70-jähriges Jubiläum samt Generationswechsel: Bauer Studios, Ludwigsburg
von Nicolay Ketterer,
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(Bild: Nicolay Ketterer)
Die Bauer Studios im schwäbischen Ludwigsburg existieren seit 70 Jahren — kürzlich fand ein »Generationswechsel« statt: Die drei neuen Geschäftsführer wollen die Ausrichtung breiter aufstellen, unter anderem auch für Filmton, Mehrkanalmischungen und binaurale Produktionen.
Die Bauer Studios, laut eigenen Angaben das »älteste private Tonstudio Deutschlands«, existieren seit 1949. Neben deutschen Musikern, darunter Herbert Grönemeyer, Reinhard Mey, Till Brönner oder Pur, haben über die Jahre auch Randy Brecker, Stevie Wonder, Jack Bruce, Al Di Meola, Bill Frisell, Keith Jarrett, Chaka Khan oder Pat Metheny dort aufgenommen.
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»Staffelübergabe«
Die Tonmeisterin und Tochter des Gründers Rolf Bauer, Eva Bauer-Oppelland, führte das Studio mit ihrem Mann seit Ende der 1980er-Jahre. Kürzlich fand ein Generationswechsel statt − Bauer-Oppelland übergab an die Tonmeister Bettina Bertók, Michael Thumm und Philipp Heck. Bertók und Thumm kannten sich durch ihr Tonmeisterstudium an der Hochschule für Film und Fernsehen (heute Filmuniversität) Babelsberg Konrad Wolf in Potsdam. Beide hatten unabhängig voneinander vor Jahren ein Praktikum in den Bauer Studios absolviert, erklärt Bettina Bertók: »Daher kannten wir die frühere Geschäftsleistung. Uns wurde die Übernahme angeboten − das bringt eine große Verantwortung mit sich, nach längerer Überlegung und Planung haben wir uns dafür entschieden.« Die Übergabe fand Anfang 2017 statt, zusammen mit Heck, der seit 2001 als Tonmeister angestellt ist. »Die Kombination aus zwei ›naiven jungen Leuten‹, die sich das zutrauen, und jemandem, der Kollegen und Kunden seit Jahren kennt, erscheint mir passend. Ohne interne Säule wäre es schwierig.«
Bettina Bertók und er, sagt Michael Thumm, hatten fünf Jahre als Freelancer in Potsdam gearbeitet und einen Kundenstamm aufgebaut. »Irgendwann mussten wir uns entscheiden, ob wir komplett nach Ludwigsburg ziehen und die Bauer Studios übernehmen.« Die Verantwortung sei gerade im Hinblick auf die zehn Festangestellten und drei Praktikanten des Studios groß, so Bertók: »Habe ich allein eine ›Durststrecke‹ ohne Projekte, kann ich vielleicht mit Ersparnissen haushalten − bei Gehaltszahlungen für 13 Mitarbeiter denke ich darüber anders, weil ein Tonstudio keine Gewinne in einer Größenordnung abwirft, sodass große Rücklagen entstehen.«
Zudem besteht die Herausforderung, das Studio den Veränderungen der Musikbranche anzupassen. Sie betreiben nach Musiksparten geordnete Labels und einen angegliederten Musikverlag. »Die Kombination aus CD-, Digitalvertrieb und unserem ›Studio Konzert‹-Projekt, dass nur auf Vinyl veröffentlicht wird, scheint ein Spagat, der sich gut trägt«, erklärt Bertók. Seit 2013 haben sie 40 »Studio Konzert«-Alben veröffentlicht. Dabei spielen Musiker vor Publikum, das Ergebnis wird live auf Viertelzoll-Band abgemischt [siehe S&R 9.2016].
Musikalisch haben sich die Bauer-Studios vor allem im Bereich Jazz, Blasmusik und Klassik etabliert. »Auch interessant: Mittlerweile kommen vermehrt Hip-Hopper zu uns, um hier in Studio 2 ihre Vocals aufzunehmen«, erzählt Bettina Bertók. »Der erste fragte an, ob es möglich wäre, direkt in Auto-Tune zu performen.« Das haben sie passend gelöst.
