Heisskalt über die Produktion ihres aktuellen Albums Idylle
von Dirk Heilmann,
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(Bild: Sophie Krische)
Ein Label will einen nicht, und ein Studio ist zu teuer? Was nun? DIY natürlich. Wie wir alle wissen, gibt es die Philosophie nicht nur bei Hornbach, sondern auch — und das nicht erst seit gestern — im Musikbusiness. Nur ist es keine Selbstverständlichkeit, dass es gut klingt. Bei Heisskalt hat es funktioniert … irgendwie. Was dabei gut geklappt hat und worauf beim nächsten Mal gerne verzichtet werden kann, erzählt uns Sänger und Gitarrist Mathias Bloech.
Heisskalt ist nicht ganz frisch auf dem Markt. Sie haben sich bereits 2010 gegründet, und neben je zwei EPs und Studioalben außerdem ein Live-Album veröffentlicht. Jetzt wurde mit Idylle nochmal die komplette bisherige Band- und Produktions-Philosophie hinterfragt. Nicht nur von ihrem früheren Bassisten haben sie sich getrennt, sondern auch ihr Labelvertrag ist ausgelaufen, und ganz bewusst haben sie sich erstmal dagegen entschlossen, ihn zu verlängern. Nicht zuletzt so eine Art Selbstfindungsphase für die übrigen drei.
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Die Folge: Ihr neustes Album Idylle haben sie quasi komplett in Eigenregie aufgenommen, und vielleicht ist das auch der Grund, warum es so klingt, wie es klingt. Sekt oder Selters? Das liegt auch im Auge des Betrachters bzw. im Ohr des Hörenden. Wir sprachen mit Sänger und Gitarrist Mathias Bloech und haben ihn zum Hergang ihrer DIY-Produktion befragt.
Mathias, ihr habt also Idylle in Eigenregie aufgenommen und seid gerade auch Label-los. Wie ist es dazu gekommen?
Wir hatten uns das so vorgenommen, um mal alles zu nullen. Wir waren sehr unzufrieden, wie das alles bei den letzten Alben gelaufen ist, und hatten die ganze Zeit das Gefühl, dass das nicht so läuft, wie wir es gerne wollten, aber konnten da auch nichts dran ändern. Daher die Idee, alles wegzunehmen und das nur zu dritt zu machen, und zu gucken, was dann passiert − ein Experiment also auch.
Dass das Ganze in Eigenregie entstand, ist aber ein wenig dem Zufall geschuldet. Eigentlich dachten wir, dass Simon Jäger − mit ihm haben wir schon unsere drei Alben davor aufgenommen, und er ist ein guter Freund der Band − für die komplette Aufnahme bleibt. Aber irgendwie hatten wir uns da missverstanden, d. h., wir haben dann alle Mikros und alles andere selbst aufgebaut, dann kam er dazu, hat ein bisschen korrigiert und die Kompressoren eingestellt − soweit alles wie geplant. Als wir dachten; »Okay super, jetzt geht’s los«, hat er dann seine Sachen gepackt und musste nach Berlin. Das hatte uns super verwirrt und auch verunsichert. Aber er meinte: »Ach, ihr kriegt das auch alleine hin, oder? Ihr macht das eh schon die ganze Zeit.« Und da bin ich ihm im Nachhinein auch sehr dankbar für.
Was waren das denn für Räume, in denen ihr aufgenommen habt?
Wir haben das im Studio aufgenommen, im Leipziger Off The Road Studio. Das ist das Studio von einem Bekannten von uns, und damals war ich da noch Mieter, deswegen kamen wir in den Raum relativ preiswert rein. Dort gab es relativ viele Mieter, die alle dort ihr Zeug lagerten, das dann jeder nutzen konnte. Letztendlich hat das Konzept nicht so richtig funktioniert, aber die Idee dahinter ist eigentlich super. Wir haben auf jeden Fall einige Sachen nutzen können, die wirklich fein sind. Die ganze Platte ist keine High-End-Produktion − und das hört man der Platte auch an −, und wir hatten auch nicht zehn U67, aber trotzdem anständige Mics und einen sehr großen Raum. Alles ein bisschen kurz vorm High-End-Studio, wie der Raum übrigens auch klang − super groß, super mittig und viel härter −, und so klingt die Platte jetzt auch. In dem Raum fühlt man sich übrigens abgefahren erhaben − also ich mich zumindest. Da hat man so ein Schlossherrengefühl.
