Die Kolumne mit Hans-Martin Buff

Ein neuer Zirkus – Der Lebenslauf

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(Bild: s Yana Heinstein, Wolfram Buff, Matthias Reinsdorf, Holger Vogt, Mark Craig)

Manchmal wandere ich durch die vernetzte Welt und überlege mir, ob ich nicht ein Weilchen bei einem neuen Zirkus mitziehen sollte. Zum Beispiel bei einem der vielen virtuellen Geschäftsessen, wo sich Profis tummeln, ihr Können und Tun erwähnen und so auf Geschäftsideen stoßen, auf die sie ohne Teilnahme am Zirkusessen nie gekommen wären.

Ich ziehe, und siehe da, man trifft sich netzlich mit Beeindruckenden und Beeindruckten, aber für Geschäft langt’s nie; die Headhunter-Algorithmen mit Rock’n’Roll-Erfahrung schlummern klar noch im Silicon Valley, denn die bestehenden bedrängen mich freudig mit fachfremden Zukunftsideen, zum Beispiel aus der Biochemie oder der Textilforschung, wahrscheinlich weil das Wort Engineer in meiner Vita ihre künstliche (doch nicht ganz so große) Intelligenz begeistert.

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Das nehme ich den netten Algorithmen nicht übel, denn wer kann schon das Treiben eines Produzenten mit dem Wort Engineer im Lebenslauf so richtig erklären. Der ist kein Musiker und kein Ingenieur und kein Techniker und kein Regisseur und doch irgendwie alles davon, was im Lebenslauf aus dem Kram vom Schulwisch und der Liste mit den Angeberwerken und berühmten Mitstreitern nicht ersichtlich ist.

Vielleicht sollte man der virtuellen Jobbörse und der neugierigen Menschheit überhaupt entgegenkommen und mal mit lieben Kollegen und kühlem Getränkevorrat ein paar neue Berufsbilder und Zertifikate für den schönsten Beruf der Welt entwerfen:

Außendienstmitarbeiter für Phatnesspflege

Tiefenstaffler mit Sonderqualifikation in Panning

Facharrangementpfleger Frequenzgestalter mit Fachgebiet Kilohertz und Anpassungsausbildung im zweistelligen Bereich.

Das klingt nach einem heiteren Abend und wäre auch nach Leerung des Getränkevorrats nicht so blöd; es schadet nämlich gar nichts, den vielen wichtigen Tugenden eine Lanze zu brechen, die die Produzentenwelt jenseits ihrer Ur-Aufgabe, also dem Aufbau von Musik und deren technische Umsetzung, am Laufen halten. Ein tolles Nebentalent macht oft den großen Unterschied im Studiohandwerk, welches, Hand aufs Herz, mit Ausnahme des Mischens möglicherweise gar nicht so schwer ist, wie wir immer tun. Es gibt ein Grundkönnen, das mit Zuverlässigkeit zu tun hat und ohne das man halt kein Profi ist, und der Rest der Geilheit kommt aus anderen Ecken.

Beispiele aus der freien Wildbahn? Könnt ihr haben:

Exponat Nr. 1 ist Geschäftsmannproduzent, der erklären kann, warum und wann’s dem und dem in der Plattenfirma leichter fällt, einen Vorschuss für dies und nicht das zu geben, weil’s aus diesem Budget kommt und nicht aus jenem, und der entsprechend instinktsicher zur rechten Zeit zum rechten Plattenfirmenmensch gehen kann, damit er die Platten basteln kann, die er möchte. Weil er das Geld kriegt, das er braucht, das der Künstler gerne hätte und das der Geldgeber gerne gibt, weil der dafür das bekommt, was er für die Abrechnung des Budgets braucht (im Ernst!).

Muster Nr. 2 produziert mit Schwerpunkt Marketing. Er hat gepflegten Wiedererkennungswert, beherrscht meisterhaft die hohe Kunst des Name-Droppings, ist bei jeder öffentlichen Veranstaltung mit Tonprominenz zugegen und erzählt begeistert postend von seinen Abenteuern, was seiner Anwesenheit im Studio eine wohlige Wichtigkeit verleiht, die Künstler, Firma und Öffentlichkeit glücklich macht.

Mysteriöser ist Bauart Nr. 3, der begnadeter Musikmittelchemiker ist und der Musik nicht macht, weil er oder seine aktuellen Mitmacher sie genauso gut finden, sondern der Musik als einen Haufen hörbarer Einzelteile wahrnimmt und sich für neue Musik die passenden Einzelteile zusammensucht und daraus unendlich viele, erstaunlich originelle und erfolgreiche Lieder basteln kann.

Oh, und als Letztes vielleicht noch Beispiel Nr. 4, der als Herbergsvater nur durch Anwesenheit gute und später hörbare gute Laune verbreitet.

Soll heißen, dass ihr euch nicht grämen müsst, bloß weil noch nicht jede Schlagzeugaufnahme gelingt − kein Mensch erinnert sich an den speziellen Sound von der einen Session vor acht Jahren (außer die war göttlich oder richtig unter – irdisch), aber wie’s mit euch war, das bleibt hängen. Und diesen Eindruck bedient ihr mit den Schätzen eures Vorlebens.

Gilt auch für mich: Ich selbst war mal ein Jährchen Journalist, was für die Textpolitur und die richtige Frage im Studio durchaus nützt (wenn leider auch nicht beim Einsatz für diese ehrwürdige Klangzeitschrift …). Hinter einer Bar im Anzug stand ich auch mal, was das Studioauge für die Launestützung geschärft hat.

Dass ich überhaupt andere Jobs vor der Tonerei hatte, hilft mir täglich beim Verständnis für das, was den Starkstrom-Elektriker, Coder, Architekt, Fensterputzer, Lehrer, Taxifahrer oder Metzger im Rockstar-Kostüm vor mir so ticken lässt. Der bleibt nämlich unter der Hülle, egal wohin sein Zirkus gerade zieht.

Auch wenn er schon lange nicht mehr im Lebenslauf steht.


ÜBER DEN AUTOR

Wer bereits mit musikalischen Größen wie Prince, Zucchero, No Doubt und Mousse T. gearbeitet hat, darf sich ungestraft »Tonbuff« nennen. Hans-Martin Buff ist ein erfahrener Recording-Engineer und Producer und arbeitete viele Jahre in den Prince’ Paisley Park Studios in Minneapolis. Oder sollte man ihn Parkwächter nennen? Denn zurück in Deutschland arbeitete er in Mousse T.s Peppermint Park Studios. Sei’s drum: Unzählige berühmte Produktionen erfreuen sich heute unverfälschter Bufftonqualität. Als Kolumnist in SOUND & RECORDING macht er reinen Tisch mit Recording-Mythen und Audio-Lügen …

www.buffwerk.com

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