Vergleiche mit Autechre hören sie gar nicht gerne. Dennoch ist die musikalische Verwandtschaft mit dem legendären Warp-Act nicht von der Hand zu weisen: Auch Michael Fakesch und Christian de Luca aka Funkstörung sind Meister der grenzenlosen Beat-Verschwurbelei. Beim Hören ihrer bizarren Klangkunstwerke stellt sich nur zu oft die Frage: “Wie machen die das?” Wir haben den beiden Funkstörern beim Beat-Programming auf die Finger geschaut.
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Glitches, so lehrt uns Wikipedia, sind digitale Störgeräusche. Anfang der 90er-Jahre entlocken Künstler wie Oval und Scanner zerkratzten CDs und defektem Digital-Equipment Glitches als alternative Soundquellen. Schon wenig später wachsen aus dem knirschenden Chaos hoch artifizielle, rhythmische Klanggebilde in der Schnittmenge zwischen Zufall und Programmierkunst. Neben zahlreichen Acts des legendären Sheffielder Warp-Labels gilt das Rosenheimer Duo Funkstörung als Vorreiter und Altmeister. Nach fast zehnjähriger Pause − mit zahlreichen Remixen u. a. für Björk kreativ genutzt − haben sich Funkstörung nun zurückgemeldet.
Das aktuelle Album überrascht mit großartigen Songs und durchgängigen Grooves, denen jedoch noch immer der besondere Funkstörungsdreh innewohnt: irrwitzige Sounds und komplexe Stolper-Beats, nun nicht mehr Selbstzweck, sondern perfekte Ergänzung der klar strukturierten Arrangements. Und wieder stellt sich die Frage: “Wie machen die das?” Michael Fakesch und Christian de Luca haben es uns verraten.
Basisbeats − der rote Faden
»Mit den aktuellen technischen Mitteln«, erklärt Michael, »ist es sehr einfach geworden, die Komplexität eines Beats per Zufall auf die Spitze zu treiben. Die Ergebnisse werden jedoch schnell beliebig und damit langweilig. Unsere Beats sollen nicht nur eine Aneinanderreihung willkürlicher Effekte sein, sie sollen bei aller Komplexität eine erfassbare rhythmische Struktur aufweisen. Das macht das Ergebnis für den Hörer interessant. Es existiert also ein durchgängiger Basisbeat als roter Faden. So wie ein guter Funk-Drummer seinen Basisbeat mittels Fills und Breaks umspielt und damit komplexer gestaltet, den Groove aber nie verliert, versuchen wir, Entsprechendes mit klanggestalterischen Mitteln zu erreichen.«
»Der ›Kopfnicker-Beat‹ muss hörbar sein«, ergänzt Christian. »Zudem ist uns eine klare Song-Struktur wichtig geworden. Das rhythmische Gefrickel muss Raum für Hooks und Vocals lassen.«
Als Basisbeat funktioniert ein typischer HipHop- oder Techno/House-Beat. Die Sounds dürfen spannend und eigenständig, aber nicht zu schräg sein, denn sie verleihen dem Beat seine Durchsetzungskraft. Jedes Instrument und jeder Schlag sollten eine eindeutige Funktion besitzen − gefrickelt wird später.
Funkstörung nutzen die allseits bekannten Tools wie Ableton Live Drum-Racks und N.I. Battery. Factory-Sounds sind kein Tabu (Christian: »Das beschleunigt den Prozess.«). Der fertige Basisbeat wird schließlich als Audio-Loop ins Arrangement-Fenster aufgenommen.
Bild: FUNKSTÖRUNG
Bild: FUNKSTÖRUNG
Bild: FUNKSTÖRUNG
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Die Kür − GLITCH ON!
