalen Steuerungen von einem analogen Pult. Über Nacht war der gesamte Betrieb dann aber auch obsolet!
Ich war Labormechaniker im RFZ und habe die ganzen Versuchsschaltungen aufgebaut, wo ich zum Handwerk, und darüber, wie man mit Elektronik umgeht, sehr viel gelernt habe. Da bin ich auch schon mit dem schalltoten Raum und dem Hall-Raum, den wir hier für Eve Audio nutzen, in Kontakt gekommen. Da wir mit Eve Audio ja in der Media City Adlershof sitzen, dem alten RFZ-Gelände, kann ich diese ja auch jetzt wieder nutzen. Glücklicherweise haben die Räume die Wende überstanden und waren alle in einem Top-Zustand. Ist natürlich eine witzige Geschichte, dass ich als Selbstständiger an meinen alten Arbeitsplatz zurückgekommen bin.
Gab es beim RFZ auch West-Technik oder wurde alles selbst entwickelt?
Gab es natürlich auch, wurde allerdings teilweise in speziellen Abteilungen gewartet, wo man als Normalsterblicher keinen Zugang hatte. Das Gelände vom RFZ und vom Fernsehfunk war im Grunde eins. Uns war es aber auch nicht erlaubt, in alle Abteilungen des Fernsehfunks reinzugehen. Zur DDR-Zeit gehörten Rundfunk und Fernsehen zu hoheitlichen Einrichtungen, wo es viele Sicherheitskontrollen gab. Teilweise wurde dort natürlich westdeutsche Technik eingesetzt. Es gab damals Listen, die besagten, welche sicherheitsrelevante Technik nicht in den Osten exportiert werden darf. Dazu zählten auch bestimmte Schaltkreise. Damals kam beispielsweise mal ein Paket mit 8-Bit-Prozessoren an, wo auf der Verpackung groß draufstand, dass sie nicht in den Ost-Block exportiert werden durften. Es gab da innerhalb des Handels also schon Wege! (lacht)
Wie ging es mit dem RFZ nach der Wende weiter?
Das wurde von der Deutschen Telekom übernommen, innerhalb kurzer Zeit wurde der Betrieb dann ausgeräumt. Das war natürlich schon traurig. Alles, was an Messgeräten drin war, Bauelemente, wo auch wirklich Goldstaub drin war und man sich daran die Nase platt gedrückt hat, wurde über Nacht ausgeräumt und kam in den Schrott! Die Telekom hatte für diesen Bereich keine Verwendung und so bin ich in der Mobilfunk-Abteilung gelandet. Ich bin dann mit einem kleinen Auto durch den Osten gefahren und habe geschaut, ob die alten Stasi-Masten tragfähig genug für die neuen Antennen sind. Das war natürlich nicht mein Fall!
Das Funkhaus-Ost
Unendliche Gänge und Aufnahmestudios mit der besten Akustik der Welt: Das Berliner Funkhaus-Ost war die größte Radiostation der DDR. Die damalige Musikredakteurin Elisabeth Heller führt durch diesen Ort, den langsam wieder neues Leben erfüllt.
https://youtu.be/WOnVrfeqUrU
Gab es nach der Wende ein technisches Umrüsten in den Studios?
Die großen Studios haben damals schon zum größten Teil mit West-Technik gearbeitet. Man konnte ja auch zu Ost-Zeiten nicht in den Laden gehen und eine Bandmaschine kaufen. Egal, ob die im Osten oder im Westen hergestellt wurde. Es gab natürlich die ganzen schallenden Namen der westlichen Hemisphäre, und die großen Studios haben da versucht ranzukommen. Die Labels wie Eterna oder Amiga hatten bestimmt vernünftige Technik. Die Bands selbst haben, wenn sie im Westen auftreten durften, wie Karat oder Puhdys, natürlich das Geld, was sie dort bekommen haben, auch für West-Equipment eingesetzt und sich dort Keyboards, Gitarren und Mixer gekauft. Nach der Wende war für die DDR-Künstler eher das Problem, dass sie keine Auftritte mehr hatten.
