Crowdfunding Campus

Crowdfunding für Musiker – Interview mit Anja Thonig

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Crowdfunding bietet sich als Möglichkeit an, um etwa eine Albumproduktion vorzufinanzieren. Bei der Gestaltung einer Kampagne kann Hilfe nötig sein – der Dienstleister Crowdfunding Campus berät bei Bedarf. Im Interview erklärt Coach Anja Thonig, wie Künstler Crowdfunding sinnvoll nutzen können und wie sich häufige Fehler vermeiden lassen.

Der Crowdfunding Campus betreibt Niederlassungen in Berlin und Leipzig. Laut eigener Aussage wurden bislang über 1.500 Crowdfunding-Projekte betreut. Zum Portfolio zählen etwa die Bereiche Marketing und Kommunikation. Das Unternehmen berate »Anbieter- und Plattform-neutral«, so die Firma. Eine eigene Crowdfunding-Plattform stellten sie zu Beginn 2020 ein, um die unabhängige Beratung zu unterstreichen, wie Anja Thonig erzählt, die im Berliner Büro als Coach arbeitet.

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Aus aktuellem Anlass: Kann Crowdfunding Künstlern bei deren Corona-Einbrüchen helfen?

Anja Thonig: Für Künstler ist Crowdfunding immer dankbar, dort hat das Thema seinen Ursprung: Die erste Plattform war 2003 für Musiker gedacht. Crowdfunding lässt sich wunderbar nutzen, um die Fanbase aufzubauen, auszubauen und zu stärken, die Leute einzubeziehen und näher an den Musiker zu bringen. In Corona-Zeiten ist das nicht anders: Die wirtschaftlichen Folgen für Künstler und Musiker stärken nur die Notwendigkeit, eine solche Kampagne zu machen – das lässt sich gut zur Argumentation nutzen.

Christian Goebel, Label-Manager der Rent-A-Record-Company, meinte im Interview [SR 01+02. 2018], es sei wichtig, kreative Gegenleistungen beim Crowdfunding anzubieten: beispielsweise Wohnzimmerkonzerte, einen Song für Leute zu schreiben oder einmalige Erlebnisse – etwa Roadie bei einem Konzert zu sein. Wer lediglich die Vorbestellung des zu finanzierenden Albums anbiete, schneide sich ins eigene Fleisch. Hardcore-Fans würden das Album später nicht kaufen, weil sie es bereits besitzen …

Das muss ein Musiker gut kalkulieren. Aber: Das Album muss trotzdem vorfinanziert werden. Ob die Leute mir das Geld später durch den Kauf geben oder direkt im Voraus, um die Platte zu machen, läuft auf dasselbe raus. Davon abgesehen: Einen reinen Vorverkauf des Albums könnte ich über meine Homepage erledigen. Crowdfunding ist, richtig gemacht, eine Art Erlebnis. Ich muss mich von der Masse abheben. Da kann ich – da hat er vollkommen recht – kreativ und besonders sein, was die Gegenleistungen angeht, gerade bei exklusiven Events: In kleinerem Rahmen vielleicht ein Treffen mit der Band nach dem Konzert, auf einen Kaffee, ein Bier oder Whisky. Das sind Erlebnisse, die ein Fan in der Form normalerweise nicht bekommt.

Welche Musiker-Kampagnen blieben dir besonders in Erinnerung?

Was die Form angeht: Thomas Godoj macht seit fünf Jahren erfolgreich Crowdfunding – eine große Kampagne pro Jahr. Eine Musikerin bot an, für Fans einen eigenen Song zu schreiben, nachdem sie etwas vorgeben. Andere boten an, in die Spree zu springen, wenn die Summe zusammenkommt. Immer gut kommt, sich etwas tätowieren zu lassen. (lacht) Den Leuten wäre womöglich egal, ob derjenige das umsetzt – die finden die verrückte Idee gut. Alles, was aus dem Rahmen fällt und Emotionen weckt, ist gut. Humor ist praktisch die beste Emotion, die sich hervorrufen lässt.

Welche Kampagnen im Musikbereich habt ihr beispielsweise betreut?

Zum Beispiel die elektronische Musikerin Kenichi & The Sun: Sie finanzierte eine Albumproduktion mit einer Kampagne. Die Cellistin Christina Meißner warb für eine Klassik-Albumproduktion fast 20.000 Euro ein. Aileen Phoenix, eine Berliner Singer/Songwriterin, finanzierte eine Produktion – wie auch Alexandra Jansen, die Deutschpop macht [ehem. »DSDS«-Kandidatin; Anm.d. Red.]. Eine CD ist der typische Anlass – aber es gab auch Crowdfundings für Konzerte und Tourneen. Eine Bigband wollte einen Austausch mit einer australischen Bigband ermöglichen.

Für Musikvideos wird das Thema häufig genutzt. Ein Projektbetreiber wollte mal ein Gebäude mit Proberäumen ausstatten. Vor einiger Zeit wollte jemand neues Equipment für sein Tonstudio finanzieren. Das war erfolgreich, aber auch eine überschaubare Summe.