Die Aufgaben einer Studiobetreiberin heute – Bettina Bertók – Bauer Studios
Wir sprechen mit Bettina Bertók, Geschäftsführerin der Bauer Studios in Ludwigsburg, über ihre Aufgaben als Studiobetreiberin. Sie erklärt, wie sich das Studio für die Zukunft mit Filmton, Mehrkanalmischungen, binauralen Produktionen und Live- sowie Streaming-Konzerten aufstellt, und sie redet offen und ehrlich darüber, was der Betrieb des Studios monatlich kostet. Viel Spaß beim Hören!
Nach der Übernahme wurden Räumlichkeiten und Technik teilweise modernisiert. »Die Regie in Studio 1 blieb unverändert, den großen Saal haben wir farblich angepasst.« Das kleinere Studio 2 ließen sie komplett umbauen. »Michael und ich haben Filmton − Sounddesign, Dialogschnitt, Mischung − studiert. Wir wollten unsere Fähigkeiten als weitere Säule einbringen. In Baden-Württemberg wird viel Film produziert, daher existieren Produktionsfirmen und Projekte, die im Bereich Ton betreut werden müssen.« Der Umbau habe sich angeboten, da das Studio 2 bereits »in die Jahre gekommen« war, ergänzt Philipp Heck. Als »Gegenentwurf« zur analogen AMS-Neve-Konsole in Studio 1 befindet sich im zweiten ein digitaler Avid S6-Pro-Tools-Controller. Beide Räume sind kombinierbar. »Der große Aufnahmesaal lässt sich vom Studio 1 oder 2 aufnehmen. Dazu wird ein Videobild des Saals auf die Leinwand projiziert.« Im Studio 2 wurden Aufnahmeraum und Regie beim Umbau getauscht. »Hier fanden viele Sprachaufnahmen statt, dafür brauche ich keinen 60 Quadratmeter großen Aufnahmeraum.« Die aktuellen 35 Quadratmeter seien für Sprache und einzelne Instrumente vollkommen ausreichend.
Fernsehfilm-vs. Kinoton
»Mit der neuen Regie bieten wir zusätzlich Mischungen für Fernsehproduktionen und kleine Kino-Dokumentarfilme«, merkt Michael Thumm an. »Die Flexibilität zwischen Musik- und Filmton war die größte Herausforderung. Größere Kinofilme könnte man hier nicht endfertigen, sondern müsste in eine spezielle 5.1-Regie für eine Kinomischung gehen.« Der Unterschied? Bettina Bertók: »Im Kinobereich sind größere Säle und Leinwände vorhanden, die Surround-Kanäle werden von mehreren Lautsprechern wiedergegeben und auch die sogenannte X-Curve findet im Kino Anwendung [Kurve, die einen entstehenden »Messfehler« bei großen Lautsprecherabständen beschreibt; Anm.d.Red.].« Kino-Systeme klängen selten linear, erklärt Michael Thumm: »Im Kino befinden sich Hornlautsprecher in der Front. Manche Hersteller wie Meyer Sound klingen recht linear, aber die meist verwendeten JBL-Systeme haben eine starke Betonung zwischen 2 und 3 Kilohertz. Das wäre hier im Studio so nicht wahrnehmbar. Im Kino abgespielt, würden Sprache oder Impulsgeräusche, wenn jemand eine Tasse abstellt, unangenehm klingen. Gerade Dialog- und O-Tonmischung erfordert die Kino-Wiedergabesituation. Da wir den Musikhintergrund beibehalten wollten, lohnte es sich nicht, einen Raum zu planen, der nur eine Sache kann.«
Pro Tools und Pyramix
Sie haben sich für Pro Tools als System entschieden, weil das in der Filmwelt konkurrenzlos sei. Zudem sollte der Raum an externe Tonmeister vermietbar sein. »Bei der analogen Neve-Konsole braucht ein externer, der das Pult nicht kennt, zunächst zwei, drei Stunden Betreuung«, meint Bettina Bertók. Thumm: »Wir freuen uns, beide Workflows anbieten zu können, je nach Projekt. Bei Material mit Bildbezug spielt ein Analogpult seit Jahrzehnten praktisch keine Rolle mehr.«
Zusätzlich nutzen sie das Programm Pyramix, das laut Heck im Bereich Klassik und im Mastering zum Einsatz kommt. »Das funktioniert hervorragend, um beispielsweise Mehrspurschnitt − durch alle Spuren gleichzeitig − zu machen. Damit lässt sich in der Klassik schnell und musikalisch sinnvoll arbeiten, zumal mit dem sogenannten Vierpunktschnitt, auch ›Source-Destination-Schnitt‹: Im Quellmaterial kann ich einen In- und Out-Punkt setzen, den markierten Bereich parallel an der Zielstelle einfügen und die Crossfades bearbeiten.« Bertók: »Auch das nachfolgende Material wird automatisch geschoben − das wäre in Pro Tools nicht ohne Weiteres möglich.« Umgekehrt funktioniere der Mischprozess in Pro Tools wesentlich besser, so Heck.
