Recording als Gemeinschaftserlebnis

Aufnehmen in Abgeschiedenheit: Limusic Studio

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(Bild: MAX GLAESMANN)

Ein Studio auf einem großen ehemaligen Weingut, dazu ein großes Atelier und eine Orangerie als zusätzliche Aufnahmeräume: Auf dem 16 Hektar großen Grundstück bei Toulouse lässt sich in umfangreichen Räumlichkeiten angenehm entschleunigt aufnehmen. Als Technik steht ein SSL AWS-948-Delta-Pult zur Verfügung, zu den Mikrofon-Besonderheiten zählen etwa ein Voxorama Typ 47 oder zwei Coles 4038-Bändchenmikrofone. Das größte Alleinstellungsmerkmal liegt allerdings im Erlebnis der Abgeschiedenheit.

Die Entstehungsgeschichte des Limusic-Studios im südfranzösischen Limoux ist denkbar ungewöhnlich, wie Betreiber Maximilian Hermes erzählt: »Meine Familie hat das Weingut 2014 gekauft; davor wohnte und arbeitete dort ein französischer Chanson-Sänger, zusammen mit seinem Toningenieur, der das Studio als herkömmliches Mietstudio der Region betrieben hat.«

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Maximilian Hermes pendelt zwischen Deutschland und Frankreich: Der 25-Jährige studiert aktuell noch in Münster Musikproduktion, er spielt seit frühen Jahren Klavier, hat lange in Bands gespielt und war im Recording-Prozess involviert. Im Laufe des Jahres 2016 entstand die Idee, das Studio auf dem 16 Hektar großen ehemaligen Weingut kommerziell betreiben zu wollen. »Nach dem Kauf des Anwesens stellte sich für meine Familie die Frage, was wir damit machen.« Er nahm die Herausforderung an, das Tonstudio zu betreiben, mit der Zielsetzung, eine stabile Wirtschaftlichkeit zu erreichen. Als Partner für Ausbau und Studiobetrieb fand er den Tontechniker Olliver Hotes, den er noch aus der Schule kannte. »Er ist als Tontechniker fest angestellt, lebt vor Ort und übernimmt das Tagesgeschäft.« Die Studiotechnik haben beide geplant und größtenteils gemeinsam umgesetzt. »Er ist vor Ort und kümmert sich um die Studiotechnik und den weiteren Ausbau.« Das Konzept haben beide gemeinsam erarbeitet.

Betreiber Maximilian Hermes im Regieraum an der mittlerweile verbauten SSL AWS-948-Konsole
Hermes’ Kollege, der Tontechniker Olliver Hotes, lebt vor Ort und übernimmt das Tagesgeschäft.

Große Räumlichkeiten

Davor stand ein genereller Umbau an – ursprünglich existierten ein Aufnahme- und ein Regieraum. Sie erarbeiteten ein Konzept, um ein ›Residential Studio‹ mit Aufenthaltsmöglichkeiten zu eröffnen: »Die Regie war früher der Aufnahmeraum, umgekehrt war der Live-Raum die Regie. Für uns war von vornherein klar, dass das für uns nicht funktioniert – weil wir kein reines Producer-Studio betreiben wollten, wo nur möglichst trockene Aufnahmen möglich wären. Stattdessen wollten wir die hohen Decken und die Möglichkeit eines recht großen Live-Raum mit 50 Quadratmeter nutzen, statt in dem kleinen Raum aufzunehmen.« Lediglich mit Equipment lasse sich Kundschaft nicht locken. »Einen vermeintlich ›toten‹ Raum kann jeder zu Hause einrichten, aber nicht jeder hat einen gut klingenden Studioraum zur Verfügung, in dem sich Drums bereits lebendig aufnehmen lassen.«

Durch die hohe Decke werden unangenehme Erstreflexionen minimiert, zudem besteht der Raum aus Natursteinwänden, »was eine sehr angenehme Diffusion ermöglicht – der Raumklang ist somit recht natürlich. Den Raum haben wir zusätzlich mit Deckenabsorbern versehen, um den Nachhall zu verkürzen.« Den Attack-lastigen »Stein-Sound« können sie bei Bedarf über Akustikelemente variieren. »Hinter dem Schlagzeug lassen sich beispielsweise Stellwände aufstellen, im Raum befindet sich auch eine große Fensterfront. Über einen Akustikvorhang lässt sich dort die Raumantwort variieren – geöffnet haben wir mehr Reflexionen, meist schließen wir ihn aber fast komplett. Dazu lässt sich mit Teppichen arbeiten, um die Akustik zu modellieren.«