Für eine Albumproduktion ihres Projekts Kenichi & The Sun nutzte die Künstlerin Crowdfunding und wurde vom Crowdfunding Campus beraten.

Als »Mindestgröße« für einen Musiker, um Crowdfunding erfolgreich anzugehen, nennt Christian Goebel beispielsweise 1.000 Facebook-Likes. Braucht ein Musiker aus deiner Sicht bereits eine entsprechende Fanbase, um ein ausreichendes Publikum mit seiner Kampagne zu erreichen?

Nein, eine Grenze würde ich so nicht ziehen. Was Facebook angeht: Unter den Facebook-Likes können auch 900 Leute sein, die mir überhaupt nichts bringen. Als Indikator empfehle ich einen Blick auf Crowdfunding-Statistiken: In Deutschland liegt der durchschnittliche Unterstützerbetrag etwa bei 60 Euro. Teile ich meine Zielsumme – beispielsweise 6.000 Euro – durch 60, weiß ich, dass ich 100 Unterstützer brauche. Als ich 2014 anfing, waren 70 Besucher einer Projektseite nötig, um einen Unterstützer zu gewinnen. Mittlerweile wurde das Verhältnis besser, aber wir leisten auch viel Zwischenberatung bei einer Kampagne. Im besten Falle brauche ich 40 bis 50 Besucher, damit einer unterstützt. Ich müsste über meine Kommunikation und meine Kanäle 5.000 Leute auf meine Projektseite bringen, um 100 Unterstützer oder 6.000 Euro zu erhalten. Statt mich an Likes zu halten, würde ich auf andere Multiplikatoren setzen: Musiker oder Organisationen mit einem großen Netzwerk.

Welche Social-Media-Plattformen sind am besten zur Bewerbung einer Kampagne geeignet?

Tatsächlich unterscheidet sich das von Projekt zu Projekt. Wo halten sich meine Fans auf, was nutzen sie? E-Mails oder Newsletter haben sich immer noch als gutes Medium bewährt! Wer heute noch einen Newsletter abonniert, meint es auch wirklich ernst. (lacht) Eine Mail hat einen persönlichen Touch: Lieber eine individuelle Nachricht oder ein Treffen als irgendein Post. Das erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass die Leute reagieren. Ein Post auf Instagram oder Facebook ist vergleichsweise anonym. Je anonymer, umso mehr Spielraum lasse ich den Menschen, drüber hinwegzugehen.

Habe ich die Kanäle meiner Fans analysiert, geht es darum, welche ich bereits nutze. Vier Wochen vor meiner Kampagne brauche ich nicht anzufangen, Facebook aufzubauen, das funktioniert nicht. Dann lieber weniger machen, dafür intensiv und gut strukturiert. Die wenigsten Künstler sind Marketing-Profis, ihnen fällt teilweise schwer, zu kommunizieren und dranzubleiben. Gerade bei Solokünstlern stellt sich die Frage, ob sie die Zeit- und Energieressourcen haben.

In der Mitte einer Kampagne bin ich teilweise »Mediator «, wenn die Nerven blank liegen. Das durfte ich auch bei meiner eigenen Kampagne vor drei Jahren erfahren. Während der Kampagne kurz eine Woche in Urlaub zu fahren, ist dann nicht möglich. Ich höre oft: »Ich habe doch schon eine Mail geschickt.« Man muss mindestens drei, vier Mails an eine Person schicken, damit die das überhaupt für relevant hält. Bei Bands verlassen sich die Mitglieder teilweise auf ein oder zwei Personen. Am Ende macht es keiner.

Erfolgreiche Crowdfunding-Kampagne der Singer/Songwriterin Aileen Phoenix

Was braucht eine erfolgsversprechende Kampagne?

Dazu ist eine gut durchdachte, kreative, strukturierte Kampagnenseite nötig. Ein Kampagnenvideo ist ebenfalls wichtig – die Leute wollen sehen, wer dahintersteckt. Ein Hörbeispiel einzubinden, ergibt auch Sinn: Diejenigen, die die Band kennen, wissen natürlich, worum es geht, aber es sollen sich auch neue Leute dafür interessieren. Ansonsten: Rechtzeitig anfangen und eine gute Kommunikationsstrategie entwickeln. Der passende Zeitrahmen hängt davon ab, wie groß die existierende Community ist. Eine grobe Idee wäre sechs Monate Vorlauf.

Die Fragen, die ich mir stellen sollte: Sehe ich als realistisch an, die Summe zu erreichen? Wie ist mein Netzwerk, wie sind meine Zielgruppen? Anschließend suche ich am besten Unterstützung. Eine fundierte Beratung erhöht die Erfolgswahrscheinlichkeit und ist empfehlenswert – vor allem, wenn man noch keine Kampagne gestartet hat.