Nachdem das Setup stand, haben wir dort 10 Tage Songs geschrieben und aufgenommen.
Ihr habt auch mit dem Songwriting vor Ort begonnen?
Eigentlich schon. Wir hatten vorher schon mal eine Session gemacht, die war etwas mehr »hau-ruck«. Da haben wir den ganzen Kram aufgestellt, um Demos aufzunehmen. Wie Sterne z. B. ist dort entstanden, den Song haben wir sogar aus der Session übernommen, da wir den nicht mehr besser hingekriegt haben. Oder es wäre zu viel Arbeit gewesen, den Song nochmal zu lernen, für so was geht einfach sehr viel Zeit drauf.
Insgesamt haben wir uns bei der Platte oft auf den Moment verlassen. Und dieses Sicherheitsdenken von »Okay, wir schreiben jetzt einen Song, und dann nehmen wir drei Demos über drei Jahre auf. Wenn das fertig ist, gehen wir ins Studio, nehmen den richtig auf, in einem anderen Studio dann die Vocals, dann mischt den nochmal irgendjemand … «, da haben wir ein bisschen drauf gesch…
Welche Sound-Idee schwirrte euch im Kopf, als ihr die Aufnahmen gemacht habt?
Ich finde, wenn eine Band im Raum steht, egal ob zu dritt oder wie viele auch immer, dann gehört es für mich dazu, dass der Raum und die Menschen darin Geräusche machen. Wenn man das nicht will, dann kann man ganz leicht auf die digitale Ebene gehen. Aber wir alle mögen den echt hohen Noise-Floor auf unserer Platte. Der ist wirklich sehr deutlich und ist auch ganz bewusst dagelassen, das passt auch von der Stimmung. Wenn die Amps an waren, dann hat das wirklich schon mega laut gerauscht. Das wegzunehmen hätte bedeutet, auch der Platte etwas wegzunehmen.
Das heißt allerdings nicht, dass ich das Digitale als Sound nicht mögen würde. Für das Intro von Du denkst ich lächle… habe ich nur ein ganz kurzes Motiv gespielt, und das haben wir dann in der DAW auf ca. 30 Sekunden gezogen. Was dann da passiert, ist eine Granular-Synthese, also ein digitaler Effekt, den man analog nicht hinbekommt. Aufgenommen wurde auch digital über Apollos, abgesehen von einem Tone Beast von Warm Audio und noch ein, zwei anderen Geräten. Gemischt wurde ist die Platte in-the-box und nicht am Mischpult, da geht es definitiv auch um Praktikabilität.
Aber beim Musikmachen selber wollten wir nicht darauf achten, ob es zu noisy ist. Macht auch wenig Spaß, wenn der Sound geil ist, man sich aber über das Rauschen ärgert. Ist eben auch eine E-Gitarre − ein Stück Holz mit ein bisschen Draht und zwei Magneten dran. Die Technik ist von vor 100 Jahren. Das rauscht eben.
Habt ihr das Instrumentale weitestgehend live eingespielt?
Alles, ja. Wir hatten drei Gitarren-Amps in dem Raum (einen AC30, einen Soundcity und einen Fender Vibrolux), und wir haben uns immer abgewechselt mit Gitarren, Bariton-Gitarre und Bass − Idylle ist sogar mit zwei Bässen eingespielt − aber alles über diese Gitarren-Amps. Einen Bass-Amp (ein Hiwatt Custom 50) hatten wir noch im Nebenraum, damit es im Raum untenrum nicht zu viel Gewurschtel gab. Aber eigentlich ist trotzdem alles auf allen Spuren zu hören. (lacht)
Eine Ausnahme ist Tassenrand, den haben wir Track by Track eingespielt, und das komplett über DI. Der Beat ist rhythmisch hart quantisiert, und Gitarren und Bass wurden nur über die High-Z-Eingänge vom Apollo eingespielt. Das fanden wir witzig als Kontrast. Sonst hatten wir als Close-Mics eine Kombination aus SM7 und Audio-Technica 4080 an den Bass-Amps, und an den Gitarren-Amps MD 441, MD 421, M160 und SM57.
