Mit CD-Know-How zurück zu Vinyl

Green Vinyl Records – Schallplatten per Spritzgussverfahren

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(Bild: Green Vinyl Records/Symcon Group)

Die niederländische Firma Green Vinyl Records verspricht optimierte Schallplattenpressung im Spritzgussverfahren: Durch geringeren Druck als bei dampfbetriebenen Pressen sollen akkuratere Abbilder entstehen, das Verfahren soll Energie sparen. Wir sprachen mit Harm Theunisse, dem Initiator des Projekts und Betreiber der Symcon Group, eines Dienstleisters für CD-Presswerke.

Mit seiner Symcon Group im niederländischen Veldhoven bedient Firmenchef Harm Theunisse Presswerke für CDs, DVDs und Blu-Rays. Er beliefert seine Kunden mit Maschinen, Ersatzteilen und Chemikalien, übernimmt auch Wartungsarbeiten der Technik. »Früher waren viele CD- und DVD-Pressen gefragt«, resümiert er. »Aufgrund des Internets ist die DVD praktisch zusammengebrochen. Blu-Ray wird heute vor allem für Spiele in der Sony Playstation oder Microsoft Xbox eingesetzt, der Markt ist nach wie groß. CDs werden noch recht stabil nachgefragt, meist überholen wir Maschinen, die 20, 25 Jahre alt sind.«

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Vor rund sechs Jahren hatten mehrere Kunden angefragt, ob er nicht auch Schallplattenpressen besorgen könne. »Ich wurde neugierig, was den Vinyl-Hype betrifft, der damals gerade anstieg.« Weltweit werden pro Jahr immer noch rund 6 Milliarden Disks gefertigt, Blu-Ray, CD, und DVD zusammengenommen. Dem stehen aktuell rund 150 Millionen Schallplatten gegenüber, so Theunisse. »Wir schauten uns die Technik der alten herkömmlichen Schallplattenpressen an: Sie sind dampfbetrieben, mit einem Dampfgenerator, erfordert das hohen Wartungsaufwand und viel Fingerspitzengefühl, um das richtige Ergebnis einer Pressung hinzubekommen. Wir dachten, das ließe sich bestimmt effizienter und reproduzierbarer umsetzen, mit Spritzgussformen, wie wir sie bei der Herstellung von CDs verwenden.«

Theunisse und seine Kollegen sprachen 2014 mit Technikern, um im Spritzgussverfahren eine Presse für Schallplatten herzustellen, »… mit anderen, stabileren Materialien als bisheriges Vinyl, sodass die Qualität der Produktion gleichmäßiger werden würde. « Er versuchte, einzelne Ansätze und Arbeitsschritte in die Vinylproduktion zu übernehmen, um die Toleranzen zu verringern. Sie entwickelten ein Konzept. »Zur Herstellung benötigen wir 60 Prozent weniger Energie, das verringert die Kosten.« Nicht zuletzt dadurch ist der Prozess umweltfreundlicher – daher der Name des Projekts, »Green Vinyl Records«. Zudem verzichtet Green Vinyl Records auf aufgeklebte Papier-Labels: »Das Papier ist sehr teuer, dazu ist spezielle Tinte notwendig, und es muss in einem Ofen ›gebacken‹ werden. Dazu bedarf es viel Energie und logigtischen Aufwandes – stattdessen drucken wir direkt digital auf die Vinyloberfläche, sobald das Vinyl aus der Spritzgussform kommt.«

Pressungen sind in verschiedenen Farben möglich, hier als Clear-Vinyl. Die Schallplatten sind laut Theunisse zu 100 Prozent abwärtskompatibel für herkömmliche Plattenspieler. (Bild: Green Vinyl Records/Symcon Group)