Eine neue Sonderform ist übrigens das sogenannte Abo-Modell, das ich für Künstler besonders spannend finde: Die Unterstützung erfolgt wiederkehrend – zum Beispiel jeden Monat oder jedes Mal, wenn ein neuer Song veröffentlicht wird, geht die jeweilige Summe vom Unterstützerkonto auf das Konto des Künstlers. Das Konzept bietet die US-Plattform Patreon an. Gut gemacht, ordentlich gepflegt und mit gut produziertem Content bestückt, ist das eine schöne Möglichkeit, eine Art geregeltes Einkommen zu generieren. Dort sind Themen gut aufgehoben, die sonst nicht richtig greifen: die Bereiche Kunst, Journalismus oder Blogs – alles, was im Internet stattfindet. Die Leute sehen nicht immer die Arbeit und den Aufwand dahinter. Über das Abo-Modell lässt sich das anders wahrnehmen.

“Eine persönliche Nachricht oder ein Treffen erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass Leute reagieren – verglichen mit einem Social-Media-Post.”

Welche Plattformen sind noch für Musiker interessant?

Fast jede Plattform unterstützt kreative Projekte. Ein wichtiger Faktor: Welche Bezahlmethoden nutzt meine Zielgruppe, und sind sie vorhanden? Läuft der Unterstützungsprozess einfach oder kompliziert ab? Wie hoch sind die Gebühren? Existieren versteckte Gebühren, die vielleicht sogar auf meine Unterstützer zukommen? Sind Leistungen inbegriffen?

Startnext.com ist für alle Themen offen, nicht nur für Künstler relevant. Kickstarter ist für den internationalen Bereich spannend. WeMakeIt ist eine Schweizer Plattform, aber für den deutschsprachigen Bereich interessant – die sind auf kreative Projekte spezialisiert. In Frankreich existiert KissKissBankBank, eine europaweit agierende Plattform, die sich dafür auch gut eignet.

Gibt es Fördermaßnahmen für Crowdfunding?

In einzelnen Städten können Kreativleistungen in Verbindung mit einer Crowdfunding-Kampagne tatsächlich mit bis zu 5.000 Euro gefördert werden, zuletzt in Hamburg, Leipzig und München. Unsere Betreuung und Beratung kann über die Agentur für Arbeit und das Job-Center sowie die BAFA [Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle] gefördert werden. Wir prüfen immer den Fördermittelkatalog im Einzelfall.

Die Cellistin Christiane Meißner finanzierte eine Album-Produktion über eine Kampagne.

Was kostet eure Dienstleistung?

Wir sind in erster Linie Bildungsträger – der einzige zertifizierte in dem Bereich –, daher verstehen wir uns nicht als Unternehmensberatung. Wir haben keinen festen Preiskatalog, sondern Modelle, die wir individuell zusammenstellen. Eine unserer Maßnahmen setzt sich aus den Themen Selbständigkeit und Gründung zusammen, sie behandelt auch Crowdfunding. Dazu zertifizieren wir Module zwischen 15 und 20 Stunden, die förderbar sind, für die eigene Selbständigkeit – zum Beispiel Kommunikation, Finanzplanung, Marketing und Crowdfunding. [Als Unterstützung zur Planung bietet der Dienstleister auch eine »Crowdfunding Toolbox« aus 30 Arbeitsblättern und fünf Checklisten für 19,99 Euro an; Anm.d.Red.] Wie viel Zeit gebraucht wird, hängt von den Bedürfnissen und den Vorkenntnissen ab: Ein grober Überblick dauert natürlich kürzer als die konkrete Planung einer Kommunikationsstrategie. Bei der Agentur für Arbeit und dem Job-Center werden die Kosten bis zu 100 Prozent gefördert, bei der BAFA ist das regional abhängig, dort liegt die Förderung zwischen 50 und 80 Prozent.

Gibt es eine Mindestsumme, ab der sich der Aufwand für Crowdfunding deiner Meinung nach lohnt?

Nein, ich finde, es lohnt sich immer. Bei Crowdfunding existieren viele Benefits neben der Finanzierung: Öffentlichkeit, Kontakte, Marketing, Fanbase-Aufbau und weiteres. Für die Unterstützer muss das Projekt allerdings verhältnismäßig sein. Wenn eine Newcomer-Band ein Album für 20.000 Euro aufnehmen will, fragt sich mancher Fan, warum das so viel Geld kosten soll. Will umgekehrt eine Bigband ein Album für 500 Euro aufnehmen, fragen sich die Leute auch, was dabei rauskommen soll.

Ich würde nie raten, die Zielsumme am unteren Limit der Machbarkeit anzusetzen, denn: Das Album macht ein Künstler nicht zuletzt für seine Fans, daher sollte das Ergebnis dem Anspruch gerecht werden. Zu hoch würde ich den Betrag auch nicht ansetzen, damit er überhaupt zustande kommt. Stattdessen könnte ich ein zweites Ziel setzen bei 3.000 Euro mehr, mit dem beispielsweise noch ein Cover eines bestimmten Künstlers möglich wäre. Immer den Mehrwert kommunizieren, was die Leute davon haben – »Wir wollen das, machen es aber eigentlich für euch, sodass ihr den geilsten Sound aus der Box bekommt.«

www.crowdfunding-campus.com

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