Remixe sind musikalische Wiedergeburten – sichtlich verändert, bisweilen kaum noch erkennbar, im Kern aber immer noch immer ganz der vertraute Charakter. Für Reincarnations Pt. 2 hat DJ Koze aka Swahimi, der Unerleuchtete, dreizehn musikalischen Highlights ein neues Leben eingehaucht. Die Hamburger Remix-Koryphäe berichtet über die Suche nach der musikalischen Essenz und die kreative Wechselwirkung zwischen Meeresfrüchten und kaltem Weißwein.
DJ Koze zählt zweifellos zu den interessantesten Erscheinungen der aktuellen Musikszene. Neben seinen großartigen Produktionen sind es vor allem Remixe, mit denen der Hamburger seit mittlerweile fünfzehn Jahren immer wieder Standards setzt. Manche seiner Bearbeitungen sind bekannter als die Originale, so etwa Blumfelds Tausend Tränen tief. Auf seinem neuesten Remix-Werk Reincarnations Pt. 2 findet sich erneut eine höchst interessante Aneinanderreihung außergewöhnlicher Tracks, die unterschiedlicher nicht sein könnten – verfeinert, verwandelt, variiert und raffiniert, ausgestattet mit einem Höchstmaß an Feingefühl und einem untrüglichen Gespür für die Essenz eines jeden Werkes. Wir fragen DJ Koze nach seiner Inspiration und Arbeitsweise.
Was macht einen guten Remix grundsätzlich aus? DJ Koze: „Fangen wir damit an, wie ein Remix in meine Augen nicht sein sollte: nämlich so wie diese simplen Clubmixe, für die ein Popsong einfach eine fette Kick verpasst bekommt, damit er auch im Club gespielt wird. Das sind langweilige Marketing-Tools, nichts weiter. Bei einem guten Remix muss mehr passieren. Er sollte jedoch auch keine konkurrierende Version sein, sondern etwas Neues und Eigenständiges darstellen. Der Original-Track darf nicht in ein Korsett gezwungen werden. Er sollte stattdessen ein neues Gewandt erhalten, das ihm passt und obendrein geil aussieht. Ein Genrewechsel darf dabei ruhig stattfinden, um etwa einen Pop-Track in den Club zu bringen oder umgekehrt.“
Wann ist ein Track für dich als Remixer interessant und reizvoll? „Die Entscheidung fällt meist schon beim ersten Hören. Wie schon gesagt, ich will nicht einfach nur Tracks aufpeppen. Die wichtigste Frage lautet deshalb, gibt es Raum für eigene Interpretationen? Das funktioniert am besten, wenn der Track einfach und klar aufgebaut ist und einen roten Faden, eine zwingende Idee, also eine erkennbare Essenz hat. Eigentlich genau das, was grundsätzlich jeden guten Track ausmachen sollte. Zu perfekte Songs finde ich dagegen eher schwierig zu handhaben. Wenn im Original wirklich alles zu hundert Prozent auf den Punkt gebracht ist, schränkt das den Interpretationsspielraum beim Remix ein.“
Nach welchen Kriterien suchst du deine Remix-Aufträge aus? „Ausschließlich Geld zählt (lacht). Nein, natürlich nicht. Oftmals sind das befreundete Künstler oder zumindest Leute, mit denen ich zusammengearbeitet habe. „Singst du auf meinem Album? Dann mache ich dir einen Remix.“ So lief das bei Reincarnations Pt. 2 mit Sascha (Sascha Ring, Apparat und Moderat, Anm. d. Red.). Herbert ist ein alter Bekannter und war schon immer ein großer Einfluss für mich. Zwanie (Jonson, Anm. d. Red.) ist ein Kumpel, Ada eine gute Freundin. Bei Gonzales kam der Kontakt über Boys Noize zustande. Neben dem direkten Austausch mit den Künstlern fragen natürlich auch gelegentlich die Labels an.“