Wie sah eure Schlagzeug-Mikrofonierung aus?
Wir hatte eine recht umfangreiche Schlagzeug-Mikrofonierung mit Stereo-Overhead und Mono-Overhead, dazu noch zwei Raum-Mic-Pärchen. Für jeden Song konnten wir dann entscheiden, was wir verwenden wollen. Da waren natürlich auch überall viel Gitarren drauf, eigentlich ein sehr verwaschener Sound, der aber den Aufnahmen viel Größe verleiht. Etwas, das meiner Meinung nach bei modernen Produktionen gern unterschätzt wird.
An den Toms hatten wir M88 TG von Beyerdynamic bzw. MD 421, die finde ich wahnsinnig toll, die machen nämlich etwas Dumpfes mit den Toms. Ich finde es etwas schwierig, wenn die Toms heller sind als die Snare. An der hatten wir übrigens ein SM7 dran und in der Kick eine Grenzfläche. Eigentlich nutzen wir da lieber ein MD 421, das macht einen perfekten Kick-Attack, wie ich finde, leider hatten wir das nicht mehr − etwas ärgerlich. Vor der Kick war dann noch ein C414 von AKG.
Was habt ihr mit dem Schlagzeug bei dem Titelsong Idylle gemacht? Das klingt extrem anders.
Wir haben versucht, bei jedem Song etwas anders zu machen als bei dem Song davor. Und bei Idylle haben wir uns ganz dicht um das Schlagzeug herum positioniert, haben die Kopfhörer abgezogen und dann gespielt. Das Schlagzeug hat Marius noch mit Tüchern abgedeckt, daher klingt es so, wie es klingt.
Ansonsten habe ich den Song irgendwann mal geschrieben, und vielleicht ist das meine Art, Beats zu schreiben, als Band haben wir den Song dann neu interpretiert. Marius hat es viel sanfter gespielt, als ich es irgendwann mal gedacht habe. Insgesamt werden wir bei dem Song eher leiser anstatt immer lauter, also ein ganz anderes Stilmittel, als wir es sonst nutzen − eigentlich ein Anti-Heisskalt-Song. (lacht)
Wie und wann habt ihr Gesang aufgenommen?
Bei Proben und Jams habe ich schon immer mitgesungen, nachher all die Aufnahmen durchgehört und die Sätze aufgeschrieben, die mir davon was gesagt haben.
Zum Einsatz kamen u. a. auch das AT 4080 oder auch ein Beyerdynamic M260, da wir extrem erstaunt waren, wie toll dieses recht preiswerte Mic an meiner Stimme funktioniert. Ich habe sehr harte Konsonanten, wenn ich singe, und die macht es weg.
Fast alle Vocals haben wir in einer Session nach der Instrumenten-Recording-Session aufgenommen. Im gleichen Studio und im gleichen Raum. Nur ein paar Korrekturen haben wir im Nachhinein nochmal gemacht, als wir gemerkt haben, dass wir uns irgendwo vertan haben. Das haben wir einfach im Wohnzimmer von Simon gemacht.
Wie sah euer Zeitplan aus? Wie lange habt ihr insgesamt für die Aufnahmen und das Mischen gebraucht?
Die Aufnahmen dauerten zwei mal zehn Tage, jeweils zehn Tage für die Instrumente und Vocals. Allerdings muss man dazu sagen, dass wir uns nicht stressen, sondern auch rumhängen und Musik machen wollten. Das hatte auch ganz gut funktioniert.
