Egotronic über ihren aktuellen Longplayer: Ihr seid ja auch nicht besser
von Matthias Fuchs,
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(Bild: Bastian Bochinski)
Wenn die Welt verrücktspielt, muss die Kunst Stellung beziehen. Egotronic-Mastermind Torsun ist ein Freund klarer Worte und robuster Sounds. Auch mit seinem neuen Longplayer Ihr seid ja auch nicht besser wird er zweifellos einigen Leuten wieder kräftig in den A… treten. Wir schauen hinter die Kulissen der Produktion.
Egotronic ist das musikalische Baby von Torsun Burkhardt. Seit 2001 ist der Wahlberliner samt Band eine konstante Größe im deutschsprachigen Punkrock-Universum. Nach einigen Erweckungserlebnissen auf Techno-Partys schickt der gestandene Hardcore-Fan seine früheren Musikerkollegen jedoch zunächst einmal zum Teufel und rührt über fünf Alben weitgehend im Alleingang einen kongenialen Cocktail aus Punk- und Technokrach an. Textlich nimmt Torsun kein Blatt vor den Mund: Mit spaßig-durchgeknallten Party-Hymnen und wütenden linken Haken gegen Rechtsaußen wettert der Egotroniker lautstark gegen dumpfes Fascho- und Spießertum.
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Mit dem aktuellen Album beendet Torsun jedoch den musikalischen Egotrip. Zusammen mit Langzeit-Partner in-Crime Kilian Teichgräber und den drei weiteren Weggefährten Kay, Bernhard und Chrü soll Ihr seid ja auch nicht besser ein echtes Gemeinschaftsprojekt werden. Den Produzenten- und Mixer-Sessel hat kein Geringerer als Ärzte-Basser Rod González eingenommen.
Ort des Geschehens ist ein Studio namens Salon Berlin, seines Zeichens Wirkungsstätte von Christian Mevs – Slime-Gitarrist und Mitbegründer des legendären Hamburger Soundgarden-Studios. Wir treffen einen bestens gelaunten und mitteilsamen Torsun im Salon Berlin.
Bild: Bastian Bochinski
Bild: Bastian Bochinski
Bild: Bastian Bochinski
Egotronic wird mit Ihr seid ja auch nicht besser wieder zur vollständigen Band. Ist dir alleine langweilig geworden?
Torsun: Es macht einfach wieder großen Spaß, mit anderen Leuten zu arbeiten. Das neue Album wird wieder viel mehr klassischer Punk. Und es wird laut und derbe … (lacht).
Harte Zeiten, harte Mucke?
Irgendwie schon − ja. Themen wie die schwindende gesellschaftliche Mitte, zunehmende Radikalisierung und die daraus entstehenden Folgen beschäftigen mich sehr. Und das muss raus.
Welchen Stellenwert haben Texte und Musik?
In erster Linie will ich schöne, geile Songs machen − tolle Songs mit Message. Ich bin aber kein Politbarde, das heißt, Songs und Sound stehen bei mir schon immer an erster Stelle.
Stehen Texte oder eher die Musik am Anfang eines neuen Egotronic-Songs?
Erst ist die Musik da. Das geht auch oft recht schnell. Manchmal wache ich auf und habe ein komplettes Songgerüst im Kopf. Die Texte kommen später hinzu.
Wie gestaltet sich das Songwriting?
Das passiert bei mir zu Hause. Ich habe dort Logic, ein paar einfache Synths und ein paar Gitarren. Kilian ist oft schon beim Songwriting mit von der Partie. Er hat mehr gutes Equipment als ich und vor allem die geilen Vintage-Synths.
Was macht für dich die Verbindung aus Punk und Technoso reizvoll?
Punk und Techno haben viele Parallelen − das simple, bisweilen sogar dilettantische und die unglaubliche Energie. Meine Techno-Sozialisation hatte ich in den 90er-Jahren. Seitdem verwende ich gerne Track-mäßige Songstrukturen und Arrangements mit Intros, Drops usw. So kann ich sehr wirkungsvolle Spannungsbögen aufbauen − wie man das von guten Techno-Tracks eben auch kennt. So wie etwa bei Hallo Provinz (aus dem 2015er-Album C’est Moi!; Anm.d.Red.). Und natürlich mag ich elektronische Sounds.
“Schöne, geile Songs … “
Pflegst du noch die typische Gamesound-Ästhetik der 80er?
Ich mag das immer noch! Der C64 ist halt der Computer meiner Jugend. Und SID-Chip-Sounds sind super. Mittlerweile beschränke ich mich aber nicht mehr darauf. Es gibt nun auch mehr modernere Synths. Kilian hat da reichlich Auswahl. Zudem finde ich die MFB-Teile richtig geil. Die besitzen so eine interessante Ästhetik zwischen Toy-Sound und »richtigem« Synth. Ich habe mehrere von diesen Dingern, und die sind auch auf Ihr seid ja auch nicht besser mit dabei.