Hast du eine besondere Anekdote, die du zur Studioszene in der DDR erzählen kannst?
Im Funkhaus an der Nalepastraße gibt es den einen Recording-Room, den zweitgrößten dort. Auf den Dämmpanelen und den Diffusoren an der Wand sind französische Lilien, die Lilien der Bourbonen, eingearbeitet, die mit Gold verziert sind. Das haben die Architekten damals als kleinen Protest mit reingebracht, da natürlich ein aristokratisches Symbol in einer sozialistischen Kultur nichts zu suchen hat. Aber die Oberen der DDR hatten gar nicht den Intellekt, das zu erkennen. (schmunzelt)
Peter Walsh – Isolation DDR
(Bild: Arnau Oriol Sanchez)
Auch Produzent Peter Walsh erinnert sich an die Zeit, als Berlin in Ost und West geteilt war und er mit der Pop-Band Alphaville im Hansa Studio in West-Berlin, aufnahm:
“1986 arbeitete ich für 6 Wochen mit der Synthp-Pop-Band Alphaville in den Hansa Studios, die auch als by the wall studios bekannt waren. Das Album Afternoons in Utopia wurde 500.000 Mal verkauft und erreichte die Top 20 in 5 europäischen Ländern. “Einstürzende Neubauten” nahmen ihr drittes Album (Halber Mensch) in Studio 2 auf, im Meistersaal, der als the big hall by the wall bekannt war, waren gerade Depeche Mode. Der ganze Ort war sehr aufregend. Ich arbeitete in Studio 1 im 4. Stock. Aus dem Fenster der Regie konnten wir über die Mauer einen Wachturm sehen, der keine 150 Meter entfernt stand. Er war so nah, wir hätten der Wache tatsächlich winken und eine steife Antwort zurückbekomme können.
Am Abend konnten wir links die Stadtlichter eines belebten West Berlins sehen. Rechts nur Dunkelheit, absolute Dunkelheit, außer einem gelegentlichen Aufblitzen eines Frontscheinwerfers in weiter Ferne. Es war ein seltsames Gefühl, wie ein Engineer selbst einmal bemerkte, außerhalb der westlichen Zivilisation zu sein. Auf der einen Seite waren die Studios fantastisch, um darin zu arbeiten, aber die Stadt fühlte sich klaustrophobisch an, fast erstickend. Es ist bekannt, dass Künstler wie David Bowie, U2 und Nick Cave dieses Gefühl als sehr inspirierend empfanden!
Nach drei Wochen musste ich raus. Nicht aus den Studios, aber raus aus Berlin. Wir buchten einen Flug von British Airways und flogen über das Wochenende zurück nach London. Später in diesem Monat kam es zur nuklearen Katastrophe in Tschernobyl und erzeugte noch etwas mehr von diesem Gefühl der Verwüstung und der Isolation.”
Der Wandel
“2013 kam ich zurück ins Hansa, um mit der chinesischen Band Mr Graceless zu arbeiten. Der einzige Raum, der sich nicht verändert hat, ist Studio 1, das sich nun Hansa Mixingroom nennt. Die SSL, mit ihrem deutlichen “Hansa-blau” ist immer noch da, genauso wie das kleine Fenster, durch das wir vor über 30 Jahren ins Niemandsland geblickt haben. Der Blick ist jetzt ganz anders. Die Mauer ist weg, der Wachturm auch, und man ist in Mitten einer modernen Stadt, die darum aufgebaut wurde. Studio 2, der Meistersaal, ist nicht mehr als Studio im Einsatz. Mit dem nötigen Budget kann man ihn allerdings noch für Recordings buchen. In Studio 3 sind nun die Emil Berliner Studios. Viele kleine Studios und Produktionsfirmen aus allen Gebieten sind jetzt in den Räumlichkeiten untergebracht und arbeiten zusammen unter einem Dach. Das ist höchstwahrscheinlich profitabler, wo Mieten im Zentrum einer so boomenden Stadt so hoch sind.”