Den Mix hat Philipp (Gitarre) begleitet, das ging schon über eine längere Zeit, was aber auch an Simons Art zu mischen liegt. Er investiert erst super viel Zeit in den ersten Song, bis alle zufrieden sind. Dann geht er zum nächsten und vergleicht immer wieder mit den bereits ausgespielten Mixen. Ein großer Teil des Sounds kommt durch parallele Bearbeitung.
Später kam ich dann auch dazu, als er sich schon super im Mix auskannte und genau wusste, was welches Mikro macht und wo er wie EQen kann. Er will nämlich auch immer möglichst wenig bearbeiten und, so viel es geht, über Lautstärken machen.
Insgesamt hat er sich für das Mixen etwa eineinhalb Monate Zeit genommen. Eigentlich mixt er Platten sonst auch in zwei Wochen, aber für uns hatte er sich Zeit gelassen.
Idylle
Idylle ist das dritte Studioalbum von Heisskalt, die − glaubt man Wikipedia − den Genres Alternativ Rock, Progressive Rock, Post-Hardcore und Punkrock zugeordnet werden. Ich hingegen würde Alternativ- und Progressive Rock entfernen, das Sub-Genre Deutsch-Punk hinzufügen, und eigentlich ist auch eine ganze Menge Grunge dabei, nur kommen sie eben nicht aus Seattle. Idylle jedenfalls ist musikalisch betrachtet äußerst vielseitig aufgestellt und bietet Sachen wie Balladen, geht aber manchmal auch ab wie Schmitz’ Katze.
Was denkst du, wie hätte die Platte mit einem Produzenten geklungen?
Das kommt wahrscheinlich zu allererst auf den Produzenten an. Wir wollten ganz bewusst, dass die Platte nach uns dreien klingt, da wir uns auch vorletztes Jahr von unserem Bassisten getrennt haben. Und es war auf jeden Fall ein wichtiger emotionaler Prozess: Als Freunde mal wieder abzuhängen und Musik zu machen. Da wir alle nicht mehr in einer Stadt leben, ist das nicht so selbstverständlich.
Die nächste Platte werden wir sicher wieder mit Simon als Produzent machen, und dann kann man sich die einfach anhören und selbst entscheiden, was der Unterschied ist. Aber wahrscheinlich wäre es schwierig gewesen, jemanden dabei zu haben, der hätte aushalten müssen, dass wir eben nicht wussten, wo es hingeht. »Machen wir jetzt eine Rock- oder Indie-Platte? Und hä − wieso habt ihr gerade einen Metal-Song geschrieben?« So jemanden hätten wir nicht dabeihaben dürfen!
Insgesamt muss man schon sagen, dass es eine harte Überforderung ist, gleichzeitig Songs zu schreiben, zu engineeren, zu spielen und zu kochen … und im gleichen Raum zu pennen. Ich liebe das zwar, aber es ist wirklich eine harte Grenzerfahrung, die ich aber auch sofort wieder machen würde. Wer Bock hat, so eine Platte zu machen, kann sich immer gerne bei mir melden. Ich habe da immer Lust drauf, 20 Tage im Nirgendwo auf 4 Quadratmeter im Schnee zu sitzen, nicht zu wissen, was man essen soll und neben her noch Musik zu machen.
Das würdest du auch als Produzent machen?
Voll! Wenn die Musik geil ist und die Leute super sind, dann ist das genau die Art, wie ich Musik produzieren will. In ein geiles Studio gehen kann jeder, aber unter widrigsten Bedingungen aus Scheiße geilen Sound machen, das macht mir am meisten Spaß!
Es gibt nur eine Sache, die ich gerne mehr machen möchte, und das sind strukturelle Dinge. Wenn also irgendwo was brummt, dann möchte ich die Zeit nutzen, um mich in der Sonne wieder zu sammeln und nicht total fertig vor dem Rechner das Problem suchen. Und es ist auch nicht optimal für meinen Gesang und mein Gitarrenspiel, wenn ich nebenher darauf achten muss, ob sich gerade das Bassdrum-Mikro verschiebt und dann die Phase vielleicht im Arsch ist. Darauf kann ich gerne verzichten.
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