In welcher Form erhältst du üblicherweise die Original-Tracks? „Das schlimmste sind 3 GB mit Einzel-Samples. Eine Katastrophe! Ich bevorzuge möglichst „große Brocken“, d.h. im Idealfall Stems mit Beat, Bass und Vocals, möglichst jeweils fertig gemixt. Ich will so wenig Optionen wie möglich. Mit Einzelspuren kann ich zur Not aber auch leben.“
Wie sieht dein Workflow beim Remixen aus? „Zuerst Spaghetti Vongole kochen und mit kaltem Weißwein genießen. Das darf auch gerne nachts passieren. Die Wechselwirkung von Meeresfrüchten und kaltem Weißwein beflügelt die Kreativität unglaublich (lacht). Dann setze ich Kopfhörer auf und lade das erhaltene Material in Ableton Live, um mich damit vertraut zu machen. Ich versuche – das ist das wichtigste – die Essenz und die Harmonie des Original-Tracks in Form seiner wirklich charismatischen Elemente heraus zu picken. Wenn ich glaube, fündig geworden zu sein, spiele ich mit diesen Schnipseln herum. Ich lade etwa Fragmente in einen Drum-Sampler, pitche und verdrehe sie dort, schreddere sie mit allen möglichen Plug-ins oder auch mit meinen Hardware-Effekten. Es gibt keine Limits. Da kann sich auch mal eine Vocal-Passage in eine Fläche verwandeln. Diese Phase ist zunächst wirklich ein nahezu sinnfreies „Spiel“, bei dem ich immer wieder versuche, möglicherweise entstandene Routinen zu durchbrechen. Deshalb programmiere ich grundsätzlich alle Sounds und Effekte „from scratch“, denn Presets sind Depression. Wenn ich alles richtig gemacht habe, verfüge ich nun über einige Soundfiles, die zwar möglicherweise vollkommen anders als das Original klingen, aber immer noch dessen Essenz in sich tragen. Wenn nicht – mehr Spaghetti Vongole…“
Wie rührst du aus den Essenzen des Originals einen neuen Track an? „Die charismatischen Fragmente werden gesammelt und zusammen mit neuen Elementen zu einem Track aufgebaut. Dabei gelten ganz ähnliche Vorgaben wie bei einer „normalen“ Produktion: weniger ist mehr – das betrifft den Sound ebenso wie die musikalischen Aspekte. Die Essenz darf auf keinen Fall verwässert werden. Sie muss weiterhin im Track spürbar bleiben. Darüber hinaus sind meist sind Bass und Beat ernorm wichtig – ich bevorzuge da eher weiche, kraftvolle Sounds.“
Wie unterscheidet sich dein heutiger Workflow von dem deiner ersten Remix-Erfolge? „Es fällt mir heute leichter, die zwingende Idee in einem Track zu erkennen und zu extrahieren. Auch bei der „Neukonstruktion“ des Remixes finde ich heute schneller zum Punkt, als vor fünfzehn Jahren. Das hat sicher mit wachsender Erfahrung und einer gewissen Routine zu tun.“
Gibt es deinerseits „Wunsch-Remixe“ für die Zukunft? „Nö, ich lasse mich gerne überraschen…“ n
Ob sich DJ Koze aka Swahimi aka Adolf Noise aka Monaco Schranze selbst so richtig ernst nimmt, bleibt im ungewissen. Für die Musikwelt ist der Wahl-Hamburger sehr wohl eine ernstzunehmende Größe und das nicht erst seit seinem preisgekrönten Erfolgsalbum Amygdala von 2013. Einst Mitbegründer der legendären Nordlicht-Rapper Fishmob, dann vielgesichtiger und facettenreicher Techno-Künstler, gefeierter DJ und Label-Betreiber (Pampa Records) in Personalunion – DJ Koze setzt mit musikalischen und erzählerischen Fähigkeiten immer wieder Maßstäbe. Seine viel zitierten und geschätzten Remix-Künste sind mittlerweile auf drei Alben verewigt.