Das verkabelte Atelier im Nebengebäude eignet sich beispielsweise für »umfangreichere« Schlagzeug-Aufnahmen. (Bild: Antoine Heusse / Photo-H)

Neben dem großen Live-Raum sind beispielsweise eine Orangerie und ein Atelier vorhanden, in denen aufgenommen werden kann. »Wir haben eine komplette Audioverkabelung gelegt – ein Multicore über 70 Meter bis ins andere Gebäude. Das 328 Quadratmeter große Atelier hat einen Holzboden und sehr hohe Decken – im Ergebnis entsteht eine tolle Akustik, nicht ›klassisch‹ hallend, da der Raum so groß ist, dass keine unmittelbaren Erstreflexionen zurückkommen. Ich mag selbst ›groß‹ klingende Drums, daher kann es für mich eigentlich nicht groß genug sein! (lacht) Die Scheune hat wiederum eine andere Klangcharakteristik, da der Raum etwas kleiner dimensioniert ist. Alle Räume sind analog mit dem Kontrollraum verbunden und lassen sich flexibel nutzen.« Im Frühjahr 2021 war beispielsweise ein Kammerorchester vor Ort, mit knapp 20 Musikern. »Die brauchen einfach Platz, die lassen sich schlecht in einen 50 Quadratmeter-Raum packen – da ist das Atelier ideal.«

Ein SSL AWS-48-Pult ersetzte beim Umbau das alte 96-Kanal Yamaha DM2000-Digitalpult. »Wir kommen beide von der analogen Seite, sind beide nicht diejenigen, die hauptsächlich ›in der Box‹ arbeiten; klar, während des Musikstudiums hatte ich viel mit DAW-Arbeit zu tun, aber unser entscheidendes Kriterium war, dass wir einen Fokus legen auf handgemachte, ›echt‹ aufgenommene Musik, vor allem auch auf Live-Aufnahmen von Bands, die wir schon zuhauf gemacht haben. Für unsere Größe ist ein Hybrid-Pult mit 24 Mikrofon-Kanälen – gepaart mit der Möglichkeit, jeden Kanal auch im Stereo-Line-Modus nutzen zu können – passend, um viele Spuren gleichzeitig live einzuspielen.«

Zusätzliche Erweiterungen wie etwa eine Bandmaschine sind derzeit noch offen. »Wir sind noch nicht am Ende: Seit 2019 ist das Studio einsatzbereit – davor fand der große Umbau statt, mit Fensterdurchbruch zur zweiten Regie bzw. dem zweiten Aufnahmeraum, eine Iso-Booth wurde konstruiert, weitere Arbeitsplätze eingerichtet, technische Details wurden verändert und verschiedenes ausgetauscht. Mittlerweile haben wir unsere ATC-Monitore in die Wand eingelassen, um die Akustik in der Hauptregie weiter zu optimieren. Das hat sich ausgezahlt: Das Low-End wurde viel definierter, wir konnten sogar unseren Subwoofer aus dem Raum nehmen.«

Einladendes Außenflair (Bild: Antoine Heusse / Photo-H)

“WIR ENTSCHIEDEN UNS BEWUSST FÜR EINEN GRÖSSEREN, LEBENDIGEN – NICHT TOTGEDÄMMTEN – LIVE-RAUM.”

Die AWS-Hybrid-Konsole sei indes »symptomatisch« für das Studio – Dogmatismus herrsche keiner, allerdings liege der Fokus auf gespielten Instrumenten: »Die Leute kommen wegen der Räume zu uns und wegen der Möglichkeit, verschiedene Räume gleichzeitig zu nutzen – um etwa bei Bedarf mit einem Gitarren-Amp in die Orangerie zu wandern oder ein Schlagzeug in den Innenhof zu stellen, um dort aufzunehmen.« Sie haben kürzlich auch den Instrumenten-Pool erweitert, beispielsweise mit einem Steinway-B-Flügel oder einem Yamaha CP-70B E-Piano.

Vom Vorbesitzer existierte ein Grundstock an Mikrofonen – darunter dynamische Sennheiser-Exemplare. Die Sammlung wollten sie passend ergänzen und optimieren, so Hermes. Beispielsweise wurden zwei Coles 4038-Bändchenmikrofone zugekauft, dazu ein Voxorama »Typ 47«-U47-Nachbau. »Wir wollten ›sichere‹ Klassiker, die hochwertigen Klang bieten und auch als Aushängeschild dienen.«

Aufenthaltsraum mit Tischtennisplatte und Kicker (Bild: Antoine Heusse / Photo-H)

Die bisherigen Kunden?

