Ich mische gerade. Wenn so ein Mix gen fertig tendiert und der Klanglümmel im frisch gebügelten Outfit tiptop dasteht, dann freuen sich Mischer und Bemischter. »Das klingt jetzt so, als hätte vorher der alte sizilianische Wandteppich von der Nonna auf den Lautsprechern gelegen, und jetzt isser weg«, schrieb mein Freund Pivo lesbar erfreut, bevor er mir mit drei Seiten Detailwünschen die Abendplanung erleichterte.
Manchmal gibt’s Probleme, etwa mit den Vocals, und dann erlaube ich mir die Frage, mit welchem Quatsch er denn da aufgenommen hätte. »Na, mit dem, den du mir beim letzten Mix empfohlen hast.« Huch?! Egal. Was geht mich mein dummes Geschwätz von gestern an?
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Jeder Mix ist etwas Neues und Besonderes. Bei mir ist das Mischen keine tröpfchenweise hier und da und eigentlich immer auftretende Beschäftigungsform, sondern sie kommt gerne wie der Monsun: Bumm, der Himmel regnet Spuren, und es wird eine Weile nur gemischt. Dann sitze ich im Gegensatz zu meinem sonst üblichen Rumgerenne ein paar Wochen lang fest an einem Ort und verlasse den Mischtisch nur für öffentliche Fütterungen und Pipipausen.
Das ist auch prima so, denn so mit Macht zu mischen ist was ganz anderes als eine entstehende Session ein bisschen schön zu drehen. Das ist wie der Unterschied zwischen einem Trainingsprogramm und einem Sonntagsspaziergang; es geht nicht um mal hier, mal dort und ein bisschen Sonne, sondern es gibt ein klares, anstrengendes Ziel, das man erreicht oder eben nicht.
Beim Mischen wird mein Blickwinkel enger, und ich bestehe auf Gewohnheiten, die ich eigentlich gar nicht habe und die in der nächsten Mischsaison ziemlich sicher wieder andere sein werden: Kaffeetasse auf dieser Seite, Licht von da, Wasserflasche so, den Reverb hier, die Parameter als Ausgangspunkt dort. Aufwärmen für den Sprint halt.
Und wie beim Trainingsprogramm ist es auch beim Mischen hilfreich, wenn vor der ersten Trainingseinheit neues inspirierendes Gerät dasteht, das der zu erwartenden Anstrengung eine schöne Spielplatzkompenente gibt und das Trainingsprogramm ein bisschen wie, na, einen Sonntagsspaziergang aussehen lässt.
Ein solches Gerät ist bei mir auf dem Mischtisch gelandet, denn wie es der Zufall wollte, war direkt vor der Mischsaison Schlaumeiersaison, was die Jahreszeit ist, in der ich mich als Weiser vom Tonberg versuche.
Die Schlaumeiersaison war diesmal besonders spannend. Normalerweise stehe ich allein vor Lauschenden und erzähle, was ich halt so erzählenswert finde. Diesmal war ich bei einigen Veranstaltungen, wo außer mir noch ein paar andere Prediger am Werk waren. Das ist richtig prima, denn das Schlaumeiern ist keine Konkurrenzveranstaltung. Man lauscht den Ergüssen der anderen und freut sich, wenn auf diese Weise eine der eigenen derzeitigen Gewohnheiten für untauglich erklärt und fristlos entlassen wird.
Toll, wenn wieder ein Schema F ins Gras beißt. Ich bin zum Beispiel einer, der beim Mischen die Spuren gerne nackig neu anfasst, egal mit was die Kundschaft bis zum Mischpunkt in ihrer Session rumgefuhrwerkt hat. Das hielt ein hoch geschätzter Kollege meinerseits trotz des edlen Anspruchs für hoch dämlich; der fängt gleich mit dem Rough-Mix der Kundschaft an, mit reingerechneten Plugs und allem, was je nach Inspiration des Rough-Mixers enorm Missverständnisse vermeiden kann und daher eine prima Idee ist.
Es gibt im Austausch auch viele Schlaumeierideen, auf die ich auch selber schon mal gekommen war, die aber irgendwo im Raum-Zeit-Kontinuum zwischen Pult und Rechner hängengeblieben sind − weil’s im Rechner vielleicht nicht nötig schien oder weil die Kiste beim Versuch der Angleichung wegen Überanstrengung in die Knie ging oder weil’s die nötigen Requisiten aus der analogen Welt beim Umstellen in der digitalen Welt einfach noch nicht gab. Wenn’s für so eine Idee ein Gerät gibt, bin ich verloren.
So geschehen auf der Musikmesse, die ich von meinem letzten Besuch vor Jahren als spannende »Tada, ich zeig euch was!«-Veranstaltung in Erinnerung hatte und die mir diesmal eher wie eine Rock’n’Roll-Butterfahrt vorkam, auf der an jedem Stopp einer steht, der die Deckchen vom letzten Jahr loswerden möchte. Deshalb war ich auf den Klangdealer unvorbereitet, der interessiert staunend und verständnisvoll nickend Abenteuern aus dem Mischleben des tapferen Buffs lauschte und der mir dann »jaja, probier mal« säuselnd ein Gerät in die Hand drückte. Ich: »warum nicht?«, und weg war ich. Tasse rechts, Licht von oben, Wasserflasche voll und die neue Schachtel auf Anschlag; geil ist es, Pivo schreit: »Brenn, Wandteppich, brenn!«, und ich frage mich, wann mein dummes Geschwätz von gestern so teuer geworden ist. Egal. Ich mische gerade.
Über den Autor
Wer bereits mit musikalischen Größen wie Prince, Zucchero, No Doubt und Mousse T. gearbeitet hat, darf sich ungestraft »Tonbuff« nennen. Hans-Martin Buff ist ein erfahrener Recording-Engineer und Producer und arbeitete viele Jahre in den Prince’ Paisley Park Studios in Minneapolis. Oder sollte man ihn Parkwächter nennen? Denn zurück in Deutschland arbeitete er in Mousse T.s Peppermint Park Studios. Sei’s drum: Unzählige berühmte Produktionen erfreuen sich heute unverfälschter Bufftonqualität. Als Kolumnist in SOUND & RECORDING macht er reinen Tisch mit Recording-Mythen und Audio-Lügen …