Nationale und EU-Fördermaßnahmen. Zur Finanzierung beantragte Theunisse unter anderem eine EU-Förderung und Fördergelder aus den Niederlanden. »Die Gremien prüfen, ob die Idee innovativ ist und Jobs verspricht. Zusätzlich muss das Konzept wirtschaftlich und ökologisch optimiert sein. Zunächst wurde mein Förderungsantrag zurückgewiesen. Ich fragte nach, woran es lag – die Grundidee war interessant, ich musste den Antrag allerdings komplett umformulieren, sodass alle Argumente passend zur Geltung kamen und sozusagen eine ›Geschichte‹ erzählt wurde. Beim zweiten Anlauf 2015 hat die Förderung geklappt.«

Das erinnert an das HD-Vinyl-Projekt des österreichischen Unternehmens Rebeat (siehe Sound & Recording Ausgabe 9+10.2019): Dessen Geschäftsführer Günter Loibl musste in Österreich vier Mal um Förderung ersuchen, bis sein Antrag bewilligt wurde. Rebeat will den Bereich der Stamper-Produktion optimieren – die Vorlage, von denen die Schallplatten abgezogen werden. »Ich kenne Günter. Wir reden bereits darüber, unsere beiden Ansätze zu kombinieren. (lacht) Er kümmert sich um Vinyl-Mastering und Stamper, ich darum, die Schallplatten zu pressen.«

Theunisse begann 2016 mit der praktischen Umsetzung seines Konzepts. An Green Vinyl Records sind sieben Partner beteiligt: Symcon entwickelt die Spritzgussform, MPB fertigt die Formen und Einzelteile, Koot liefert die Spritzgussmaschine, PRG fertigt das Plastikrohmaterial zur Pressung, Geelen übernimmt die Abwicklung der automatisierten Herstellung, Record Industry – ein traditionelles Vinyl-Presswerk – versorgt Green Vinyl Records mit Stampern für das Spritzgussverfahren, und die Fontys Hogeschool und deren Studenten schließlich »messen « die Klangqualität. »Sie untersuchen beispielsweise die Rillen unter dem Rasterelektronenmikroskop«, erklärt Theunisse.

Am Produktionsort in Asten steht eine gewaltige Maschine, rund 7,5 Meter lang, je 2 Meter hoch und breit, mit der die Spritzguss-Schallplatten derzeit hergestellt werden. »Dass die Maschine so groß ist, liegt daran, dass es sich um ein Prototypen-Konzept handelt. Zu Beginn konnten wir noch nicht abschätzen, welches Material und welche Andruckkräfte wir letztlich für die Pressung verwenden würden: Unterschiedliche Materialen benötigen andere Kräfte zur Pressung. Wir mussten demnach eine überdimensionierte Maschine kaufen, um die Kräfte für alle Spezifikationen abdecken zu können. Das passende Material, das wir nun gefunden haben, benötigen geringere Andruckkräfte; künftige Maschinen können wir fast um die Hälfte kleiner bauen.«

Für den Label-Druck entwickelten sie einen speziellen Drucker, um das Vinyl direkt bedrucken zu können. »Dadurch können wir auch schnell reagieren, wenn individuelle Änderungen gewünscht sind, ohne eine große Auflage an bedruckten Papier-Labels vorhalten zu müssen. So lassen sich zum Beispiel direkt Seriennummern auf jede Schallplatte aufdrucken. Dafür ist lediglich eine passende PDF-Vorlage notwendig!«

Harm Theunisse, Chef der Symcon Group und von Green Vinyl Records, vor dem monströsen Prototyp der neuen Spritzgusspresse (Bild: Green Vinyl Records/Symcon Group)

Kosten der Platte

Die reinen Materialkosten der Fertigung seien etwas teurer: »Herkömmliches Vinyl kostet knapp 2 Euro pro Kilogramm. Daraus entstehen rund fünf Platten, Rückläufer eingerechnet. 40 Cents pro Platte, dazu kommt die zur Pressung nötige Energie, die beträgt etwa elf Cents. Die beiden Papier-Labels kosten 24 Cents pro Platte. Verkauft wird das Exemplar für rund einen Euro. Wir verdienen bei unserer Technik nicht viel, es entstehen aber weniger Rückläufer, die wir einkalkulieren müssen, und durch die energiesparende Produktion sparen wir 60 Prozent der Energiekosten. Zudem benötigen weniger Angestellte für den Produktionsablauf.« Am Ende sei die Produktion einer Platte mindestens 25 Prozent günstiger als bei herkömmlicher Produktionsweise.