Bist du ein Sound-Nerd?
Nur wenn es um Synths geht. Da weiß ich genau, was ich will und wie ich es machen muss. Bei Gitarren und Drums kann ich eine Sound-Vorstellung vermitteln, und andere setzen die dann um − im aktuellen Fall hauptsächlich Rod und Christian.
Was hat dich ins Salon Berlin Studio geführt?
Studiobetreiber Christian Mevs ist Gitarrist von Slime. Das passt doch bestens!
Wie gestaltet sich die Arbeit hier im Studio?
Dieses Mal ist es das Wichtigste, dass wir zusammen spielen! Wir sitzen zu viert im Recording-Raum und spielen die Basic-Tracks komplett live ein. Dazu haben wir vier Tage eingeplant. Es soll also schnell gehen. Vocals sind hier zunächst noch Guide-Vocals.
(Christian Mevs kommt dazu; Anm.d.Red.) Christian, wo liegen die technischen Besonderheiten der Aufnahme-Sessions?
Christian: Die Band spielt alles zusammen live ein. Um Übersprechen zu verhindern, wird alles bis auf die Drums direkt ins Pult gespielt. Der Bass läuft dabei über einen Kemper Profiler-Amp, die Gitarren über ein Laptop. Die Band spielt mit Kopfhörern und bekommt meinen Kopfhörermix vom Pult.
Wie schaut die Drum-Mikrofonierung aus?
Zunächst sind da die Einzelmikros für das gesamte Schlagzeug. Dazu gehört auch ein Yamaha SKRM 100 Subkick − also dieser als Kickdrum-Mikro zweckentfremdete Lautsprecher. Dazu kommen zwei Sennheiser M421 − im Glyn-Johns-Style angeordnet, jeweils 20 cm neben Bass- bzw. Snaredrum. Für den Raum nehme ich zwei Neumann KM183 für ein breites Stereobild. Dazu kommt ein weiteres Raummikro für den Druckpunkt von Bassdrum und Snare. Das ist ein Beyerdynamic M200 Bändchenmikro mit Achter-Charakteristik.
Welches Mikro nutzt Torsun?
Hier singt er ja nur Guiding-Vocals. Er kann sehr laut sein und braucht deshalb ein übersteuerungsfestes Mikro. Das Shure SM7B ist sehr gut für ihn.
Bearbeitest du den Sound schon beim Tracken?
Meist reicht ein wenig EQ. Alles weitere passiert beim Mix.
Torsun: Wenn die Basics als Band eingespielt sind, geht es weiter zu Vredeber Albrechts Audiofenster Studio (umtriebiger Produzent und Ex-Keyboarder bei Blumfeld; Anm. d.Red.). Das liegt direkt gegenüber. Dort sind weitere drei Tage für Vocals, Overdubs und Doppelungen geplant. Da ja hier im Salon alles direkt und ohne Amps eingespielt wird, kann es gut sein, dass wir im Audiofenster auch noch ein paar Sachen re-ampen.
Bild: Bastian Bochinski
Overdubs und Vocal-Recording im Audiofenster
von Vredeber Albrecht
Bild: Bastian Bochinski
Bild: Bastian Bochinski
Wie gestaltet sich der Mix?
Den macht Rod zu Hause. Er mixt alles in-the-box. Dafür hat er etwa zwei Wochen eingeplant.
Wie seid ihr zusammengekommen?
Ich war schon immer ein riesiger Ärzte-Fan. Irgendwann haben wir uns dann tatsächlich mal kennengelernt. Eines schönen Tages hieß es dann: »Wollen wir nicht mal was zusammen machen?« Ich freue mich riesig, dass Rob den Mix macht. Er kann einfach Sachen super auf den Punkt bringen. Am Songaufbau ändert er zwar nichts − das ist meine Abteilung −, er hat aber ein tolles Gespür für die wesentlichen Dinge und räumt Songs und Sound bestens auf. Deshalb ist er auch schon hier bei den Aufnahmen mit dabei.
Wo passiert das Mastering?
Das macht Robin Schmidt von 24-96 Mastering in Karlsruhe. Aber darum kümmert sich im Wesentlichen unser Label Audiolith.
Werdet ihr das Album live präsentieren?
Ja − wir werden fast ein Jahr lang live Vollgas geben! Wir spielen in vielen Clubs und im Sommer auf fünf oder sechs Festivals.
Wie präsentiert ihr die Songs?
Wir stehen als komplette Band mit insgesamt fünf Leuten auf der Bühne. Dazu kommen ein paar Playbacks mit Synthies vom Laptop. Der Sound wird insgesamt rauer als auf dem Album werden. Auch die Arrangements ändern wir teilweise in Richtung Techno-Track − also mit längerem Aufbau und fetten Drops. Das geht live richtig ab!