(Bild: s Yana Heinstein, Wolfram Buff, Matthias Reinsdorf, Holger Vogt, Mark Craig)
Wenn Rock-Säsong ist und ich auf der Walz in schönen Studios dem Plattenmachen verpflichtet bin, dann sieht der Tag eigentlich immer gleich aus. Ich bin entweder der Erste oder der Zweite im Studio; der oder die andere Erste oder Zweite ist ein vom Studio gestellter Assistent.
Das Assistententum ist eine Position irgendwo zwischen Lehrstelle und Dr. Watson, und jeder Tonmensch sollte sie einmal innegehabt haben. Man lernt den Blick fürs Kleine, den Blick fürs Große, man sieht die völlig verschiedenen und doch gleich wirkungsvollen Herangehensweisen der Profis, und man verlernt die Überflüssigkeiten aus Tonschule und Tutorials. Außerdem lernt man, wie es ist, Assistent zu sein, was gut für den Charakter ist.
Assistent und ich werfen den Laden an (Strom, Pult, Outboard, Mikros, Kaffee), notwendiges Tüdeln ohne Künstlerbeteiligung hebt an (Bürokram, löten, editieren, aktuelle Mikrofonierung), und irgendwann zwischen Anwerfen und dem Auftritt der Künstler erscheint der Dritte im Bunde, zuverlässig, mit flottem Spruch.
»Moin Männers!«, kräht er fröhlich. Der Dritte birgt in seinem Gefährt vielleicht Auffrischung der Mannschaftsverpflegung (die selbstverständlich vom Assistenten ausgeladen wird) oder die eine oder andere Verbesserung der Studio-Infrastruktur (Assistent schließt an), taucht aber auch ohne ersichtlichen Grund täglich auf. »Frühes Kommen sichert die Plätze«, meint er dann, begeht die Örtlichkeit und erfragt von den Anwesenden den Stand der Dinge. Gibt es keine Beanstandungen, ruft er grüßend: »Alles im Fluss!«, und entschwindet.
Dieser freundliche Dritte ist der Besitzer des Studios. Nun ergehen wir uns ja alle gerne über Künstler, Musiker, Produzenten und Tonmacher, aber von Studiobesitzern ist nie die Rede. Selbst lange Auflistungen auf Plattenhüllen oder Internetseiten verschweigen die Besitzer der genutzten Tonstätten, und das ist frech. Ein Hochlied sollte da stehen auf die braven Leute, ohne deren Willen all die anderen Erwähnten der Plattenhülle noch auf klanglicher Wohnungssuche wären.
Um keine unnötige Verwechslung aufkommen zu lassen: Mit Studiobesitzern meine ich nicht Bastler mit Audio-Arbeitszimmern wie mich, sondern die, die Bedürftigen Tontempel zur Miete anbieten.
Ein ewiges Hin und Her zwischen Notwendigkeiten, den überdrehten Wünschen der Kundschaft und dem finanziell Möglichen ist das: Der größte Brocken ist es wohl, einen mit analogen Kostbarkeiten gut bestückten Laden ohne Rauschen, aufsteigenden Rauch oder dicke Staubschicht am Laufen zu halten. Selbst wenn nur zwei Pultkanäle für den Laptop-Ausgang genutzt werden und der Rest im Rechner passiert, muss auch das letzte Gerät im Regal hinter dem Laptopbenutzer funktionieren und aus allen Lämpchen leuchten. Gehört sich so.
»Noch sind alle Schläuche dicht«, freut sich der Studiobesitzer beim morgendlichen Blick auf die blinkende Pracht, aber nur, wenn er die Pracht selber warten konnte oder der Assistent un(ter)bezahlte technische Fähigkeiten mitgebracht hat. Sonst war’s richtig teuer, und die Hälfte der Mieteinnahmen durch die nächste große Session gehört, unerfreulich, angeheuertem Fachpersonal.
Dann bringt jeder Tonkunde (ja, auch ich) zuverlässig irgendeinen modischen Wunsch mit, dessen ausgebliebene automatische Erfüllung schon an sich gönnerhafte Sticheleien des Kunden auslöst und für dessen Umsetzung der Laden irgendwie auseinandergerupft werden muss.
Ist der Wunsch ohne Ausgaben zu stemmen, wird er weise mit »frisst kein Brot« abgehakt, kostet er etwas, entfährt dem zahlenden Herrn des Studios vielleicht still ein verärgertes »Schmuck am Nachthemd«, bevor er dem Wunsch entspricht. Schließlich ist der Betrag des unter Stöhnen gezahlten Mietpreises selbst beim ausgefallensten Umbauwunsch nie höher als die Hälfte des Mietpreises, der vor 20 Jahren günstig gewesen wäre.
Ja, finanziell war der Studiobetrieb noch nie ein verwöhntes Lotterleben, und er gleicht heute mehr denn je dem Leben eines Lemmings, der auf halber Höhe der Klippe festsitzt: Der Abgrund ist nah und der Rückzug fragwürdig.
Fragt man den Betreiber eines Mietstudios, warum er denn macht, was er macht, offenbart die Antwort einen Menschen irgendwo zwischen einem Missionar, der dem guten Ton die Stange hält, und einem zähen Krieger, der das halt schon immer macht. Beides zahlt keine Rechnungen, und so muss ein Studio oft Geld ausgeben, das anderweitig aufs Konto gekommen ist. Sei es durch Gnade der betuchten Geburt, als Frucht langer Jahre unmusikalisch ehrlicher Arbeit oder durch einen richtig großen Hit.
Was euch auch immer treibt, ich danke euch, liebe Studiobesitzer. Ich danke euch für euer Tun, gelobe Erwähnung in den Credits und freue mich auf den nächsten unpassenden Spruch, wenn ich euch nach zu langer Visite des eigenen Studios verweise. »Ah, Sie meinen, Ihre Tochter ist noch zu jung? Dann ziehe ich mir die Hosen hoch und komme morgen wieder.« Schluck. Bis morgen.
Hier kannst du dir die Sound&Recording 04/2020 versandkostenfrei bestellen oder als PDF kostengünstig herunterladen.
Ein herrlicher Text. Wunderbar geschrieben und sehr lustig. Vielen Dank dafür.
Herzlichen Gruß, Jens