Rainer Oleak – Weiterbildung im Westen
Rainer Oleak
Rainer Oleak ist studierter Komponist, Pianist und Raumakustiker. Seit den 80er Jahren hat er über 300 Film- und Fernsehmusiken komponiert und produziert, darüber hinaus zahlreiche Hörbücher, Multimedia-Projekte und Album-Produktionen realisiert. Sein Werk wurde mehrfach ausgezeichnet. Rainer Oleak lebt und arbeitet in Berlin. Auch er hat uns Anekdoten zur Wende erzählt:
Der “Vorhang” und das sowieso noch nicht vorhandene Internet machten es sehr schwierig, Wissen über westliche Produktionstechnik zu erwerben. Nach der Wende konnte ich endlich Workshops von internationalen Mixer-Größen besuchen. Das war toll! Der erste war 1997 bei Bruce Swedien: Eine Woche lang lernen, dass keine magischen, schwarzen Kisten den wunderbaren Sound erzeugen, sondern Talent und Erfahrung notwendig sind. Direkt nach der Grenzöffnung bin ich in Westberliner Studios gegangen und habe mich bei Aufnahmen einfach dazugesetzt – um zu schauen, wie die das machen… Natürlich habe ich schnell festgestellt, dass auch hier kein Hexenwerk passierte. Doch solche Erfahrungen stärkten das Selbstvertrauen.
Im Studio mit Rainer Oleak
“Studiotechnik hatte ich in bescheidenem Maße schon vor der Wende zur Verfügung. Danach bekam ich jedoch die wunderbare Möglichkeit, mein Setup um einige Trauminstrumente zu erweitern. Zur Wendezeit wurde das Hardisk-Recording gerade zum wichtigen Thema, und so war ich von der ersten Stunde an Pro Tools User. Diese Technik hat mich fasziniert und ist bis heute das Herzstück meiner Arbeitsweise. Auch meine Liebe zur Analogtechnik konnte ich ausleben – so hatte ich bald eine Studer 24-Spur-Maschine und später ein SSL-Pult. Beides wäre vor der Wende undenkbar und unbezahlbar gewesen. Beide Geräte nutze ich noch heute und habe gerade eine Blues-Band auf Tape produziert. Vor der Wende hatte ich von der “gängigen” Technik keine Ahnung. Ich wusste nicht einmal, was ein Fairchild ist und wie ikonisch der Name Neve ist. Später habe ich dann Stück für Stück meine Heimat in dieser Technik gefunden – und schnell festgestellt, dass meine Lieblingsmusik meist mit Geräten von Neve und SSL produziert wurde. Heute finden sich in meinem Studio meine Lieblings-Tools.
Die Musikproduktionen in der DDR waren von sehr unterschiedlicher Qualität. Doch das, was um die achtziger Jahre in den Amiga Studios aufgenommen wurde, wie z.B. Karat, Veronika Fischer oder Lift, braucht sich auch heute nicht vor internationalen Vergleichen zu verstecken. Ganz nach dem Motto “die Kirschen in Nachbars Garten…” haben wir das damals leider nicht erkannt. Ich hatte kurz nach der Wende die Gelegenheit, in den damaligen Spliff-Studios eine Platte zu produzieren, die von Udo Arndt im Audio-Studio gemischt wurde. Das war für mich der erste echte Kontakt mit dem, was wir von “über den Zaun” kannten, hörten und bewunderten – erste Adressen der Westberliner Szene. Für mich natürlich außerordentlich spannend.
Glücklicherweise ist die Wende für mich weitgehend problemlos verlaufen. Ein paar Regisseure, die schnell Fuß gefasst hatten, nahmen mich mit “nach drüben”, und schon 1992 konnte ich meine erste Tatort-Musik verwirklichen. Weitere Aufträge kamen recht schnell nach. So konnte ich mir in kurzer Zeit ein solides Umfeld aufbauen. Man darf aber nicht vergessen, dass viele meiner Kollegen, insbesondere reine Instrumentalisten ohne Komponisten-Hintergrund, eine wesentlich schwierigere Situation vorfanden und leider vielfach auch aufgeben mussten.”