»2020 war beispielsweise der französische Jazztompeter Nicolas Gardel mit seiner ortsansässigen Brass-Band Swingbones zu Gast, um ein Album aufzunehmen. Die Region ist bekannt für ihre Brass-Szene, sowohl Swing, Jazz als auch Klassik. Auch der HipHop-Künstler Rilès fand für sein zwölfköpfiges Team aus Beatmakern und Produzenten ein passendes Arbeitsumfeld: Sie konnten an insgesamt sieben Arbeitsplätzen autark an Songideen arbeiten.« Viele junge Bands kommen demnach ebenfalls vorbei. »Teilweise Leute, die ich vom Musikstudium her kenne, dazu Künstler aus dem Rock/Indie-Bereich.« Nicht zuletzt größere Besetzungen seien ein Steckenpferd des Studios, wie er sagt: »Das ist genau das, was uns mit ausmacht: Wir haben schon Live-Tracking mit einer Ska-Band mit zehn Musikern gemacht, in verschiedenen Räumen: Drums draußen, Percussion drin, Bläser im anderen Raum.«

Im Rahmen eines Corona-Hilfsprogramms haben sie eine kleine Studio-Konzertreihe veranstaltet – Live-Aufnahmen, die nachbereitet wurden, im Stil der »Tiny Desk«-Performances auf YouTube, wie Hermes erzählt. »Wir wollten in der Region weiter Fuß fassen und uns mit den Musikern solidarisch zeigen, den Menschen vor Ort. Den Künstlern wollten wir Material bieten, um sich professionell zu präsentieren. Dabei haben wir mit Video-Leuten zusammengearbeitet, die das ebenfalls ehrenamtlich gemacht haben.« Für die Aktion hatten sich viele Kandidaten beworben, so Hermes, »vom ambitionierten Hobby-Musiker bis praktisch zum Profi auf weltweiten Bühnen«. Es wurden zehn Konzerte aufgenommen.

(Bild: Antoine Heusse / Photo-H)

Die eigene Zielsetzung?

»Wir stehen noch am Anfang, als Meilenstein existiert bis Ende 2023 ein Plan, was die eigene Wirtschaftlichkeit angeht, in dem wir sehr gut liegen: Letztes Jahr passierte trotz Corona mehr als im Vorjahr, das stimmt mich sehr positiv – trotzdem ist es natürlich hart: Gerade die internationalen Projekte konnten nicht stattfinden, auch Workshops waren aufgrund der Reisebeschränkungen nicht möglich.« Gerade in der Anfangsphase machen sie gerne individuelle Angebote für die jeweiligen Bedürfnisse, erklärt Hermes. Für ihn selbst steht die persönliche Ebene im Vordergrund: »Wir wollen dem Kunden nichts verkaufen, was er nicht braucht – er muss nicht in fünf Räumen aufnehmen, wenn er das nicht will.« Preislisten verschicken sie auf Anfrage.

Recording in Abgeschiedenheit

Welchen Unterschied macht es seiner Erfahrung nach, wenn eine Band in der Abgeschiedenheit aufnimmt, fernab der gewohnten Umgebung? »Letztendlich ist das der entscheidende Punkt, warum alles entstanden ist«, entgegnet er enthusiastisch. »Das erste Mal war ich mit meiner eigenen Band dort – vor der Überlegung, das Studio betreiben zu wollen. Wir waren erstaunt, wie sehr dieser Ort fünf Personen zusammenschweißen kann; ein starker Fokus ist möglich, wenn man über diese Zeit zusammenbleibt, ohne abends nach Hause zur Familie oder zum Partner zu fahren. Stattdessen will man nach einer Session vielleicht um 22 Uhr nochmal aufnehmen, weil einen der Gedanke packt, dass es noch besser geht. Oder einer hat doch keine Lust, geht stattdessen in den Park, setzt sich mit der Gitarre unter einen Baum und kommt mit dem nächsten Hit zurück. (lacht) Das klingt etwas seltsam, aber – durch die 16 Hektar sind genug Platz und Natur vorhanden – wir nennen das unsere ›Insel‹. Man fährt auf das Anwesen, und nicht wenige, die eine Woche vor Ort sind, verlassen den Platz bis zur Abreise nicht mehr, weil vielleicht jemand anders einkaufen geht oder ein Catering-Service vorhanden ist.« Nur das »Sein« vor Ort zähle in dem Fall. »Nach einer Woche fährt man runter und kommt wie aus einer Zeitkapsel heraus und fragt sich: ›Was ist denn jetzt eigentlich passiert?‹ Meistens passieren einfach wunderbare Dinge.«

www.limusic.studio

Das Anwesen von oben
Überdachte Außenküche

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