7.1.4-Surround-Mixing-Raum
Die Lautsprecheranlage in der zweiten Regie ist ebenfalls neu, mit Neumann-Surrounds und vier K+H-Lautsprechern an der Decke als 7.1.4-Raum gestaltet. »Es muss nur der Erste kommen, der es braucht!«, meint Michael Thumm. »Die hinteren Lautsprecher stehen hier nicht auf dem ITU-Kreis [Abstand-Aufstellungsnorm für Surround; Anm.d.Red.], sondern aus raumgeometrischen Gründen etwas weiter außen. Dafür wird die Front etwas verzögert, sodass das Schallereignis gleichzeitig am Abhörplatz auftrifft.« Das richte sich vor allem an Filmton-Nutzer, sie haben auch mit passenden Mehrkanal-Musikaufnahmen experimentiert.
Flexible binaurale Produktionen
2017 fand eine große binaurale Produktion mit Kunstkopf-Aufnahmen statt, so Michael Thumm. Inzwischen sind binaurale Produktion mit Rendering-Software oder passenden Plug-ins auch ohne Kunstkopf möglich. »Verschiedene Plugins können ebenfalls einen binauralen Stream erzeugen. Bei unseren Labels existiert passender Content. Daher kam die Frage auf, ob binaurale Mischungen ebenfalls sinnvoll wären. Würde ein nachträglich gerendertes Signal gut klingen, oder seltsam phasenverschoben?« Sie haben Experimente begonnen, zunächst kanalbasiert für die Lautsprecher ihres Surround-Setups aufgenommen, schließlich bei ihren Studiokonzerten für eine spätere binaurale Mischung zusätzlich mikrofoniert. Auf einen Kunstkopf verzichten sie. »Kunstkopf klingt schön, allerdings können die Verhältnisse nicht nachträglich verändert werden.« Der Wunsch nach Gestaltungsfreiheit hänge mit ihrem Filmton-Hintergrund zusammen, erklärt Bettina Bertók: »In einer 5.1-Umgebung werden Soundeffekte passend zur Geschichte genutzt, für den Umhüllungseffekt des Zuschauers. Die Realität wird nicht immer eins zu eins nachgebildet − das hilft der Erzählung nicht und wäre langweilig.« Der naturalistische Ansatz funktioniere nicht immer. »Bei binauralen Mischungen bieten sich umfangreiche Eingriffsmöglichkeiten. Soll eine Gitarre im Raum ›fliegen‹, wäre das mit einem Kunstkopf nicht möglich.«
Die passende Mikrofonierung zum späteren Kodieren? »Praktisch konventionell, mit möglichst wenig Übersprechen.« Gut getrennte Stützmikrofone seien wichtiger als bei einer Stereoproduktion, wo sich mit Übersprechen meist gut arbeiten lasse, ergänzt Michael Thumm. Darüber hinaus sei man flexibel. »Wir haben uns für Atmos einen ORTF 3D-Array gebaut und Mikrofone in der Höhe integriert, für die vier Deckenlautsprecher. Damit kommt man auch für den binauralen Mix ziemlich weit. Das praktische an dem Ansatz: Die Mikrofone sind kompakt zusammen − ich muss keine zusätzlichen Mikrofone im Publikum aufstellen. Manchmal hilft die Räumlichkeit, in anderen Fällen hätte es auch ohne die Ambience-Kanäle funktioniert.«
Die binauralen Ergebnisse funktionieren prinzipbedingt nur auf Kopfhörern gut − ohne eigenen »Klangraum«. Die Mischungen wären daher etwa für Smartphone-Nutzer per Kopfhörer interessant. »Das spielt den digitalen Distributionswegen in die Hände«, meint Michael Thumm.
Darüber hinaus stehen Feierlichkeiten zum Jubiläum an: Im Herbst sind einzelne Veranstaltungen geplant, darunter ein Blasmusik-Recording-Workshop.