Auch in der ehemaligen DDR produzierte man elektronische Musik. Als Stars der zugegebenermaßen überschaubaren Szene gelten Pond, das musikalische Baby des Berliners Paule Fuchs. Im Frühjahr 2018 feierten Pond mit einer Reihe spektakulärer Konzerte den 40. Geburtstag. Allerdings startete Paule zunächst als Drummer und Pond als waschechte Prog-Rock-Band. Erst später vollzog sich der Wandel zu rein elektronisch produzierten Sounds. Darüber hinaus bestand für Pond zumindest bis 1989 die Notwendigkeit, sich mit gewissen Gegebenheiten anzufreunden, die ein Künstlerleben in der DDR zwangsläufig mit sich brachte. Wir haben mit Paule Fuchs über das Gesamtkunstwerk Pond geplaudert!
Man sagt, der Kunst- und Musikbetrieb in der DDR unterlag einer strengen staatlichen Kontrolle. Wie seid ihr mit einer solchen Bevormundung umgegangen?
Man kam an diesen Dingen nicht vorbei und musste damit leben. Wirklich problematisch konnte die Sache erst dann werden, wenn man mit Texten gearbeitet hatte. Da musste man sich einiges einfallen lassen, um eine möglicherweise kritische Message passend zu verpacken. Bei Pond war das unproblematisch, denn es gab ja keine Texte. Somit habe ich mich auch nicht wirklich künstlerisch eingeschränkt gefühlt. Wesentlich nerviger war die Tatsache, dass man dem Staat sein „Können“ unter Beweis stellen musste, um die Möglichkeit zu erhalten, professionell Musik zu machen. Dazu musste jeder angehende Profi ein Musikstudium absolvieren. Im Nachhinein konnte ich dieses Wissen jedoch sehr gut nutzen.
Pond – Planetenwelt – 1984
https://youtu.be/jTMbfqf300o
Hatte man den Status eines Berufsmusikers erreicht, wurde man unterstützt?
Eigentlich nur, wenn auch Erfolge zu verzeichnen waren. Also dann, wenn die Musik beim Publikum gut ankam. Man bekam dann die Möglichkeit, eine Reihe von eigenen Titeln im Studio des Rundfunks zu produzieren. Unsere beiden ersten Alben produzierten wir somit im Studio 4 des legendären Berliner Funkhauses. Dabei entstand 1982 auch unser bislang größter Hit Planetenwind.
Hättest du andere Musik gemacht, wenn du in Westberlin zu Hause gewesen wärst?
Gute Frage … Vielleicht hätte ich ja etwas vollkommen anderes gemacht …? Nein, ich glaube, meine Musik wäre mehr oder weniger dieselbe gewesen. Neben Drums und Prog-Rock waren Keyboards und Elektronik einfach mein Ding. Als ich Tangerine Dream im Radio gehört habe und das berühmte Foto von Klaus Schulze sah – wie er zwischen seinen Synthies auf dem Fußboden sitzt –, war ich infiziert und hatte als größten Wunsch, so etwas auch zu machen. Das hätte im Westen sicher auch nicht viel anders passieren können.
Bekanntermaßen konnte man elektronische Instrumente in der DDR nicht so einfach kaufen. Wie bist du an dein Equipment gekommen?
Stimmt – kaufen konnte man manchmal Akkordeons. Schon bei Gitarrensaiten wurde es schwierig. (lacht) Man musste Beziehungen aufbauen und nutzen. Also Leute finden, die einem das Zeug aus dem Westen mitbrachten. Hatte man diese Hürde genommen, mussten die Instrumente finanziert werden. Auf den Westpreis musste man das Vier- bis Achtfache draufrechnen. Das hieß auftreten, auftreten, auftreten, sparen, sparen, sparen, Geld leihen, Kredite usw. Glücklicherweise waren die Lebenshaltungskosten damals nicht so hoch. (Das Interview führte Matthias Fuchs)
Von Berlin nach Gefell – 90 Jahre Microtech Gefell
Die Geschichte beginnt im November 1928, als Georg Neumann gemeinsam mit Erich Rickmann die Kommanditgesellschaft Georg Neumann & Co in Berlin gründet. Zuvor hatte Georg Neumann für die Firma Reisz gearbeitet und ein technisch verbessertes Kohlemikrofon entwickelt. Der Betrieb floriert. Doch 1938 erleidet die Firma einen schweren Schicksalsschlag, als der Mitgründer Erich Rickmann unerwartet stirbt. Gemeinsam mit dem Betriebsleiter Erich Kühnast gelingt es Georg Neumann jedoch, das Unternehmen weiterzuführen. Doch dann bricht der Zweite Weltkrieg aus. Anfang der 40er-Jahre wird das Firmengebäude in der Michaelkirchstraße von Bomben getroffen.