Jetzt kommen wir zum Hauptspaß − es darf geglitcht werden! »Da können wir nur empfehlen: ausprobieren, was der Rechner hergibt«, sagt Michael. »Einige unserer Lieblings-Plugins sind Effektrix und Tournado von Sugar Bytes, Izotope Stutter Edit, Twisted Tools (für N.I. Reaktor; Anm.d.Red.), diverse Sound-Toys-Teile und immer wieder gerne Freeware von Glitchmachines.com. Zerhäckseln, granulieren, verdrehen, pitchen oder Sample-Startpunkte manipulieren sind nur einige Möglichkeiten. Spaßig ist es, sich von den Ergebnissen der Plugins überraschen zu lassen. Wir lassen die Dinger einfach laufen, drehen ein paar Controls und nehmen auf − die klassische Dub-Fahrt. Der Zufall hat immer Teil am Klanggeschehen. Klar könnte man die Abläufe automatisieren, aber das ist uns zu aufwendig.«
Christian führt weiter aus: »Wir schicken gerne komplette Beats durch die Effekte. Das liefert meist die interessantesten Ergebnisse. Die Bearbeitung von Einzelspuren schafft dagegen aufgeräumtere Sounds. So entstehen in recht kurzer Zeit zahlreiche Modifikationen des Basisbeats.«
»Beats kreativ schreddern mit Steinberg Cubase« lautet dieses Mal das Thema unseres Programming-Tutorials. Funkstörung machen’s vor: Ausgangspunkt ist ein relativ bodenständiger 100-BPM-Beat im HipHop-ähnlichen BreakbeatStyle. Er wird in mehreren Schritten heftig mit klanglichen und rhythmischen Effekten bearbeitet und neu zusammengesetzt. Das Ergebnis ist ein überaus aggressiv polternder Stolper-Beat mit reichlich Dreck und Biss.
Bild: FUNKSTÖRUNG
Bild: FUNKSTÖRUNG
Bild: FUNKSTÖRUNG
Bild: FUNKSTÖRUNG
Bild: FUNKSTÖRUNG
Spreu und Weizen
Als Nächstes gilt es, die Ergebnisse der Dub-Fahrten nach musikalischer Verwendbarkeit zu untersuchen. Hierzu lassen sich kaum Rezepte oder Empfehlungen aussprechen. Man sollte sich von seinem musikalischen Gespür leiten lassen und die Passagen ausfindig machen, welche zusammen mit dem Basisbeat ein homogenes und groovendes Etwas generieren könnten. Christian und Michael extrahieren ihre gelungenen Passagen als Parts verschiedenster Länge. Das reicht von kurzen Schnipseln mit Einzelsounds bis hin zu achttaktigen Loops. Was noch nicht gefällt, lässt sich natürlich einzeln oder in Kombinationen beliebig weiter verbiegen. Man sollte jedoch bedenken, dass eine riesige File-Auswahl die Ausrichtung auf das musikalisch Wesentliche nicht einfacher macht. Weniger ist oftmals mehr.
Die Arbeit mit Audiofiles und das damit verbundene Festlegen auf bestimmte Ergebnisse verstehen die beiden als Vorteil: »Man verliert sich nicht in der Programmierung von MIDI-Automation. Außerdem bleibt das Geschehen übersichtlicher.«
Beat-Recycling
Nun folgt das eigentliche Kunststück: das Arrangieren der Loop- und Sound-Fragmente zu einem homogen klingenden, rhythmisch stimmigen und möglichst mitreißenden Beat. Auch hierfür sind kaum Patentrezepte zu finden. Besonders wichtig erscheint es, sich die eingangs beschriebene Vorgabe ins Gedächtnis zurückzuholen: Der Beat soll »kicken« und braucht dem entsprechend einen roten Faden. Funkstörung balancieren dazu Groove (den Basisbeat) und Chaos (die Effekt-Loops) im Arrangier-Fenster gegeneinander aus.
Michael: »Wir schichten mehrere Loops mit unterschiedlichem »Chaos-Faktor« und stimmen die Pegelverhältnisse untereinander ab. Der Motor des Beats steht dabei hör- und fühlbar im Vordergrund und schafft eine gewisse Geradlinigkeit − ein nachvollziehbarer Downbeat hilft dabei. Die schrägen Sounds aus der Trickkiste würzen das Gebräu rhythmisch und klanglich − ganz ähnlich dem zuvor schon herangezogenen Beispiel des Funk-Drummers.« Ein idealer Hörtipp ist das aktuelle Album Funkstörung.
Funkstörung
Nach gut zehn Jahren Pause endlich wieder eine Funkstörung! Das selbst betitelte Album setzt dort an, wo die Rosenheimer 2004 aufgehört haben: Die Glitchund Schredder-Künste, mit denen sich das Duo einst profilierte, sind hier zugunsten wundervoller Pop-Melodien, ausgefeilter Song-Strukturen und einprägsamer Vocals (u. a. Jamie Lidell, Taprikk Sweezee, JayJay Johanson) in den Hintergrund getreten. Sie funktionieren dort erstklassig als »Sand im Getriebe« der 14 großartigen Elektropop- und HipHop-Perlen, die sich auf dem heimischen Sofa ebenso gut genießen lassen wie auf einem versumpften Festivalgelände. Funkstörung ist auf Monkeytown Records als CDund Vinyl-Album erschienen.