(Bild: Green Vinyl Records/Symcon Group)

Klangqualität

Die Marktakzeptanz der neuen Fertigungstechnik hänge von der Klangqualität ab. »Darunter fallen neben dem eigentlichen Klang auch Effekte wie Pre-Echo und After-Echo.« Er spricht das »Durchfärben« auf die vordergehende oder nachfolgende Rille an, ähnlich dem Pre-Echo-Effekt, wie er bei Tonbändern durch Magnetisierung entstehen kann. Die Echos im Vinyl hängen laut Theunisse mit dem herkömmlichen Pressvorgang zusammen. »Bei unserer Arbeitsweise entstehen keine Echos. Das – und die Klangqualität an sich – messen wir, zusammen mit den eingebundenen Studenten. Auch bei Hörtests schneidet unser Material und Verfahren konstant sehr gut ab.« Der eigentliche Klang hänge vom ursprünglichen Stamper ab, den versuchten sie, optimal zu reproduzieren. Die Nebengeräusche der neuen Pressung seien geringer, theoretisch sei »Stille« bei – 72 Dezibel möglich, während bei herkömmlichen Pressungen der theoretische »Nullpunkt« um –62 Dezibel liegt. »In der Praxis lässt sich bei unseren Pressungen –68 Dezibel erreichen. Das hängt natürlich auch viel vom Stamper ab – wenn der Schnitt oder die Galvanik nicht gut ist, schränkt das das Ergebnis ein.«

Geringere Abnutzung

Vinyl lasse sich 70 Mal abspielen, bevor erste Abnutzungen auftreten – Schallplatten würden dann sichtbar grauer. »Unser Material kann rund 400 Mal abgespielt werden, rund fünf bis sechs Mal länger, bevor Beeinträchtigungen entstehen. « Das Material sei kratzfester. Ein Vorteil: »Der ›Hockey-Puck‹-Vinyl-Rohling bei der herkömmlichen Vinyl-Pressung wird mit 140 Grad heißem Dampf weich gemacht und dann gepresst. Durch den Anpressdruck der beiden Stamper wird er über die gesamte Fläche verteilt. Durch das ›Quetschen‹ des aufgeweichten Materials nach außen werden die Stamper-Rillen auf Dauer verbogen. Nach rund 500 gepressten Platten entsteht bereits ein hörbarer Unterschied durch die Abnutzung.« Der Kunststoff, den Theunisse im Spritzgussverfahren verwendet, wird vor der Eingabe in die Form verflüssigt. »Wir verwenden keinen mechanischen Druck auf den Stamper, weil unser Material deutlich flüssiger ist. Dadurch werden die Stamper-Rillen bei der Herstellung nicht nach außen gebogen.« Das Plastik wird direkt in die Rillen eingespritzt, dadurch ließen sie sich genauer abbilden. Im bisherigen Verfahren wird ein Stamper nach 1.800 bis 2.000 Abzügen ersetzt. »Mit der neuen Technik sind 20.000 Abzüge pro Stamper möglich, genau wie bei CDs.«

“DAS NEUE MATERIAL KANN RUND 400 MAL ABGESPIELT WERDEN, BEVOR ABNUTZUNGEN AUFTRETEN – FÜNF BIS SECHSMAL SO VIEL WIE HERKÖMMLICHES VINYL.”