Georg Neumann beschließt, den Firmensitz zu verlagern, und sucht einen abgelegenen Ort fernab der Metropolen, wo seine Firma vom Bombenhagel verschont bleiben soll. 1943 zieht der gesamte Betrieb mit einem Großteil der Mitarbeiter in eine ehemalige Textilfabrik nach Gefell im Vogtland. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs fällt Gefell in die sowjetische Besatzungszone. Infolgedessen wird der Betrieb für den West-Berliner Georg Neumann immer schlechter erreichbar.
1947 gründet Georg Neumann in West-Berlin ein zweites Unternehmen, die Georg Neumann GmbH, um seine audiotechnischen Ideen umzusetzen. Das heißt jedoch nicht, dass er sich nicht mehr um seinen Betrieb in Gefell gekümmert hätte. Es existieren Fotos aus den 1950er-Jahren, die Georg Neumann bei Besuchen in Gefell zeigen. Selbst nach dem Mauerbau werden die Kontakte fortgeführt − illegal aus Sicht der DDR-Führung, die Spitzel ins Unternehmen eingeschleust hatte, wie später aus den Stasi-Akten hervorgeht. Es droht die Verstaatlichung. Wirtschaftlich läuft es in Gefell jedoch gut, denn der Betrieb beliefert den gesamten Ostblock mit hochqualitativen Mikrofonen.
Als mit dem Niedergang des sozialistischen Wirtschaftssystems der Bedarf an Studiomikrofonen sinkt, beauftragt die DDR-Führung den Betrieb in Gefell mit der Fertigung von Festkörper-Laseranlagen. So sollen freiwerdende Produktionskapazitäten genutzt werden. Entwickelt werden die Laseranlagen in Kooperation mit der Friedrich Schiller Universität Jena. Im Zuge dessen wird der Betrieb in VEB Microtech Gefell umbenannt. Sogar eine hochmoderne Produktionsanlage soll entstehen. Ein Perspektivmodell wird erstellt, doch es wird nicht mehr umgesetzt. Die DDR war wirtschaftlich und politisch am Ende.
Zeitwende
So sehr sich die Menschen in der DDR, gewiss auch in Gefell, den Mauerfall und die damit verbundene persönliche Freiheit gewünscht hatten, so folgenschwer sollte er sich auf wirtschaftlicher Ebene erweisen. Für Microtech Gefell bedeutete der Beitritt zur BRD und ihrem Währungssystem, dass der gesamte bisherige Markt wegbrach. Im Ostblock waren die Studio- und Messmikrofone aus Gefell bekannt und gefragt; im Westen kannte sie kaum jemand. Noch dazu waren sie inkompatibel zur westlichen Studiotechnik. Die 48-Volt-Phantomspeisung wurde ja erst nach dem Mauerbau erfunden und hatte sich im gesamten Ostblock nie durchgesetzt − ebenso wenig wie die westlichen XLR-Steckverbinder. Stattdessen hatte man in Gefell eigene Multipin-Steckverbinder entwickelt. Für den − noch zu erschließenden − westlichen Markt musste das gesamte Sortiment an Studiomikrofonen überarbeitet werden. (Auszug aus dem Artikel von Dr. Andreas Hau. Den kompletten Artikel zu 90 Jahren Microtech Gefell findet ihr hier