(Bild: Green Vinyl Records/Symcon Group)

Praxis-»Blindtest«

Der Schallplattenmarkt sei sehr konservativ, erklärt Theunisse, daher sei ihm wichtig, die Qualität zunächst sicherzustellen, bevor das Produkt auf den Markt kommt. Er erinnert sich an eine Anekdote: »Letztes Jahr war ich in Berlin auf einer Messe und hatte unsere Platten dabei. Zu Beginn fiel den Leuten der Unterschied nicht auf. Das Gewicht ist praktisch gleich – rund 180 Gramm. Ein Unterschied: Die Kante der Platten verläuft gerade, sie wird nicht schmaler. Sie hörten die Schallplatten an und fanden den Klang gut. Ich meinte, sie sollen auf das Label schauen – dann fiel ihnen der Unterschied auf, da war kein Papier! Die Tinte lässt sich nicht abkratzen, sie ist nicht wasserbasiert – klar, würdest du die Platte in einen Geschirrspüler stecken, wird das irgendwann schwierig, aber grundsätzlich ist sie sehr widerstandsfähig. 90 bis 95 Prozent der Nutzer würde sonst kein Unterschied auffallen. Darüber hinaus existieren etwa 5 Prozent Vinyl-Fans, die das ›Gesamterlebnis‹ Vinyl suchen, mit dem Geruch und so weiter. Ansonsten gilt: Du kannst die Schallplatte mit jedem Plattenspieler abspielen, sie ist komplett abwärtskompatibel.«

Vermarktung

Mit Green Vinyl Records will Harm Theunissen nicht selbst Platten pressen. »Ich möchte nicht in Wettbewerb zu meiner Kundschaft treten. Ein Verkauf der Maschinen wäre allerdings zu teuer, daher planen wir, die neuen Pressen per Leasing anzubieten. Es gibt bereits Kunden, die eine Maschine wollen. Bevor wir damit nach außen gehen, will ich allerdings sicherstellen, dass die Qualität wirklich einwandfrei ist. Vinyl ist ein sehr emotional besetztes Produkt: Der Hörer öffnet die Kartonhülle, nimmt die Platte aus der Innenhülle, wischt sie ab, legt sie auf den Plattenspieler und legt die Nadel auf, die schließlich ihren Weg in die Einlaufrille nimmt. Du hast eine Verbindung zu dem Produkt. Ich möchte vermeiden, dass die Neuentwicklung durch einen Schnellschuss negativ besetzt wird. Das Ergebnis muss gleich gut oder besser sein als herkömmliches Vinyl. Mittlerweile kann ich sagen, dass wir besser sind.«

In diesen Tagen soll die industrielle Vinyl-Produktion grundsätzlich starten können. »Dann lassen sich mit unserer Presse mehr als eine Million Schallplatten pro Jahr produzieren, über 40 Prozent mehr als die Kapazität einer herkömmlichen Dampfpresse«, kündigt Harm Theunisse an.

www.greenvinylrecords.com
www.processtechgroup.net

Kommentar zu diesem Artikel

  1. Danke für diese Infos. Ich bin zwar kein Vinyl Fan, schätze aber meine Schallplatten Sammlung. Hat einen eigenen Charm und wenn das alles zu zutrifft, wie beschrieben, dann könnte es mich sogar reizen ne eigene Platte zu produzieren:-)
    Was mir beim Lesen allerdings auffiel, sind die Preisangaben. Ohne einen Bezug auf Stückzahl wirken sie auf mich, wie ne Luftnummer. Die Herstellkosten hängen immer innerhalb einer Bandbreite von der Auflage ab. Gut, er sagt 25% weniger als herkömmlich. Für mich ist die entscheidende Aussage die Klanggüte! Drei Angaben die mich beeindrucken: -68 dB, keine Echos und höhere verlustfrei Abspielbarkeit.
    Hört sich sehr gut an. Viel Erfolg!

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